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In seiner Gefängniszelle auf der Teufelsinsel vor der Küste Dschibutis hat Dschamal, eingekerkert als islamistischer Terrorist, von der Rückkehr seines Zwillingsbruders Dschibril in seine alte Heimat erfahren. Er verfolgt ihn in Gedanken, lässt ihn beschatten, zieht eine Schlinge um ihn. Dschibril ist in Kanada ein neuer Mensch geworden, das Land seiner Kindheit ist für ihn nur noch fremd und staubig. Als Angestellter der Informationsagentur 'Adorno Location Scouting' muss er für einige Tage nach Dschibuti zurückkehren: Frankreich, die USA und Dubai machen einander das Stück basaltener Erde an…mehr

Produktbeschreibung
In seiner Gefängniszelle auf der Teufelsinsel vor der Küste Dschibutis hat Dschamal, eingekerkert als islamistischer Terrorist, von der Rückkehr seines Zwillingsbruders Dschibril in seine alte Heimat erfahren. Er verfolgt ihn in Gedanken, lässt ihn beschatten, zieht eine Schlinge um ihn. Dschibril ist in Kanada ein neuer Mensch geworden, das Land seiner Kindheit ist für ihn nur noch fremd und staubig. Als Angestellter der Informationsagentur 'Adorno Location Scouting' muss er für einige Tage nach Dschibuti zurückkehren: Frankreich, die USA und Dubai machen einander das Stück basaltener Erde an der 'Tor der Tränen' genannten Meerenge streitig. Als Dschibril in Dschibuti ist, reißen alte Wunden wieder auf, die Geister seiner Familie verfolgen ihn, sein Rechercheauftrag kommt nicht recht voran. Jeden Tag irrt er ein wenig weiter auf den gefährlichen Pfaden der Erinnerung. Beide Brüder schreiben ein Tagebuch, der eine folgt der islamistischen Weltsicht, der andere der der westlichen Moderne. Im gedanklichen Wechselspiel der Brüder spiegelt sich die tiefe Zerrissenheit der Protagonisten und ihrer Beziehung zueinander. Heimat, Exil, Erinnerung sind die Themen dieses sprachmächtigen Romans.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2012

Kulturkämpfe
Abdourahman Waberi reist ans Horn von Afrika

Es muss schnell gehen, darf nicht allzu kompliziert sein, auch bei den Namen nicht. Dschibril heißt der junge Mann aus dem kleinen ostafrikanischen Land Djibouti, aber einen solchen Namen merkt man sich im Westen nicht so leicht, es braucht etwas Zeit, ihn im Kopf zu halten. "Call me Djib, that's it!", fordert der junge Mann seine Kollegen auf. "Djib" kann man sich leicht merken, zudem klingt es ausgesprochen amerikanisch. Und das ist gut so, wie es überhaupt zu begrüßen ist, dass der Wunsch, ein anderer zu sein, sich aufs beste mit dem dynamischen Biographie-Verständnis der Neuen Welt verträgt: "Unaussprechliche Familiennamen und Identitätsmarker werden zermalmt, vereinfacht, abgekürzt. Das Anderswo und das Gestern sind vergessen. Die Vergangenheit ist tot, es lebe die Zukunft!"

Ja, er ist ein anderer geworden, der junge Mitarbeiter der "Adorno Location Scouting", einer Agentur für Wettbewerbsanalyse mit Sitz in Denver, Colorado. Das Unternehmen prüft Marktchancen auf dem Energiesektor. In Djibouti könnte sich die Suche nach Bodenschätzen noch rentieren, genauer: an der Bal el Mandeb (Tor der Tränen) genannten Meeresenge zwischen dem Horn von Afrika und der Arabischen Halbinsel. Uranvorkommen werden dort vermutet, Dschibrils Aufgabe ist es, entsprechende Erkundigungen einzuziehen. Es geht um die Frage, ob "das Land sicher, die Situation stabil und die Terroristen unter Kontrolle sind".

Nach Jahren in der Wahlheimat Kanada kommt er darum zurück ins Land seiner Kindheit, das er nun auf dessen Eignung für energiewirtschaftliche Investitionen im großen Stil zu untersuchen hat. Eine wenig sentimentale Reise also, sollte man glauben, und auch Dschibril selbst glaubt es. Allerdings: "Man begibt sich nicht ungestraft auf die Spuren seiner Kindheit", heißt es ungefähr in der Mitte des Romans, und da ist schon klar, dass diese Reise doch mehr ist als ein geopolitisches Erkundungsunternehmen. Denn Dschibril hat noch einen Bruder in Djibouti. Doch den wird er nicht sehen, denn dieser Dschamal ist ein islamistischer Extremist und seit Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis des Landes interniert.

Nie werden die Brüder direkten Kontakt miteinander aufnehmen. Und doch stehen sie nahezu ununterbrochen in Verbindung, kommunizieren in Gedanken, sind einander verbunden in unversöhnlicher Feindschaft. Für Dschamal ist Dschibril ein Verräter, ein Überläufer ins andere Lager, in die Welt der Feinde, die gegen Djibouti einen tödlichen Kulturkrieg führt. Islam versus Christentum, der Süden der Welt gegen den Norden - das ist die Gleichung, nach der Dschamal die Welt berechnet: "Depotstädte und Kohlehäfen gestern, Raffinerien und Stätten der Wollust heute" - so präsentiert sich ihm das westliche, vor allem amerikanische Engagement in Afrika.

Ausführlich breitet der 1965 geborene Romancier Abdourahman Waberi aus Djibouti die Überzeugungen seines Protagonisten Dschamal anhand von dessen Aufzeichnungen aus, die im Buch mit denen von Dschibril alternieren. So öffnen sich dem Leser zwei unterschiedliche Weltsichten: die eines Dschihadisten und die eines neoliberal beschwingten Kapitalisten. Beide bringt Waberi auf bestechende Weise zum Klingen. Und doch sind beider Sprechweisen weniger weit voneinander entfernt, als man zunächst vermutet. Denn die Brüder mögen zwar jeder in ihrer Weltsicht befangen sein, aber die des jeweils anderen kennen sie sehr wohl.

So stehen hier keine zwei isolierten, miteinander unvereinbaren Ideologien nebeneinander. Stattdessen öffnen sie sich, werden durchlässig. Denn Dschamal, der Islamist, ist mit der westlichen Perspektive bestens vertraut. Sein Bruder, der eine Jüdin heiratete, hat sich seiner Auffassung nach in die Arme einer "unfruchtbaren Zionistin" geworfen, aber solche antisemitischen Pöbeleien hindern Dschamal nicht, sich mit Walter Benjamin auseinanderzusetzen, dessen Schicksal als politisch Getriebener ihn zeit seines Lebens bewegt.

Dschibril wiederum erkennt jenseits der rauhen politischen Wirklichkeit, des alle Hierarchien regelnden Faustrechts die Verletzlichkeit einer zwischen alle Fronten geratenen Region, in der es Bildung, Toleranz, Zukunftsglauben schwerer haben als anderswo. Als einem, der in diesem Land geboren ist, können ihm dessen Missstände weder entgehen noch gleichgültig sein.

So öffnen sich die Weltsichten zwar füreinander, aber näher kommen sie sich nicht. Im Gegenteil: Die Brüder pflegen ihre Abneigung, die sich längst zu tödlicher Feindschaft ausgewachsen hat. Darüber wird das Buch passagenweise nicht nur zu einem literarischen Essay über die Logik kultureller Verleumdung, sondern auch zum packenden Kriminalroman. Unterhalten und zugleich zu belehren - dieses Prinzip großer Literatur setzt Waberi mit bewundernswert leichter Hand um, von der ersten bis zur letzten Seite dieses dramatischen Romans.

KERSTEN KNIPP

Abdourahman Waberi: "Tor der Tränen". Roman.

Aus dem Französischen von Katja Meintel. Edition Nautilus, Hamburg 2011. 160 S., geb., 16,- [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Abdourahman Waberi will mit seinem Roman "Tor der Tränen" unterhalten und lehren zugleich, meint der Rezensent Kersten Knipp. Dschibril, kurz Djib, kehrt in sein Geburtsland Djibouti zurück, um dort Bodenschätze und andere lohnende Investitionen für den kanadischen Energiesektor aufzuspüren, fasst Knipp zusammen. Dschibrils Bruder, Dschamal, verachtet ihn für seine Abkehr von der Heimat - er selbst kam als islamistischer Extremist ins Gefängnis. Knipp lobt sehr, wie es dem Autor gelingt, zwei Ideologien - Neoliberalismus und religiösen Fanatismus - aneinander aufzurichten ohne sie harsch zu isolieren: Dschamal faszinieren die Erfahrungen Walter Benjamins als politisch Verfolgter, Dschibril berühren die sozialen Missstände in Dschibuti. "So öffnen sich zwei Weltsichten" füreinander, findet die Rezensentin. Waberi hält die sie trennende Feindschaft aber bis zum Schluss aufrecht, verrät Knipp.

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