Wenn die Sterne am Himmel funkeln und der Schnee weiß leuchtet, schleicht auf leisen Sohlen Tomte Tummetott, der Wichtel mit der roten Mütze, im Mondlicht umher und hinterlässt winzige Fußstapfen. Er bewacht die schlafenden Menschen und die Tiere auf dem Hof und erzählt ihnen vom Frühling, der bald kommen wird ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2014Die Revision des alten Wichtels Tomte Tummetott
Ideales Wintermärchen: Astrid Lindgrens bekanntestes Bilderbuch ist von Kitty Crowther neu illustriert worden.
In Schweden, in Deutschland, auf der ganzen Welt ist das Bilderbuch "Tomte Tummetott" ein Weihnachtsklassiker. Astrid Lindgren schrieb ihn 1960, als sie mit "Pippi Langstrumpf", "Kalle Blomquist" und den "Kindern von Bullerbü" schon große Erfolge verzeichnet, mit "Michel aus Lönneberga", "Ferien auf Saltkrokan" und den "Brüdern Löwenherz" aber auch noch diverse vor sich hatte. Was die 1907 geborene Schwedin anpackte, geriet ihr zu Gold, auch dieses Bilderbuch - ein Genre, in dem Lindgren sich sonst selten betätigte.
Das lag an ihrem Unwillen, die eigene Geschichte mit einem Illustrator zu teilen. Zwar verband sie mit der estnisch-schwedischen Zeichnerin Ilon Wikland eine langjährige Zusammenarbeit, doch dabei handelte es sich um einzelne Schwarzweißillustrationen zu Lindgrens Romanen, nicht um eine gleichberechtigte Kooperation, wie sie ein Bilderbuch normalerweise erfordert. Für "Tomte Tummetott" zeichnete Astrid Lindgrens Landsmann Harald Wiberg verantwortlich, doch mit dem Wort "zeichnen" klingt die falsche Kategorie an. Der 1908 geborene, also nahezu mit Lindgren gleich alte Wiberg malte nämlich. Insgesamt sechzehn Bilder schuf er zu der Erzählung (inklusive Titelblatt und Vorsatzmotiv). Sie verleihen der nächtlichen Winterstimmung eine Anschaulichkeit, auf die die Autorin zugunsten eines karg-archaischen Tonfalls gerade verzichtete, weil sie ihrer Vorlage, einem bekannten schwedischen Gedicht von Viktor Rydberg aus dem Jahr 1881, gerecht werden wollte. Seit 1960 ist diese gemeinsame Arbeit von Lindgren und Wiberg überall immer wieder nachgedruckt worden.
Jetzt jedoch erscheint im selben Verlag (Oettinger), der auch die klassische Fassung in ebenso klassischer deutscher Übersetzung von Silke von Hacht im Programm hat, eine neue Version. Am Text hat sich nichts geändert, aber der Band ist vollkommen neu illustriert: von der belgischen Illustratorin Kitty Crowther. Sie ist berühmt geworden durch Vielseitigkeit und Originalität; 2010 wurde die damals Vierzigjährige mit dem höchstdotierten Kinderbuchpreis der Welt ausgezeichnet, dem Astrid Lindgren Memorial Award, der vom schwedischen Kulturrat vergeben wird. Dass ein Illustrator aus der Riege der Gewinner ein Werk der Namensgeberin des Preises ausstattet, ist ein Novum, zumal die Nachlassverwalter Astrid Lindgrens gegenüber Veränderungen des etablierten Werks als nicht aufgeschlossen gelten.
Auffällig an der neuen Fassung ist zunächst der Wechsel vom Quer- aufs Hochformat. Die Panoramen Wibergs, der damit auch die Topographie des Handlungsorts weitete, sind engen Ausschnitte gewichen, die das Intime der Erzählung um den Kobold Tomte Tummetott - eine Art schwedisches Heinzelmännchen, das für Menschen unsichtbar in den Winternächten die Tiere eines Bauernhofs versorgt und beruhigt - betonen. Crowther hat sich im Gegensatz zu Wiberg für Konturzeichnungen entschieden, setzt mit ihren Motiven aber die traditionelle Ästhetik des Originals fort. Ihr "Tomte Tummetott" ist das konventionellste aller Bilderbücher von Kitty Crowther.
Das mag an Bedenken der Lindgren-Rechteinhaber liegen oder auch am Respekt der Illustratorin für den Klassiker. Tatsache ist jedenfalls, dass man nun zwei illustrierte Ausgaben eines Textes hat, die sich in den bilderzählerischen Mitteln ähneln, so dass sich die Überraschung über die zweite Fassung in engen Grenzen hält. Crowther hat zwar die Zahl der Illustrationen auf insgesamt 23 vermehrt, aber dadurch die strenge, nahezu strophische Anordnung des Lindgren-Textes zerbrochen. Und da als Titelbild eine plakative Tomte-Illustration aus dem Inneren gewählt wurde, ist auch die Möglichkeit verschenkt worden, dem Geschehen vor der Lektüre sein Geheimnis zu lassen, wie es Wiberg dadurch gelang, dass er den Titelhelden auf dem Cover kaum wahrnehmbar inszenierte.
Eines allerdings gelingt Kitty Crowther besser: der Abschluss des Buchs, der exakt den Beginn wiederaufnimmt: die nächtliche Stille des Hofs. Harald Wiberg hatte seinen Bilderzyklus mit dem einsam durch den Schnee stapfenden Tomte beschlossen, Crowther zeigt nur die Fußspuren, die der Kobold hinterlässt. Damit wechselt sie in unsere Perspektive als menschliche Leser, die wir Tomte ja normalerweise nie sehen könnten. Dadurch wird das, was wir zuvor sahen, umso wunderbarer.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ideales Wintermärchen: Astrid Lindgrens bekanntestes Bilderbuch ist von Kitty Crowther neu illustriert worden.
In Schweden, in Deutschland, auf der ganzen Welt ist das Bilderbuch "Tomte Tummetott" ein Weihnachtsklassiker. Astrid Lindgren schrieb ihn 1960, als sie mit "Pippi Langstrumpf", "Kalle Blomquist" und den "Kindern von Bullerbü" schon große Erfolge verzeichnet, mit "Michel aus Lönneberga", "Ferien auf Saltkrokan" und den "Brüdern Löwenherz" aber auch noch diverse vor sich hatte. Was die 1907 geborene Schwedin anpackte, geriet ihr zu Gold, auch dieses Bilderbuch - ein Genre, in dem Lindgren sich sonst selten betätigte.
Das lag an ihrem Unwillen, die eigene Geschichte mit einem Illustrator zu teilen. Zwar verband sie mit der estnisch-schwedischen Zeichnerin Ilon Wikland eine langjährige Zusammenarbeit, doch dabei handelte es sich um einzelne Schwarzweißillustrationen zu Lindgrens Romanen, nicht um eine gleichberechtigte Kooperation, wie sie ein Bilderbuch normalerweise erfordert. Für "Tomte Tummetott" zeichnete Astrid Lindgrens Landsmann Harald Wiberg verantwortlich, doch mit dem Wort "zeichnen" klingt die falsche Kategorie an. Der 1908 geborene, also nahezu mit Lindgren gleich alte Wiberg malte nämlich. Insgesamt sechzehn Bilder schuf er zu der Erzählung (inklusive Titelblatt und Vorsatzmotiv). Sie verleihen der nächtlichen Winterstimmung eine Anschaulichkeit, auf die die Autorin zugunsten eines karg-archaischen Tonfalls gerade verzichtete, weil sie ihrer Vorlage, einem bekannten schwedischen Gedicht von Viktor Rydberg aus dem Jahr 1881, gerecht werden wollte. Seit 1960 ist diese gemeinsame Arbeit von Lindgren und Wiberg überall immer wieder nachgedruckt worden.
Jetzt jedoch erscheint im selben Verlag (Oettinger), der auch die klassische Fassung in ebenso klassischer deutscher Übersetzung von Silke von Hacht im Programm hat, eine neue Version. Am Text hat sich nichts geändert, aber der Band ist vollkommen neu illustriert: von der belgischen Illustratorin Kitty Crowther. Sie ist berühmt geworden durch Vielseitigkeit und Originalität; 2010 wurde die damals Vierzigjährige mit dem höchstdotierten Kinderbuchpreis der Welt ausgezeichnet, dem Astrid Lindgren Memorial Award, der vom schwedischen Kulturrat vergeben wird. Dass ein Illustrator aus der Riege der Gewinner ein Werk der Namensgeberin des Preises ausstattet, ist ein Novum, zumal die Nachlassverwalter Astrid Lindgrens gegenüber Veränderungen des etablierten Werks als nicht aufgeschlossen gelten.
Auffällig an der neuen Fassung ist zunächst der Wechsel vom Quer- aufs Hochformat. Die Panoramen Wibergs, der damit auch die Topographie des Handlungsorts weitete, sind engen Ausschnitte gewichen, die das Intime der Erzählung um den Kobold Tomte Tummetott - eine Art schwedisches Heinzelmännchen, das für Menschen unsichtbar in den Winternächten die Tiere eines Bauernhofs versorgt und beruhigt - betonen. Crowther hat sich im Gegensatz zu Wiberg für Konturzeichnungen entschieden, setzt mit ihren Motiven aber die traditionelle Ästhetik des Originals fort. Ihr "Tomte Tummetott" ist das konventionellste aller Bilderbücher von Kitty Crowther.
Das mag an Bedenken der Lindgren-Rechteinhaber liegen oder auch am Respekt der Illustratorin für den Klassiker. Tatsache ist jedenfalls, dass man nun zwei illustrierte Ausgaben eines Textes hat, die sich in den bilderzählerischen Mitteln ähneln, so dass sich die Überraschung über die zweite Fassung in engen Grenzen hält. Crowther hat zwar die Zahl der Illustrationen auf insgesamt 23 vermehrt, aber dadurch die strenge, nahezu strophische Anordnung des Lindgren-Textes zerbrochen. Und da als Titelbild eine plakative Tomte-Illustration aus dem Inneren gewählt wurde, ist auch die Möglichkeit verschenkt worden, dem Geschehen vor der Lektüre sein Geheimnis zu lassen, wie es Wiberg dadurch gelang, dass er den Titelhelden auf dem Cover kaum wahrnehmbar inszenierte.
Eines allerdings gelingt Kitty Crowther besser: der Abschluss des Buchs, der exakt den Beginn wiederaufnimmt: die nächtliche Stille des Hofs. Harald Wiberg hatte seinen Bilderzyklus mit dem einsam durch den Schnee stapfenden Tomte beschlossen, Crowther zeigt nur die Fußspuren, die der Kobold hinterlässt. Damit wechselt sie in unsere Perspektive als menschliche Leser, die wir Tomte ja normalerweise nie sehen könnten. Dadurch wird das, was wir zuvor sahen, umso wunderbarer.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Frisch und dennoch zeitlos sind die neuen Illustrationen, die wie schon ihre Vorgänger ein Gefühl von Geborgenheit in einer kalten Winternacht vermitteln. "Tomte Tummetott" ist und bleibt das perfekt Bilder- und Vorlesebuch für einen kuscheligen Abend in der Winter- und Weihnachtszeit, wenn jeder von den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings träumt." literaturmarkt.info, 25.08.2014