"Ich wünsche mir Licht, ich wünsche mir Leichtigkeit, und manchmal gelingt sie mir", sagt der berühmte Regisseur Luc Bondy, dem es wie wenigen anderen gegeben ist, die Luft zwischen den Zeilen zum Vibrieren zu bringen - sei es im Theater, im Film und immer häufiger in der Literatur. Wir hören einen Dichter, der in jedem Zimmer ein anderes Gedicht entdeckt, auf den einsamen Mann im Jardin du Luxembourg blickt und immer wieder an das Alter denken muss, "das an meinen Knochen nagt". Nach seinem Roman "Am Fenster" und dem Erzählband "Meine Dibbuks" gilt es nun, den Lyriker Bondy zu entdecken. Seine Gedichte gewinnen ihre Kraft aus der Liebe und dem nie versiegenden Begehren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2012Purzelbäume und Edelsterne
Luc Bondy verzaubert uns in "Toronto" mit Gedichten
Mit zwei schmalen, konzentrierten Prosabüchern hat der Regisseur Luc Bondy viele anspruchsvolle Leser fasziniert. In "Meine Dibbuks", autobiographischen Prosaminiaturen, verwandelt er aus der deutschen Vergangenheit herrührende Obsessionen in "verbesserte Träume". In dem Kurzroman "Am Fenster" betreibt der ehemalige Regieassistent Donatey in nervösen Erinnerungsschüben die Archäologie seiner von den Nazis verfolgten Familie. Nun überrascht Bondy mit einem neuen Genre, mit Lyrik. Er ergreift das Medium mit schöner Ungeniertheit. Es ist nicht seine Sache, mit den Gedichten des Bandes "Toronto" im Mainstream einer selbstreferentiellen Lyrik zu schwimmen. Seine Phantasie geht aufs Ganze, indem sie die Hürden von Versmaß und Reim ignoriert und den Leser im Parlando seiner lyrischen Evokationen und Anekdoten unterhält.
Dazu benötigt Bondy keine extravaganten Motive. Er hält sich ans bewährte Thema von Liebesglück und Liebesleid. Ihm gewinnt er groteske und illusionslose Varianten ab. So die Geschichte vom dürren Mädchen Evelyn Klaus, das sich aus dem Fenster des Wiener Hotels Imperial stürzt. Oder, weniger pointiert, die Romanze von den Liebenden, die drei Jahre in einem Wohnwagen leben, bis der Überdruss sie überfällt und sie sich trennen. Bondy ist ein Liebhaber von Plots, die Pointen haben. Am besten aber ist er dort, wo er die Pointe ausspart. Besonders schön in dem Gedicht von der Frau, die einen "Verlierer" liebt. Da lautet der Schluss: "Es regnet, es schneit. / Die Sonne scheint!" Mit solch schlichten Wendungen kommt in manche Verse ein Märchenton, der die Banalität des Alltags verzaubert.
An Weihnachten lieber im Bett bleiben - wer hätte sich das nicht schon einmal gewünscht? Bondy malt uns aus, wie das misslingen muss. Doch das deprimiert nicht. Im Gegenteil: Wir nehmen auch seine negativen Befunde ermuntert zur Kenntnis. Wir lesen auch ein Gedicht zu Ende, dessen Titel verrät, was zu erwarten ist: "Mein Morgen ist ein missratener Purzelbaum." Und wir nehmen ihm die Zeile ab, die das Misslingen zum poetologischen Imperativ macht: "Jeden Tag dichte das Gedicht vom missratenen Tag."
Zum Glück hält sich der Dichter nicht an seine Devise. Erstens dichtet Luc Bondy wohl kaum jeden Tag, er begnügt sich mit knappen sechzig Seiten. Zweitens ist er durchaus zu Emphase und Enthusiasmus fähig. So in "Deine schöne Tochter", dem bezauberndsten Stück des Bands. Bondy gibt galant den Troubadour, wenn er anhebt: "Deine schöne Tochter, wie schön / deine schöne Tochter ist! / Ihr Haar: dunkel glänzend, eine Nacht voller Edelsterne." Davon möchte man mehr lesen. Wer freilich bei den "Edelsternen" Edelsteine gelesen hat, liegt falsch, doch er hat ein Wortspiel erwischt, das den Zauberer Bondy in Aktion zeigt.
HARALD HARTUNG
Luc Bondy: "Toronto".
Gedichte.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2012. 60 S., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Luc Bondy verzaubert uns in "Toronto" mit Gedichten
Mit zwei schmalen, konzentrierten Prosabüchern hat der Regisseur Luc Bondy viele anspruchsvolle Leser fasziniert. In "Meine Dibbuks", autobiographischen Prosaminiaturen, verwandelt er aus der deutschen Vergangenheit herrührende Obsessionen in "verbesserte Träume". In dem Kurzroman "Am Fenster" betreibt der ehemalige Regieassistent Donatey in nervösen Erinnerungsschüben die Archäologie seiner von den Nazis verfolgten Familie. Nun überrascht Bondy mit einem neuen Genre, mit Lyrik. Er ergreift das Medium mit schöner Ungeniertheit. Es ist nicht seine Sache, mit den Gedichten des Bandes "Toronto" im Mainstream einer selbstreferentiellen Lyrik zu schwimmen. Seine Phantasie geht aufs Ganze, indem sie die Hürden von Versmaß und Reim ignoriert und den Leser im Parlando seiner lyrischen Evokationen und Anekdoten unterhält.
Dazu benötigt Bondy keine extravaganten Motive. Er hält sich ans bewährte Thema von Liebesglück und Liebesleid. Ihm gewinnt er groteske und illusionslose Varianten ab. So die Geschichte vom dürren Mädchen Evelyn Klaus, das sich aus dem Fenster des Wiener Hotels Imperial stürzt. Oder, weniger pointiert, die Romanze von den Liebenden, die drei Jahre in einem Wohnwagen leben, bis der Überdruss sie überfällt und sie sich trennen. Bondy ist ein Liebhaber von Plots, die Pointen haben. Am besten aber ist er dort, wo er die Pointe ausspart. Besonders schön in dem Gedicht von der Frau, die einen "Verlierer" liebt. Da lautet der Schluss: "Es regnet, es schneit. / Die Sonne scheint!" Mit solch schlichten Wendungen kommt in manche Verse ein Märchenton, der die Banalität des Alltags verzaubert.
An Weihnachten lieber im Bett bleiben - wer hätte sich das nicht schon einmal gewünscht? Bondy malt uns aus, wie das misslingen muss. Doch das deprimiert nicht. Im Gegenteil: Wir nehmen auch seine negativen Befunde ermuntert zur Kenntnis. Wir lesen auch ein Gedicht zu Ende, dessen Titel verrät, was zu erwarten ist: "Mein Morgen ist ein missratener Purzelbaum." Und wir nehmen ihm die Zeile ab, die das Misslingen zum poetologischen Imperativ macht: "Jeden Tag dichte das Gedicht vom missratenen Tag."
Zum Glück hält sich der Dichter nicht an seine Devise. Erstens dichtet Luc Bondy wohl kaum jeden Tag, er begnügt sich mit knappen sechzig Seiten. Zweitens ist er durchaus zu Emphase und Enthusiasmus fähig. So in "Deine schöne Tochter", dem bezauberndsten Stück des Bands. Bondy gibt galant den Troubadour, wenn er anhebt: "Deine schöne Tochter, wie schön / deine schöne Tochter ist! / Ihr Haar: dunkel glänzend, eine Nacht voller Edelsterne." Davon möchte man mehr lesen. Wer freilich bei den "Edelsternen" Edelsteine gelesen hat, liegt falsch, doch er hat ein Wortspiel erwischt, das den Zauberer Bondy in Aktion zeigt.
HARALD HARTUNG
Luc Bondy: "Toronto".
Gedichte.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2012. 60 S., geb., 14,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
So kann man es natürlich auch sagen. Durch die Blume quasi spricht Harald Hartung über den ersten Lyrikband des Regisseurs Luc Bondy. Was Bondy an dichterischer Kompetenz vermissen lässt, nennt er eine schöne Ungeniertheit, die die "Hürden" von Versmaß und Reim links liegen lässt, ausgefuchste Motive übrigens auch. Stattdessen treffe Bondy bisweilen einen "Märchenton, der die Banalität des Alltags verzaubert", stellt der Rezensent entzückt fest, beispielsweise mit dem Gedichttitel "Mein Morgen ist ein missratener Purzelbaum". Zudem, und nun klingt Hartung ganz fanfarisch: das Thema Liebe im lyrischen Parlando, anekdotisch frei und vor Schlichtheiten nicht Halt machend. Dass der Autor dem uralten Topos noch nahezu unerhört Groteskes und Illusionsloses abgewinnt, wie der Rezensent bewundernd feststellt, versteht sich eigentlich von selbst.
© Perlentaucher Medien GmbH
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