Eine Insel in der Nordsee. Hier leben Anne und David mit zwei Kindern. Eines Nachts kommt ihre vierzehnjährige Tochter ums Leben. Yola war auf dem Fahrrad unterwegs, als sie angefahren wurde. Vom Täter gibt es keine Spur. Die Ehe der Eltern droht an der Trauer zu zerbrechen, die Mutter flüchtet sich in ein Verhältnis mit ihrem Psychologen. Zeitgleich findet eine Tagung auf der Insel statt. Dort lernen Esther und Frank sich kennen, beide sind verheiratet. Aus anfänglicher Skepsis entwickelt sich eine Affäre. Als es Zeit wäre, heimzufahren, bleiben sie: hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen und der Faszination für ihre neue Leidenschaft. An ihrem letzten Abend auf der Insel kommt es zum Streit. 'Tontauben' erkundet sprachmächtig und treffend die Tiefe menschlicher Beziehungen in Schmerz und Leidenschaft.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2010Die Verlogenen und Betrogenen
Knappe Sätze, große Distanz: In ihrem neuen Roman "Tontauben" erforscht Annette Mingels das Seelenleben von Ehepaaren im Zustand des Verrats.
Annette Mingels widmet sich einem ewigen Thema: Die Liebe ist ein seltsames Spiel - sie hat die Melodie in den letzten Jahren mit drei Romanen und einem Erzählungsband variiert. Schon in "Der aufrechte Gang" und "Die Liebe der Matrosen" kam und ging die Liebe von einem zum andern, sorgte für ersehntes Glück, zerbrach Bindungen und Illusionen. Da es die Leser und vor allem die Leserinnen immer wieder nach der literarischen Darstellung wechselnder Gefühle verlangt, hat Annette Mingels allen Grund, bei ihrem Lieblingsthema zu bleiben. In ihrem neuen Buch verbinden sich zwei scheinbar eigenständige Erzählungen, die auf einer windigen Nordseeinsel spielen, zu einem Roman. In der ersten Geschichte droht sich ein Ehepaar nach dem tödlichen Unfall ihrer dreizehnjährigen Tochter zu verlieren.
Die Frau verkraftet die Nähe ihres trauernden Mannes nicht. Sie sucht nach dem alten familiären Lebensrhythmus und zugleich nach einem Neuanfang, der sie in die Arme ihres Therapeuten treibt. In der zeitlich zuvor einsetzenden Erzählung beginnen zwei Mediävisten während eines langweiligen Kongresses eine Affäre. Sie schleichen sich aus dem Vortragssaal und spazieren skeptisch und doch voneinander angezogen am Strand. Später belügen sie ihre Ehepartner am Telefon, während sie sich miteinander vergnügen. Wie die zwei Geschichten zusammenhängen, bleibt lange offen.
Annette Mingels ist dem Alltag nah, indem sie die insulare Lebenswelt, die häusliche Umgebung, die Natur, die Gesten und die widerstreitenden Gefühle ihrer Figuren genau und in knappen Sätzen beschreibt: die Spaziergänge der Frau, die ihrem Verlust etwas entgegenzusetzen versucht, den neuen Beruf als Maklerin, einen kleinen Hund, den Reiz der amourösen Ablenkung. Die Autorin bedient sich zu deren Schilderung eines gängigen Realismus. "Darauf kommt es an, dass wir in den Stunden, die wir einem Buche widmen, das Gefühl haben, unser wirkliches Leben fortzusetzen, und dass zwischen dem erlebten und erdichteten Leben kein Unterschied ist", hat ein großer Vertreter dieser Richtung einmal gesagt. Annette Mingels folgt den Forderungen Theodor Fontanes mit höchst durchschnittlichen Figuren, gut bekannten Handlungsmustern und Dialogen. Kein Unterschied, fährt Fontane fort, "als der jener Intensität, Klarheit, Übersichtlichkeit und Abrundung", die er als "die verklärende Aufgabe der Kunst" bezeichnet. Um diese "Verklärung" aber, die ästhetische Steigerung der abgebildeten Lebensprozesse, ist es im Realismus der Gegenwart nicht immer gut bestellt.
Zwar steht eine menschliche Katastrophe im Mittelpunkt des Buches, aber sie allein erzeugt noch keine "Intensität". Die erzählerische Distanz ist zu groß, die leidenden Eltern sind zu wenig individuell, um die Leser wirklich an ihr Schicksal zu binden. Zwar gibt es eine bedeutungsvolle Anordnung von Räumen und Figuren, aber sie allein sorgt nicht für die "Übersichtlichkeit", die Fontane meinte. Auch mit der "Klarheit" ist es nicht so einfach, denn poetische Zusammenhänge können allzu deutlich geraten. Die zweite Erzählung gibt Einblicke in die Seelen nicht mehr ganz junger Germanisten, die sich mit dem Problem der Willensfreiheit in mittelalterlichen Liebesepen herumplagen. Wie selbstverständlich wird die fachliche Diskussion auf das Leben übertragen, und so räsonieren die Ehebrecher auch im Café über Selbstbestimmung, Schuld und Verantwortung, die Rolle von Zufall und Vorsehung in ihrer Begegnung.
Die im Roman mitgeführten Schicksalsfragen werden laut verhandelt und bereiten den Leser auf den weiteren Gang der Handlung vor. Diese allerdings kann als "abgerundet" gelten. Denn mit dramaturgischem Geschick lässt Annette Mingels sich die Hauptstränge der beiden Geschichten kreuzen und fügt sie zu einem Ganzen. Der lange Moment, in dem die Erzählungen sich auf einen gemeinsamen Punkt zubewegen, eine nächtliche Autofahrt durch den strömenden Regen, ist der beste des Buchs.
SANDRA KERSCHBAUMER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Knappe Sätze, große Distanz: In ihrem neuen Roman "Tontauben" erforscht Annette Mingels das Seelenleben von Ehepaaren im Zustand des Verrats.
Annette Mingels widmet sich einem ewigen Thema: Die Liebe ist ein seltsames Spiel - sie hat die Melodie in den letzten Jahren mit drei Romanen und einem Erzählungsband variiert. Schon in "Der aufrechte Gang" und "Die Liebe der Matrosen" kam und ging die Liebe von einem zum andern, sorgte für ersehntes Glück, zerbrach Bindungen und Illusionen. Da es die Leser und vor allem die Leserinnen immer wieder nach der literarischen Darstellung wechselnder Gefühle verlangt, hat Annette Mingels allen Grund, bei ihrem Lieblingsthema zu bleiben. In ihrem neuen Buch verbinden sich zwei scheinbar eigenständige Erzählungen, die auf einer windigen Nordseeinsel spielen, zu einem Roman. In der ersten Geschichte droht sich ein Ehepaar nach dem tödlichen Unfall ihrer dreizehnjährigen Tochter zu verlieren.
Die Frau verkraftet die Nähe ihres trauernden Mannes nicht. Sie sucht nach dem alten familiären Lebensrhythmus und zugleich nach einem Neuanfang, der sie in die Arme ihres Therapeuten treibt. In der zeitlich zuvor einsetzenden Erzählung beginnen zwei Mediävisten während eines langweiligen Kongresses eine Affäre. Sie schleichen sich aus dem Vortragssaal und spazieren skeptisch und doch voneinander angezogen am Strand. Später belügen sie ihre Ehepartner am Telefon, während sie sich miteinander vergnügen. Wie die zwei Geschichten zusammenhängen, bleibt lange offen.
Annette Mingels ist dem Alltag nah, indem sie die insulare Lebenswelt, die häusliche Umgebung, die Natur, die Gesten und die widerstreitenden Gefühle ihrer Figuren genau und in knappen Sätzen beschreibt: die Spaziergänge der Frau, die ihrem Verlust etwas entgegenzusetzen versucht, den neuen Beruf als Maklerin, einen kleinen Hund, den Reiz der amourösen Ablenkung. Die Autorin bedient sich zu deren Schilderung eines gängigen Realismus. "Darauf kommt es an, dass wir in den Stunden, die wir einem Buche widmen, das Gefühl haben, unser wirkliches Leben fortzusetzen, und dass zwischen dem erlebten und erdichteten Leben kein Unterschied ist", hat ein großer Vertreter dieser Richtung einmal gesagt. Annette Mingels folgt den Forderungen Theodor Fontanes mit höchst durchschnittlichen Figuren, gut bekannten Handlungsmustern und Dialogen. Kein Unterschied, fährt Fontane fort, "als der jener Intensität, Klarheit, Übersichtlichkeit und Abrundung", die er als "die verklärende Aufgabe der Kunst" bezeichnet. Um diese "Verklärung" aber, die ästhetische Steigerung der abgebildeten Lebensprozesse, ist es im Realismus der Gegenwart nicht immer gut bestellt.
Zwar steht eine menschliche Katastrophe im Mittelpunkt des Buches, aber sie allein erzeugt noch keine "Intensität". Die erzählerische Distanz ist zu groß, die leidenden Eltern sind zu wenig individuell, um die Leser wirklich an ihr Schicksal zu binden. Zwar gibt es eine bedeutungsvolle Anordnung von Räumen und Figuren, aber sie allein sorgt nicht für die "Übersichtlichkeit", die Fontane meinte. Auch mit der "Klarheit" ist es nicht so einfach, denn poetische Zusammenhänge können allzu deutlich geraten. Die zweite Erzählung gibt Einblicke in die Seelen nicht mehr ganz junger Germanisten, die sich mit dem Problem der Willensfreiheit in mittelalterlichen Liebesepen herumplagen. Wie selbstverständlich wird die fachliche Diskussion auf das Leben übertragen, und so räsonieren die Ehebrecher auch im Café über Selbstbestimmung, Schuld und Verantwortung, die Rolle von Zufall und Vorsehung in ihrer Begegnung.
Die im Roman mitgeführten Schicksalsfragen werden laut verhandelt und bereiten den Leser auf den weiteren Gang der Handlung vor. Diese allerdings kann als "abgerundet" gelten. Denn mit dramaturgischem Geschick lässt Annette Mingels sich die Hauptstränge der beiden Geschichten kreuzen und fügt sie zu einem Ganzen. Der lange Moment, in dem die Erzählungen sich auf einen gemeinsamen Punkt zubewegen, eine nächtliche Autofahrt durch den strömenden Regen, ist der beste des Buchs.
SANDRA KERSCHBAUMER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Annette Mingels widmet sich einem ewigen Thema: Die Liebe ist ein seltsames Spiel (...) mit dramaturgischem Geschick lässt sie sich die Hauptstränge der beiden Geschichten kreuzen und fügt sie zu einem Ganzen."
FAZ
"Annette Mingels' Roman ist Studie, Porträt, Momentaufnahme in einem; menschlich im Ton; sprachmächtig durch Bescheidenheit."
FRANKFURTER RUNDSCHAU
"Annette Mingels hat seit ihrem Debüt von Roman zu Roman ihre Fähigkeit verfeinert, den Figuren aus der Distanz beizustehen und ihnen dabei immer näher zu kommen."
STUTTGARTER ZEITUNG
"Wie Annette Mingels von Lebensträumen, den Selbstvorwürfen, der Sinnsuche und ihren kleinen Grausamkeiten erzählt, das ist hohe sprachliche und psychologische Kunst. Und ganz nebenbei zeigt sie uns auch noch, dass das größte Glück zuweilen darin liegt, etwas besser nicht zu wissen."
EMOTION
"Wie hier fast wertungsfrei unter dem Eindruck einer wattegleichen Traurigkeit verschiedene Arten von Liebe geschildert werden, ist meisterhaft.
SAARBRÜCKER ZEITUNG
"Mit Zartheit und Wucht schreibt Annette Mingels über Verlust und Liebe."
ANNABELLE
"Dies ist kein Krimi, sondern tiefe Literatur."
WDR5
"Sehr lebensklug"
SÜDWEST PRESSE
"Überzeugt auf eindrucksvolle Weise (...) sprachlich wie erzählstrategisch vorzüglich."
TAGES ANZEIGER
"Mingels ist eine Meisterin des atmosphärischen Realismus"
BERLINER ZEITUNG
"Ein sprachlich wie erzählstrategisch vorzüglicher Roman"
DIE WELT
"Näher als in diesem Buch können Liebe und Tod nicht beieinander stehen"
LITERATURKRITIK.DE
FAZ
"Annette Mingels' Roman ist Studie, Porträt, Momentaufnahme in einem; menschlich im Ton; sprachmächtig durch Bescheidenheit."
FRANKFURTER RUNDSCHAU
"Annette Mingels hat seit ihrem Debüt von Roman zu Roman ihre Fähigkeit verfeinert, den Figuren aus der Distanz beizustehen und ihnen dabei immer näher zu kommen."
STUTTGARTER ZEITUNG
"Wie Annette Mingels von Lebensträumen, den Selbstvorwürfen, der Sinnsuche und ihren kleinen Grausamkeiten erzählt, das ist hohe sprachliche und psychologische Kunst. Und ganz nebenbei zeigt sie uns auch noch, dass das größte Glück zuweilen darin liegt, etwas besser nicht zu wissen."
EMOTION
"Wie hier fast wertungsfrei unter dem Eindruck einer wattegleichen Traurigkeit verschiedene Arten von Liebe geschildert werden, ist meisterhaft.
SAARBRÜCKER ZEITUNG
"Mit Zartheit und Wucht schreibt Annette Mingels über Verlust und Liebe."
ANNABELLE
"Dies ist kein Krimi, sondern tiefe Literatur."
WDR5
"Sehr lebensklug"
SÜDWEST PRESSE
"Überzeugt auf eindrucksvolle Weise (...) sprachlich wie erzählstrategisch vorzüglich."
TAGES ANZEIGER
"Mingels ist eine Meisterin des atmosphärischen Realismus"
BERLINER ZEITUNG
"Ein sprachlich wie erzählstrategisch vorzüglicher Roman"
DIE WELT
"Näher als in diesem Buch können Liebe und Tod nicht beieinander stehen"
LITERATURKRITIK.DE
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Beeindruckt zeigt sich Rezensentin Anja Hirsch von Annette Mingels' Roman über den Tod einer 14-Jährigen und die Leere, die dieser Verlust bei den Eltern hinterlässt. Sie schätzt den ruhigen Ton von Mingels Prosa, ihre Empathie und zugleich ihre Distanz. Wie Mingels die Versuche des Ehepaars beschreibt, ihr Leben nach dem durch einen Autounfall verursachten Tod ihrer Tochter weiterzuleben - die Mutter versucht sich etwa in einem neuen Beruf und spielt mit dem Gedanken einer Äffäre mit ihrem Psychologen - scheint Hirsch großartig. Geradezu meisterlich findet sie die Schilderung von Liebe unter dem "Eindruck einer wattegleichen Traurigkeit" und attestiert der Autorin ein enormes "emotionales Beschreibungsregister". Der zweite Teil des Romans, der von einem Mann und einer Frau, Teilnehmern eines Mediävistenkongresses erzählt, die auf dem Rückweg ins Hotel vermutlich die 14-Jährige überfahren, ohne es zu bemerken, verstärkt für die Rezensentin noch die Intensität des Buchs: mit "Wucht ergreift einen die Fatalität der Umstände".
© Perlentaucher Medien GmbH
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