Tom Sawyer, a shrewd and adventurous boy, is as much at home in the respectable world of his Aunt Polly as in the self-reliant and parentless world of his friend Huck Finn. The two enjoy a series of adventures, accidentally witnessing a murder, establishing the innocence of the man wrongly accused, as well as being hunted by Injun Joe, the true murderer, eventually escaping and finding the treasure that Joe had buried.
Huckleberry Finn recounts the further adventures of Huck, who runs away from a drunken and brutal father, and meets up with the escaped slave Jim. They float down the Mississippi on a raft, participating in the lives of the characters they meet, witnessing corruption, moral decay and intellectual impoverishment.
Huckleberry Finn recounts the further adventures of Huck, who runs away from a drunken and brutal father, and meets up with the escaped slave Jim. They float down the Mississippi on a raft, participating in the lives of the characters they meet, witnessing corruption, moral decay and intellectual impoverishment.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2010Sein oder Nichtsein, das ist des Pudels Kern
Die Nachricht von seinem Ableben ist auch zu seinem hundertsten Todestag noch verfrüht: Eine Neuübersetzung von Mark Twains "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" gibt Lesern allen Alters die schönste literarische Frühprägung zurück.
Von Markus Gasser
Für ihn log keiner: Noch am Schluss seines langen Lebens sollte sich Mark Twain genau an jenen Tag erinnern, da Livy ihm beteuert hatte, sie würde ihn niemals lieben, doch zu einem guten Christen erziehen können - nur weil keiner für ihn lügen wollte.
Verwildert und faul, nikotinsüchtig und gottlos: Als Vater Langdon dem Verlöbnis seiner Lieblingstochter Livy mit dem nicht mehr ganz jungen Samuel Clemens aus Hannibal, Missouri, nur dann zustimmen wollte, wenn dieser die denkbar günstigsten Referenzen vorzuweisen hatte, wussten sich die Verfasser der sechs eingeholten Leumundszeugnisse vor Enthusiasmus ob Sams Lasterhaftigkeit kaum zu fassen. Ein ehemaliger Sonntagsschullehrer wunderte sich gar, dass dieser Clemens nicht Dorfsäufer geworden und längst unter der Erde sei - obwohl der, unter dem bald berühmtesten Pseudonym der Welt, mit seinen Vortragstourneen bereits zu einer Art Buffalo Bill der Stegreifkomik geworden war. "Haben Sie denn gar keine Freunde, die für Sie lügen können?", fragte Vater Langdon, den bereits der Krebs zerfraß: "Niemand, der Zeugnis ablegt für Sie? Dann will ich es tun."
Die Empfehlungsschreiben wären für Tom Sawyer und Huckleberry Finn kaum löblicher ausgefallen: Als Tom in seinen "Abenteuern", sieben Jahre nach Sams Verlobung mit Livy verfasst, an einem Montagmorgen vor einem prügelfreudigen Lehrer wagt, seine Verspätung damit zu legitimieren, er habe Huck Finn, Sohn des Dorfsäufers, getroffen, kommt dies einer Gotteslästerung gleich, die nur mit gründlichen Gertenschlägen gesühnt werden kann. Dafür aber darf Tom neben Becky Thatcher sitzen, die ihn von fern bereits betörte: in einer zielgenauen Parodie auf alle Werther-Gefühligkeit.
Und doch hat es Mark Twain in Sachen Erotik selten so hintergründig ernst gemeint wie in jener Szene, da sich Becky und Tom Sawyer abwechselnd an einem Kaugummi gütlich tun: Lediglich der drohende Hungertod und Indianer Joe verhindern verhohlen, dass Tom und Becky später - wie ein etwas grober Interpret einmal meinte - "im Höhlenlabyrinth übereinander herfallen". Unter den vielen Besuchern im gotischen Dampfschiffschloss der Familie Twain in Connecticut war es ein running gag, dass Becky Livy war. Sam hatte sie sich mit seinen Briefen erobert, und die beiden liebten einander bis ins Alter so sehr, dass sie von Zimmer zu Zimmer Depeschen schickten, als ein Arzt - "ein Medizinmann" laut Twain - ihm die Besuche bei der herzkranken Livy verbot; die Vögel draußen im Garten bat er darum, behutsamer zu singen, um Livys Bettruhe nicht zu stören. Gemeinsam mit seinen drei Töchtern war sie seine erste Lektorin: Er ahnte voraus, was sie ihm streichen würde, und versetzte seine Manuskripte - zum endlosen Hörgenuss seiner Töchter - mit den ausgefeiltesten Scheußlichkeiten, damit sie das, was er "drinhaben" wollte, unbeanstandet beließ. Sie war das fehlbare Jüngste Gericht seiner Meisterschaft: "Manchmal strich sie zu wenig weg, und ich strich es selbst. Es hatte seine Schuldigkeit getan: Meine Töchter hatten gelacht (und Livy auch)." Zu einem guten Christen - gottesinnig, alkohol- und zigarrenfrei - erzog sie ihn nie. Kaum dass sie verheiratet waren, ging das Gezerre um seine Laster los, das er, ein Meister in der Kunst, mit dem Rauchen nicht aufzuhören, immer zu seinen Gunsten entschied: "Wenn Du es wirklich wünschst, schwöre ich den Zigarren ab - Du würdest Deine Kirchenbesuche ja auch einstellen, wenn ich Dich darum bäte." Deshalb auch schlägt in "Huckleberry Finns Abenteuern" dessen "Sivilisierung" durch die Witwe Douglas so glücklich fehl, die Huck im "Tom Sawyer" vor der Verstümmelung durch Indianer Joe gerettet hat. Livy liebte das Buch.
Bei der Witwe hat Huck gerade genug Orthographie eingepaukt bekommen, um seine Memoiren überhaupt schreiben zu können - wenn auch in einer Haltung, die gegen alles verstößt, was in den Vereinigten Staaten des neunzehnten Jahrhunderts als "Zivilisation" herhalten musste: gegen den Glauben, "Neger" seien eine zur Versklavung bestimmte "Rasse"; gegen das verbriefte Recht, jeder dürfe eine Waffe mit sich führen, gegen religiöse Erweckungshysterie, Gebote zur richtigen Lebensführung und - mit Shakespeares Werken als Himmelsleiter - das "schöne Schreiben", um das sich Huck so wenig schert wie um den biblischen Moses. "Denn Tote interessieren mich nicht die Bohne."
Für Twain war das Englisch der Briten eine tote Sprache wie Latein; Hawthorne, Melville und Henry James, obschon gebürtige Amerikaner, gaben sich europäischer als jeder Europäer und ließen ihr Publikum bald hinter sich. Mark Twain indes, "immer auf der Jagd nach dem größeren Wild, den Massen", setzte - auch wider die Europa blind nacheifernden Vereinigten Staaten - mit seinem "Huckleberry Finn" die Unabhängigkeitserklärung für die Literatur Amerikas auf. Würde er dort heute erstmals erscheinen, wären die Kritiker trotz aller Begeisterung über "the Great American Novel" irritiert davon, wie fleißig er dafür in den Wäldern Kiplings, Faulkners, Hemingways, Kerouacs, Bellows, Mailers, Salingers, Vonneguts, Bob Dylans, Toni Morrisons und García Márquez' gewildert hat. Kein anderes Werk sollte Clemens derart ausgiebig Gelegenheit geben, Mark Twain zu sein, da er sich fast sieben Jahre in die Rolle Huck Finns verschloss. Sein Roman wurde auch deshalb zum Mythos, weil wir während der Lektüre wie unter Zauberbann Huck Finn sind und damit Mark Twain: ein Erwachsener in Teenagergestalt. Und dabei fiel ihm nichts schwerer als dieses Buch.
Verzweifelt war er mehrmals nahe daran, das Manuskript zu verbrennen. Erst als er seinen Mississippi erneut bereist hatte, um erleben zu müssen, dass nach dem Bürgerkrieg die Sklavenbefreiung im Süden missraten war, wuchs sich die geplante Fortsetzung des "Tom Sawyer" zu dessen hell-düsterem Gegenstück aus. Wie er dafür täglich seinen Federhalter "im Höllenfeuer gehärtet" hatte, blieb lange unbemerkt: Gleich Swift mit seinem "Gulliver" wollte auch Twain die Menschheit verurteilen - und hinterließ wider Willen in aberhundert gesäuberten Ausgaben ein Jugendbuch. So meint auch ein jeder, er wüsste, was drinsteht: Ebenso wenig wie die "Odyssee" davon handelt, dass einer übers Meer nach Hause fährt, um die Freier seiner Frau zu massakrieren, sind im "Huckleberry Finn" ein vierzehnjähriger Zuckerfassbewohner und "Nigger Jim" einfach nur ein paar leichtfertige Abenteuer lang den Mississippi stromabwärts in Richtung Freiheit unterwegs. Denn wo auch immer sie ihr Floß vertäuen, geraten sie in verschlafene Höllen, die sich als Dorfidyllen tarnen, an lynchfröhliche Mobs und sinnlos verfehdete Sippen, die den abendländischen Rosenkriegsadel imitieren, und an zwei Halunken, die sich als "König" und "Herzog" ausgeben und - in einer paradoxen Volte gegen Europa und amerikanischen Europa-Enthusiasmus - Shakespeare-Monologe mit Hilfe Goethes verunstaltend neu arrangieren: "Sein oder Nichtsein, das ist des Pudels Kern."
In einer solchen Welt kommt man ohnehin nur mit Lügen durch, und so wie Huck den Autor von "Tom Sawyer" anfangs der Flunkerei bezichtigt hat, so lügt er für Jim, den entlaufenen Sklaven. Der ist immerhin seine dreihundert Dollar wert, und es hat in der Literatur selten einen berührenderen Moment gegeben als den, da Huck hin- und hergerissen ist zwischen dem ihm angetrimmten Gewissen, das darin, Jim nicht zu verraten, eine Todsünde sieht, und seinem Mitleidsinstinkt: Er entscheidet sich zugunsten Jims und glaubt, nun zur Hölle fahren zu müssen: "All right, then, I'll go to hell." Im Gegensatz zu Tom Sawyers angelesenem Pathos, das Walter Scott nachahmt und Alexandre Dumas, ist Hucks Gemüt existentiell von Grund auf: Tom spielt Angst, Huck hat sie, und nichts peinigt den Leser mehr als jene grotesken Schlusskapitel, in denen Tom den vom "König" verkauften Jim zu befreien plant. Sie lösen bis heute schärfste Polemiken aus und sind prekär doch nur auf den ersten Blick.
Andreas Nohls gepflegte Neuübersetzung beweist, dass der Roman noch schwerer ins Deutsche zu übersetzen sein dürfte als ins Englische die österreichische Simon-Brenner-Suada von Wolf Haas. Sein Verlag verspricht, Nohl hätte im Nachwort eine Neuinterpretation dieser Schlusskapitel zu bieten - mit der sich 1950 allerdings schon T. S. Eliot behalf: Twain hätte versucht, am Schluss den Kreis zu "Tom Sawyer" zu schließen. Das ist, wenn man Twains Gesamtwerk und Romannotizen kennt, so ungenau wie irrelevant: Dass Tom Jim einem Fluchtplan unterjocht, obwohl der längst frei ist, nur um seine aus abendländischer Literatur, aus Casanova, Scott und Dumas zusammengekleisterten Phantasien befriedigen zu können, ist die finale Kritik an einem Europa, das gerne vergisst, wer mit der Versklavung der afrikanischstämmigen Menschheit begonnen hat. Da Tom Jim für seine literarischen Spielchen ein weiteres Mal zum "Nigger" erniedrigt, beendet Huck sein Buch mit der Absage an alle Literatur, auch an die eigene: Hätte er gewusst, wie schwer es sei, "ein Buch zu machen", hätte er es erst gar nicht versucht, und "ich tu's bestimmt nicht noch einmal". Der letzte Ausweg, der ihm bleibt, die Flucht vor dieser "Sivilisation" gen Westen, steht im langen Schatten von Jims Prophezeiung, Huck werde am Galgen enden: Twain hatte zehnjährig dem langsamen Galgentod des "Niggerfreunds" Robert Hardy zusehen müssen, "die lieben Leute kamen von weit her und machten mit Kind und Kegel, Apfelwein und Kuchen ein Picknick daraus". Für solcherlei werde, erboste sich der "huckophile" Faulkner, der ganze Süden bis zum Weltenende büßen müssen.
So empfindet nicht erst der calvinistische Moral-Erblasten tragende Calvin Burden aus Faulkners "Licht im August" die Sklaverei als Fluch, den die weiße Rasse über sich brachte - Twain dehnte ihn zunächst auf seine Familie, die von Sklavenhaltern abstammte, und zuletzt auf die ganze Menschheit aus: "Ich kann mir nicht helfen", gestand er, "ich bin von Adam und Eva enttäuscht." Ein Jahr vor seinem Tod war er vor lauter Bitterkeit nicht imstande, der Beerdigung seiner Tochter Jean beizuwohnen, die ihm bei einem epileptischen Anfall am Weihnachtstag in der Badewanne ertrunken war. "Jedes Haus, das ich bewohne, weihen die Geister meiner Toten für mich ein."
Seine Frau und zwei seiner Töchter hatte er überlebt, und im letzten Jahrzehnt kleidete er sich nurmehr in weißen Flanell: wie ein Kind, das sich vorm Dunkel fürchtet und seine Eltern bittet, über Nacht das Licht brennen zu lassen. Einmal erreichte die Nachricht von seinem Ableben die betrübte Öffentlichkeit, und prompt konterte Twain telegraphisch, die Nachricht sei grob übertrieben. Ins Grab hetzen ließ er sich nicht; zuallerletzt erwartete er sich davon "eine erste ruhige Nacht". Das Wort "Unsterblichkeit", zu oft geringeren Autoren angemessen, versteht sich hier ganz von selbst.
"Haben Sie denn gar keine Freunde, die für Sie lügen und Zeugnis ablegen können?" Wer würde da nicht mit Vater Langdon sagen: "Ich will es tun"?
Mark Twain: "Tom Sawyer & Huckleberry Finn". Herausgegeben und neu übersetzt von Andreas Nohl. Hanser Verlag, München 2010. 711 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Nachricht von seinem Ableben ist auch zu seinem hundertsten Todestag noch verfrüht: Eine Neuübersetzung von Mark Twains "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" gibt Lesern allen Alters die schönste literarische Frühprägung zurück.
Von Markus Gasser
Für ihn log keiner: Noch am Schluss seines langen Lebens sollte sich Mark Twain genau an jenen Tag erinnern, da Livy ihm beteuert hatte, sie würde ihn niemals lieben, doch zu einem guten Christen erziehen können - nur weil keiner für ihn lügen wollte.
Verwildert und faul, nikotinsüchtig und gottlos: Als Vater Langdon dem Verlöbnis seiner Lieblingstochter Livy mit dem nicht mehr ganz jungen Samuel Clemens aus Hannibal, Missouri, nur dann zustimmen wollte, wenn dieser die denkbar günstigsten Referenzen vorzuweisen hatte, wussten sich die Verfasser der sechs eingeholten Leumundszeugnisse vor Enthusiasmus ob Sams Lasterhaftigkeit kaum zu fassen. Ein ehemaliger Sonntagsschullehrer wunderte sich gar, dass dieser Clemens nicht Dorfsäufer geworden und längst unter der Erde sei - obwohl der, unter dem bald berühmtesten Pseudonym der Welt, mit seinen Vortragstourneen bereits zu einer Art Buffalo Bill der Stegreifkomik geworden war. "Haben Sie denn gar keine Freunde, die für Sie lügen können?", fragte Vater Langdon, den bereits der Krebs zerfraß: "Niemand, der Zeugnis ablegt für Sie? Dann will ich es tun."
Die Empfehlungsschreiben wären für Tom Sawyer und Huckleberry Finn kaum löblicher ausgefallen: Als Tom in seinen "Abenteuern", sieben Jahre nach Sams Verlobung mit Livy verfasst, an einem Montagmorgen vor einem prügelfreudigen Lehrer wagt, seine Verspätung damit zu legitimieren, er habe Huck Finn, Sohn des Dorfsäufers, getroffen, kommt dies einer Gotteslästerung gleich, die nur mit gründlichen Gertenschlägen gesühnt werden kann. Dafür aber darf Tom neben Becky Thatcher sitzen, die ihn von fern bereits betörte: in einer zielgenauen Parodie auf alle Werther-Gefühligkeit.
Und doch hat es Mark Twain in Sachen Erotik selten so hintergründig ernst gemeint wie in jener Szene, da sich Becky und Tom Sawyer abwechselnd an einem Kaugummi gütlich tun: Lediglich der drohende Hungertod und Indianer Joe verhindern verhohlen, dass Tom und Becky später - wie ein etwas grober Interpret einmal meinte - "im Höhlenlabyrinth übereinander herfallen". Unter den vielen Besuchern im gotischen Dampfschiffschloss der Familie Twain in Connecticut war es ein running gag, dass Becky Livy war. Sam hatte sie sich mit seinen Briefen erobert, und die beiden liebten einander bis ins Alter so sehr, dass sie von Zimmer zu Zimmer Depeschen schickten, als ein Arzt - "ein Medizinmann" laut Twain - ihm die Besuche bei der herzkranken Livy verbot; die Vögel draußen im Garten bat er darum, behutsamer zu singen, um Livys Bettruhe nicht zu stören. Gemeinsam mit seinen drei Töchtern war sie seine erste Lektorin: Er ahnte voraus, was sie ihm streichen würde, und versetzte seine Manuskripte - zum endlosen Hörgenuss seiner Töchter - mit den ausgefeiltesten Scheußlichkeiten, damit sie das, was er "drinhaben" wollte, unbeanstandet beließ. Sie war das fehlbare Jüngste Gericht seiner Meisterschaft: "Manchmal strich sie zu wenig weg, und ich strich es selbst. Es hatte seine Schuldigkeit getan: Meine Töchter hatten gelacht (und Livy auch)." Zu einem guten Christen - gottesinnig, alkohol- und zigarrenfrei - erzog sie ihn nie. Kaum dass sie verheiratet waren, ging das Gezerre um seine Laster los, das er, ein Meister in der Kunst, mit dem Rauchen nicht aufzuhören, immer zu seinen Gunsten entschied: "Wenn Du es wirklich wünschst, schwöre ich den Zigarren ab - Du würdest Deine Kirchenbesuche ja auch einstellen, wenn ich Dich darum bäte." Deshalb auch schlägt in "Huckleberry Finns Abenteuern" dessen "Sivilisierung" durch die Witwe Douglas so glücklich fehl, die Huck im "Tom Sawyer" vor der Verstümmelung durch Indianer Joe gerettet hat. Livy liebte das Buch.
Bei der Witwe hat Huck gerade genug Orthographie eingepaukt bekommen, um seine Memoiren überhaupt schreiben zu können - wenn auch in einer Haltung, die gegen alles verstößt, was in den Vereinigten Staaten des neunzehnten Jahrhunderts als "Zivilisation" herhalten musste: gegen den Glauben, "Neger" seien eine zur Versklavung bestimmte "Rasse"; gegen das verbriefte Recht, jeder dürfe eine Waffe mit sich führen, gegen religiöse Erweckungshysterie, Gebote zur richtigen Lebensführung und - mit Shakespeares Werken als Himmelsleiter - das "schöne Schreiben", um das sich Huck so wenig schert wie um den biblischen Moses. "Denn Tote interessieren mich nicht die Bohne."
Für Twain war das Englisch der Briten eine tote Sprache wie Latein; Hawthorne, Melville und Henry James, obschon gebürtige Amerikaner, gaben sich europäischer als jeder Europäer und ließen ihr Publikum bald hinter sich. Mark Twain indes, "immer auf der Jagd nach dem größeren Wild, den Massen", setzte - auch wider die Europa blind nacheifernden Vereinigten Staaten - mit seinem "Huckleberry Finn" die Unabhängigkeitserklärung für die Literatur Amerikas auf. Würde er dort heute erstmals erscheinen, wären die Kritiker trotz aller Begeisterung über "the Great American Novel" irritiert davon, wie fleißig er dafür in den Wäldern Kiplings, Faulkners, Hemingways, Kerouacs, Bellows, Mailers, Salingers, Vonneguts, Bob Dylans, Toni Morrisons und García Márquez' gewildert hat. Kein anderes Werk sollte Clemens derart ausgiebig Gelegenheit geben, Mark Twain zu sein, da er sich fast sieben Jahre in die Rolle Huck Finns verschloss. Sein Roman wurde auch deshalb zum Mythos, weil wir während der Lektüre wie unter Zauberbann Huck Finn sind und damit Mark Twain: ein Erwachsener in Teenagergestalt. Und dabei fiel ihm nichts schwerer als dieses Buch.
Verzweifelt war er mehrmals nahe daran, das Manuskript zu verbrennen. Erst als er seinen Mississippi erneut bereist hatte, um erleben zu müssen, dass nach dem Bürgerkrieg die Sklavenbefreiung im Süden missraten war, wuchs sich die geplante Fortsetzung des "Tom Sawyer" zu dessen hell-düsterem Gegenstück aus. Wie er dafür täglich seinen Federhalter "im Höllenfeuer gehärtet" hatte, blieb lange unbemerkt: Gleich Swift mit seinem "Gulliver" wollte auch Twain die Menschheit verurteilen - und hinterließ wider Willen in aberhundert gesäuberten Ausgaben ein Jugendbuch. So meint auch ein jeder, er wüsste, was drinsteht: Ebenso wenig wie die "Odyssee" davon handelt, dass einer übers Meer nach Hause fährt, um die Freier seiner Frau zu massakrieren, sind im "Huckleberry Finn" ein vierzehnjähriger Zuckerfassbewohner und "Nigger Jim" einfach nur ein paar leichtfertige Abenteuer lang den Mississippi stromabwärts in Richtung Freiheit unterwegs. Denn wo auch immer sie ihr Floß vertäuen, geraten sie in verschlafene Höllen, die sich als Dorfidyllen tarnen, an lynchfröhliche Mobs und sinnlos verfehdete Sippen, die den abendländischen Rosenkriegsadel imitieren, und an zwei Halunken, die sich als "König" und "Herzog" ausgeben und - in einer paradoxen Volte gegen Europa und amerikanischen Europa-Enthusiasmus - Shakespeare-Monologe mit Hilfe Goethes verunstaltend neu arrangieren: "Sein oder Nichtsein, das ist des Pudels Kern."
In einer solchen Welt kommt man ohnehin nur mit Lügen durch, und so wie Huck den Autor von "Tom Sawyer" anfangs der Flunkerei bezichtigt hat, so lügt er für Jim, den entlaufenen Sklaven. Der ist immerhin seine dreihundert Dollar wert, und es hat in der Literatur selten einen berührenderen Moment gegeben als den, da Huck hin- und hergerissen ist zwischen dem ihm angetrimmten Gewissen, das darin, Jim nicht zu verraten, eine Todsünde sieht, und seinem Mitleidsinstinkt: Er entscheidet sich zugunsten Jims und glaubt, nun zur Hölle fahren zu müssen: "All right, then, I'll go to hell." Im Gegensatz zu Tom Sawyers angelesenem Pathos, das Walter Scott nachahmt und Alexandre Dumas, ist Hucks Gemüt existentiell von Grund auf: Tom spielt Angst, Huck hat sie, und nichts peinigt den Leser mehr als jene grotesken Schlusskapitel, in denen Tom den vom "König" verkauften Jim zu befreien plant. Sie lösen bis heute schärfste Polemiken aus und sind prekär doch nur auf den ersten Blick.
Andreas Nohls gepflegte Neuübersetzung beweist, dass der Roman noch schwerer ins Deutsche zu übersetzen sein dürfte als ins Englische die österreichische Simon-Brenner-Suada von Wolf Haas. Sein Verlag verspricht, Nohl hätte im Nachwort eine Neuinterpretation dieser Schlusskapitel zu bieten - mit der sich 1950 allerdings schon T. S. Eliot behalf: Twain hätte versucht, am Schluss den Kreis zu "Tom Sawyer" zu schließen. Das ist, wenn man Twains Gesamtwerk und Romannotizen kennt, so ungenau wie irrelevant: Dass Tom Jim einem Fluchtplan unterjocht, obwohl der längst frei ist, nur um seine aus abendländischer Literatur, aus Casanova, Scott und Dumas zusammengekleisterten Phantasien befriedigen zu können, ist die finale Kritik an einem Europa, das gerne vergisst, wer mit der Versklavung der afrikanischstämmigen Menschheit begonnen hat. Da Tom Jim für seine literarischen Spielchen ein weiteres Mal zum "Nigger" erniedrigt, beendet Huck sein Buch mit der Absage an alle Literatur, auch an die eigene: Hätte er gewusst, wie schwer es sei, "ein Buch zu machen", hätte er es erst gar nicht versucht, und "ich tu's bestimmt nicht noch einmal". Der letzte Ausweg, der ihm bleibt, die Flucht vor dieser "Sivilisation" gen Westen, steht im langen Schatten von Jims Prophezeiung, Huck werde am Galgen enden: Twain hatte zehnjährig dem langsamen Galgentod des "Niggerfreunds" Robert Hardy zusehen müssen, "die lieben Leute kamen von weit her und machten mit Kind und Kegel, Apfelwein und Kuchen ein Picknick daraus". Für solcherlei werde, erboste sich der "huckophile" Faulkner, der ganze Süden bis zum Weltenende büßen müssen.
So empfindet nicht erst der calvinistische Moral-Erblasten tragende Calvin Burden aus Faulkners "Licht im August" die Sklaverei als Fluch, den die weiße Rasse über sich brachte - Twain dehnte ihn zunächst auf seine Familie, die von Sklavenhaltern abstammte, und zuletzt auf die ganze Menschheit aus: "Ich kann mir nicht helfen", gestand er, "ich bin von Adam und Eva enttäuscht." Ein Jahr vor seinem Tod war er vor lauter Bitterkeit nicht imstande, der Beerdigung seiner Tochter Jean beizuwohnen, die ihm bei einem epileptischen Anfall am Weihnachtstag in der Badewanne ertrunken war. "Jedes Haus, das ich bewohne, weihen die Geister meiner Toten für mich ein."
Seine Frau und zwei seiner Töchter hatte er überlebt, und im letzten Jahrzehnt kleidete er sich nurmehr in weißen Flanell: wie ein Kind, das sich vorm Dunkel fürchtet und seine Eltern bittet, über Nacht das Licht brennen zu lassen. Einmal erreichte die Nachricht von seinem Ableben die betrübte Öffentlichkeit, und prompt konterte Twain telegraphisch, die Nachricht sei grob übertrieben. Ins Grab hetzen ließ er sich nicht; zuallerletzt erwartete er sich davon "eine erste ruhige Nacht". Das Wort "Unsterblichkeit", zu oft geringeren Autoren angemessen, versteht sich hier ganz von selbst.
"Haben Sie denn gar keine Freunde, die für Sie lügen und Zeugnis ablegen können?" Wer würde da nicht mit Vater Langdon sagen: "Ich will es tun"?
Mark Twain: "Tom Sawyer & Huckleberry Finn". Herausgegeben und neu übersetzt von Andreas Nohl. Hanser Verlag, München 2010. 711 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main