Als Gefängnisarzt von Huntsville, Texas, hat Dr. Royce die unangenehme Aufgabe, die Hinrichtung eines zum Tode verurteilten jungen Schwarzen medizinisch zu begleiten. Der Delinquent erscheint in Anbetracht seines Schicksals sonderbar unbeteiligt. Noch während das Gift in die Adern des jungen Mannes strömt, kommen Royce ernste Zweifel an dessen Schuld. Auf der Flucht vor seiner ruinierten Ehe zieht Royce gen Dallas los, um in den Elendsvierteln mehr über den Background des exekutierten Häftlings in Erfahrung zu bringen ...Jim Nisbets Noir-Thriller wird von Kennern des Genres bereits als moderner Klassiker gepriesen. Mit eloquenter, die Atmosphäre kalten Neonlichtes erzeugender Prosa beleuchtet der US-Autor dunkelste Verwerfungen und Selbstzerstörung in einer gewalttätigen Zivilisation.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sein blaues Wunder erlebt Hannes Hintermeier mit diesem neuübersetzten kleinen Roman des Vielschreibers und Möbeltischlers Jim Nisbet - und nicht nur einmal. Was ist noir? Diese Frage stellt sich der Rezensent angesichts des Buches und erklärt: "Noir" als Genre heißt eine Spur schwärzer als Krimi, hässlicher, ekelerrregender, schmerzhafter für den Leser. Bei Nisbet muss er schonmal der Prozedur einer Hinrichtung mittels Giftspritze en detail beiwohnen. Zum Glück, findet Hintermeier, hat der Autor auch philosophische und wissenschaftliche Tiefe zu bieten. Und so funktioniert die Geschichte über einen möglicherweise unschuldig zum Tode Verurteilten mit unerhörtem Brandbeschleuniger zum Ende der Story für ihn auch noch dreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2011Bis alles Leben aufhört
Für Liebhaber des Abgrunds: Den Schriftsteller Jim Nisbet kann man mit Romanen entdecken, die sich auf der hässlichen Seite Amerikas sehr gut auskennen.
Der Mann hat das Schwarze gepachtet. Auf seiner Homepage steht unter der Rubrik "Über den Autor" die Überschrift "Jim Nisbet (1947 -)". Hier rechnet einer nicht nur mit seiner Endlichkeit, er trifft Vorkehrungen für die Zeit danach: Elf Romane, fünf Bände Lyrik, Einakter und Monologe hat der in den Südstaaten aufgewachsene und heute in San Francisco lebende Jim Nisbet geschrieben. Als Autor hat er ein zweites finanzielles Standbein - er betreibt eine Möbeltischlerei. Dass er sich auf Kommoden für Fernseher und HiFi-Anlagen spezialisiert hat, rundet das Bild ab. Hier ist einer am Werk, der weiß, was gutes Handwerk vermag.
Zwei seiner Bücher liegen nun in deutscher Übersetzung vor; im Fall des 1987 erschienenen Romans "Tödliche Injektion" handelt es sich allerdings um eine Neuübersetzung; "Dunkler Gefährte" ist im Original vor fünf Jahren erschienen und war damals nominiert für den Hammett Award. Nisbets neuerliche Belebung beziehungsweise der Versuch, ihn als wichtigen Vertreter des "Noir"-Genres zu etablieren, geht aufs Neue auf das Konto des Berliner Verlegers Frank Nowatzki und seiner "Pulp Master"-Reihe. Aber was heißt "Noir" wirklich? An Definitionsversuchen fehlt es nicht. Klar ist, dass das Schwarze immer auch hässlich ist, thematisch dort hingeht, wo sich der gemeine Krimi-Konsument abwendet.
Die Autoren schreiben Bücher, die sie selbst als nichtbestsellerfähig einstufen. Sie wollen, dass sich die Leser in einem Spiegel wiedererkennen, dessen Bild wenig schmeichelhaft ist. Das darf schmerzen bei der Lektüre, auch mal die Ekelgrenze überschreiten. Im hier vorliegenden Idealfall trägt das zur Haltbarkeit der Bücher bei. Nisbet ist aber viel zu clever, um mit Schockspielchen um der Gosse willen aufzuwarten; er unterfüttert seine Texte mit Philosophie und Wissenschaft.
"Tödliche Injektion" hat dreißig Jahre auf dem Buckel, was man dem Buch einerseits anmerkt, andererseits nicht als störend empfindet, weil es in sich - als Kunstwerk - funktioniert. Es geht um die wiedereingeführte Todesstrafe, genauer um die Hinrichtung mittels Giftspritze. In Huntsville, Texas. Dr. Franklin Royce, abgewirtschafteter Arzt und Trinker, muss seine Kasse aufbessern. Für vierhundert Dollar Teufelslohn soll er den schwarzen Delinquenten Bobby Mencken zum Tode befördern, mit einem Mix aus Natriumpentothal, Kaliumchlorid und Pavulon. Mencken ist ein androgynes Muskelpaket, den sie im Knast Harcamone nennen, nach einer Figur aus Jean Genets Roman "Wunder der Rose". Und er macht Schwierigkeiten. Die Beruhigungsmittel schlagen nicht an, Mencken tötet einen Wärter und beteuert, er habe den Mord, für den er hingerichtet wird, nicht begangen.
Royce beginnt ihm zu glauben. Um seiner hysterischen Frau, seinem sexuellen Notstand zu entkommen und um Gewissheit zu erhalten, setzt er sich in Dallas auf die Spur Menckens. Er findet dessen frühere Geliebte Colleen Valdez und ihren Freund Fast Eddie, beide waren am Tatort, als Mencken verhaftet wurde, weil er bei einem Ladenüberfall die Kassenfrau wegen einer Handvoll Dollar mit mehreren Kopfschüssen hingerichtet haben soll. Royce wird in kürzester Zeit Komplize dieses kriminellen Drogenpärchens, verliebt sich in Colleen und plant die Ermordung Eddies, weil der überzeugt ist, den wahren Schuldigen identifiziert zu haben.
Der Autor Nisbet exekutiert seine Figur Royce auf der Direttissima: raus aus der bürgerlichen Welt, hinein in die Drogenhölle. Und setzt damit fort, was er auf den ersten sechzig Seiten im Todestrakt angelegt hat, als er die Hinrichtungsprozedur mit allen unschönen Details kalt vorgeführt hat. Die Zuschauer hinter der Scheibe, die Edelstahltrage, die kaputten Venen, das vergebliche Warten auf den Anruf mit der Begnadigungsnachricht. Mencken stirbt, wie es das Gesetz verlangt - "bis alles Leben aufgehört hat". Die "unerhörte Begebenheit", wie sie Goethe für die Novelle als verpflichtend ansah, gibt es auch. Es ist der Kuss, den der sterbende Mencken dem Arzt auf die Lippen drückt.
Auch die Hauptfigur von "Dunkler Gefährte" ist wie Royce Mitte fünfzig, aber aus ganz anderem, indischstämmigen Holz geschnitzt. Banerjhee Rolf ist ohne Verschulden nach vierzehn Jahren im Dienste einer Biotech-Firma in den "unfreiwilligen Ruhestand" versetzt worden. Man kennt das: Übernahme durch Private Equity, "Fett abschneiden", sagt die Arbeitsdirektorin. Der Pharmakologe, Leiter der Qualitätskontrolle, fällt mitsamt seiner Abteilung einer Umstrukturierung zum Opfer. Um ein Burn-out zu vermeiden, nimmt er die Abfindung, die nicht weit trägt. Die Hypothek aufs Haus ist nicht abbezahlt, der Sohn studiert in Chicago. Ein normales Mittelklasseschicksal, ausgemustert ohne weitere Verwendung.
BJ, wie ihn sein Nachbar Toby Price respektlos nennt, liebt seine Frau, Astronomie, Wahrscheinlichkeitsrechnung und seinen Garten. Er wiederum hält seinen Nachbarn und dessen Beilage, die spärlich bekleidete Esme, für ein Dealerpaar. Auch, weil der Lottofanatiker Toby angibt, seine Ostküstenfamilie habe ihn mit Geld dazu überredet, in Kalifornien zu leben. Er hat neuerdings beunruhigende Televisionen. Der Pornokanal, den er ganztägig eingeschaltet hat, wird Ziel eines Kabelpiraten, der Anti-Islam-Schmähreden sendet - das weiße Rauschen eines sich totlaufenden Systems namens Vereinigte Staaten, immer gut für eine Verschwörungstheorie.
Als Banerjhees Frau für zwei Wochen nach Chicago reist, rückt die unerhörte Begebenheit näher. Bei einem nächtlichen Gelage, zu welchem ihn die Nachbarn drängen, erscheinen plötzlich zwei bewaffnete Männer. Das geschieht auf Seite 131, sechzig Seiten vor dem Ende. Bis dahin hat sich im Sinne des Kriminalromans nicht viel begeben. Mit welcher Wucht der dann hereinbricht und wie Nisbet ihn zu einem wahnwitzigen Ende führt, ist großartig. Man sieht nicht nur dabei zu, wie eine Existenz aus den Fugen gerät, sondern auch dabei, wie der Betroffene diese Ausweglosigkeit rational begründet. Wie unter dem Brennglas schließlich das Finale in Las Vegas. Wer glaubt, Roulette sei literarisch ein erledigtes Genre, erlebt hier sein blaues Wunder.
HANNES HINTERMEIER.
Jim Nisbet: "Tödliche Injektion". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Angelika Müller. Verlag Pulp Master, Berlin 2010. 233 S., br., 12,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für Liebhaber des Abgrunds: Den Schriftsteller Jim Nisbet kann man mit Romanen entdecken, die sich auf der hässlichen Seite Amerikas sehr gut auskennen.
Der Mann hat das Schwarze gepachtet. Auf seiner Homepage steht unter der Rubrik "Über den Autor" die Überschrift "Jim Nisbet (1947 -)". Hier rechnet einer nicht nur mit seiner Endlichkeit, er trifft Vorkehrungen für die Zeit danach: Elf Romane, fünf Bände Lyrik, Einakter und Monologe hat der in den Südstaaten aufgewachsene und heute in San Francisco lebende Jim Nisbet geschrieben. Als Autor hat er ein zweites finanzielles Standbein - er betreibt eine Möbeltischlerei. Dass er sich auf Kommoden für Fernseher und HiFi-Anlagen spezialisiert hat, rundet das Bild ab. Hier ist einer am Werk, der weiß, was gutes Handwerk vermag.
Zwei seiner Bücher liegen nun in deutscher Übersetzung vor; im Fall des 1987 erschienenen Romans "Tödliche Injektion" handelt es sich allerdings um eine Neuübersetzung; "Dunkler Gefährte" ist im Original vor fünf Jahren erschienen und war damals nominiert für den Hammett Award. Nisbets neuerliche Belebung beziehungsweise der Versuch, ihn als wichtigen Vertreter des "Noir"-Genres zu etablieren, geht aufs Neue auf das Konto des Berliner Verlegers Frank Nowatzki und seiner "Pulp Master"-Reihe. Aber was heißt "Noir" wirklich? An Definitionsversuchen fehlt es nicht. Klar ist, dass das Schwarze immer auch hässlich ist, thematisch dort hingeht, wo sich der gemeine Krimi-Konsument abwendet.
Die Autoren schreiben Bücher, die sie selbst als nichtbestsellerfähig einstufen. Sie wollen, dass sich die Leser in einem Spiegel wiedererkennen, dessen Bild wenig schmeichelhaft ist. Das darf schmerzen bei der Lektüre, auch mal die Ekelgrenze überschreiten. Im hier vorliegenden Idealfall trägt das zur Haltbarkeit der Bücher bei. Nisbet ist aber viel zu clever, um mit Schockspielchen um der Gosse willen aufzuwarten; er unterfüttert seine Texte mit Philosophie und Wissenschaft.
"Tödliche Injektion" hat dreißig Jahre auf dem Buckel, was man dem Buch einerseits anmerkt, andererseits nicht als störend empfindet, weil es in sich - als Kunstwerk - funktioniert. Es geht um die wiedereingeführte Todesstrafe, genauer um die Hinrichtung mittels Giftspritze. In Huntsville, Texas. Dr. Franklin Royce, abgewirtschafteter Arzt und Trinker, muss seine Kasse aufbessern. Für vierhundert Dollar Teufelslohn soll er den schwarzen Delinquenten Bobby Mencken zum Tode befördern, mit einem Mix aus Natriumpentothal, Kaliumchlorid und Pavulon. Mencken ist ein androgynes Muskelpaket, den sie im Knast Harcamone nennen, nach einer Figur aus Jean Genets Roman "Wunder der Rose". Und er macht Schwierigkeiten. Die Beruhigungsmittel schlagen nicht an, Mencken tötet einen Wärter und beteuert, er habe den Mord, für den er hingerichtet wird, nicht begangen.
Royce beginnt ihm zu glauben. Um seiner hysterischen Frau, seinem sexuellen Notstand zu entkommen und um Gewissheit zu erhalten, setzt er sich in Dallas auf die Spur Menckens. Er findet dessen frühere Geliebte Colleen Valdez und ihren Freund Fast Eddie, beide waren am Tatort, als Mencken verhaftet wurde, weil er bei einem Ladenüberfall die Kassenfrau wegen einer Handvoll Dollar mit mehreren Kopfschüssen hingerichtet haben soll. Royce wird in kürzester Zeit Komplize dieses kriminellen Drogenpärchens, verliebt sich in Colleen und plant die Ermordung Eddies, weil der überzeugt ist, den wahren Schuldigen identifiziert zu haben.
Der Autor Nisbet exekutiert seine Figur Royce auf der Direttissima: raus aus der bürgerlichen Welt, hinein in die Drogenhölle. Und setzt damit fort, was er auf den ersten sechzig Seiten im Todestrakt angelegt hat, als er die Hinrichtungsprozedur mit allen unschönen Details kalt vorgeführt hat. Die Zuschauer hinter der Scheibe, die Edelstahltrage, die kaputten Venen, das vergebliche Warten auf den Anruf mit der Begnadigungsnachricht. Mencken stirbt, wie es das Gesetz verlangt - "bis alles Leben aufgehört hat". Die "unerhörte Begebenheit", wie sie Goethe für die Novelle als verpflichtend ansah, gibt es auch. Es ist der Kuss, den der sterbende Mencken dem Arzt auf die Lippen drückt.
Auch die Hauptfigur von "Dunkler Gefährte" ist wie Royce Mitte fünfzig, aber aus ganz anderem, indischstämmigen Holz geschnitzt. Banerjhee Rolf ist ohne Verschulden nach vierzehn Jahren im Dienste einer Biotech-Firma in den "unfreiwilligen Ruhestand" versetzt worden. Man kennt das: Übernahme durch Private Equity, "Fett abschneiden", sagt die Arbeitsdirektorin. Der Pharmakologe, Leiter der Qualitätskontrolle, fällt mitsamt seiner Abteilung einer Umstrukturierung zum Opfer. Um ein Burn-out zu vermeiden, nimmt er die Abfindung, die nicht weit trägt. Die Hypothek aufs Haus ist nicht abbezahlt, der Sohn studiert in Chicago. Ein normales Mittelklasseschicksal, ausgemustert ohne weitere Verwendung.
BJ, wie ihn sein Nachbar Toby Price respektlos nennt, liebt seine Frau, Astronomie, Wahrscheinlichkeitsrechnung und seinen Garten. Er wiederum hält seinen Nachbarn und dessen Beilage, die spärlich bekleidete Esme, für ein Dealerpaar. Auch, weil der Lottofanatiker Toby angibt, seine Ostküstenfamilie habe ihn mit Geld dazu überredet, in Kalifornien zu leben. Er hat neuerdings beunruhigende Televisionen. Der Pornokanal, den er ganztägig eingeschaltet hat, wird Ziel eines Kabelpiraten, der Anti-Islam-Schmähreden sendet - das weiße Rauschen eines sich totlaufenden Systems namens Vereinigte Staaten, immer gut für eine Verschwörungstheorie.
Als Banerjhees Frau für zwei Wochen nach Chicago reist, rückt die unerhörte Begebenheit näher. Bei einem nächtlichen Gelage, zu welchem ihn die Nachbarn drängen, erscheinen plötzlich zwei bewaffnete Männer. Das geschieht auf Seite 131, sechzig Seiten vor dem Ende. Bis dahin hat sich im Sinne des Kriminalromans nicht viel begeben. Mit welcher Wucht der dann hereinbricht und wie Nisbet ihn zu einem wahnwitzigen Ende führt, ist großartig. Man sieht nicht nur dabei zu, wie eine Existenz aus den Fugen gerät, sondern auch dabei, wie der Betroffene diese Ausweglosigkeit rational begründet. Wie unter dem Brennglas schließlich das Finale in Las Vegas. Wer glaubt, Roulette sei literarisch ein erledigtes Genre, erlebt hier sein blaues Wunder.
HANNES HINTERMEIER.
Jim Nisbet: "Tödliche Injektion". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Angelika Müller. Verlag Pulp Master, Berlin 2010. 233 S., br., 12,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main