Mehr als ein schmales Bandchen, erschienen im Jahr 1555 in Lyon, hat die "schone Seilerin" aus Lyon nicht hinterlassen. Und doch werden die Werke der Louise Labe in Frankreich bis heute immer wieder aufgelegt. Ihre Sonette gehoren zu den schonsten Gedichten in franzosischer Sprache. Aber auch die Elegien und der feministisch anmutende Widmungsbrief der mit 31 Jahren verwitweten Autorin sind ein frühes Zeugnis au larerischen und emanzipatorischen Denkens und Schreibens.
Erstmals liegt nun ihr Gesamtwerk in dieser durchgehend zwei- sprachigen Ausgabe vor, einschließlich des noch nie zuvor ins Deutsche übersetzten Streitgesprachs zwischen Folie und Amor.
Erstmals liegt nun ihr Gesamtwerk in dieser durchgehend zwei- sprachigen Ausgabe vor, einschließlich des noch nie zuvor ins Deutsche übersetzten Streitgesprachs zwischen Folie und Amor.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2019Viermal, so heiß wie Kohle, küss ich dich
Mit Werken der französischen Dichterin Louise Labé beginnt die deutsche Buchreihe "Femme de Lettres"
Einer der wichtigen Orte weiblicher Emanzipation war der Salon, eines ihrer zentralen Vehikel die Literatur. Diesen schöngeistigen Ursprung sozialer Befreiung ruft, unserer medienkrakeelenden Gegenwart opportun, die neue, von der Fonte-Stiftung geförderte Reihe "Femmes de Lettres" des Secession-Verlags in Erinnerung. Es ist zudem nur konsequent, dass mit Louise Labé eine Französin darin den Auftakt macht, denn für das Nachbarland gilt das Gesagte doppelt: Von Marguerite de Navarre bis Marguerite Yourcenar, von Madame de Lafayette bis Madame de Staël ist die französische Literatur, die seit dem Mittelalter ein beneidenswertes Niveau hält, von Frauen geprägt.
Labé, die "schöne Seilerin" (circa 1524 bis 1566), ist auch deshalb gut gewählt, weil ihr Werk in Frankreich bekannt ist und nach wie vor gelesen wird - es gibt sogar Taschenbuchausgaben; hierzulande hingegen kennen sie fast nur Romanisten. Am Aufwand kann es nicht liegen: Die "Euvres de Louïze Labé Lionnoize" umfassen ein gerade einmal 180 Seiten starkes Oktavbändchen (1555) - das dennoch bisher nur teilweise übersetzt wurde. Die bei Sezession erschienene Ausgabe "Torheit und Liebe" enthält nun neben dem bekannten Widmungsschreiben, drei Elegien und 24 Sonetten zum ersten Mal das "Streitgespräch zwischen Folie und Amor", und es ist ein Glück für den Leser, dass dieser spritzige Dialog endlich auf Deutsch vorliegt - in einer Schriftart, die das sechzehnte Jahrhundert evoziert. Ein erstes kleines Bedauern: dass der letzte Teil des Dialogs mit Lobpreis von Labés Dichterkollegen, die ebenfalls der "Lyoner Schule" um Maurice Scève angehörten, nicht mit übertragen wurde.
Anlass dieses "Streitgesprächs" ist eine rüpelhafte Begegnung zwischen Liebe und Folie (der Wahnsinn, die Verrücktheit): Die alten Verbündeten eilen zu einem Fest in Jupiters Palast und drängeln vor dessen Tor; die Partygäste brechen einen Streit vom Zaun, der damit endet, dass Folie Amor nicht nur die Augen herausreißt, sondern ihm auch eine unlösbare Binde umlegt. Venus beklagt sich über die Blendung ihres Sohnes, und es kommt zu einem Prozess vor dem Göttervater, in dem Apollo Amors und Merkur Folies Verteidigung übernimmt. Während Apollos Rede im Fahrwasser von Platons "Gastmahl" und dessen Florentiner Rezeption bei Marsilio Ficino gleitet, ist Merkurs Rede von Erasmus' "Lob der Torheit" inspiriert; beider Raffinement bereitet größtes Vergnügen.
Sei es, dass Apollo erläutert: "Kurz, das größte Vergnügen nach der Liebe ist, über sie zu sprechen." Davon ausgehend, preist er die Liebe als Muse der Wortkunst: "Weil die Menschen, kaum dass sie lieben, Verse schreiben." Menschen hingegen, die sich von der Liebe losgesagt hätten, seien nichts als "Werwölfe". Vehement fordert er Folies Bestrafung sowie die Wiederherstellung von Amors Augenlicht - selbst wenn das nur durch Zeitreise, nämlich durch das Zurückdrehen der Parzen-Spindeln, zu erreichen wäre.
Sei es, dass Merkur den Venus-Sohn hart ins Gebet nimmt - "Ich weiß nicht, wozu es gut sein soll, sich auf die Gewohnheit zu berufen, die es Cupido gestattet, mit seinem Bogen zu schießen, wohin er will" - und eindrücklich-spitzbübisch den positiven Einfluss von Folie auf das Menschengeschlecht erklärt. Ohne sie würden weder Wissenschaften noch überhaupt Menschen existieren, denn "närrische Neugier" und der "Verdruss und das Wagnis einer Ehe" seien ohne einen Schuss Verrücktheit unvorstellbar. Diese ist nicht nur Ursprung aller Kultur, sie ist unterhaltsam obendrein: "Wenn man einen besonderen Schelm erwähnt, werdet ihr sehen, dass schon die Nennung des Namens jemanden so belustigt, dass er in Gelächter ausbricht." Vor allem sei Liebe ohne Folie undenkbar, denn "was könnte unsinniger sein, als bei dem geringfügigsten Anlass in Liebe zu verfallen"? Seine Größe verdankt Amor Folie.
Angesichts derart schlagender, aber leider diametral entgegengesetzter Argumente erweist sich Göttervater Jupiter als Politiker: Er vertagt die Entscheidung. Der offene Schluss betont die renaissancetypische Diversität der Standpunkte. Auch die Anlage des Textes ist einschlägig: Die Nähe zur Gerichtsrede, die Gliederung und Argumentationsstruktur, der Rückgriff auf Topoi, die fein austarierte Stilhöhe verweisen auf die Rhetorik; wäre der Text nicht so pointiert, so lebhaft, geistreich und lustig, man würde fast an eine Übung denken. Dass die Qualitäten im Deutschen bestechen, ist der ebenso flüssigen wie präzisen Übersetzung von Monika Fahrenbach-Wachendorff zu verdanken (die zweisprachige Ausgabe erlaubt den direkten Vergleich); man merkt ihr an, dass sie mit Gespür für historische Bedeutungsnuancen durchgesehen wurde. Ein zweites kleines Bedauern: dass nicht ab und an Verweise und Kontexte erklärt werden.
Bekannt ist Labés Werk auch für den Widmungsbrief an "M. C. D. B. L.", Mademoiselle Clémence de Bourges aus Lyon, eine junge Adelige aus dem Umfeld der "École lyonnaise". Darin verteidigt Labé ihr Unterfangen, als Frau schreiben zu wollen - zu Recht, denn der Reformator Calvin, der wieder eine Gelegenheit zum Schweigen versäumt, wird sie wüst beschimpfen. Labé wünscht sich für ihr Geschlecht, "dass es nicht nur an Schönheit, sondern auch an Gelehrsamkeit und Tugend die Männer übertreffe oder ihnen gleiche". Daher bittet sie "die tüchtigen Damen", "ihren Geist ein wenig über ihre Spinnrocken und Klöppel zu erheben und sich zu bemühen, aller Welt vor Augen zu führen, dass man uns, wenn wir auch nicht zum Befehlen geschaffen sind, dennoch nicht gering schätzen soll". Vor allem aber sollen die Frauen einsehen, dass das Studium, "eine Zufriedenheit, die uns länger erhalten bleibt", schenkt. "Denn die Vergangenheit erfreut uns und bereichert uns mehr als die Gegenwart. Die Lust der Empfindungen schwindet jedoch unaufhaltsam dahin und kehrt niemals wieder." Diese Botschaft freilich kann man getrost auch unserer präsenzwütigen Zeit ins Stammbuch schreiben.
Von den Gedichten sind vor allem die Sonette bekannt, dabei sind die Elegien wunderschön. Besonders die zweite besticht durch ihren persönlichen Ton, der zwischen Bangen und Stolz wechselt. Einerseits klagt sie - "In wie viel Grübelei und wie viel Bangen / Hält die erloschene Liebe uns gefangen!" -, andererseits verkündet sie selbstbewusst: "Denn keine Liebe kann wie meine sein / Und keine trägt dir solche Ehre ein." Die Sonette enthalten schöne Evergreens wie das Kuss-Gedicht (Sonett XVIII): "Küss mich noch einmal, küss mich wieder, küss mich; / Lass mich den Köstlichsten von allen trinken, / Lass mich in deinem innigsten versinken; / Viermal, so heiß wie Kohle, küss ich dich." Während sonst oft Sapphos Vorbild spürbar ist, greift Labé hier die römische Liebesdichtung Catulls auf - das Skandalpotential liegt darin, dass eine Frau solche Dinge schreibt. Dabei kennt die Petrarca-Nachfolge, in der viele der Sonette stehen, in Italien bereits Dichterinnen wie Vittoria Colonna und Gaspara Stampa.
Mit dem Stichwort Italien ist viel zu Labé gesagt, über deren Leben man so wenig weiß, dass Mireille Huchon 2006 behauptet hat, sie wäre eine "Papierschöpfung", eine Strohfrau für männliche Autoren gewesen und habe als Dichterin nie existiert. Biographisch gesichert ist, dass sie eine Bürgersfrau war, Gattin eines wohlhabenden Handwerkers, und in den literarischen Zirkeln Lyons verkehrte. Lyon, "das zweite Auge Frankreichs" (Jean Lemaire de Belges), war zu Labés Lebzeiten mit 55 000 Einwohnern die zweitwichtigste Stadt des Landes - und ein Kulturzentrum dank gut hundert Druckereien, die fern der Sorbonne-Zensur arbeiteten. Vor allem war die Stadt ein Brückenkopf: In Lyon gab es eine Medici-Filiale, eine Florentiner Kolonie; Kulturgüter jeder Art gelangten schnell über die Alpen, wie das schöne, aber - das dritte kleine Bedauern - sehr knappe Nachwort von Elisabeth Schulze-Witzenrath betont.
So legt die Reihe "Femmes de Lettres" einen gelungenen Auftakt hin: "Solange meine Hand ins Saitenspiel / Der feinen Laute greift und dich besingt, / Solang es meinen Geist Genüge dünkt, / Dich zu erfassen, und er mehr nicht will, / Möcht ich noch nicht dem Tode unterliegen." Und das zum Glück der Leserschaft, ob weiblich oder männlich.
NIKLAS BENDER.
Louise Labé: "Torheit und Liebe". Die Werke der Louise Labé. Deutsch-Französische Ausgabe.
Aus dem Mittelfranzösischen von Monika Fahrenbach-Wachendorff. Mit einem Nachwort von Elisabeth Schulze-Witzenrath. Secession Verlag für Literatur, Zürich 2019. 208 S., geb., 20,- [Euro].
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Mit Werken der französischen Dichterin Louise Labé beginnt die deutsche Buchreihe "Femme de Lettres"
Einer der wichtigen Orte weiblicher Emanzipation war der Salon, eines ihrer zentralen Vehikel die Literatur. Diesen schöngeistigen Ursprung sozialer Befreiung ruft, unserer medienkrakeelenden Gegenwart opportun, die neue, von der Fonte-Stiftung geförderte Reihe "Femmes de Lettres" des Secession-Verlags in Erinnerung. Es ist zudem nur konsequent, dass mit Louise Labé eine Französin darin den Auftakt macht, denn für das Nachbarland gilt das Gesagte doppelt: Von Marguerite de Navarre bis Marguerite Yourcenar, von Madame de Lafayette bis Madame de Staël ist die französische Literatur, die seit dem Mittelalter ein beneidenswertes Niveau hält, von Frauen geprägt.
Labé, die "schöne Seilerin" (circa 1524 bis 1566), ist auch deshalb gut gewählt, weil ihr Werk in Frankreich bekannt ist und nach wie vor gelesen wird - es gibt sogar Taschenbuchausgaben; hierzulande hingegen kennen sie fast nur Romanisten. Am Aufwand kann es nicht liegen: Die "Euvres de Louïze Labé Lionnoize" umfassen ein gerade einmal 180 Seiten starkes Oktavbändchen (1555) - das dennoch bisher nur teilweise übersetzt wurde. Die bei Sezession erschienene Ausgabe "Torheit und Liebe" enthält nun neben dem bekannten Widmungsschreiben, drei Elegien und 24 Sonetten zum ersten Mal das "Streitgespräch zwischen Folie und Amor", und es ist ein Glück für den Leser, dass dieser spritzige Dialog endlich auf Deutsch vorliegt - in einer Schriftart, die das sechzehnte Jahrhundert evoziert. Ein erstes kleines Bedauern: dass der letzte Teil des Dialogs mit Lobpreis von Labés Dichterkollegen, die ebenfalls der "Lyoner Schule" um Maurice Scève angehörten, nicht mit übertragen wurde.
Anlass dieses "Streitgesprächs" ist eine rüpelhafte Begegnung zwischen Liebe und Folie (der Wahnsinn, die Verrücktheit): Die alten Verbündeten eilen zu einem Fest in Jupiters Palast und drängeln vor dessen Tor; die Partygäste brechen einen Streit vom Zaun, der damit endet, dass Folie Amor nicht nur die Augen herausreißt, sondern ihm auch eine unlösbare Binde umlegt. Venus beklagt sich über die Blendung ihres Sohnes, und es kommt zu einem Prozess vor dem Göttervater, in dem Apollo Amors und Merkur Folies Verteidigung übernimmt. Während Apollos Rede im Fahrwasser von Platons "Gastmahl" und dessen Florentiner Rezeption bei Marsilio Ficino gleitet, ist Merkurs Rede von Erasmus' "Lob der Torheit" inspiriert; beider Raffinement bereitet größtes Vergnügen.
Sei es, dass Apollo erläutert: "Kurz, das größte Vergnügen nach der Liebe ist, über sie zu sprechen." Davon ausgehend, preist er die Liebe als Muse der Wortkunst: "Weil die Menschen, kaum dass sie lieben, Verse schreiben." Menschen hingegen, die sich von der Liebe losgesagt hätten, seien nichts als "Werwölfe". Vehement fordert er Folies Bestrafung sowie die Wiederherstellung von Amors Augenlicht - selbst wenn das nur durch Zeitreise, nämlich durch das Zurückdrehen der Parzen-Spindeln, zu erreichen wäre.
Sei es, dass Merkur den Venus-Sohn hart ins Gebet nimmt - "Ich weiß nicht, wozu es gut sein soll, sich auf die Gewohnheit zu berufen, die es Cupido gestattet, mit seinem Bogen zu schießen, wohin er will" - und eindrücklich-spitzbübisch den positiven Einfluss von Folie auf das Menschengeschlecht erklärt. Ohne sie würden weder Wissenschaften noch überhaupt Menschen existieren, denn "närrische Neugier" und der "Verdruss und das Wagnis einer Ehe" seien ohne einen Schuss Verrücktheit unvorstellbar. Diese ist nicht nur Ursprung aller Kultur, sie ist unterhaltsam obendrein: "Wenn man einen besonderen Schelm erwähnt, werdet ihr sehen, dass schon die Nennung des Namens jemanden so belustigt, dass er in Gelächter ausbricht." Vor allem sei Liebe ohne Folie undenkbar, denn "was könnte unsinniger sein, als bei dem geringfügigsten Anlass in Liebe zu verfallen"? Seine Größe verdankt Amor Folie.
Angesichts derart schlagender, aber leider diametral entgegengesetzter Argumente erweist sich Göttervater Jupiter als Politiker: Er vertagt die Entscheidung. Der offene Schluss betont die renaissancetypische Diversität der Standpunkte. Auch die Anlage des Textes ist einschlägig: Die Nähe zur Gerichtsrede, die Gliederung und Argumentationsstruktur, der Rückgriff auf Topoi, die fein austarierte Stilhöhe verweisen auf die Rhetorik; wäre der Text nicht so pointiert, so lebhaft, geistreich und lustig, man würde fast an eine Übung denken. Dass die Qualitäten im Deutschen bestechen, ist der ebenso flüssigen wie präzisen Übersetzung von Monika Fahrenbach-Wachendorff zu verdanken (die zweisprachige Ausgabe erlaubt den direkten Vergleich); man merkt ihr an, dass sie mit Gespür für historische Bedeutungsnuancen durchgesehen wurde. Ein zweites kleines Bedauern: dass nicht ab und an Verweise und Kontexte erklärt werden.
Bekannt ist Labés Werk auch für den Widmungsbrief an "M. C. D. B. L.", Mademoiselle Clémence de Bourges aus Lyon, eine junge Adelige aus dem Umfeld der "École lyonnaise". Darin verteidigt Labé ihr Unterfangen, als Frau schreiben zu wollen - zu Recht, denn der Reformator Calvin, der wieder eine Gelegenheit zum Schweigen versäumt, wird sie wüst beschimpfen. Labé wünscht sich für ihr Geschlecht, "dass es nicht nur an Schönheit, sondern auch an Gelehrsamkeit und Tugend die Männer übertreffe oder ihnen gleiche". Daher bittet sie "die tüchtigen Damen", "ihren Geist ein wenig über ihre Spinnrocken und Klöppel zu erheben und sich zu bemühen, aller Welt vor Augen zu führen, dass man uns, wenn wir auch nicht zum Befehlen geschaffen sind, dennoch nicht gering schätzen soll". Vor allem aber sollen die Frauen einsehen, dass das Studium, "eine Zufriedenheit, die uns länger erhalten bleibt", schenkt. "Denn die Vergangenheit erfreut uns und bereichert uns mehr als die Gegenwart. Die Lust der Empfindungen schwindet jedoch unaufhaltsam dahin und kehrt niemals wieder." Diese Botschaft freilich kann man getrost auch unserer präsenzwütigen Zeit ins Stammbuch schreiben.
Von den Gedichten sind vor allem die Sonette bekannt, dabei sind die Elegien wunderschön. Besonders die zweite besticht durch ihren persönlichen Ton, der zwischen Bangen und Stolz wechselt. Einerseits klagt sie - "In wie viel Grübelei und wie viel Bangen / Hält die erloschene Liebe uns gefangen!" -, andererseits verkündet sie selbstbewusst: "Denn keine Liebe kann wie meine sein / Und keine trägt dir solche Ehre ein." Die Sonette enthalten schöne Evergreens wie das Kuss-Gedicht (Sonett XVIII): "Küss mich noch einmal, küss mich wieder, küss mich; / Lass mich den Köstlichsten von allen trinken, / Lass mich in deinem innigsten versinken; / Viermal, so heiß wie Kohle, küss ich dich." Während sonst oft Sapphos Vorbild spürbar ist, greift Labé hier die römische Liebesdichtung Catulls auf - das Skandalpotential liegt darin, dass eine Frau solche Dinge schreibt. Dabei kennt die Petrarca-Nachfolge, in der viele der Sonette stehen, in Italien bereits Dichterinnen wie Vittoria Colonna und Gaspara Stampa.
Mit dem Stichwort Italien ist viel zu Labé gesagt, über deren Leben man so wenig weiß, dass Mireille Huchon 2006 behauptet hat, sie wäre eine "Papierschöpfung", eine Strohfrau für männliche Autoren gewesen und habe als Dichterin nie existiert. Biographisch gesichert ist, dass sie eine Bürgersfrau war, Gattin eines wohlhabenden Handwerkers, und in den literarischen Zirkeln Lyons verkehrte. Lyon, "das zweite Auge Frankreichs" (Jean Lemaire de Belges), war zu Labés Lebzeiten mit 55 000 Einwohnern die zweitwichtigste Stadt des Landes - und ein Kulturzentrum dank gut hundert Druckereien, die fern der Sorbonne-Zensur arbeiteten. Vor allem war die Stadt ein Brückenkopf: In Lyon gab es eine Medici-Filiale, eine Florentiner Kolonie; Kulturgüter jeder Art gelangten schnell über die Alpen, wie das schöne, aber - das dritte kleine Bedauern - sehr knappe Nachwort von Elisabeth Schulze-Witzenrath betont.
So legt die Reihe "Femmes de Lettres" einen gelungenen Auftakt hin: "Solange meine Hand ins Saitenspiel / Der feinen Laute greift und dich besingt, / Solang es meinen Geist Genüge dünkt, / Dich zu erfassen, und er mehr nicht will, / Möcht ich noch nicht dem Tode unterliegen." Und das zum Glück der Leserschaft, ob weiblich oder männlich.
NIKLAS BENDER.
Louise Labé: "Torheit und Liebe". Die Werke der Louise Labé. Deutsch-Französische Ausgabe.
Aus dem Mittelfranzösischen von Monika Fahrenbach-Wachendorff. Mit einem Nachwort von Elisabeth Schulze-Witzenrath. Secession Verlag für Literatur, Zürich 2019. 208 S., geb., 20,- [Euro].
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