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Ob im eigenen Garten, in den Savannen Afrikas oder den Tiefen des Ozeans - die Begegnungen zwischen Räubern und Opfern bei Tieren und Pflanzen faszinieren uns immer von neuem. Dieses Buch erzählt die Geschichte des unendlichen Kampfes in der Natur, Geschichten vom Töten und Getötetwerden.

Produktbeschreibung
Ob im eigenen Garten, in den Savannen Afrikas oder den Tiefen des Ozeans - die Begegnungen zwischen Räubern und Opfern bei Tieren und Pflanzen faszinieren uns immer von neuem. Dieses Buch erzählt die Geschichte des unendlichen Kampfes in der Natur, Geschichten vom Töten und Getötetwerden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Das harte Naturgesetz
Christopher McGowan folgt den Spuren von Jägern und Gejagten / Von Diemut Klärner

Im Schutz der Dunkelheit hat er sich angepirscht, verstohlen auf leisen Pfoten. Erst als der Löwe lossprintet, erkennen die Zebras die Gefahr. Eilends galoppieren sie davon und suchen ihr Heil in der Flucht. Doch ein Mitglied der Herde ist offenbar nicht flink genug. Der Abstand zu seinem Verfolger wird kleiner, und wenig später bohren sich scharfe Krallen in die gestreifte Flanke. Am Ende seiner Kräfte, wird das Zebra von der Wucht des Angriffs zu Boden geschleudert. Nun kann der Löwe seinen Griff lockern und seinem Opfer an die Kehle gehen. Vielleicht sind solche Szenen deshalb so faszinierend, weil wir die panische Angst des Gejagten ebenso nachempfinden wie den zielstrebigen Eifer des Jägers. Christopher McGowan vom Royal Ontario Museum in Toronto scheut sich nicht, mitunter schön Schauriges zu schildern. Doch bei aller Dramatik ist der gewaltsame Tod etwas ganz Alltägliches: Die meisten Tiere müssen töten, um zu leben. Deshalb eignet sich dieses Thema vorzüglich, um die bunte Vielfalt des Lebendigen zu erkunden.

Zu Wasser, zu Lande und in der Luft tummeln sich mancherlei geschickte Jäger. Trotz aller Raffinessen der Verfolgerbleibt dem Opfer aber durchaus eine Chance zu entkommen. Die Löwen der Serengeti zum Beispiel erwischen gewöhnlich nur jedes dritte Gnu, das sie als Beute erkoren haben, und nur jeden sechsten Riedbock. Der Gepard hingegen, mit Spitzengeschwindigkeiten von mehr als neunzig Stundenkilometern das schnellste Landtier, erreicht eine Erfolgsrate von siebzig Prozent. Allerdings nützt ihm das wenig, wenn ihm ein Stärkerer die Beute streitig macht. Löwen etwa sind stets darauf aus, eine zusätzliche Mahlzeit zu ergattern. Den Geparden bleibt nichts anderes übrig, als ihren großen Verwandten möglichst aus dem Weg zu gehen, zumal sich die Löwen auch gerne an hilflosen Gepardenkindern vergreifen. Kein Wunder, daß die flinken Raubkatzen ziemlich rar sind: Nach aktuellen Zählungen leben in der Serengeti rund 2800 Löwen, aber kaum mehr als zweihundert Geparde.

Ob Löwe, Wolf oder Wiesel, warmblütige Tiere haben einen hohen Energieumsatz und müssen sich entsprechend oft eine Mahlzeit besorgen. Reptilien sind viel sparsamer im Verbrauch. Ein Python zum Beispiel fastet gewöhnlich monatelang, notfalls auch länger als ein Jahr. Bei günstiger Gelegenheit entwickelt er freilich einen gesunden Appetit. Ohne Zögern verschlingt er dann ein Beutetier, das ebenso gewichtig ist wie er selbst. Anschließend muß er seinen Stoffwechsel kräftig ankurbeln, um die Verdauungsarbeit zu bewältigen: Nach einer üppigen Mahlzeit hat ein Python einen bis zu fünfundvierzigmal höheren Energieumsatz als mit nüchternem Magen. Zugleich muß er die Kapazität seiner Eingeweide an das bevorstehende Arbeitspensum anpassen. Nicht nur bei Magen und Darm, auch bei Leber, Nieren und Lunge wird großzügig aufgestockt. Besonders rasch reagiert die Schleimhaut im vorderen Teil des Dünndarms; innerhalb von sechs Stunden legt sie um fünfzig Prozent zu. Wenn die Beute verdaut ist, schrumpfen die inneren Organe wieder, und der Energieumsatz geht drastisch zurück.

Wer seinen Stoffwechsel derart auf Sparflamme schaltet, kann damit keine großen Sprünge machen. Statt seinem Opfer hinterherzujagen, wartet ein Python lieber geduldig, bis es ihm geradewegs vor die Nase läuft. Regungslos auf Beute zu lauern ist auch im Reich der Fische eine beliebte Strategie. Schließlich sind die meisten Gewässer eher kühl und kalte Muskeln wenig leistungsfähig. Doch nicht alle Fische haben sich mit diesem Handikap abgefunden. Thunfische halten sich warm, indem sie ihr Blut durch spezielle Wärmetauscher schicken: Auf dem Weg zu den Kiemen fließt das sauerstoffarme Blut durch reichverzweigte Venen, die sich an ebenso reichverzweigte Arterien schmiegen. Deshalb kommt es in engen Kontakt mit dem kühlen Blut, das sich in den Kiemen mit Sauerstoff aufgeladen hat. Die Wärme, die es dabei verliert, strömt umgehend in den Körper zurück. So können die Thunfische das Innere ihrer Muskelpakete beträchtlich aufheizen. Daß ihr Motor zehn bis vierzehn Grad wärmer bleibt als das sie umgebende Wasser macht sie zu schnellen, ausdauernden Jägern.

Neben so prominenten Jägern wie dem Weißen Hai haben auch unscheinbare, zuweilen aber nicht minder furchterregende Geschöpfe ihren Platz bei McGowan: Spinnen und Skorpione, Ameisen und Hornissen gehören ebenso zur Menagerie des Autors wie winzig kleine Krebstiere und einzellige Organismen. Dabei wird das Jagdgeschehen durchaus nicht nur aus der Perspektive des Angreifers geschildert. Es geht auch ums Täuschen und Tarnen, um die Kunst, sich unauffindbar, ungenießbar oder unangreifbar zu machen. Pflanzen setzen in diesem Wettstreit oft auf chemische Waffen. Mit ihren Giftcocktails verderben sie vielen hungrigen Mäulern den Appetit. Manche Spezialisten zeigen sich jedoch wenig beeindruckt. Obwohl Nikotin nicht nur für Mensch und Vieh, sondern auch für Insekten hochgiftig ist, tut sich die Raupe des Tabakschwärmers ganz unbekümmert an Tabakblättern gütlich. Vollkommen wehrlos sind ihr die Tabakpflanzen trotzdem nicht ausgeliefert. Sie können den Nikotingehalt ihrer Blätter dermaßen steigern, daß sich die Raupen nicht mehr gar so gefräßig gebärden.

Auf seinen Streifzügen über blumenbunte Wiesen, durch die finsteren Tiefen des Meeres und in längst vergangene Erdzeitalter stößt der Autor auf eine Fülle eigenartiger Geschöpfe. Einige Zeichnungen, hier und da eingestreut, ergänzen die abwechslungsreichen Geschichten. Das Porträt einer Spinne stellt allerdings gewiß keine Vogelspinne dar. Statt dessen, so läßt die Anordnung der acht Augen vermuten, blickt uns eine Wolfsspinne der Gattung Pardosa an, eine jener harmlosen kleinen Spinnen, die sich oft in großer Zahl an sonnigen Waldrändern tummeln. Auch die Abbildung eines Fischsauriers ist zumindest mißverständlich: Der Ichthyosaurier scheint wie ein Delphin zu springen, obwohl die fossilen Überreste bezeugen, daß diese Reptilien mit seitlichen Schlängelbewegungen geschwommen sind, ähnlich wie Haie und andere Fische. Solche Kleinigkeiten wiegen freilich nicht schwer. Mit Sinn für dramatische Effekte bietet Christopher McGowan eine ebenso spannende wie lehrreiche Lektüre. Dabei wird der Kampf um Leben und Tod durchaus nicht verniedlicht. Bisweilen gerät er zu einem arg blutigen Schauspiel. Die Protagonisten, so gibt der Autor zu bedenken, sind jedoch nicht mit menschlichen Maßstäben zu messen: "Zu sehen, wie ein Tier bei lebendigem Leibe gefressen wird, ist zutiefst erschütternd, aber es ist ein normaler Vorgang in der Natur. Wir müssen uns davor hüten, solchen Abläufen menschliche Kategorien überzustülpen. Auch sollten wir keine Werturteile zugunsten der Beute und gegen die Räuber fällen. Es ist für einen Löwen genauso normal, das Leben einer Antilope auszulöschen, wie es für die Antilope selbstverständlich ist, Gras abzuweiden."

Christopher McGowan: "Töten, um zu leben". Jäger und Gejagte in der Natur. Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt. Piper Verlag, München 1998. 384 S., Abb., geb., 49,80 DM.

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