Kaum jemand hat sich intensiver mit den Mechanismen und Medien nationalsozialistischer und faschistischer Propaganda auseinandergesetzt als Siegfried Kracauer. Den Propagandafilm beschreibt er etwa als Versuch, die Tatsache zu kaschieren, daß seine Wirklichkeit einzig die von Potemkinschen Dörfern ist: eine Hülle ohne jede Tiefe. Auch in seiner großen, zu Lebzeiten unpublizierten Studie Totalitäre Propaganda ist die Wirklichkeit reiner Schein, der aber, um nicht als solcher enthüllt zu werden, auf Dauer gestellt werden muß. Totalitäre Propaganda ist ein Meisterwerk ihres Genres und erscheint hier erstmals mit zusätzlichen, bisher unveröffentlichten Dokumenten, u. a. der von Theodor W. Adorno erstellten gekürzten Fassung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2013Texte nicht verhunzen
Während seiner Pariser Emigrationsjahre, die er im Nachhinein als die dunkelsten seines Lebens bezeichnete, erhielt Siegfried Kracauer vom Institut für Sozialforschung, mittlerweile in New York angesiedelt, den Auftrag, eine Studie über "Masse und Propaganda" anzufertigen. Als Vermittler fungierte Theodor Wiesengrund, einst Kracauers Schüler, nun Horkheimers rechte Hand. Mit Kracauers um die Jahreswende 1937/38 abgelieferten Text "Totalitäre Propaganda" war man im Institut nicht recht zufrieden. Er sei zwar literarisch brauchbar, aber theoretisch genüge er den Ansprüchen nicht, schrieb der Freund, der nun Adorno hieß, in einem internen Gutachten. Und machte sich sogleich daran, den Text zu retten. Diese Fassung war bislang unveröffentlicht; auch in Kracauers Werke Band 2,2 über die Studien zu Massenmedien und Propaganda hatte sie keinen Eingang gefunden. Nun aber kann man sie in einem von Bernd Stiegler herausgegebenen Band endlich lesen. Die redigierte Kurzfassung hat nicht mehr viel mit Kracauers Originaltext zu tun: Der argumentative Hauptstrang ist zur Nebensache geworden, die historische Genealogie zugunsten einer hermetischen synthetisierenden Betrachtung aufgegeben worden; und auch literarisch ist der Text adornisiert worden. Kracauer verweigerte trotz großer Not das Imprimatur. Man kann die Kränkung nachvollziehen, die Adornos gutgemeinter, aber bornierter Vorschlag bedeutete. (Siegfried Kracauer: "Totalitäre Propaganda". Hrsg. und mit einem Nachw. von Bernd Stiegler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 338 S., br., 18,- [Euro].)
jsp
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Während seiner Pariser Emigrationsjahre, die er im Nachhinein als die dunkelsten seines Lebens bezeichnete, erhielt Siegfried Kracauer vom Institut für Sozialforschung, mittlerweile in New York angesiedelt, den Auftrag, eine Studie über "Masse und Propaganda" anzufertigen. Als Vermittler fungierte Theodor Wiesengrund, einst Kracauers Schüler, nun Horkheimers rechte Hand. Mit Kracauers um die Jahreswende 1937/38 abgelieferten Text "Totalitäre Propaganda" war man im Institut nicht recht zufrieden. Er sei zwar literarisch brauchbar, aber theoretisch genüge er den Ansprüchen nicht, schrieb der Freund, der nun Adorno hieß, in einem internen Gutachten. Und machte sich sogleich daran, den Text zu retten. Diese Fassung war bislang unveröffentlicht; auch in Kracauers Werke Band 2,2 über die Studien zu Massenmedien und Propaganda hatte sie keinen Eingang gefunden. Nun aber kann man sie in einem von Bernd Stiegler herausgegebenen Band endlich lesen. Die redigierte Kurzfassung hat nicht mehr viel mit Kracauers Originaltext zu tun: Der argumentative Hauptstrang ist zur Nebensache geworden, die historische Genealogie zugunsten einer hermetischen synthetisierenden Betrachtung aufgegeben worden; und auch literarisch ist der Text adornisiert worden. Kracauer verweigerte trotz großer Not das Imprimatur. Man kann die Kränkung nachvollziehen, die Adornos gutgemeinter, aber bornierter Vorschlag bedeutete. (Siegfried Kracauer: "Totalitäre Propaganda". Hrsg. und mit einem Nachw. von Bernd Stiegler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 338 S., br., 18,- [Euro].)
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