Toni sieht wirklich alles! Sie hat das neue Haus noch nicht mal betreten, da ist sie schon ganz sicher, dass in dieser Straße merkwürdige Dinge vor sich gehen. Zwei Männer mit Hut und Schal kommen Toni höchst verdächtig vor. Und welche Rolle spielt der Mann, der so tut als würde er die Straße vermessen? Da schnappt Toni eine geheime Botschaft auf. Jetzt muss sie handeln!
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Magdalena Miecznickas Protagonistin Toni "hat eindeutig zu viel Fantasie" - so beklagen sich ihre Eltern über die Eskapaden ihres Kindes, erzählt Rezensent Fridtjof Küchemann. Diese Fantasie und Neugierde sind der Motor des Kinderkrimis: Toni fragt sich, ob ein Mann mir Fernglas nicht vorhat, die Bank auszurauben, auch wenn ihre Mutter sich sicher ist, dass es sich um einen Vermessungstechniker handelt. Auch für die merkwürdigen Geräusche im Haus gibt es bestimmt eine ganz vernünftige Erklärung, meinen die Erwachsenen. Für den Rezensenten nicht nur für Erstleser spannend, sondern auch für Eltern, die sich vielleicht anregen lassen, die Fantasie ihrer Kinder auch mal ernstzunehmen, wie er schließt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2024Klarer Fall: die Tunnelnummer!
Magdalena Miecznicka lässt eine junge Detektivin an sich selbst zweifeln
Die Erde auf der Fußmatte im Erdgeschoss: Was, wenn die nicht etwa von draußen kommt, sondern aus der Wohnung? Wenn es doch die Tunnelnummer wird, mit der die Bank an der Straßenecke ausgeraubt werden soll, die Tunnelnummer, die Toni gleich nach dem Aussteigen aus dem Umzugswagen eingefallen war, noch bevor ihre Mutter ihr die neue Wohnung überhaupt hatte zeigen können?
"Das Mädchen hat eindeutig zu viel Fantasie": Dieser Satz durchzieht die Erstlesegeschichte "Toni sieht alles" von Magdalena Miecznicka. Mal sagt ihn die Mutter seufzend vor sich hin. Mal entschuldigt sie sich damit, wenn Toni ein Gespräch Erwachsener im Café mehrfach unterbricht, um der Mutter weitere verdächtige Beobachtungen mitzuteilen. Mal sagt es die Tante, wenn Toni in den Ferien ihre Cousine auf allerlei Auffälligkeiten aufmerksam macht.
Die Mutter hingegen kommt für alles, was ihrer Toni auffällt, immer nur auf die einfachsten Erklärungen, "als ob man sich nicht auch mal ein bisschen anstrengen könnte". Der Mann vor der Bank mit dem Fernglas ist also ein Vermessungstechniker. Dass zwei verdächtig aussehende Typen einen weiteren Erdbrocken auf dem Fußboden des Cafés hinterlassen haben, ist auch nicht weiter auffällig, und die nächtlichen Geräusche im Haus, das Bohren und Hämmern, derentwegen Toni ihre Mutter eigens weckt, kommen bestimmt nur von Mäusen oder der U-Bahn oder einem Flugzeug.
In einem Punkt hat Tonis Mutter recht, das muss man ihr lassen: Dass ihre Tochter auf so viele verdächtige Dinge kommt, hat seinen Grund. Der liegt allerdings nicht in der übermäßigen Phantasie des Kindes, sondern wohl noch dahinter, in Tonis Verunsicherung durch den Umzug in die unbekannte, große Stadt. Auch wenn in der Geschichte immer wieder anderes behauptet wird: "Seelenruhig" erzählt Toni der Mutter von ihren Beobachtungen und Schlussfolgerungen, heißt es hier, "trocken" und "sogar ein bisschen gelangweilt". Und so hat die Illustratorin Franziska Ludwig sie auch gezeichnet: kontrolliert, skeptisch, ganz erfüllt von der selbst gewählten Rolle als Detektivin. Als Toni schließlich aufgeht, dass sich ihre Geschichte wohl doch nicht erfüllt, ist die Enttäuschung um so größer: "Als wäre da plötzlich ein Loch in ihr, und in dieses Loch stürzte alles hinein."
Als die polnische Schriftstellerin Magdalena Miecznicka mit ihren beiden Kindern umgezogen war, schreibt sie in einer kleinen Widmung auf den ersten Seiten des Buchs, waren auch die beiden in den ersten Wochen "spitzenmäßig" misstrauisch. Tonis Mutter im Buch wird die Erlebnisse mit ihrer phantasievollen Tochter ebenfalls literarisch verarbeiten. Zuvor allerdings hat sich die Autorin einen Twist einfallen lassen, der alle phantasievollen Kinder beim Lesen des Buchs begeistern wird. Toni hatte nämlich recht - und nur ein winziges Detail übersehen.
Die beiden finsteren Gestalten im Café hatten tatsächlich einen Bankeinbruch ausgeheckt. Der aufgeschnappte Wortwechsel, dass Jolanta am Dienstag um eins in London im Ballett tanzt, war wirklich ein Code. Die nächtlichen Geräusche im Haus kamen von der Arbeit an dem geheimen Tunnel, und der Mann mit dem Vermessungsfernglas? Er spielt auch so seine Rolle in der Geschichte.
Eltern werden in "Toni sieht alles" einen Fingerzeig lesen, der Phantasie ihrer Kinder auch dann nachzugehen, wenn sie sich auszuwachsen scheint. Schließlich könnte sich in ihr etwas äußern, das sie nicht übersehen sollten. Doch das Buch ist für Kinder geschrieben, die schon gerne selbst lesen, unabhängig von ihren Eltern. Dieses Publikum unterhält Magdalena Miecznicka nicht allein mit einer schwungvollen Detektivgeschichte, die ihren Spaß auch daraus zieht, dass die junge Ermittlerin mit allen Verdachtsmomenten recht behält, so sehr sie auch Klischees entsprechen. Die Autorin stellt ihre kindliche Leserschaft zudem vor die Entscheidung, Tonis hanebüchen wirkenden Überzeugungen zu folgen oder sie - wie fast alle anderen und schließlich auch das Mädchen selbst - eher anzuzweifeln: eine zusätzliche Herausforderung, die den Reiz des Buches noch erhöht. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Magdalena Miecznicka: "Toni sieht alles".
Illustriert von Franziska Ludwig. Aus dem Polnischen von Thomas Weiler. Moritz Verlag, Frankfurt 2024. 96 S., geb., 14,- Euro. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Magdalena Miecznicka lässt eine junge Detektivin an sich selbst zweifeln
Die Erde auf der Fußmatte im Erdgeschoss: Was, wenn die nicht etwa von draußen kommt, sondern aus der Wohnung? Wenn es doch die Tunnelnummer wird, mit der die Bank an der Straßenecke ausgeraubt werden soll, die Tunnelnummer, die Toni gleich nach dem Aussteigen aus dem Umzugswagen eingefallen war, noch bevor ihre Mutter ihr die neue Wohnung überhaupt hatte zeigen können?
"Das Mädchen hat eindeutig zu viel Fantasie": Dieser Satz durchzieht die Erstlesegeschichte "Toni sieht alles" von Magdalena Miecznicka. Mal sagt ihn die Mutter seufzend vor sich hin. Mal entschuldigt sie sich damit, wenn Toni ein Gespräch Erwachsener im Café mehrfach unterbricht, um der Mutter weitere verdächtige Beobachtungen mitzuteilen. Mal sagt es die Tante, wenn Toni in den Ferien ihre Cousine auf allerlei Auffälligkeiten aufmerksam macht.
Die Mutter hingegen kommt für alles, was ihrer Toni auffällt, immer nur auf die einfachsten Erklärungen, "als ob man sich nicht auch mal ein bisschen anstrengen könnte". Der Mann vor der Bank mit dem Fernglas ist also ein Vermessungstechniker. Dass zwei verdächtig aussehende Typen einen weiteren Erdbrocken auf dem Fußboden des Cafés hinterlassen haben, ist auch nicht weiter auffällig, und die nächtlichen Geräusche im Haus, das Bohren und Hämmern, derentwegen Toni ihre Mutter eigens weckt, kommen bestimmt nur von Mäusen oder der U-Bahn oder einem Flugzeug.
In einem Punkt hat Tonis Mutter recht, das muss man ihr lassen: Dass ihre Tochter auf so viele verdächtige Dinge kommt, hat seinen Grund. Der liegt allerdings nicht in der übermäßigen Phantasie des Kindes, sondern wohl noch dahinter, in Tonis Verunsicherung durch den Umzug in die unbekannte, große Stadt. Auch wenn in der Geschichte immer wieder anderes behauptet wird: "Seelenruhig" erzählt Toni der Mutter von ihren Beobachtungen und Schlussfolgerungen, heißt es hier, "trocken" und "sogar ein bisschen gelangweilt". Und so hat die Illustratorin Franziska Ludwig sie auch gezeichnet: kontrolliert, skeptisch, ganz erfüllt von der selbst gewählten Rolle als Detektivin. Als Toni schließlich aufgeht, dass sich ihre Geschichte wohl doch nicht erfüllt, ist die Enttäuschung um so größer: "Als wäre da plötzlich ein Loch in ihr, und in dieses Loch stürzte alles hinein."
Als die polnische Schriftstellerin Magdalena Miecznicka mit ihren beiden Kindern umgezogen war, schreibt sie in einer kleinen Widmung auf den ersten Seiten des Buchs, waren auch die beiden in den ersten Wochen "spitzenmäßig" misstrauisch. Tonis Mutter im Buch wird die Erlebnisse mit ihrer phantasievollen Tochter ebenfalls literarisch verarbeiten. Zuvor allerdings hat sich die Autorin einen Twist einfallen lassen, der alle phantasievollen Kinder beim Lesen des Buchs begeistern wird. Toni hatte nämlich recht - und nur ein winziges Detail übersehen.
Die beiden finsteren Gestalten im Café hatten tatsächlich einen Bankeinbruch ausgeheckt. Der aufgeschnappte Wortwechsel, dass Jolanta am Dienstag um eins in London im Ballett tanzt, war wirklich ein Code. Die nächtlichen Geräusche im Haus kamen von der Arbeit an dem geheimen Tunnel, und der Mann mit dem Vermessungsfernglas? Er spielt auch so seine Rolle in der Geschichte.
Eltern werden in "Toni sieht alles" einen Fingerzeig lesen, der Phantasie ihrer Kinder auch dann nachzugehen, wenn sie sich auszuwachsen scheint. Schließlich könnte sich in ihr etwas äußern, das sie nicht übersehen sollten. Doch das Buch ist für Kinder geschrieben, die schon gerne selbst lesen, unabhängig von ihren Eltern. Dieses Publikum unterhält Magdalena Miecznicka nicht allein mit einer schwungvollen Detektivgeschichte, die ihren Spaß auch daraus zieht, dass die junge Ermittlerin mit allen Verdachtsmomenten recht behält, so sehr sie auch Klischees entsprechen. Die Autorin stellt ihre kindliche Leserschaft zudem vor die Entscheidung, Tonis hanebüchen wirkenden Überzeugungen zu folgen oder sie - wie fast alle anderen und schließlich auch das Mädchen selbst - eher anzuzweifeln: eine zusätzliche Herausforderung, die den Reiz des Buches noch erhöht. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Magdalena Miecznicka: "Toni sieht alles".
Illustriert von Franziska Ludwig. Aus dem Polnischen von Thomas Weiler. Moritz Verlag, Frankfurt 2024. 96 S., geb., 14,- Euro. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.