Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2020Chic, cool und strenger als der autoritärste Diktator
Wenn das digitale Schloss dir den Zugang zur Wohnung verweigert: Jathan Sadowski über das Kontrollregime smarter Technologien
Die Kaffeemaschine brüht Kaffee, sobald man aufsteht. Die Waschmaschine startet ihr Programm, wenn man das Haus verlässt. Und die Heizung schaltet sich an, wenn man auf dem Nachhauseweg ist. So stellt sich die Industrie das Smart Home vor. Alles läuft in geordneten Bahnen, wie bei einer gut geölten Maschine. Doch hinter der Fassade der schönen neuen Welt lauern Gefahren. Damit sich die Heizung automatisch aktiviert, muss das System jede Menge über das Verhalten der Bewohner lernen: Wann sie aufstehen, wann sie aus dem Haus gehen, welche TV-Programme sie sehen, wann das Licht ausgeht.
Smart Homes sind vollgestopft mit Überwachungstechnik wie Sensoren und Kameras, die die Menschen auf Schritt und Tritt beobachten und belauschen. Smarte Staubsaugroboter sammeln nicht nur Flusen, sondern auch jede Menge Raumdaten. Netzwerklautsprecher speichern, was wir alles in unseren eigenen vier Wänden sagen. Und die smarte Zahnbürste kontrolliert, wie regelmäßig und gründlich wir unsere Zähne putzen.
Der Wissenschaftler Jathan Sadowski analysiert in seinem Buch „Too Smart“, wie im digitalen Kapitalismus ein „technopolitisches Regime“ etabliert wird. „Wo der tumbe Kühlschrank nur kalt hält, führt der smarte Kühlschrank Buch darüber, was Sie essen, wie oft und wann. Unter dem digitalen Kapitalismus sind unsere Geräte nicht nur Güter; sie sind auch Mittel, Daten zu produzieren.“ Amazon hat kürzlich ein Fitnessarmband auf den Markt gebracht, das Vitalfunktionen des Trägers misst und anhand eines Bodyscans den Körperfettanteil berechnet. Wenn der Online-Händler weiß, dass ein Kunde übergewichtig ist, könnte er Rabatte für Abnehmprodukte unterbreiten.
Auf dem Smart Kitchen Summit 2017 wurde eine solche Vision (oder sollte man sagen: Dystopie?) ausbuchstabiert: „Ihr Hochgeschwindigkeitsmixer wird in der Lage sein, ein Gerät an Ihrem Armband zu koppeln, das Ihre Diät überwacht und dann mit Ihrem Tiefkühlfach und Ihrer Küchenwaage checkt. Ihr Ofen wird in der Lage sein, zu entscheiden, wie und wann man mit dem Braten des Lachses beginnt, und dann der Familie schreibt, wann das Abendessen fertig ist.“ Schöne neue Welt. Die aus der Datensammlung resultierende Sozialkontrolle, das macht Sadowski an vielen Beispielen deutlich, ist der Treiber für neue Gadgets und Geschäftsmodelle, die dann eine immer hochauflösendere Sicht auf die Lebenswirklichkeit und Verhaltensweisen der Kunden ermöglicht. So spannt sich ein immer engmaschigeres Überwachungsnetz, mit dem Tech-Konzerne Milliarden verdienen.
Die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff hat dieses Geschäftsmodell in ihrem Werk „Überwachungskapitalismus“ eingehend beschrieben. Sadowskis Analyse geht aber noch einen Schritt weiter: Indem Plattformkonzerne Nutzerdaten abgreifen und ihre Nutzer damit enteignen, so seine These, würden sie eine feudale Herrschaft wiederherstellen.
Mit dem Kauf smarter Geräte würde man faktisch nur das Eigentum an der physischen Sache erwerben; das eigentlich Entscheidende, die Software, sei dagegen nur lizenziert beziehungsweise angemietet. Der Kauf eines smarten Geräts ist also nur ein Scheinkauf; in Wirklichkeit ist es bestenfalls eine Ausleihe oder ein Ratenkauf, den wir mit persönlichen Daten abstottern. Bill Baxter, der Technologiechef des Smart-TV-Herstellers Vizio, hat dieses Geschäftsmodell einmal ganz unverhohlen beschrieben: Sein Unternehmen könne die Geräte nur deshalb so günstig anbieten, weil Daten und Zugänge mitverkauft würden. Es gehe um eine „Post-Kauf-Monetarisierung“. Will heißen: Das eigentliche Geld wird erst nach dem Verkauf des Smart-TV verdient – mit personalisierter Werbung. Die schicken Elektronikgeräte sind quasi subventioniert.
„Indem einst gewöhnliche Gegenstände in smarte Dinge verwandelt werden, sind Unternehmen in der Lage, eine Form der Mikroeinschließung zu verfügen, bei der sie das Eigentum über den digitalen Teil der physischen Sache behalten – und das Recht auf Zugang, Kontrolle und Abschalten der Software – selbst wenn man es gekauft hat“, analysiert der Autor. Wenn man ein Auto oder einen Traktor kauft, sei alles, was man besitzt, ein „großer Klumpen von Metall und Gummi“ – die Software, die man zum Betrieb des Fahrzeugs benötigt, sei dagegen nur geleast.
Wir haben, so Sadowski, das Zeitalter des „Landlords 2.0“ erreicht: Statt Zäune zu bauen und von ihren Vasallen Abgaben für die Landnutzung zu verlangen, würden die Lehnsherren heute Software installieren und Daten für die Nutzung digitaler Plattformen verlangen. Der Unterschied ist, dass sich Nutzungsrechte mit digitalen Kontrolltechnologien viel effizienter kontrollieren lassen. So sind in den USA Fahrzeuge mit einer elektronischen Vorrichtung ausgestattet (starter interruption device), die automatisch die Zündung sperrt, wenn der Besitzer in Zahlungsrückstand gerät. Der Eigentümer muss nur auf den Knopf einer App drücken, schon kann er dem säumigen Leasingnehmer oder Mieter den Stecker ziehen.
Auch in smarten Verträgen lassen sich Rechtsfolgen programmieren: Wenn der Vertragspartner am dritten jedes Monats die Miete erhält, garantiere Zugang zur Wohnung. Wenn die Zahlung zwei aufeinanderfolgende Monate ausbleibt, verweigere den Zugang. Man braucht keinen Gerichtsvollzieher mehr, um Mietnomaden aus der Wohnung zu treiben – man tauscht einfach das digitale Schloss aus. „Selbst der autoritärste Diktator würde nicht in der Lage sein, den exakten Buchstaben eines Gesetzes so streng und konsistent anzuwenden, wie ein Computer seinen Code exekutiert“, schreibt Sadowski.
Der Wissenschaftler stellt die richtigen, nämlich politischen Fragen an eine Technik, deren Prämisse lautet, dass der Bürger ein ziemlich dümmliches Wesen ist. Dass die Smartifizierung nichts anderes als ein gigantisches Bevormundungs- und Enteignungsprogramm ist, wird in dem Buch sehr anschaulich beschrieben.
Die Lösungen, die der Autor skizziert – eine Dekommodifizierung und Kollektivierung von Daten – können in der Kürze der Darstellung aber nicht restlos überzeugen. Gemeinsame Datenpools beziehungsweise Open Data mögen in einzelnen Bereichen (etwa bei Verkehrsdaten) sinnvoll sein. Und ja: Der Gedanke, Daten als Gemeingut zu behandeln, hat durchaus Charme. In der Praxis wird das jedoch schwer umzusetzen sein. Denn erstens müsste man dafür die gigantischen Datenschätze der größten Konzerne enteignen. Zweitens müsste man die monetären Anreize für die Datensammelei senken, was schwer möglich ist. Daten sind der Rohstoff des digitalen Kapitalismus, auch wenn sie in Gemeinschaftseigentum überführt werden. Solange Kunden bereit sind, mit ihren persönlichen Daten für den digitalen Budenzauber zu bezahlen, wird es auch weiterhin Überwachungsmärkte geben.
ADRIAN LOBE
Jathan Sadowski: Too Smart. How Digital Capitalism is Extracting Data, Controlling Our Lives, and Taking Over the World, 256 Seiten, MIT Press, Cambridge 2020, 17,49 Euro.
Die Smartifizierung ist nichts
anderes als ein gigantisches
Enteignungsprogramm
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Wenn das digitale Schloss dir den Zugang zur Wohnung verweigert: Jathan Sadowski über das Kontrollregime smarter Technologien
Die Kaffeemaschine brüht Kaffee, sobald man aufsteht. Die Waschmaschine startet ihr Programm, wenn man das Haus verlässt. Und die Heizung schaltet sich an, wenn man auf dem Nachhauseweg ist. So stellt sich die Industrie das Smart Home vor. Alles läuft in geordneten Bahnen, wie bei einer gut geölten Maschine. Doch hinter der Fassade der schönen neuen Welt lauern Gefahren. Damit sich die Heizung automatisch aktiviert, muss das System jede Menge über das Verhalten der Bewohner lernen: Wann sie aufstehen, wann sie aus dem Haus gehen, welche TV-Programme sie sehen, wann das Licht ausgeht.
Smart Homes sind vollgestopft mit Überwachungstechnik wie Sensoren und Kameras, die die Menschen auf Schritt und Tritt beobachten und belauschen. Smarte Staubsaugroboter sammeln nicht nur Flusen, sondern auch jede Menge Raumdaten. Netzwerklautsprecher speichern, was wir alles in unseren eigenen vier Wänden sagen. Und die smarte Zahnbürste kontrolliert, wie regelmäßig und gründlich wir unsere Zähne putzen.
Der Wissenschaftler Jathan Sadowski analysiert in seinem Buch „Too Smart“, wie im digitalen Kapitalismus ein „technopolitisches Regime“ etabliert wird. „Wo der tumbe Kühlschrank nur kalt hält, führt der smarte Kühlschrank Buch darüber, was Sie essen, wie oft und wann. Unter dem digitalen Kapitalismus sind unsere Geräte nicht nur Güter; sie sind auch Mittel, Daten zu produzieren.“ Amazon hat kürzlich ein Fitnessarmband auf den Markt gebracht, das Vitalfunktionen des Trägers misst und anhand eines Bodyscans den Körperfettanteil berechnet. Wenn der Online-Händler weiß, dass ein Kunde übergewichtig ist, könnte er Rabatte für Abnehmprodukte unterbreiten.
Auf dem Smart Kitchen Summit 2017 wurde eine solche Vision (oder sollte man sagen: Dystopie?) ausbuchstabiert: „Ihr Hochgeschwindigkeitsmixer wird in der Lage sein, ein Gerät an Ihrem Armband zu koppeln, das Ihre Diät überwacht und dann mit Ihrem Tiefkühlfach und Ihrer Küchenwaage checkt. Ihr Ofen wird in der Lage sein, zu entscheiden, wie und wann man mit dem Braten des Lachses beginnt, und dann der Familie schreibt, wann das Abendessen fertig ist.“ Schöne neue Welt. Die aus der Datensammlung resultierende Sozialkontrolle, das macht Sadowski an vielen Beispielen deutlich, ist der Treiber für neue Gadgets und Geschäftsmodelle, die dann eine immer hochauflösendere Sicht auf die Lebenswirklichkeit und Verhaltensweisen der Kunden ermöglicht. So spannt sich ein immer engmaschigeres Überwachungsnetz, mit dem Tech-Konzerne Milliarden verdienen.
Die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff hat dieses Geschäftsmodell in ihrem Werk „Überwachungskapitalismus“ eingehend beschrieben. Sadowskis Analyse geht aber noch einen Schritt weiter: Indem Plattformkonzerne Nutzerdaten abgreifen und ihre Nutzer damit enteignen, so seine These, würden sie eine feudale Herrschaft wiederherstellen.
Mit dem Kauf smarter Geräte würde man faktisch nur das Eigentum an der physischen Sache erwerben; das eigentlich Entscheidende, die Software, sei dagegen nur lizenziert beziehungsweise angemietet. Der Kauf eines smarten Geräts ist also nur ein Scheinkauf; in Wirklichkeit ist es bestenfalls eine Ausleihe oder ein Ratenkauf, den wir mit persönlichen Daten abstottern. Bill Baxter, der Technologiechef des Smart-TV-Herstellers Vizio, hat dieses Geschäftsmodell einmal ganz unverhohlen beschrieben: Sein Unternehmen könne die Geräte nur deshalb so günstig anbieten, weil Daten und Zugänge mitverkauft würden. Es gehe um eine „Post-Kauf-Monetarisierung“. Will heißen: Das eigentliche Geld wird erst nach dem Verkauf des Smart-TV verdient – mit personalisierter Werbung. Die schicken Elektronikgeräte sind quasi subventioniert.
„Indem einst gewöhnliche Gegenstände in smarte Dinge verwandelt werden, sind Unternehmen in der Lage, eine Form der Mikroeinschließung zu verfügen, bei der sie das Eigentum über den digitalen Teil der physischen Sache behalten – und das Recht auf Zugang, Kontrolle und Abschalten der Software – selbst wenn man es gekauft hat“, analysiert der Autor. Wenn man ein Auto oder einen Traktor kauft, sei alles, was man besitzt, ein „großer Klumpen von Metall und Gummi“ – die Software, die man zum Betrieb des Fahrzeugs benötigt, sei dagegen nur geleast.
Wir haben, so Sadowski, das Zeitalter des „Landlords 2.0“ erreicht: Statt Zäune zu bauen und von ihren Vasallen Abgaben für die Landnutzung zu verlangen, würden die Lehnsherren heute Software installieren und Daten für die Nutzung digitaler Plattformen verlangen. Der Unterschied ist, dass sich Nutzungsrechte mit digitalen Kontrolltechnologien viel effizienter kontrollieren lassen. So sind in den USA Fahrzeuge mit einer elektronischen Vorrichtung ausgestattet (starter interruption device), die automatisch die Zündung sperrt, wenn der Besitzer in Zahlungsrückstand gerät. Der Eigentümer muss nur auf den Knopf einer App drücken, schon kann er dem säumigen Leasingnehmer oder Mieter den Stecker ziehen.
Auch in smarten Verträgen lassen sich Rechtsfolgen programmieren: Wenn der Vertragspartner am dritten jedes Monats die Miete erhält, garantiere Zugang zur Wohnung. Wenn die Zahlung zwei aufeinanderfolgende Monate ausbleibt, verweigere den Zugang. Man braucht keinen Gerichtsvollzieher mehr, um Mietnomaden aus der Wohnung zu treiben – man tauscht einfach das digitale Schloss aus. „Selbst der autoritärste Diktator würde nicht in der Lage sein, den exakten Buchstaben eines Gesetzes so streng und konsistent anzuwenden, wie ein Computer seinen Code exekutiert“, schreibt Sadowski.
Der Wissenschaftler stellt die richtigen, nämlich politischen Fragen an eine Technik, deren Prämisse lautet, dass der Bürger ein ziemlich dümmliches Wesen ist. Dass die Smartifizierung nichts anderes als ein gigantisches Bevormundungs- und Enteignungsprogramm ist, wird in dem Buch sehr anschaulich beschrieben.
Die Lösungen, die der Autor skizziert – eine Dekommodifizierung und Kollektivierung von Daten – können in der Kürze der Darstellung aber nicht restlos überzeugen. Gemeinsame Datenpools beziehungsweise Open Data mögen in einzelnen Bereichen (etwa bei Verkehrsdaten) sinnvoll sein. Und ja: Der Gedanke, Daten als Gemeingut zu behandeln, hat durchaus Charme. In der Praxis wird das jedoch schwer umzusetzen sein. Denn erstens müsste man dafür die gigantischen Datenschätze der größten Konzerne enteignen. Zweitens müsste man die monetären Anreize für die Datensammelei senken, was schwer möglich ist. Daten sind der Rohstoff des digitalen Kapitalismus, auch wenn sie in Gemeinschaftseigentum überführt werden. Solange Kunden bereit sind, mit ihren persönlichen Daten für den digitalen Budenzauber zu bezahlen, wird es auch weiterhin Überwachungsmärkte geben.
ADRIAN LOBE
Jathan Sadowski: Too Smart. How Digital Capitalism is Extracting Data, Controlling Our Lives, and Taking Over the World, 256 Seiten, MIT Press, Cambridge 2020, 17,49 Euro.
Die Smartifizierung ist nichts
anderes als ein gigantisches
Enteignungsprogramm
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