Selim Ersoy, Historiker und Spezialist für Beziehungen zwischen Osmanen und Habsburgern, findet in seiner Wohnung in Wien die Leiche einer jungen Frau. Elisabeth Holzbauer, Model und Performancekünstlerin, wurde mit dem Tuch eines türkischen Designers erwürgt. Eine Tulpe ist in ihre Haut eingeritzt. Auf einem Foto ist sie nackt, nur mit einem Kopftuch bekleidet, mit dem Designer Aslan, Selim Ersoys Bruder, abgebildet. War das ihr Todesurteil? Ist das Model einem Islamisten zum Opfer gefallen? Welche Rolle spielen ihr Bruder Richard und der Teppichhändler Hans Maier, der ihr Liebhaber war? Gina Sonnenfels, Ermittlerin aus Berlin und Kennerin der Modeszene, ermittelt im türkischen Wien.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2011VERBRECHEN & AUFKLÄRUNG
Die Tote mit dem Kopftuch
Ausdauernd, krautig sollen sie sein, Geophyten, mit Zwiebeln als Überdauerungsorganen, die ihrerseits Stolonen bilden, nichtsdestotrotz hält sich das Vorurteil, sie seien dumm: die Tulpen. Aber das gilt selbstverständlich nur im Westen. Anderswo, in der Türkei zum Beispiel, sind sie Nationalsymbol, da stehen sie für Fruchtbarkeit, Leben, wahre Liebe, da gab es Tulpenmuster in Teppichen, Tüchern und auf Kacheln, lange bevor die Holländer Wind davon bekamen.
All das kriegt Gina Maria Sonnenfels allmählich mit, sie bildet sich, das muss sie, als Sonderermittlerin mit Spezialgebiet Mode: Ein Model ist gefunden worden, erwürgt mit einem Kopftuch, in einen Teppich eingewickelt, auf der Schulter ein orientalisches Tulpenmuster, mit tropfenförmigen Blüten, per Teppichmesser eingeritzt. Ein Model übrigens, das Skandal verursacht hat, sich beinahe nackt hat fotografieren lassen: Sie hatte nur ein Kopftuch an.
Die den Mord aufklären soll, Gina Maria Sonnenfels, 37, Österreicherin, also für Launentiefs zu haben, führt eine mäklig-bohemistische Berliner Existenz. Sie ist selber kurzfristig als Model aufgetreten, das gegen die Leichenbittermienen der anderen gern ein frisches Lachen aufsetzte. Nun werkelt sie als Gelegenheitsdesignerin und Gelegenheitskolumnistin bei Frauenzeitschriften und, etwas wirklichkeitsfremd, in österreichischen Angelegenheiten auch mal für die Berliner Polizei.
Vor einem Jahr, als Sabine Scholl, selber Österreicherin in Berlin, ihre Mode-Ermittlerin in „Giftige Kleider“ zum ersten Mal bemühte, war’s ein Dirndl-Mord an der österreichischen Botschaft. Eine Staatsangelegenheit, denn natürlich hätte es sein können, dass es am Stoff lag, der in Feuer aufgegangen ist. Das musste, aus Export-Gründen, vorsichtig behandelt werden, also anders als Gina Maria Sonnenfels normalerweise vorgeht. Sie schlief denn auch, mehr oder weniger aus Versehen, mit dem Mörder – und wenn sie grad nicht aufpasst, widerfährt ihr das auch diesmal.
Gina ist eine typische Mischgestalt. Einerseits hat sie etwas österreichisches Krimiblut, was den, bei einem regelstrengen Genre gerngesehenen Unsinns- und Unberechenbarkeitsgrad traditionsgemäß erhöht. Andrerseits merkt man ihr die Berliner Wohngegend, den gestern trendnahen Zionskirchplatz, an. Gina ist also dazu verpflichtet, grantelnd, schlampenhaft, aber auch etwas schick und trottelig zu sein. Und manchmal hilft ihr gar nichts mehr. In „Tödliche Tulpen“ (Deuticke-Verlag, Wien, 238 S., 18,90 Euro) lässt Sabine Scholl sie oft Biker-Stiefel tragen, das anerkannt dümmste Schuhkleid für Nichtprofis.
Überhaupt ist Gina Sonnenfels in der Modewelt nur halb zu Hause. Auf der Spur der Toten kommt sie in das Berliner Büro des türkischen Topdesigners, der das Tuch entworfen hat, mit dem das Opfer erwürgt wurde. Aslan heißt er und schenkt auch Gina ein besonderes Tuch, das sie bei den Näherinnen in der schummrigen Neuköllner Werkstatt des Meisters alt aussehen lässt, sie kennen die Zeichen.
Ein boshafter Spott. Auch sonst wirkt Aslan nicht auf den Kopf gefallen: „,Feinde? Ja!‘ Aslans Augen glitzerten. ,Ich habe viele davon. Sehr, sehr viele. Überall, das ist für jemanden, der Ungewöhnliches im Sinn hat, normal.‘“
Aslan gilt als islamisch, aber sehr gewagt. Sein Bruder Selim, ein angepasster, konvertierter Kunsthistoriker, dessen Frau sich gerade verabschiedet hat, fand die Tote in seiner Wiener Wohnung: Elisabeth Holzbauer, genannt Lisi. Aber als Model und verruchte Performance-Künstlerin trug die gebürtige Waldviertlerin den Künstlernamen Lale (Tulpe).
Die Gattung ist, weil es um Wahrheit geht, notorisch ideologisch. Dazu passt, dass der verrückte Täter von „Giftige Kleider“ aus der Ökoszene zu kommen schien. Jetzt geht es mehr um Islam und Christentum. Da gibt es selbstredend Fanatiker, etwa den Schreinerbruder des toten Mädchens, einen Fundi-Christen, der an seiner Lisi hängt und düster Trakl rezitiert. War er’s? Der Schande, der Seelenrettung wegen?
Interessant ist jedenfalls: Täter, zuerst oft äußerst geschwätzig, schweigen, wenn sie einmal überführt sind, gemeinhin deutlich. Wenn Kommissar und Mitarbeiter sie abführen, ist kein Kommentar mehr nötig. Hier ist es anders. Selten findet sich ein derart redseliger Überführter. Das hat mit Sicherheit was zu bedeuten.
HANS-PETER KUNISCH
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die Tote mit dem Kopftuch
Ausdauernd, krautig sollen sie sein, Geophyten, mit Zwiebeln als Überdauerungsorganen, die ihrerseits Stolonen bilden, nichtsdestotrotz hält sich das Vorurteil, sie seien dumm: die Tulpen. Aber das gilt selbstverständlich nur im Westen. Anderswo, in der Türkei zum Beispiel, sind sie Nationalsymbol, da stehen sie für Fruchtbarkeit, Leben, wahre Liebe, da gab es Tulpenmuster in Teppichen, Tüchern und auf Kacheln, lange bevor die Holländer Wind davon bekamen.
All das kriegt Gina Maria Sonnenfels allmählich mit, sie bildet sich, das muss sie, als Sonderermittlerin mit Spezialgebiet Mode: Ein Model ist gefunden worden, erwürgt mit einem Kopftuch, in einen Teppich eingewickelt, auf der Schulter ein orientalisches Tulpenmuster, mit tropfenförmigen Blüten, per Teppichmesser eingeritzt. Ein Model übrigens, das Skandal verursacht hat, sich beinahe nackt hat fotografieren lassen: Sie hatte nur ein Kopftuch an.
Die den Mord aufklären soll, Gina Maria Sonnenfels, 37, Österreicherin, also für Launentiefs zu haben, führt eine mäklig-bohemistische Berliner Existenz. Sie ist selber kurzfristig als Model aufgetreten, das gegen die Leichenbittermienen der anderen gern ein frisches Lachen aufsetzte. Nun werkelt sie als Gelegenheitsdesignerin und Gelegenheitskolumnistin bei Frauenzeitschriften und, etwas wirklichkeitsfremd, in österreichischen Angelegenheiten auch mal für die Berliner Polizei.
Vor einem Jahr, als Sabine Scholl, selber Österreicherin in Berlin, ihre Mode-Ermittlerin in „Giftige Kleider“ zum ersten Mal bemühte, war’s ein Dirndl-Mord an der österreichischen Botschaft. Eine Staatsangelegenheit, denn natürlich hätte es sein können, dass es am Stoff lag, der in Feuer aufgegangen ist. Das musste, aus Export-Gründen, vorsichtig behandelt werden, also anders als Gina Maria Sonnenfels normalerweise vorgeht. Sie schlief denn auch, mehr oder weniger aus Versehen, mit dem Mörder – und wenn sie grad nicht aufpasst, widerfährt ihr das auch diesmal.
Gina ist eine typische Mischgestalt. Einerseits hat sie etwas österreichisches Krimiblut, was den, bei einem regelstrengen Genre gerngesehenen Unsinns- und Unberechenbarkeitsgrad traditionsgemäß erhöht. Andrerseits merkt man ihr die Berliner Wohngegend, den gestern trendnahen Zionskirchplatz, an. Gina ist also dazu verpflichtet, grantelnd, schlampenhaft, aber auch etwas schick und trottelig zu sein. Und manchmal hilft ihr gar nichts mehr. In „Tödliche Tulpen“ (Deuticke-Verlag, Wien, 238 S., 18,90 Euro) lässt Sabine Scholl sie oft Biker-Stiefel tragen, das anerkannt dümmste Schuhkleid für Nichtprofis.
Überhaupt ist Gina Sonnenfels in der Modewelt nur halb zu Hause. Auf der Spur der Toten kommt sie in das Berliner Büro des türkischen Topdesigners, der das Tuch entworfen hat, mit dem das Opfer erwürgt wurde. Aslan heißt er und schenkt auch Gina ein besonderes Tuch, das sie bei den Näherinnen in der schummrigen Neuköllner Werkstatt des Meisters alt aussehen lässt, sie kennen die Zeichen.
Ein boshafter Spott. Auch sonst wirkt Aslan nicht auf den Kopf gefallen: „,Feinde? Ja!‘ Aslans Augen glitzerten. ,Ich habe viele davon. Sehr, sehr viele. Überall, das ist für jemanden, der Ungewöhnliches im Sinn hat, normal.‘“
Aslan gilt als islamisch, aber sehr gewagt. Sein Bruder Selim, ein angepasster, konvertierter Kunsthistoriker, dessen Frau sich gerade verabschiedet hat, fand die Tote in seiner Wiener Wohnung: Elisabeth Holzbauer, genannt Lisi. Aber als Model und verruchte Performance-Künstlerin trug die gebürtige Waldviertlerin den Künstlernamen Lale (Tulpe).
Die Gattung ist, weil es um Wahrheit geht, notorisch ideologisch. Dazu passt, dass der verrückte Täter von „Giftige Kleider“ aus der Ökoszene zu kommen schien. Jetzt geht es mehr um Islam und Christentum. Da gibt es selbstredend Fanatiker, etwa den Schreinerbruder des toten Mädchens, einen Fundi-Christen, der an seiner Lisi hängt und düster Trakl rezitiert. War er’s? Der Schande, der Seelenrettung wegen?
Interessant ist jedenfalls: Täter, zuerst oft äußerst geschwätzig, schweigen, wenn sie einmal überführt sind, gemeinhin deutlich. Wenn Kommissar und Mitarbeiter sie abführen, ist kein Kommentar mehr nötig. Hier ist es anders. Selten findet sich ein derart redseliger Überführter. Das hat mit Sicherheit was zu bedeuten.
HANS-PETER KUNISCH
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ob Hans-Peter Kunisch von diesem Krimi überzeugt ist? Schwer zu sagen, mit einem Urteil hält er in seiner Besprechung hinterm Berg. Sabine Scholl schickt darin ihre Ermittlerin Gina Maria Sonnenfels bereits zum zweiten Mal los, um den Mord an einem Model aufzuklären. Kunisch beschreibt die Protagonistin Sonnenfels, eine in Berlin lebende Österreicherin, Gelegenheitsdesignerin und Gelegenheitskolumnistin, die - wenig realistisch - die örtliche Polizei in österreichischen Angelegenheiten unterstützt, als "typische Mischgestalt": grantelnd und schlampenhaft, szenig, schick und leicht vertrottelt. Ob ihm diese Figur gefällt, behält Kunisch für sich. Außerdem berichtet er, dass der Überführte ungewöhnlich redselig ist und dass die Autorin auch christlichen und islamischen Fundamentalismus ins Spiel bringt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH