Der Band stellt Leitlinien und markante Konzepte herausragender Protagonisten vor, die in den deutschsprachigen Diskursen des 20. Jahrhunderts eine wirkungsmächtige Rolle gespielt haben: Rosa Luxemburg, Karl Kautsky, Ernst Fraenkel, Richard Löwenthal, Herbert Marcuse und viele andere.
Welche Bedeutung hatte linke Totalitarismuskritik in den deutschsprachigen Diskursen des 20. Jahrhunderts und wie entwickelte sie sich? Die Beiträge dieses Bandes untersuchen die verschiedenen Entwicklungsstufen dieser Diskurse und spannen dabei den Bogen von den frühen Analysen und Kritiken in der Weimarer Republik über die Konzeptualisierungen im Exil bis zur Theorie und Praxis im Kalten Krieg. Es wird deutlich, dass Totalitarismuskritik nicht nur eine Domäne von Liberalen und Konservativen war und sich auch keineswegs erst im Zuge des Kalten Krieges herauskristallisierte. Die Verwurzelung im Marxismus musste solchen - Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus einbeziehenden - Analysen nicht im Wege stehen, wie gerade der Fall des frühen sozialistischen Diktaturkritikers und demokratischen Marxisten Karl Kautsky anschaulich zeigt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Welche Bedeutung hatte linke Totalitarismuskritik in den deutschsprachigen Diskursen des 20. Jahrhunderts und wie entwickelte sie sich? Die Beiträge dieses Bandes untersuchen die verschiedenen Entwicklungsstufen dieser Diskurse und spannen dabei den Bogen von den frühen Analysen und Kritiken in der Weimarer Republik über die Konzeptualisierungen im Exil bis zur Theorie und Praxis im Kalten Krieg. Es wird deutlich, dass Totalitarismuskritik nicht nur eine Domäne von Liberalen und Konservativen war und sich auch keineswegs erst im Zuge des Kalten Krieges herauskristallisierte. Die Verwurzelung im Marxismus musste solchen - Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus einbeziehenden - Analysen nicht im Wege stehen, wie gerade der Fall des frühen sozialistischen Diktaturkritikers und demokratischen Marxisten Karl Kautsky anschaulich zeigt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2007Dresden total
Beinahe ein Standardwerk: Ein Buch über die linke Kritik am Totalitarismus ist zum Ideologie-TÜV geraten
In Dresden scheint noch immer die „1968er ‚Kulturrevolution‘” zu toben. Diesen Eindruck erweckt Mike Schmeitzner, Herausgeber eines Bandes über die alte und ruhmreiche Tradition linker Totalitarismuskritik. Die „Kulturrevolution”, so soll man wohl glauben, droht weiterhin das Gespräch über den Totalitarismus zu ersticken – wäre da nicht eine aufrechte antitotalitäre Truppe, die ihren Gefechtsstand in Dresdener Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung aufgeschlagen hat. Dieser Band ist beinahe ein Standardwerk. Doch den oft historisch klugen und theoretisch reflektierten Beiträgen wird Gewalt angetan, indem der Herausgeber sie übers ideologische Knie bricht. Selten hat man in einem historischen Werk so wenig Neugier auf die Geschichte gefunden wie in der Einleitung des Herausgebers.
Gerade die genuin linke Totalitarismuskritik hätte eine würdigere Vorstellung verdient. Seit dem Ende des Kalten Krieges wird diese verschüttete Tradition von der Forschung wiederentdeckt. In Deutschland hat sich besonders Alfons Söllner, im vorliegenden Band mit einem exzellenten Beitrag zur Totalitarismuskritik der Frankfurter Schule vertreten, um diese geistesarchäologische Operation verdient gemacht. Abbott Gleason und William David Jones haben in den USA Standardwerke vorgelegt. Beide Historiker sind leider nicht unter den Autoren des Bandes.
Hingegen nimmt Eckhard Jesse ganz im Sinne des Herausgebers den freiheitlich-demokratischen Gesinnungstest an Herbert Marcuses Totalitarismuskonzeption vor. Das überraschende Ergebnis: Marcuse war kein Anhänger der westlichen Demokratie und des Kapitalismus! Jesse betont, wie sehr Marcuse ein „Kind seiner Zeit” gewesen sei, doch bringt er für eben diese Zeit nicht das geringste Interesse auf. Vergebens sucht man genaue Lektüre der Texte, Rekonstruktion der Entstehungsbedingungen, Analyse der theoretischen Kontexte, Koppelung an die politische Situation, alles, was ordentliche Quellenkritik ausmacht. Stattdessen werden ideologische Kämpfe inszeniert wie in vergangenen Jahrzehnten. Neue Einsichten entstehen so nicht. Es geht ja nicht darum, die problematischen politischen Ansichten Marcuses zu rehabilitieren. Es geht um elementare Standards der historischen Forschung.
Geschichte oder Grundhaltung?
Denn Schmeitzner, Jesse und manch anderer sind überhaupt nicht um Rekonstruktion bemüht, sondern um historische Referenzpunkte ihrer ehrenwerten antitotalitären Grundhaltung. Doch damit wird Geschichtswissenschaft zum ideologischen TÜV reduziert – ironischerweise nicht unähnlich der Funktion der Wissenschaft in totalitären Gesellschaften. Schmeitzner erklärt, es könne auch einen Antitotalitarismus geben, der nur auf ein totalitäres System theoretisch Bezug nimmt – um kurz darauf Franz Neumann die Konzentration auf den Nationalsozialismus vorzuhalten. Dass Neumanns „Behemoth” und sein Engagement gegen Hitler im amerikanischen Geheimdienst der Sache des Westens weitaus mehr gedient haben als die Schriften Franz Borkenaus oder die von Schmeitzner gelobte Polemik Otto Rühles vom braunen und roten Faschismus, bemerkt Schmeitzner nicht einmal. Er stellt seinen Untersuchungsgegenstand lieber auf den politischen „Prüfstand”.
Verwundert nimmt man die Klage zur Kenntnis, besagte „Kulturrevolution” habe eine erinnerungspolitische Vormachtstellung des „nationalsozialistischen Rasseantisemitismus” eingeleitet. Nicht ohne Grund sprechen sich zahlreiche Autoren des Bandes gegen die Vorstellung aus, Totalitarismustheorie sei der wissenschaftliche Weg zur Gleichstellung von Nationalsozialismus und Stalinismus. Schmeitzner mahnt, in den achtziger Jahren hätten die bundesrepublikanischen Parteien die Totalitarismuskritik vernachlässigt. Die maßgeblichen Autoren des Bandes wie die große Mehrheit der Forschung sprechen für die Endphase des sozialistischen Blocks ohnehin von spät- oder posttotalitären oder autoritären Systemen.
Die Fragwürdigkeiten der Einleitung und manches Beitrags dürfen jedoch nicht den Wert des Bandes übersehen lassen. Mit diesem Werk liegt neben Söllners Sammelband von 1997 das wichtigste deutschsprachige Handbuch zur Geschichte der linken Totalitarismustheorie vor. Die Lektüre von Werner Müllers Beitrag schützt vor der Verklärung Rosa Luxemburgs. Jürgen Zaruskys glanzvolles Porträt von Karl Kautsky stellt den ersten linken Totalitarismustheoretiker vor. Uli Schöler schreitet zur Ehrenrettung der Exil-Menschewiken gegen ihre Verächter wie Jörg Baberowski.
Gerhard Besier zeigt an Eduard Heimann und Clemens Vollnhals an Franz Borkenau, dass man auch am Hannah-Arendt-Institut historische Neugier, sorgfältige Rekonstruktion und elegante Darstellung schätzt. Bernd Faulenbach schließlich analysiert nicht nur auf gelungene Weise das Verhältnis von Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik – die antitotalitäre Urkonstellation der Linken –, sondern auch die Haltung der Sozialdemokraten 1989/90. Trotz mancher Vorbehalte gegen die Wiedervereinigung, so zeigt Faulenbach, standen SPD und ostdeutsche SDP ganz in der Tradition des linken Antitotalitarismus. TIM B. MÜLLER
MIKE SCHMEITZNER (Hrsg.): Totalitarismuskritik von links. Deutsche Diskurse im 20. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 405 Seiten, 42,90 Euro.
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Beinahe ein Standardwerk: Ein Buch über die linke Kritik am Totalitarismus ist zum Ideologie-TÜV geraten
In Dresden scheint noch immer die „1968er ‚Kulturrevolution‘” zu toben. Diesen Eindruck erweckt Mike Schmeitzner, Herausgeber eines Bandes über die alte und ruhmreiche Tradition linker Totalitarismuskritik. Die „Kulturrevolution”, so soll man wohl glauben, droht weiterhin das Gespräch über den Totalitarismus zu ersticken – wäre da nicht eine aufrechte antitotalitäre Truppe, die ihren Gefechtsstand in Dresdener Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung aufgeschlagen hat. Dieser Band ist beinahe ein Standardwerk. Doch den oft historisch klugen und theoretisch reflektierten Beiträgen wird Gewalt angetan, indem der Herausgeber sie übers ideologische Knie bricht. Selten hat man in einem historischen Werk so wenig Neugier auf die Geschichte gefunden wie in der Einleitung des Herausgebers.
Gerade die genuin linke Totalitarismuskritik hätte eine würdigere Vorstellung verdient. Seit dem Ende des Kalten Krieges wird diese verschüttete Tradition von der Forschung wiederentdeckt. In Deutschland hat sich besonders Alfons Söllner, im vorliegenden Band mit einem exzellenten Beitrag zur Totalitarismuskritik der Frankfurter Schule vertreten, um diese geistesarchäologische Operation verdient gemacht. Abbott Gleason und William David Jones haben in den USA Standardwerke vorgelegt. Beide Historiker sind leider nicht unter den Autoren des Bandes.
Hingegen nimmt Eckhard Jesse ganz im Sinne des Herausgebers den freiheitlich-demokratischen Gesinnungstest an Herbert Marcuses Totalitarismuskonzeption vor. Das überraschende Ergebnis: Marcuse war kein Anhänger der westlichen Demokratie und des Kapitalismus! Jesse betont, wie sehr Marcuse ein „Kind seiner Zeit” gewesen sei, doch bringt er für eben diese Zeit nicht das geringste Interesse auf. Vergebens sucht man genaue Lektüre der Texte, Rekonstruktion der Entstehungsbedingungen, Analyse der theoretischen Kontexte, Koppelung an die politische Situation, alles, was ordentliche Quellenkritik ausmacht. Stattdessen werden ideologische Kämpfe inszeniert wie in vergangenen Jahrzehnten. Neue Einsichten entstehen so nicht. Es geht ja nicht darum, die problematischen politischen Ansichten Marcuses zu rehabilitieren. Es geht um elementare Standards der historischen Forschung.
Geschichte oder Grundhaltung?
Denn Schmeitzner, Jesse und manch anderer sind überhaupt nicht um Rekonstruktion bemüht, sondern um historische Referenzpunkte ihrer ehrenwerten antitotalitären Grundhaltung. Doch damit wird Geschichtswissenschaft zum ideologischen TÜV reduziert – ironischerweise nicht unähnlich der Funktion der Wissenschaft in totalitären Gesellschaften. Schmeitzner erklärt, es könne auch einen Antitotalitarismus geben, der nur auf ein totalitäres System theoretisch Bezug nimmt – um kurz darauf Franz Neumann die Konzentration auf den Nationalsozialismus vorzuhalten. Dass Neumanns „Behemoth” und sein Engagement gegen Hitler im amerikanischen Geheimdienst der Sache des Westens weitaus mehr gedient haben als die Schriften Franz Borkenaus oder die von Schmeitzner gelobte Polemik Otto Rühles vom braunen und roten Faschismus, bemerkt Schmeitzner nicht einmal. Er stellt seinen Untersuchungsgegenstand lieber auf den politischen „Prüfstand”.
Verwundert nimmt man die Klage zur Kenntnis, besagte „Kulturrevolution” habe eine erinnerungspolitische Vormachtstellung des „nationalsozialistischen Rasseantisemitismus” eingeleitet. Nicht ohne Grund sprechen sich zahlreiche Autoren des Bandes gegen die Vorstellung aus, Totalitarismustheorie sei der wissenschaftliche Weg zur Gleichstellung von Nationalsozialismus und Stalinismus. Schmeitzner mahnt, in den achtziger Jahren hätten die bundesrepublikanischen Parteien die Totalitarismuskritik vernachlässigt. Die maßgeblichen Autoren des Bandes wie die große Mehrheit der Forschung sprechen für die Endphase des sozialistischen Blocks ohnehin von spät- oder posttotalitären oder autoritären Systemen.
Die Fragwürdigkeiten der Einleitung und manches Beitrags dürfen jedoch nicht den Wert des Bandes übersehen lassen. Mit diesem Werk liegt neben Söllners Sammelband von 1997 das wichtigste deutschsprachige Handbuch zur Geschichte der linken Totalitarismustheorie vor. Die Lektüre von Werner Müllers Beitrag schützt vor der Verklärung Rosa Luxemburgs. Jürgen Zaruskys glanzvolles Porträt von Karl Kautsky stellt den ersten linken Totalitarismustheoretiker vor. Uli Schöler schreitet zur Ehrenrettung der Exil-Menschewiken gegen ihre Verächter wie Jörg Baberowski.
Gerhard Besier zeigt an Eduard Heimann und Clemens Vollnhals an Franz Borkenau, dass man auch am Hannah-Arendt-Institut historische Neugier, sorgfältige Rekonstruktion und elegante Darstellung schätzt. Bernd Faulenbach schließlich analysiert nicht nur auf gelungene Weise das Verhältnis von Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik – die antitotalitäre Urkonstellation der Linken –, sondern auch die Haltung der Sozialdemokraten 1989/90. Trotz mancher Vorbehalte gegen die Wiedervereinigung, so zeigt Faulenbach, standen SPD und ostdeutsche SDP ganz in der Tradition des linken Antitotalitarismus. TIM B. MÜLLER
MIKE SCHMEITZNER (Hrsg.): Totalitarismuskritik von links. Deutsche Diskurse im 20. Jahrhundert. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 405 Seiten, 42,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Einen zwiespältigen Eindruck hat dieser von Mike Schmeitzner herausgegebene Sammelband über linke Totalitarismuskritik beim Rezensenten Tim B. Müller hinterlassen. Einerseits sieht er in dem Buch "beinahe ein Standardwerk", jedenfalls eines der wichtigsten deutschsprachigen Werke zur Geschichte der linken Totalitarismuskritik. Andererseits hat er an der Einleitung Schmeitzners, dessen Forderungen und Ansichten, aber auch an einigen der Beiträge selbst eine Menge auszusetzen. Er hält dem Herausgeber vor, die von ihm vorgestellten Beiträge "übers ideologische Knie" zu brechen, ihnen somit nicht wirklich gerecht zu werden. Schmeitzner und einigen anderen Autoren wie Eckhard Jesse gehe es nicht um historisches Verstehen, um Reckonstruktion, sondern darum, "historische Referenzpunkte" ihrer "ehrenwerten Grundhaltung" zu benennen. Für Müller entsteht hier der Eindruck der Reduktion von Geschichtswissenschaft zum "Ideologie-TÜV". Gleichwohl will er die Bedeutung des Bandes nicht leugnen, findet er doch eine ganze Reihe von Beiträgen, die sich durch "sorgfältige Rekonstruktion" und gediegene Darstellung auszeichnen. Lobend nennt er in diesen Zusammenhang u.a. die hervorragenden Beiträge Alfons Söllners zur Totalitarismuskritik der Frankfurter Schule, Werner Müllers über Rosa Luxemburg und Jürgen Zaruskys über Karl Kautsky.
© Perlentaucher Medien GmbH
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