Dieser Krimi ist der erste Band einer Marseille-Trilogie. Hier erscheint zum ersten Mal der gemütliche Inspektor Fabio Montale, Ex-68er, Liebhaber von Olivenöl-Gerichten, zuständig für die Nordviertel von Marseille. Er muß jetzt den Mord an einem Verbrecher aufklären, einem Jugendfreund. Und er kommt nicht umhin, über seine Kindheit nachzudenken. Eine nostalgische Erinnerung an das frühere Marseille.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2000 Lesetipp zum Wochenende
Ein einsames Geschäft
„Total Cheops” – ein Marseille-Krimi von Jean-Claude Izzo
Marseille gegen Ende des vorigen Jahrtausends. Die große Zeit des Mobs, der italiengesteuerten Mafia ist vorüber. Es kommt das Zeitalter der Faschisten. „Sie wollen Marseille säubern. Träumen davon, die ganze Stadt abzufackeln. Ein großes Inferno, ausgehend von den nördlichen Vierteln. Meuten junger Leute beim Plündern . . . Sie stützen sich auf die Dealer und ihre Netze. Sie sollen Druck auf die Jungen ausüben. ”
Vier Jungen und Mädchen in einem Raum, eine Flasche Whisky, auf dem Tisch ein Roman, „Der Tod ist ein einsames Geschäft” von Ray Bradbury. Allah ist groß. Und Chivas ist sein Prophet. Die Hitze, die Nervosität, die Unsicherheit. Auf dem Balkon liegt ein Toter, sie haben ihn umgebracht, weil er dabei war, als eine fünfte aus ihrer Familie, Leila, grausam vergewaltigt, danach erschossen wurde. Nun muss Fabio Montale, der kleine Inspektor, der Leilas Freund war, versuchen, das Leben der Vier wieder in Ordnung zu bringen.
Eine kleine Szene der Unschuld am Ende einer Spirale der Gewalt, in einem gewaltigen, gewalttätigen Chaos – „Total Cheops”, nennen die Rapper diesen Moment sozialer Ekstase – von organisiertem Verbrechen und sozialer Misere, von Hasch und Crack und Rap, von Ausländerfeindschaft und Rassenhass. Die Hafenstadt Marseille, das Zentrum des Südens, zwischen Spanien, Italien, Algerien. Ein Schmelztiegel der Hoffnungen und Enttäuschungen.
Marseille hat den Großstadtwahn – Hauptstadt des Südens. Aber die Canebière ist nun verwaist, und die Viertel verkommen. Man kommt am Morgen an, hieß es früher, und weiß nicht, wie man sein Essen mittags kriegen wird. Aber man bleibt und wartet und hofft.
Es geht ums Elementare in den Romanen von Jean-Claude Izzo. In seiner Jugend, als er seine Schlosserlehre beendet hatte, ist er nach Djibouti aufgebrochen. „Ich wollte das Rote Meer sehen und das Haus von Rimbaud. ”
Die Dichter des französischen Südens spuken durch das Buch, Pagnol natürlich, aber auch Louis Brauqier, der Lieblingsdichter von Fabio und seinen Freunden Ugo und Manu – deren Tod Fabio klären, rächen will. „Wir sind heute ohne Schatten und Geheimnis, arm und vom Geist verlassen. ” „Total Cheops” war der erste Krimi von Izzos Marseille-Trilogie, 1995, er schrieb ihn mit fünfzig. Als er starb, Ende Januar dieses Jahres, das war, als hätte die Stadt ihr Gedächtnis verloren. Izzo war für Marseille, was Malet für Paris, Hammett für San Francisco, Jerome Charyn für New York war.
Es geht um die wesentlichen Dinge. Ein Refugium, eine Hütte am Meer. „Ich wohnte außerhalb von Marseille, in Les Goudes, dem vorletzten kleinen Hafen vor den Felsbuchten . . . Einen Kilometer weiter endet die Straße. ”
Ein kleines Schlafzimmer und eine große Wohnküche. Ein Boot, mit dem man zum Fischen aufs Meer fährt oder zum späten Abendessen allein unterm Sternenhimmel. Lieder von Marino Marini oder Miles Davis. Pastis, Kabeljauzungen in Bierteig, Pizza mit Tintenfisch . . . Manchmal sind Frauen dabei, und über allem der Duft von Zimt, der von Basilikum. „Hatte ich Ehre? Ich war der letzte Erbe aller Erinnerungen. ”
Das Elementare. Die Erinnerungen. Wissen, zu welchen Frauen man wann kommen kann, was man erwarten und fordern kann von ihnen. Und mit welcher man schließlich weggehen kann, nicht für immer, aber für jene gewisse Zeit, die man braucht, um Abstand zu gewinnen von Marseille. „Gib uns den Geschmack nach Sünde und Erde wieder”, heißt es bei Louis Brauquier, „der uns erregt und dem wir uns zitternd hingeben. ”
FRITZ GÖTTLER
JEAN-CLAUDE IZZO: Total Cheops. Roman. Aus dem Französischen von Katarina Grän und Ronald Voullié. Unionsverlag, Zürich 2000. 251 S. , 16,90 Mark.
*
Nicole Immler hat die Besprechung der Wittgenstein-Studienausgabe geschrieben in der SZ am Wochenende heute – der Name wurde leider unvollständig wiedergegeben. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen.
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Ein einsames Geschäft
„Total Cheops” – ein Marseille-Krimi von Jean-Claude Izzo
Marseille gegen Ende des vorigen Jahrtausends. Die große Zeit des Mobs, der italiengesteuerten Mafia ist vorüber. Es kommt das Zeitalter der Faschisten. „Sie wollen Marseille säubern. Träumen davon, die ganze Stadt abzufackeln. Ein großes Inferno, ausgehend von den nördlichen Vierteln. Meuten junger Leute beim Plündern . . . Sie stützen sich auf die Dealer und ihre Netze. Sie sollen Druck auf die Jungen ausüben. ”
Vier Jungen und Mädchen in einem Raum, eine Flasche Whisky, auf dem Tisch ein Roman, „Der Tod ist ein einsames Geschäft” von Ray Bradbury. Allah ist groß. Und Chivas ist sein Prophet. Die Hitze, die Nervosität, die Unsicherheit. Auf dem Balkon liegt ein Toter, sie haben ihn umgebracht, weil er dabei war, als eine fünfte aus ihrer Familie, Leila, grausam vergewaltigt, danach erschossen wurde. Nun muss Fabio Montale, der kleine Inspektor, der Leilas Freund war, versuchen, das Leben der Vier wieder in Ordnung zu bringen.
Eine kleine Szene der Unschuld am Ende einer Spirale der Gewalt, in einem gewaltigen, gewalttätigen Chaos – „Total Cheops”, nennen die Rapper diesen Moment sozialer Ekstase – von organisiertem Verbrechen und sozialer Misere, von Hasch und Crack und Rap, von Ausländerfeindschaft und Rassenhass. Die Hafenstadt Marseille, das Zentrum des Südens, zwischen Spanien, Italien, Algerien. Ein Schmelztiegel der Hoffnungen und Enttäuschungen.
Marseille hat den Großstadtwahn – Hauptstadt des Südens. Aber die Canebière ist nun verwaist, und die Viertel verkommen. Man kommt am Morgen an, hieß es früher, und weiß nicht, wie man sein Essen mittags kriegen wird. Aber man bleibt und wartet und hofft.
Es geht ums Elementare in den Romanen von Jean-Claude Izzo. In seiner Jugend, als er seine Schlosserlehre beendet hatte, ist er nach Djibouti aufgebrochen. „Ich wollte das Rote Meer sehen und das Haus von Rimbaud. ”
Die Dichter des französischen Südens spuken durch das Buch, Pagnol natürlich, aber auch Louis Brauqier, der Lieblingsdichter von Fabio und seinen Freunden Ugo und Manu – deren Tod Fabio klären, rächen will. „Wir sind heute ohne Schatten und Geheimnis, arm und vom Geist verlassen. ” „Total Cheops” war der erste Krimi von Izzos Marseille-Trilogie, 1995, er schrieb ihn mit fünfzig. Als er starb, Ende Januar dieses Jahres, das war, als hätte die Stadt ihr Gedächtnis verloren. Izzo war für Marseille, was Malet für Paris, Hammett für San Francisco, Jerome Charyn für New York war.
Es geht um die wesentlichen Dinge. Ein Refugium, eine Hütte am Meer. „Ich wohnte außerhalb von Marseille, in Les Goudes, dem vorletzten kleinen Hafen vor den Felsbuchten . . . Einen Kilometer weiter endet die Straße. ”
Ein kleines Schlafzimmer und eine große Wohnküche. Ein Boot, mit dem man zum Fischen aufs Meer fährt oder zum späten Abendessen allein unterm Sternenhimmel. Lieder von Marino Marini oder Miles Davis. Pastis, Kabeljauzungen in Bierteig, Pizza mit Tintenfisch . . . Manchmal sind Frauen dabei, und über allem der Duft von Zimt, der von Basilikum. „Hatte ich Ehre? Ich war der letzte Erbe aller Erinnerungen. ”
Das Elementare. Die Erinnerungen. Wissen, zu welchen Frauen man wann kommen kann, was man erwarten und fordern kann von ihnen. Und mit welcher man schließlich weggehen kann, nicht für immer, aber für jene gewisse Zeit, die man braucht, um Abstand zu gewinnen von Marseille. „Gib uns den Geschmack nach Sünde und Erde wieder”, heißt es bei Louis Brauquier, „der uns erregt und dem wir uns zitternd hingeben. ”
FRITZ GÖTTLER
JEAN-CLAUDE IZZO: Total Cheops. Roman. Aus dem Französischen von Katarina Grän und Ronald Voullié. Unionsverlag, Zürich 2000. 251 S. , 16,90 Mark.
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Nicole Immler hat die Besprechung der Wittgenstein-Studienausgabe geschrieben in der SZ am Wochenende heute – der Name wurde leider unvollständig wiedergegeben. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen.
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