Brennpunktthema: Aktive Sterbehilfe - eine "Lizenz zum Töten"?
Theo R. Payk verfolgt die tradierten und neuesten Argumentationslinien für und gegen die aktive Sterbehilfe. Die kontroversen Auffassungen über den Wert des Lebens und die Würde des Sterbens werden anhand kulturhistorischer Exkurse unter anderem zur Begräbniskultur, zum Suizid, zum Ritualmord, zum Märtyrertod, zum Amok, zur Geschichte der Hospizbewegung und der Palliativmedizin dargestellt.Payks Streitschrift ist gegen die Freigabe der aktiven Sterbehilfe gerichtet, denn diese würde die Hemmschwelle zur Tötung absenken und das Gewissen von Ärzten gegenüber der Euthanasie immunisieren. Der Autor plädiert vielmehr für die Entwicklung der palliativen, sterbebegleitenden Heil- und Pflegekunde und für eine Ausweitung der Hospizbewegung.
Theo R. Payk verfolgt die tradierten und neuesten Argumentationslinien für und gegen die aktive Sterbehilfe. Die kontroversen Auffassungen über den Wert des Lebens und die Würde des Sterbens werden anhand kulturhistorischer Exkurse unter anderem zur Begräbniskultur, zum Suizid, zum Ritualmord, zum Märtyrertod, zum Amok, zur Geschichte der Hospizbewegung und der Palliativmedizin dargestellt.Payks Streitschrift ist gegen die Freigabe der aktiven Sterbehilfe gerichtet, denn diese würde die Hemmschwelle zur Tötung absenken und das Gewissen von Ärzten gegenüber der Euthanasie immunisieren. Der Autor plädiert vielmehr für die Entwicklung der palliativen, sterbebegleitenden Heil- und Pflegekunde und für eine Ausweitung der Hospizbewegung.
"Eine lesenswerte Streitschrift."
DeutschlandRadio Berlin
DeutschlandRadio Berlin
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2004Frühes Sterben zahlt sich aus
Die Debatte über Euthanasie, deren Protagonisten schon diesen Begriff sorgsam meiden, wird gerade in Deutschland von vielen so geführt, als diskutierte man die Probleme und Perspektiven der zum Tode führenden medizinischen Behandlung zum ersten Mal. Das ist den Diskutanten wichtig, weil jeder Bezug der Debatte zu den Massenmorden an chronisch Kranken und Behinderten während des Nationalsozialismus vermieden werden soll. Theo R. Payk geht in seinem Buch ("Töten aus Mitleid? Über das Recht und die Pflicht zu sterben". Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 2004. 227 S., 22 Abb., br., 9,90 [Euro]) den entgegengesetzten Weg.
Der Psychiater Payk schlägt den Bogen von den "Gedichten eines Lebensmüden" aus der zwölften altägyptischen Dynastie (1991 bis 1785 vor Christus) über die Todesangst der Menschen im Mittelalter angesichts der großen Seuchen und den Nationalsozialismus bis zur gegenwärtigen Debatte über Tötung auf Verlangen und den ärztlich unterstützten Selbstmord. Mit seinen kulturgeschichtlichen Betrachtungen redet Payk keiner Gleichsetzung von Freitod und Massenmord das Wort. Er vertritt aber die Auffassung, daß es Gemeinsamkeiten gibt, die die Idee von einem "Gnadentod" früher, vor kurzem und heute so attraktiv erscheinen läßt. Payk stellt klar: Allen Beteuerungen zum Trotz, es gehe allein um das Selbstbestimmungsrecht des Individuums, geben für die neuen Diskussionen über Sterbehilfe in Wirklichkeit die demographischen Entwicklungen und der drohende Kollaps des Sozialstaates den Hintergrund ab.
Trotz dieser bisweilen scharf und zugespitzt formulierten Thesen ist Payks Buch aber nicht, wie es im Verlagsprospekt angekündigt wird, eine Streitschrift geworden. Dafür liegt dem Autor zu viel daran, Fakten zusammenzutragen und die unterschiedlichen Positionen nüchtern und ausführlich darzustellen, die in der Debatte um den selbst herbeigeführten Tod vertreten werden. Payk listet auf, welche Prominenten der Frühantike, von Pythagoras über Samos bis zu Nero, Suizid begangen haben. Er erzählt über die "suizidstiftende Melancholie der Goethezeit" und weist nach, daß auch die christlichen Religionen und das Judentum seit alters her den Märtyrertod kennen. Ausführlich berichtet er von den Entwicklungen der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben vor und nach ihrem Vorsitzenden Atrott, der über den wenig kontrollierten Vertrieb von Zyankali schließlich gestürzt ist.
Dabei werden die Leser auch über die unterschiedlichen Wirkungen von Hilfsmitteln für den Suizid zumindest kursorisch aufgeklärt. Payk hat eine lange Liste von Tötungen in Heimen und Kliniken, die sich in den letzten dreißig Jahren in Deutschland und anderen Staaten ereignet haben, zusammengestellt. Wobei auffällt, daß im gegenwärtigen medizinischen Alltag Pfleger und Schwestern weitaus häufiger zum Tode verhelfen als die Ärzte. Nach einem Exkurs über das Verhältnis von Recht und Sterbehilfe endet das Buch schließlich mit einem hoffnungsvollen Kapitel über Palliativmedizin und Hospizarbeit, die nach Auffassung des Autors, wenn sie besser gefördert würden und mehr Verbreitung fänden, vielen Menschen die Angst vor dem Sterben in Schmerzen und Einsamkeit nehmen und so zu einer Entschärfung der Euthanasie-Debatte beitragen könnten.
Payks Buch reicht aber nicht nur weit in die Geschichte zurück. Es müht sich auch, aktuell zu sein. Die Todesfälle in der Paracelsus-Klinik in Hannover-Langenhagen, wegen derer eine Ärztin kürzlich in Untersuchungshaft genommen und nur auf Kaution wieder freigelassen wurde, erwähnt er ebenso, wie die aktuelle Debatte über Sterbehilfe im Europarat. Das Ergebnis ist aber unbefriedigend. Die Mischung aus historischem Detail, aktueller Berichterstattung und zugespitzten Thesen wirkt nicht erkenntnisfördernd, weil es dem Autor nicht gelingt, die einzelnen Elemente zusammenzufügen. Das Wissen über christliche Märtyrer aus früheren Zeiten, islamische Opposition gegen Euthanasie und knappe Informationen über noch nicht einmal abgeschlossene Ermittlungsverfahren gegen einen Ärztin wegen Patiententötung bleiben hintereinandergereiht. Es fehlt der verbindende Gedanke. An dessen Stelle treten leider oftmals Allgemeinplätze und Leerformeln: "Der gegenwärtige gesellschaftliche Diskurs über die Euthanasie ist alles in allem gekennzeichnet durch höchst kontroverse Meinungen", erfahren wir beispielsweise unverhofft mitten im Buch, nachdem wir am Anfang schon auf eine Lehre aus der Geschichte eingestimmt wurden: "Stets wurde (und wird) das Leben anderer mit unterschiedlichen Begründungen beendet."
Die zahlreichen Fakten, die in dem Buch zusammengestellt sind, haben nur eingeschränkten Wert, weil Payk zwar ein umfängliches Literaturverzeichnis ans Ende gestellt, leider aber für die einzelnen Behauptungen niemals Belege angegeben hat. Daß die Beschreibung der Rechtslage in Deutschland ungenau ist und wesentliche Streitfragen nicht erfaßt, ist einerseits zu entschuldigen, da selbst Juristen hier vielfach Verständnisschwierigkeiten haben. Anderseits bestätigt es den Eindruck, den die Lektüre insgesamt hinterläßt: Weniger an Stoff wäre mehr gewesen - vor allem, wenn dann die Bearbeitung entschiedener ausgefallen wäre. Das Lektorat des Verlags Reclam Leipzig hat sich hier einmal mehr als berühmt-berüchtigt diskreditiert. So überliest man bisweilen - durch die Aufzählung vieler nebensächlicher oder allzu bekannter Details ermüdet - erhellende Fundstücke und kluge Überlegungen beispielsweise über das Verhältnis von Depression und Todeswunsch.
OLIVER TOLMEIN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Debatte über Euthanasie, deren Protagonisten schon diesen Begriff sorgsam meiden, wird gerade in Deutschland von vielen so geführt, als diskutierte man die Probleme und Perspektiven der zum Tode führenden medizinischen Behandlung zum ersten Mal. Das ist den Diskutanten wichtig, weil jeder Bezug der Debatte zu den Massenmorden an chronisch Kranken und Behinderten während des Nationalsozialismus vermieden werden soll. Theo R. Payk geht in seinem Buch ("Töten aus Mitleid? Über das Recht und die Pflicht zu sterben". Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 2004. 227 S., 22 Abb., br., 9,90 [Euro]) den entgegengesetzten Weg.
Der Psychiater Payk schlägt den Bogen von den "Gedichten eines Lebensmüden" aus der zwölften altägyptischen Dynastie (1991 bis 1785 vor Christus) über die Todesangst der Menschen im Mittelalter angesichts der großen Seuchen und den Nationalsozialismus bis zur gegenwärtigen Debatte über Tötung auf Verlangen und den ärztlich unterstützten Selbstmord. Mit seinen kulturgeschichtlichen Betrachtungen redet Payk keiner Gleichsetzung von Freitod und Massenmord das Wort. Er vertritt aber die Auffassung, daß es Gemeinsamkeiten gibt, die die Idee von einem "Gnadentod" früher, vor kurzem und heute so attraktiv erscheinen läßt. Payk stellt klar: Allen Beteuerungen zum Trotz, es gehe allein um das Selbstbestimmungsrecht des Individuums, geben für die neuen Diskussionen über Sterbehilfe in Wirklichkeit die demographischen Entwicklungen und der drohende Kollaps des Sozialstaates den Hintergrund ab.
Trotz dieser bisweilen scharf und zugespitzt formulierten Thesen ist Payks Buch aber nicht, wie es im Verlagsprospekt angekündigt wird, eine Streitschrift geworden. Dafür liegt dem Autor zu viel daran, Fakten zusammenzutragen und die unterschiedlichen Positionen nüchtern und ausführlich darzustellen, die in der Debatte um den selbst herbeigeführten Tod vertreten werden. Payk listet auf, welche Prominenten der Frühantike, von Pythagoras über Samos bis zu Nero, Suizid begangen haben. Er erzählt über die "suizidstiftende Melancholie der Goethezeit" und weist nach, daß auch die christlichen Religionen und das Judentum seit alters her den Märtyrertod kennen. Ausführlich berichtet er von den Entwicklungen der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben vor und nach ihrem Vorsitzenden Atrott, der über den wenig kontrollierten Vertrieb von Zyankali schließlich gestürzt ist.
Dabei werden die Leser auch über die unterschiedlichen Wirkungen von Hilfsmitteln für den Suizid zumindest kursorisch aufgeklärt. Payk hat eine lange Liste von Tötungen in Heimen und Kliniken, die sich in den letzten dreißig Jahren in Deutschland und anderen Staaten ereignet haben, zusammengestellt. Wobei auffällt, daß im gegenwärtigen medizinischen Alltag Pfleger und Schwestern weitaus häufiger zum Tode verhelfen als die Ärzte. Nach einem Exkurs über das Verhältnis von Recht und Sterbehilfe endet das Buch schließlich mit einem hoffnungsvollen Kapitel über Palliativmedizin und Hospizarbeit, die nach Auffassung des Autors, wenn sie besser gefördert würden und mehr Verbreitung fänden, vielen Menschen die Angst vor dem Sterben in Schmerzen und Einsamkeit nehmen und so zu einer Entschärfung der Euthanasie-Debatte beitragen könnten.
Payks Buch reicht aber nicht nur weit in die Geschichte zurück. Es müht sich auch, aktuell zu sein. Die Todesfälle in der Paracelsus-Klinik in Hannover-Langenhagen, wegen derer eine Ärztin kürzlich in Untersuchungshaft genommen und nur auf Kaution wieder freigelassen wurde, erwähnt er ebenso, wie die aktuelle Debatte über Sterbehilfe im Europarat. Das Ergebnis ist aber unbefriedigend. Die Mischung aus historischem Detail, aktueller Berichterstattung und zugespitzten Thesen wirkt nicht erkenntnisfördernd, weil es dem Autor nicht gelingt, die einzelnen Elemente zusammenzufügen. Das Wissen über christliche Märtyrer aus früheren Zeiten, islamische Opposition gegen Euthanasie und knappe Informationen über noch nicht einmal abgeschlossene Ermittlungsverfahren gegen einen Ärztin wegen Patiententötung bleiben hintereinandergereiht. Es fehlt der verbindende Gedanke. An dessen Stelle treten leider oftmals Allgemeinplätze und Leerformeln: "Der gegenwärtige gesellschaftliche Diskurs über die Euthanasie ist alles in allem gekennzeichnet durch höchst kontroverse Meinungen", erfahren wir beispielsweise unverhofft mitten im Buch, nachdem wir am Anfang schon auf eine Lehre aus der Geschichte eingestimmt wurden: "Stets wurde (und wird) das Leben anderer mit unterschiedlichen Begründungen beendet."
Die zahlreichen Fakten, die in dem Buch zusammengestellt sind, haben nur eingeschränkten Wert, weil Payk zwar ein umfängliches Literaturverzeichnis ans Ende gestellt, leider aber für die einzelnen Behauptungen niemals Belege angegeben hat. Daß die Beschreibung der Rechtslage in Deutschland ungenau ist und wesentliche Streitfragen nicht erfaßt, ist einerseits zu entschuldigen, da selbst Juristen hier vielfach Verständnisschwierigkeiten haben. Anderseits bestätigt es den Eindruck, den die Lektüre insgesamt hinterläßt: Weniger an Stoff wäre mehr gewesen - vor allem, wenn dann die Bearbeitung entschiedener ausgefallen wäre. Das Lektorat des Verlags Reclam Leipzig hat sich hier einmal mehr als berühmt-berüchtigt diskreditiert. So überliest man bisweilen - durch die Aufzählung vieler nebensächlicher oder allzu bekannter Details ermüdet - erhellende Fundstücke und kluge Überlegungen beispielsweise über das Verhältnis von Depression und Todeswunsch.
OLIVER TOLMEIN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Urteil von Oliver Tolmein über dieses Buch des Psychiaters Tjeo R. Payk fällt recht zwiespältig aus. Zunächst hat ihm gefallen, dass der Autor nicht so tue, als diskutiere man die Probleme und Perspektiven der "Euthanasie" - viele Debatten-Teilnehmer würden schon den Begriff "sorgsam meiden", bemerkt Tolmein - heute zum ersten Mal. Payk geht nämlich, erfährt man, "den entgegengesetzten Weg". Er schlägt einen Bogen von altägyptischer Lebensmüdigkeit über die Todesangst im Mittelalter und den Nationalsozialismus bis zur gegenwärtigen Debatte über Tötung auf Verlangen. Gefallen hat dem Rezensenten auch, dass der Autor darauf hinweist, dass die demografischen Entwicklungen den wichtigsten Hintergrund für die aktuelle Konjunktur der Debatte darstellen. Und schließlich lobt Tolmein auch noch, dass es dem Autor gelungen sei, viele "Fakten zusammenzutragen und die unterschiedlichen Positionen nüchtern und ausführlich darzustellen". Doch dann folgt eine Aufzählung von Defiziten. "Weniger an Stoff, wäre mehr gewesen", moniert Tolmein. Auch fehlt ihm "der verbindende Gedanke", stattdessen fand er "oftmals Allgemeinplätze und Leerformeln". Und schließlich habe sich, meint Tolmein, auch das Lektorat des Reclam Verlags Leipzig hier nicht mit Ruhm bekleckert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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