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Seit den siebziger Jahren verbrachte Robert Gernhardt einen großen Teil seiner Lebens- und Arbeitszeit im toskanischen Montaio. Seine Beziehung zu dem Ort, seine Begegnungen mit der Natur und Kultur Mittelitaliens hat er in seinem vielgestaltigen Werk immer wieder thematisiert. Darüber hinaus enthalten seine Notiz- und Skizzenbücher, die legendären Brunnen-Hefte, eine Fülle von Toskana-Material in Wort und Bild. Der vorliegende Band gewährt Einblick in die Brunnen-Hefte und zeigt eine Sehnsuchtslandschaft der Deutschen aus Robert Gernhardts ganz besonderer Sicht.

Produktbeschreibung
Seit den siebziger Jahren verbrachte Robert Gernhardt einen großen Teil seiner Lebens- und Arbeitszeit im toskanischen Montaio. Seine Beziehung zu dem Ort, seine Begegnungen mit der Natur und Kultur Mittelitaliens hat er in seinem vielgestaltigen Werk immer wieder thematisiert. Darüber hinaus enthalten seine Notiz- und Skizzenbücher, die legendären Brunnen-Hefte, eine Fülle von Toskana-Material in Wort und Bild. Der vorliegende Band gewährt Einblick in die Brunnen-Hefte und zeigt eine Sehnsuchtslandschaft der Deutschen aus Robert Gernhardts ganz besonderer Sicht.
Autorenporträt
Robert Gernhardt (1937-2006) lebte als Dichter und Schriftsteller, Maler und Zeichner in Frankfurt am Main und in der Toskana. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Heinrich-Heine-Preis und den Wilhelm-Busch-Preis. Sein umfangreiches Werk erscheint bei S. Fischer, zuletzt 'Toscana mia' (2011), 'Hinter der Kurve' (2012) und 'Der kleine Gernhardt' (2017). Kristina Maidt-Zinke, Journalistin und Literaturkritikerin, hat Robert Gernhardts ¿Brunnen-Hefte¿ für das Deutsche Literaturarchiv Marbach gesichtet und dokumentiert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.06.2011

Die Rettung des Hundes Bella
Kunstvoll verbauern: Robert Gernhardts nachgelassene Aufzeichnungen „Toscana mia“
Am 2. Juli 1999, dem bisher heißesten Tag des Jahres, hat Robert Gernhardt eine seiner Italien-Epiphanien. Er hat eingekauft, ein Bad in einem See genommen, drei, vier Silberreiher beobachtet. Nun muss er noch zu einer Tankstelle, um eine Gasbombe zurückzubringen – an einen leicht absurden Ort, wie er vermerkt, „inmitten einer ehemaligen Braunkohlenmine, mit Blick auf die Elektrizitätszentrale“. Immerhin hatte den Maler-Dichter angerührt, „dass sich der Tankstellenbesitzer die Reproduktion eines Hopper-Gemäldes ins dunkle Büro gehängt hatte, auf welchem eine Tankstelle zu sehen ist“ – die gegenständliche Malerei gibt der anspruchslosen Umgebung eine schöne Würde.
An diesem Juli-Abend haben Gernhardts Hunger, und da fällt ihnen ein, dass der Tankstelle auch eine Bar angegliedert ist. Und dieser Ort erweist sich als Glücksfall: „Das war ein Italien, das sich nur dem erschloss, dachte: nein fühlte ich, der Land und Leute wirklich von Herzen liebt – eine leicht mondsüchtige Verbindung von Industrie, Handarbeit und Natur. Ich blickte auf ein Stilleben von Plastikeimer, Plastikflasche und Eisenwerkzeug auf Zementsockel im Schatten einer Pinie vor dem Hintergrund des Pratomagno: Italien!“
Diese Blätter zeigen den Dichter und Denker noch einmal auf seiner ganzen dialektischen Höhe, auf dem Niveau von „Taverna Wachtelstubb“, der „Toscana-Therapie“ oder seiner Boccaccio-Reprisen. Dabei schreibt Gernhardt auch hier, wie er zeichnet und malt: scheinbar ganz einfach, wenn auch mit der angeborenen, nie irrenden Grazie und dem Witz dessen, dem sich die Rhythmen und Pointen wie von selbst fügen. Hier kommt die Absichtslosigkeit spontanen Notierens dazu. Die Herausgeberin Kristina Maidt-Zinke hat „Toscana mia“ aus den mittlerweile legendären Schreibheften der Firma „Brunnen“ destilliert, die Gernhardt zum ständigen Begleiter und Gefäß für Notizen, Einfälle, Entwürfe und Zeichnungen wurden, eine Art Zibaldone, in dem oft die großen Werke vorgeprobt wurden, aber eben auch der Alltag eine leuchtende Spur hinterließ.
Die Herausgeberin hat sich dafür entschieden, der Chronologie zu folgen, und das war klug. Damit sind der Abwechslungsreichtum und die Themenfülle ebenso bewahrt wie das schnurrende Gleichmaß der nimmermüden Beobachtungsgabe und Einfallslust. Und das Schönste ist: Eigentlich ist immer Sommer in dieser Auswahl, denn Gernhardt pflegte erst im späteren Frühjahr in das Landhäuschen in Montaio zu übersiedeln, das er sich mit einigen Freunden aus dem Titanic-Umfeld zu Beginn der siebziger Jahre zugelegt hatte. Dann blieb er bis in den September, um den Winter wieder in Deutschland zu verbringen.
Dieser Rhythmus spiegelt einen größeren kulturellen Hintergrund. In den achtziger Jahren begann man ja leicht abschätzig von der bundesdeutschen „Toscana-Fraktion“ zu reden, jenen etwas parvenuhaft kennerischen, oft politisch linken Deutschen, die den Niedergang der alten italienischen Landwirtschaft nutzten, um sich in den aufgegebenen Bauernhäusern günstig eine zweite, bukolische Existenz zu schaffen. Auch Gernhardt war Teil dieser Toscana-Fraktion und hat dies auch nie bestritten; die Abschätzigkeit des Begriffs missfiel ihm.
Wer heute seine nachgelassene Chronik liest, begreift rückblickend noch einmal, was an dieser toscanischen Flucht so zwingend war. Die Kinder des deutschen Zweiten Weltkriegs, seiner moralischen und ästhetischen Verheerungen, konnten wohl am ehesten hier zur Ruhe kommen, zu einem nicht-neurotischen Blick auf eine Landschaft, ein Volk, eine Nationalität. Italien, die Toscana, sie waren ja nicht nur schön, sie waren vor allem nicht so historisch krank wie Deutschland in der Nachkriegszeit bis weit in den späten Kalten Krieg. Damals, für die erste Erbengeneration des Nationalsozialismus, muss Italien eine ungeheure Befreiung gewesen sein.
Man wollte nach Italien, um nicht unter Deutschen zu sein. Man wollte allein sein unter Italienern, also erst einmal wieder Mensch sein. Und das spiegelte sich auch in Interessen, an denen der politisch wenig entschiedene Gernhardt durchaus Anteil nahm. Man ging nicht nur in Museen, Kirchen und schöne Gasthöfe, sondern auch zu den „Feste dell’Unità“, den Sommerfesten der kommunistischen Parteizeitung, wo bei altmodischen Arbeiterliedern, neorealistischen Filmen, zwischen anspruchsvollen Buchständen und feurigen Reden gut gegessen, getrunken und getanzt wurde.
All das reflektiert Gernhardt über die Jahre, mit der ihm eigenen Verbindung von Wärme und Illusionslosigkeit. Denn natürlich gehen auch die kommunistischen Sommerfeste im Verlauf der dreißig Jahre, die diese Hefte überspannen, den Bach herunter, die Partei verschwindet, die Parteizeitung auch, und auch der Geist von Freundlichkeit und Solidarität, der hier gefeiert wurde. Italien wird zum Land der dämlichen Fernsehshows und der Politik des Egoismus, wird jenes „kälteste Land der Welt“, als das es Gernhardts jüngerer Kollege Martin Mosebach beschreibt.
Aber daneben gibt es noch die Natur, die unerschöpfliche Fülle an Licht, Landschaft und Tieren. Mit nimmermüder Liebe nehmen sich diese Aufzeichnungen der Katzen und Hunde, der Schwalben und Wiedehöpfe, der Vipern und Raupen an, die Gernhardt auch so gern zeichnete. Der Hund Bella, fortan jahrelanger Begleiter, wird in einer novellistisch rührenden Aktion am Strand verlassen aufgefunden und mit ärztlicher Hilfe gerettet. Eine fette Schlange ist einen langen Eintrag wert. Fatale Raupen werden erst vorm Überfahren gerettet, dann aber, da sich ihre Schädlichkeit für die kränkelnden Zypressen erweist – auch Italien hatte sein Baumsterben – doch mit heißem Wasser vernichtet. Und so kommt eine agrarische Dimension hinein, denn im Lauf der Jahre verbauert Gernhardt so wie noch jeder italienische Landhausbesitzer zwischen Horaz und Rudolf Borchardt: Was für ein Glück das große, schwatzhafte Gemeinschaftsunternehmen einer Olivenernte!
Sind wir im irdischen Paradies? Fast – wenn es in nicht auch in dieser Welt den Lärm gäbe. Von seiner Toscana verlangt Gernhardt durchaus eifersüchtig nicht nur Sonne, Licht, Farben, weite Blicke, Zypressen, Vogelflug, sondern dazu noch das Allerelementarste, aber auch am leichtesten Zerstörbare: Stille. Aber, oh weh, eine nicht abreißende Reihe von Lärmquellen tut sich im Lauf der Jahre auf: Mal sind es aufheulende Motocrossfahrten, mit denen männliche Jugend ihre Hormone beruhigt, mal ist es ein reaktivierter Steinbruch. Denn in der Nähe wird eine Autobahn gebaut, mit enormen Kiesbedarf; in unablässiger Kette winden sich Lastwägen von 9 bis 18 Uhr die Bergstraße hinauf und wieder hinunter. Schreckliches mechanisches Fiepen skandiert die Steingewinnung.
Wer Gernhardts großen Text „Du sollst nicht lärmen“ schon immer als die biblische Urkunde für eine in unserer Gesellschaft systematisch mit Füßen getretene Minderheit, eben der Lärmempfindsamen, hochhielt, der findet nun in „Toscana mia“ eine umfassende Phänomenologie des Leidens am Lärm. „Die Stille“ heißt ein kleiner eingeschalteter Essay: „Sie ist die Abwesenheit von Geräusch, so wie die Gesundheit die Abwesenheit von Krankheit und die Sauberkeit die Abwesenheit von Schmutz.“ Leider ist es nun um den Lärm so bestellt, dass er die meisten offenbar gar nicht stört, „woraus man“, wie Gernhardt resignierend festhält, „schließen kann, dass die Stille das gefährdetste der drei genannten Güter ist: schwer für einen etwas einzuklagen, was der andere gar nicht vermisst.“
Stille brauchte Gernhardt nach eigenem Bekunden, um überhaupt produktiv zu werden. Dass der Übernervöse sie dann doch in ausreichender Fülle gefunden haben muss, das beweist die lange Reihe seiner Werke, deren Ruhm, wie er befriedigt feststellte, am Ende bis in die Toscana drang. GUSTAV SEIBT
ROBERT GERNHARDT: Toscana mia. Herausgegeben von Kristina Maidt-Zinke. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 360 Seiten, 22,95 Euro.
„Ich blickte auf ein Stilleben von
Plastikeimer, Plastikflasche und
Eisenwerkzeug auf Zementsockel“
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2011

Die Tagebücher der Toscana-Expeditionen

Fischzug durch die Brunnen-Hefte: Mit "Toscana Mia" ist der erste Band erschienen, der Robert Gernhardts umfangreichen Nachlass erschließt.

Von Hubert Spiegel

Es war eine folgenreiche, geradezu identitätsstiftende Entscheidung: Im Jahr 1972 kaufte Robert Gernhardt, ehemaliger Redakteur der Satirezeitschrift "pardon" und nun freier Schriftsteller in Frankfurt am Main, gemeinsam mit dem Kollegen Hans Traxler und Freunden ein altes Bauernhaus in der Toskana, das Ospedale di Montaio in der Gegend von Arezzo. Vierunddreißig Jahre lang, bis zu seinem Tod 2006, verbrachte Gernhardt nun regelmäßig große Teile des Jahres dort und wurde allmählich zu etwas, dass es bei seiner Ankunft noch gar nicht gegeben hatte: einem Toskana-Deutschen.

Zehn Jahre nach der Ankunft, die ersten Umbauten an dem alten Gemäuer sind beendet, die Aufenthalte werden länger, und der Arbeitsplatz steht nun für einen guten Teil des Jahres in Italien, mehren sich die Anzeichen, dass die Toskana kein Geheimtipp mehr ist. Das Vordringen deutscher Touristen und Ferienhausbesitzer wird unübersehbar. Und nun passiert, was immer passiert, wenn die Avantgarde von gestern zum Massenphänomen von heute zu werden droht: Die Pioniere plagen Statussorgen.

Auch Gernhardt reagiert gereizt. Im Sommer 1982 sitzt er in einem kleinen Restaurant am Strand von Alberese, zunächst als einziger Deutscher unter einheimischen Gästen. Aber dann kommen Landsleute hinzu, erst ein Paar, dann noch eines, und rasch dreht sich das Gespräch um die Schönheit toskanischer Sonnenuntergänge und die Schwierigkeiten beim Hauskauf. Aber was sind das eigentlich für Menschen, die einem da plötzlich und immer öfter an liebgewordenen Orten begegnen: schlicht Landsleute oder gleichgesinnte Kenner, also Wahlverwandte, üble Störenfriede oder gar Todfeinde? Und was an ihnen ist eigentlich so nervtötend?

Gernhardt verspürt ein Abgrenzungsbedürfnis. Aber er gibt ihm nicht nach, indem er aufzählt, was ihn, den Veteranen, von den Neuankömmlingen unterscheidet, sondern er geht ihm auf den Grund, indem er die Gemeinsamkeiten benennt: "Es sind nicht ganz meine Kreise, doch meinen Kreisen nahe Kreise. Unsere Werte - Entdecken, Exclusivität, Simplizität - decken sich zum Teil, das entwertet meine Werte. Der Spiegeleffekt: So sehen mich die anderen möglicherweise ebenfalls. Die Feindseligkeit, die ich ihnen gegenüber empfinde, ist gegen mich selber gerichtet (auch) . . . Fazit: Richtig hassen kann man nur, was man kennt."Dann aber wechselt der Gedankengang unvermittelt in die Sphären der künstlerischen Produktion: "In alldem, was ich satirisch packen kann, steckt etwas von mir." Vier Jahre nach dieser Szene erscheint das Theaterstück mit dem geradezu sprichwörtlich gewordenen Titel: "Die Toscana-Therapie".

Hier haben wir ein Grundmuster Gernhardts: Er ist ein stets hellwacher Beobachter, der seinen Blick so lange schweifen lässt, bis er sich selbst ins Visier gerät. Fremd- und Selbstdiagnose schließen sich nicht aus, sondern gehören untrennbar zusammen. Das Beobachtete wie dessen Analyse aber sind vor allem eines: Material. Für Gedichte, Stücke, Erzählungen, Skizzen und Zeichnungen, Entwürfe, Aphorismen und Reflexionen. All das gilt es festzuhalten, und zwar möglichst sofort, ganz dem frühen Vierzeiler gemäß: "Ich weiß nicht, was ich bin. / Ich schreibe das gleich hin. / Da hab'n wir den Salat: / Ich bin ein Literat".

So entstanden die "Brunnen-Hefte", 675 an der Zahl mit etwa vierzigtausend Seiten im Format DIN A5: ein fortlaufendes Gedankenarchiv der Jahre 1978 bis 2006, mehr Notizheft als Diarium, Arbeitsjournal und Steinbruch fürs künstlerische Werk. Vorgestellt wurde dieses Archiv eines Künstlerlebens erstmals vor drei Jahren in einer Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, wo Gernhardts Nachlass liegt. Jetzt ist mit "Toscana Mia" der erste Band erschienen, der einen tieferen Einblick in das unveröffentlichte Material erlaubt. Der Buchtitel stammt noch von Gernhardt selbst, der in den letzten Wochen vor seinem Tod nicht nur an dem 2007 postum erschienenen Erzählungsband "Denken wir uns" arbeitete, sondern für seinen Verlag auch eine Liste mit möglichen Publikationen aus dem Nachlass zusammenstellte. Unter der Rubrik "Mögliche Fischzüge durch die Brunnen-Hefte" soll die Toskana-Expedition im unerforschten Reich der Brunnen-Hefte eine zentrale Position eingenommen haben.

Das ist kein Wunder, ist doch etwa die Hälfte aller Aufzeichnungen der Brunnen-Hefte in Italien entstanden. Knapp 350 Seiten umfasst die Auswahl, die von der Herausgeberin, der Literaturkritikerin Kristina Maidt-Zinke, getroffen wurde. Ihr Themenkreis ist überschaubar: Wir erfahren wenig über Kunst und Kultur in der Toskana und viel über Fauna und Flora. Piero della Francesca, die Kunstschätze der Uffizien in Florenz und die Schönheit Sienas werden ebenso en passant erwähnt wie das Treiben Berlusconis oder die Schaufenster der von der Familie des Rockstars Gianna Nannini betriebenen Sieneser Zuckerbäckerei. Gernhardts Blick gilt dem scheinbar Belanglosen, Alltäglichen: dem Flug der Schwalben und Falter, der Unerschütterlichkeit der Eidechsen oder den Dramen, die Heerscharen von Katzen aufführen, die den Dichter und seine Ehefrau besuchen, sie umschmeicheln und tyrannisieren, wie es ihnen gerade passt.

Aber erst dem "Fundhund" Bella gelingt es, ein Mitglied der Familie zu werden. Ausgerechnet an seinem Geburtstag läuft dem Autor das Tier zu, und fortan ist die schöne Jagdhündin aus dem Leben von Gernhardt und seiner Frau Almut nicht mehr wegzudenken. Auf wesentliche Maximen einer erfolgreichen Erziehung haben sich Hund und Herrchen rasch geeinigt: "Man gibt nur Kommandos, die auf die jeweilige Haltung oder Tätigkeit des Hundes zutreffen. Sollte er zufällig sitzen, sagt man: Sitz!, etc. Ein hochintelligenter Hund ist schließlich nicht dumm."

So mag es dahingehen, vierzigtausend Seiten in den Brunnen-Heften und immerhin 350 Seiten im vorliegenden Band. Besuche von mehr oder weniger tüchtigen Handwerkern geben Anlass zu Dramoletten und Betrachtungen über den italienischen wie den deutschen Nationalcharakter. Auch das alltägliche Eheleben wird nicht ausgespart, italienische Nachbarn finden Erwähnung, selten sorgt ein Besucher für Abwechslung, die indes auch nicht gerade erwünscht scheint. Denn der Dichter will sich ganz der Natur und ihren Erscheinungen überlassen, wie etwa im Spätsommer 1987: "Nun sitze ich also wieder mal, mild umfächelt in dieser lieblich warmen Septembernacht, im gewohnten Eck, und weiß wieder, wie sehr es Orte sind, die Werke ermöglichen oder erst hervorrufen." Vier Jahre später derselbe Gedanke, aber nun im Gewand schlichter Pflichterfüllung: "Gezeichnet wird, was auf den Tisch kommt."

Aber welche Werke sind es eigentlich, die hier entstanden? Der Leser erfährt es nicht. Woran Robert Gernhardt gerade arbeitet oder welche Publikation vorbereitet wird, bleibt ebenso unerwähnt wie die Lektüreerlebnisse. Hat Gernhardt, einer der größten Lyrikkenner unter den Dichtern, in der Toskana niemals ein Buch zur Hand genommen? Oder hat er seine Lektüren einfach nie in den Brunnen-Heften erwähnt? Beides ist kaum vorstellbar. Das Nachwort der Herausgeberin verrät leider fast nichts über die Kriterien, nach denen der Band zusammengestellt wurde. Auch so manche Banalität fand Eingang, während selbst auf spärlichste Anmerkungen verzichtet wurde. Natürlich verlangt diese Ausgabe, die weit mehr für den Gernhardt-Freund als für den Toskana-Freund gedacht ist, nicht nach einer umfangreichen Kommentierung. Aber hin und wieder ein kleiner Hinweis auf die publizierten Werke, die parallel entstanden, wäre durchaus angebracht.

Ein Beispiel mag genügen: Ein zentrales Thema dieser Aufzeichnungen ist das heikle Wechselspiel zwischen dem Idyll und seiner Bedrohung. Immer wieder wird der Lärm beklagt. Traktoren, Pumpen, Autos, schwere Lastwagen, Motocrossfahrer, motorisierte Gleitschirmflieger, Flugzeuge, Straßenbaumaschinen - all das zermürbt den Dichter und weckt seinen Zorn. Wäre da nicht eine Fußnote aufschlussreich, die darauf hinweist, dass Robert Gernhardt im Sommer 1996 jenes "elfte Gebot" publizierte, das Moses mitzugeben Gott, der Herr, völlig verschwitzt hatte?

Es lautet "Du sollst nicht lärmen!" und scheint durchaus auf italienische Verhältnisse zugeschnitten, etwa wenn es heißt: "So ein Mann seinen fahrbaren Untersatz frisiert, auf dass der mehr Lärm mache, so ist er unrein. Auch der Sattel, auf dem er reitet, ist unrein. Und er und seine Maschine sollen dem Bann verfallen. Fährt er aber fort, auf ihr herumzudüsen, so soll er des Todes sterben. Die Motocrossfahrer sollst du nicht am Leben lassen." So unerbittlich zeigte Gernhardt sich selten. 1992 trug er sich sogar mit dem menschenfreundlichen Gedanken, die perfekte Route für Toskana-Liebhaber zu entwickeln. Ihr Name: "Strada dello Studienrat". Gedacht war sie für die Freunde der lautlosen Fortbewegung, die Radfahrer.

Robert Gernhardt: "Toscana Mia".

Herausgegeben von Kristina Maidt-Zinke. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2011. 358 S., Abb., geb., 22,95 Euro.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Voll des Lobes ist Rezensent Gustav Seibt nach der Lektüre von Robert Gernhardts nachgelassenen Aufzeichnungen zu "Toscana mia". Der Dichter und Denker sei hier noch einmal auf seiner ganzen "dialektischen Höhe". Scheinbar anstrengungslos, voll Grazie und in sich "wie von selbst fügenden Rhythmen" lasse er den Leser an drei Jahrzehnten in seinem Landhaus im italienischen Montaio teilhaben. Seibt schaut mit Gernhardt aus dem Blickwinkel der sogenannten bundesdeutschen, politisch linken "Toscana-Fraktion" auf die Entwicklung Italiens: das Land der kommunistischen Sommerfeste wird zu einem Land dämlicher Fernsehshows und einer "Politik des Egoismus". Nicht zuletzt hebt der Rezensent die Entscheidung der Herausgeberin lobend hervor, der Chronologie der Notizen, Entwürfe und Zeichnungen in Gernhardts Schreibheften zu folgen: nur so werde man dessen Themenfülle und "nimmermüder Beobachtungsgabe" gerecht.

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