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Ist Rot gleich Braun? Totalitarismustheorien gehen von einer Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit linker und rechter Diktaturen aus. Dies war und ist jedoch nicht unbestritten. Der Autor beschreibt die Totalitarismusdiskussion von ihren Anfängen in der faschistischen und antifaschistischen Publizistik Italiens bis in die Gegenwart und diskutiert die politischen und wissenschaftlichen Argumente für und gegen die Verwendung des Totalitarismusansatzes.

Produktbeschreibung
Ist Rot gleich Braun? Totalitarismustheorien gehen von einer Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit linker und rechter Diktaturen aus. Dies war und ist jedoch nicht unbestritten. Der Autor beschreibt die Totalitarismusdiskussion von ihren Anfängen in der faschistischen und antifaschistischen Publizistik Italiens bis in die Gegenwart und diskutiert die politischen und wissenschaftlichen Argumente für und gegen die Verwendung des Totalitarismusansatzes.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.1998

Binsenweisheiten vom hohen Roß
Eine mißratene Geschichte der Totalitarismusdebatte

Wolfgang Wippermann: Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute. Erträge der Forschung, Band 291. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1997. 127 Seiten, 29,80 Mark.

Kaum eine andere Thematik beschäftigt die zeithistorisch interessierte Öffentlichkeit derzeit intensiver als die Frage nach der Vergleichbarkeit der Gewaltregime des Faschismus, des Nationalsozialismus und des Kommunismus, die der mit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems zu Ende gegangenen Epoche ihr Gepräge gegeben haben. Dabei droht das aktuelle Interesse am "Diktaturenvergleich" bisweilen den Blick dafür zu verstellen, daß damit kein Neuland, sondern einer der am stärksten ausgetretenen Pfade politikwissenschaftlicher Theoriebildung eingeschlagen wird. Denn die eine solche Betrachtungsweise beinhaltende Totalitarismuskonzeption gehörte zumindest in den fünfziger und sechziger Jahren zu den für das disziplinäre Selbstverständnis konstitutiven Kernthemen der amerikanischen und der westdeutschen politischen Wissenschaft. In Anbetracht der weitverzweigten Geschichte totalitarismuskritischen Denkens besteht zweifellos ein Bedarf an bilanzierenden Gesamtüberblicken, die Verbindungen herstellen zwischen dieser Theorietradition und der aktuellen Konjunktur diktaturvergleichender Forschungsansätze.

Wer den jetzt von dem Berliner Historiker Wippermann vorgelegten knappen Abriß mit älteren Darstellungen zur selben Thematik vergleicht, erhält einen Eindruck von der Erweiterung des Wissens um die Genese und Entfaltung der Totalitarismusdiskussion. So ist der schon vor mehr als zwei Jahrzehnten zutage geförderte Befund, daß das später zum Synonym für den regimevergleichenden Ansatz gewordene Kunstwort "totalitär" nicht auf den faschistischen Diktator Mussolini, sondern auf dessen demokratisch-rechtsstaatlich orientierte Gegner zurückgeht, nunmehr auch in einer für den Studiengebrauch verfaßten Einführung nachzulesen. Neben die sehr fragmentarisch abgehandelten bekannten Phasen der Theoriegeschichte, die in den "klassischen" Analysen von Hannah Arendt (1951) und Carl Joachim Friedrich (1956) gipfelte, treten in Wippermanns Überblick einige erst in jüngster Zeit erschlossene Diskussionszusammenhänge. So findet die neuerdings von Hans Maier in das Blickfeld gerückte religionsvergleichende Deutungstradition Beachtung, deren Vertreter die pseudoreligiösen Wirkungsmomente totalitärer Regime in den Mittelpunkt stellen. Ein vergleichsweise neuer Interessenschwerpunkt ist auch der Anteil politischer Schriftsteller an der Ausformulierung der Totalitarismusthese. Ehemals kommunistische Autoren wie Koestler, Kantorowicz, Semprún und vor allem natürlich Orwell haben mit ihren autobiographischen Schriften und literarischen Werken wahrscheinlich mehr zur Popularisierung des totalitarismuskritischen Regimevergleichs beigetragen als die im engeren Sinne theoretischen Arbeiten, auf die man die Geschichte des Totalitarismusansatzes früher meist reduziert hat. Eine Erweiterung des Blickfelds bedeutet auch die Einbeziehung Frankreichs, wo die Debatte völlig anders verlief als in Deutschland und in den Vereinigten Staaten. Unter dem Eindruck von Solschenizyns "Archipel GULag" kam es dort erst Mitte der siebziger Jahre zu einer verstärkten Rezeption des zuvor eher verpönten Totalitarismuskonzepts, zu einer Zeit also, als hierzulande die generelle Infragestellung dieses Theorems geläufig war.

Die Problematik dieses Überblicks besteht indes darin, daß die auf nahezu jeder Seite demonstrierte Urteilsfreudigkeit des Autors in keinem Verhältnis zum Gewicht der von ihm vorgebrachten Einwände steht. Wippermann bekennt sich nachdrücklich zu der Ansicht, die einzigartige Qualität des mit Goldhagen als "deutsches Projekt" begriffenen Rassenmordes setze allen Vergleichen zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus enge Grenzen. Statt aber die spezifischen Erkenntnismöglichkeiten des Totalitarismuskonzepts bei der Erklärung staatlich initiierter Massenverbrechen auszuloten, um von daher das Singuläre am nationalsozialistischen Völkermord aufzuzeigen, unterstellt Wippermann eine Art Totalversagen des gesamten Ansatzes gegenüber der "Spezifik des Holocaust". Seine Argumentation in diesem ebenso zentralen wie sensiblen Punkt ist von unübersehbarer tautologischer Schlichtheit, die um so stärker ins Auge fällt, als er vielerorts auf hohem Roß gegen die Vertreter der totalitarismustheoretischen Denktradition anreitet. Hannah Arendt, deren epochemachende Deutung totalitärer Herrschaft unter dem schockierenden Eindruck der Vernichtung des europäischen Judentums entstand, hält Wippermann entgegen, ihre "weitgehende Gleichsetzung" von Kommunismus und Rassismus sei "falsch", denn es gebe schließlich "Unterschiede" zwischen der marxistischen Klassenkampftheorie und der rassenbiologischen "Lehre vom Recht des Stärkeren". Folglich dürfe man - so der die Intention von Arendts Analyse verfehlende Zirkelschluß - die Vernichtung von Rassenfeinden und Klassenfeinden "nicht gleichsetzen". Dem Alterswerk des französischen Revolutionshistorikers François Furet über die kommunistische Idee im zwanzigsten Jahrhundert wird vorgehalten, ihm fehle "jegliches Verständnis für die Gründe und Motive der Diskussion über die Singularität des Holocaust und der deutschen ,Schuld'". Und Wippermanns Kollege Imanuel Geiss, der die Besonderheit des NS-Judenmordes vornehmlich in der technisch-bürokratischen Perfektion seiner Durchführung sieht, bekommt zu hören, er habe "nun wirklich kaum etwas begriffen".

Die Prämissen, die hinter den weit auseinanderklaffenden Urteilen über die Vergleichbarkeit nationalsozialistischer und kommunistischer Massenverbrechen stehen, werden nicht ausführlich erörtert. Statt dessen leistet Wippermann mit seinen häufig im Stile persönlicher Plädoyers formulierten emphatischen Stellungnahmen dem Eindruck Vorschub, als gehe es bei der Debatte um die Brauchbarkeit von Totalitarismustheorien nicht um einen Zugewinn an zeitgeschichtlichen Erkenntnismöglichkeiten, sondern um politische Gesinnungen und rivalisierende Beeinflussungsversuche des intellektuellen Meinungsklimas. Ungeachtet der nicht in Abrede zu stellenden Abhängigkeit des Totalitarismusansatzes von historisch-politischen Konstellationen führt eine solche Auseinandersetzung, in der das geschichtspolitische Bekenntnis an die Stelle des wissenschaftlichen Arguments tritt, in unfruchtbare und an sich längst überwundene Frontstellungen zurück. Wippermann hat offenbar - um die von ihm durchgängig verwandte Terminologie einmal gegen ihn selbst zu richten - weder etwas von der Funktion des Vergleichs im geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisprozeß begriffen, noch hat er die methodischen Operationen verstanden, mittels deren Historiker zu über Binsenweisheiten hinausreichenden Feststellungen über Singuläres und Allgemeines in komplexen Ereigniszusammenhängen gelangen. Darüber hinaus ist daran zu erinnern, daß nicht nur die empirische Diktaturforschung der Gegenwart, sondern auch die Mehrzahl der von Wippermann kritisierten Theoretiker zwischen platter Gleichsetzung und methodisch reflektierter Typusbildung sehr wohl zu unterscheiden wissen. MARKUS HUTTNER

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