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»Der Superstar unter den jüngeren russischen Autoren.«
Holzklasseabteil in der alten russischen Dampflok. Zwei Reisende im Gespräch, einer in Priesterrobe, der andere im feinen Stadtanzug. Vor dem Fenster Beschaulichkeit: ein Schlösschen auf einem Hügel, darunter ein Acker, der Bauer hinterm Pfl ug. Das da sei Tolstois Landgut, und der Bauer sei Tolstoi, erläutert der Städter. Beziehungsweise ein Doppelgänger, denn der Graf sei auf der Flucht vor Polizei und Behörden ... Ach, wundert sich der Priester, woher er das wisse? In diesem Moment verschwindet der Zug in einem Tunnel und der Waggon…mehr

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Produktbeschreibung
»Der Superstar unter den jüngeren russischen Autoren.«

Holzklasseabteil in der alten russischen Dampflok. Zwei Reisende im Gespräch, einer in Priesterrobe, der andere im feinen Stadtanzug. Vor dem Fenster Beschaulichkeit: ein Schlösschen auf einem Hügel, darunter ein Acker, der Bauer hinterm Pfl ug. Das da sei Tolstois Landgut, und der Bauer sei Tolstoi, erläutert der Städter. Beziehungsweise ein Doppelgänger, denn der Graf sei auf der Flucht vor Polizei und Behörden ... Ach, wundert sich der Priester, woher er das wisse? In diesem Moment verschwindet der Zug in einem Tunnel und der Waggon wird für wenige Momente von Dunkelheit erfasst ...

Als der Zug wieder aus dem Tunnel kommt, ist klar: Graf T. und Geheimpolizist Knopf saßen sich verkleidet im Abteil gegenüber. Jetzt aber liegt Knopf gefesselt mit dem eigenen Schal da und der Graf ist verschwunden. Denn T. weiß, dass er verfolgt wird. Und dank Fitness und Finesse, exquisiter Bewaffnung und Versiertheit in fernöstlichen Kampfkünsten vermag er seinen Verfolgern in James-Bond-Manier zu entkommen. Was T. freilich nicht so recht weiß: wer er eigentlich ist, was er vorhat und was die anderen von ihm wollen. Und warum sich sein Leben anfühlt, als sei er in einen Albtraum geraten. Viktor Pelewin ist dafür bekannt und berüchtigt, die Mythen der Vergangenheit mit den Phantasmagorien der Gegenwart auf schwindelerregend freche Art und Weise zusammenzuwürfeln. In »Buddhas kleiner Finger« stellte er siebzig Jahre sowjetischer Geschichte auf den Kopf. Mit »Tolstois Albtraum « holt er die große russische Literaturtradition vom staubigen Klassikerpantheon ins grelle Heute.
Autorenporträt
Dorothea Trottenberg, studierte Slavistik in Köln und Leningrad, arbeitet u.a. als Bibliothekarin an der Universitätsbibliothek Basel und lebt als freie Übersetzerin klassischer und zeitgenössischer russischer Literatur, u. a. von Michail Bulgakov, Nikolaj Gogol, Vladimir Sorokin, Maria Rybakova, Boris Akunin, in Zürich. 2012 wurde Dorothea Trottenberg der "Paul-Celan-Preis" für ihr übersetzerisches Gesamtwerk verliehen.

Viktor Pelewin, geboren 1962, ist der meistgelesene Autor Russlands und hat vor allem bei jungen Lesern längst "Kultstatus". Seit Erscheinen der Romane "Omon hinterm Mond" (1992, dt. 1994), "Das Leben der Insekten" (1993, dt. 1997) und "Buddhas kleiner Finger" (1996, dt. 1999) gilt er auch international als einer der interessantesten Autoren seiner Generation. The New Yorker nahm ihn 1999 in die Liste der "besten europäischen Erzähler unter 35" auf. Viktor Pelewin lebt in Moskau.

Dorothea Trottenberg, studierte Slavistik in Köln und Leningrad, arbeitet u.a. als Bibliothekarin an der Universitätsbibliothek Basel und lebt als freie Übersetzerin klassischer und zeitgenössischer russischer Literatur, u. a. von Michail Bulgakov, Nikolaj Gogol, Vladimir Sorokin, Maria Rybakova, Boris Akunin, in Zürich. 2012 wurde Dorothea Trottenberg der "Paul-Celan-Preis" für ihr übersetzerisches Gesamtwerk verliehen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Tim Neshitov ist von Viktor Pelewins Roman "Tolstois Albtraum" nicht so recht überzeugt, trotz der Begeisterung der großen russischen Fangemeinde. Pelewin inszeniert ein Spiel zwischen der Figur Tolstoi, im Buch einfach "Graf T.", der allerdings eher einem Martial-Arts-Helden gleicht als dem historischen Autor, und seinen Erschaffern, aus deren marketingstrategischem Griff die Romanfigur sich zu befreien sucht, fasst der Rezensent zusammen. Philosophische Dialoge über Gott und die Welt wechseln sich mit Schießereien und Verfolgungsjagden ab, was immerhin eine künstliche Spannung erzeugt, die die einzelnen Abschnitte für sich genommen kaum hätten, erklärt Neshitov. Von diesem dramaturgischen Kniff einmal abgesehen besteht das Buch aber vor allem aus altbekannten Motiven, meint er bedauernd.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2013

Der Mönch mit der kugelsicheren Kutte
Tolstoi trifft James Bond: In seinem neuen Roman lässt Viktor Pelewin den russischen Dichterfürsten als Geheimagenten auferstehen

Russlands Handelsmarke mit dem größten Entwicklungspotential ist die Literatur. Das wusste schon Wladimir Sorokin, der Meister der sprechenden physiologischen Deformation, als er in seinem Roman "Himmelblauer Speck" grotesk ausmalte, wie einst staatliche Labors Präparate aus geklonten klassischen Schriftstellern herstellen, die den Herrscher zum Supermann aufbrezeln sollen. Sorokins großer Antipode Viktor Pelewin entlarvt umgekehrt noch die brutalsten Wirklichkeiten als trügerische Majaschleier, wie sie das Fangnetz unserer Wünsche, Ängste und Erwartungen webt, das im medialen Zeitalter den Menschen in immer dickeren Schichten einhüllt und den Hunger nach Empfindungen mit Industrieware stillt.

Auch Pelewin schildert in seinem zu Tolstois hundertstem Todestag erschienenen Roman "t", dessen Titel das Zeichen für "gestorben" zweifellos mitmeint, wie viel Rendite aus der nationalen Markenware noch herauszuholen ist fürs Wirtschaftswachstum und die Versorgung des Publikums mit Ballaststoffen. Während dieses Werk soeben unter dem Titel "Tolstois Albtraum" bei Luchterhand auf Deutsch herauskam, publizierte der um die Qualität der Warenmarke Literatur hochverdiente Pelewin im Moskauer Mammutverlag Eksmo schon sein übernächstes Buch, "BatmanApollo", worin die Manager von Macht und Mammon als dunkle Götterkaste vorgeführt werden.

In "Tolstois Albtraum" imaginiert Pelewin, wie ein Großverlag, der sich das Markenzeichen des Tolstoi-Gutes Jasnaja Poljana angesteckt hat und sein Erfolgslesefutter kostensparend von Genrespezialisten im Team zusammenstricken lässt, den unsterblichen Klassiker zwingt, vor den Buchkonsumenten wieder aufzutreten, jedoch nicht mehr als Sozialkritiker und Moralist, weil dafür keine Nachfrage besteht, sondern als Actionheld, Pop-Philosoph und gut aussehender Adliger, wie ihn die Frauen lieben. Die Geschichte von Graf T., wie die Figur sich griffig-geheimnisvoll nennt, liest sich wie eine polemisch kalauernde Antwort auf die Kultkinofilme über das Versklavungsnetzwerk "Matrix" und James Bond.

Tolstois Doktrin vom zivilen Ungehorsam gegen die angemaßte Autorität von Staat und Kirche mutiert bei T. zur unschlagbaren Selbstverteidigungstechnik namens "gewaltloser Widerstand", kurz Gewi. Dafür wird er vom Gut Jasnaja Poljana, wie 007 vom britischen Geheimdienstlabor, mit den neuesten Wunderwaffen ausgestattet, die freilich volkstümlich russisch getarnt sind. Mit einer Kreissäge im Strohhut, tödlichen Wurfmessern, pillengroßen Bomben muss der Held, dem schießwütige Geheimdienstler und Geistliche nach dem Leben trachten, die vervielfältigten Spielfiguren des Romans in Scharen niedermähen. Völlig zu Recht stellt er sich daher bei einer Geheimgesellschaft mit der Formel vor: "Mein Name ist T. - Graf T".

Die hyperrealistisch-irrealen Schauplätze versetzen in computergenerierte Filmbilder mit raschen Schnitten. Die Eingangsszene zeigt T., hochgewachsen und schwarzbärtig wie Tolstoi in seinen besten Jahren, als Mönch kostümiert, in einem Zugabteil sitzend, einem auf ihn angesetzten Oberst der zaristischen Geheimpolizei, der ebenfalls inkognito reist, gegenüber. Während draußen ein Phantasie-Jasnaja-Poljana als Marmormärchenschloss vorübergleitet mit einem pflügenden Tolstoi-Double davor, wird der Dialog der zwei Passagiere immer aggressiver. Plötzlich verdunkelt ein Tunnel - den es auf der Strecke nirgends gibt - den Zug, danach liegt der Polizeioberst am Boden, während der falsche Mönch aus dem Fenster springt. Just in dem Moment, da bewaffnete Beamte das Abteil stürmen, taucht er in einem Fluss unter.

Der ultrageistesgegenwärtige T., der als Nächstes eine Galeere ersteigt, wo ihm eine vornehme Fürstin Polytheismusunterricht gibt, bevor der schon wieder putzmuntere Polizeioberst sie und ihre ganze Mannschaft umbringen lässt, hat zugleich, fast wie der greise Tolstoi, kein Gedächtnis mehr und keine Biographie. Das Einzige, woran er sich erinnert, ist, dass er nach Optina Pustyn will, ein berühmtes Kloster, das der von der Kirche ex-kommunizierte Tolstoi kurz vor seinem Tod tatsächlich aufsuchte, freilich ohne es zu betreten. Doch Pelewins T. fragt nur jeden, was und wo Optina Pustyn sei, bekommt aber nur nebulöse Antworten. Am Ende wird das sinnentleerte Wort zum Namen vom Sitz Gottes beziehungsweise des Nirwana, wohin der Held dem Weltenstrudel entkommt.

Pelewin hat gestanden, die merkwürdige Schönheit des Todes von Tolstoi, der von zu Hause auszog in die Ewigkeit, habe ihn schon immer fasziniert. Seinen untoten T., der sich mit Pferden unterhalten kann, lässt er seitenlange Dispute mit dem mephistophelischen Geist führen, der ihn aus dem Nichtsein herauszog. Der Dämon, der in immer neuen Gestalten erscheint, verrät, welche Sponsoren oder Autoren hinter welcher Sujetwendung stecken. Er behauptet, Schriftsteller müssten für ihren Schöpferhochmut dadurch büßen, dass sie selbst das Schicksal einer Romanfigur erleiden. Dass dem Leser manchmal der Verstand ins Schlingern kommt, ist gewollt - als Kontrast zum kombinatorischen Tiefenblick von T.

Pelewins neuester Vampirroman "BatmanApollo", derzeit der Verkaufsschlager im russischen Buchhandel, schließt insofern an "t" an, als aus dem Dämon eine globale Antigötterunterwelt geworden ist, ein Parasitenolymp, der sich vom Ambrosia eines Geldextrakts ernährt. Pelewin entwickelte die Idee schon 2006 in seinem Buch "Empire V" als literarischen Kommentar zu Putins Idee von Russland als Rohstoffimperium. Im Sequel erschließen sich die Geheimnisse dieser Weltregierung einem frisch Initiierten. Die Vampirgötter residieren in der Sieben-Sterne-Unterwelt, in die man durch einen Geheimschacht unweit der Millionärsmeile Rubljowka gelangt. Die menschliche Elite geht dorthin zu Audienzen. Politstrategen und Medienmanager holen sich hier Rat, ob die Ernte des "Extrakts menschlichen Leids", wie die Universaldroge Geld unter Wissenden heißt, beziehungsweise die "Summe der kosmischen Lüge", wie der Held sagt, besser durch linke Slogans oder durch Protestdemos zu sichern sei.

Pelewins Jungvampir aber erfährt schon bei der Ausbildung, dass den Untoten ihr nationaler Charme erhalten bleibt. Unterwegs kommt er fast um, weil die russische Untertage-Technik wichtige Ersatzteile einspart, und fliegt fast aus dem Seminar, weil er - politisch untragbar inkorrekt - Vampirzähne wahrheitsgemäß als "Hauer" bezeichnet. Denn um erfolgreich Menschen zu managen, ist zweierlei nötig: ein von Wahrheit zuverlässig gereinigter Diskurs und die Pseudofreuden des Glamours. Leider scheint die russische Elite unfähig, ein konkurrenzfähiges Simulakrum hervorzubringen, und diskreditiert zuverlässig alle Diskurse, wie ein Chefvampir mit seinen überirdischen Adepten ins Gericht geht. Dabei weiß er insgeheim, dass die - entlarvende, also aufklärerische - Mission des russischen Staates gerade darin liegt, das Leben seiner Untertanen so leidvoll wie möglich zu machen.

KERSTIN HOLM

Viktor Pelewin: "Tolstois Albtraum". Roman.

Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. Luchterhand Literaturverlag, München 2013. 448 S., geb., 21,99 [Euro].

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