Kommissar Bröhmann hat den Dienst noch nie sehr geliebt. Und er hat die Nase ziemlich voll von der Provinz, den Kollegen, dem diktatorischen Vater. Mit dem reist er eines Tages nach Berlin: Beerdigung eines alten Kollegen. Dort passiert etwas Unerwartetes; kurz darauf ist der Vater verschwunden. Henning geht der Sache nach und kommt einer alten Geschichte auf die Spur. Ein Mann verschwand vor Jahrzehnten hinter Gittern und schwor Rache; nun sterben in der Gegenwart Menschen - und Hunde! Vielleicht ist das Polizistenleben doch nicht so langweilig im Vogelsberg...
Dies ist eine Touristenfalle, n'est-ce pas?
Der Aroma-Roman, die neueste Variante des Regionalkrimis
Der Regionalkrimi kam in den achtziger Jahren auf. Ursprünglich verband sich mit ihm die Absicht, Verbrechensgeschichten "von unten" zu schreiben, also mit ethnographischer Kenntnis über lokale Verstrickungen. Inzwischen gibt es ein Internetportal, auf dem man eine Karte anklicken kann, um Krimis nach Bundesländern sortiert zu bekommen. Auf den Buchcovern steht "Wiesbaden-Krimi" oder "Alpen-Krimi" oder "Tatort Niederrhein". Unter jedem dieser Titel sind mehrere Autoren tätig. Ganze Verlage haben ein Programm auf regionalem Morden aufgebaut.
Wie kommt das? Handelt es sich um ein literarisches Pendant zum ausgeprägten Föderalismus ohne Metropolentradition? Die starke Regionalisierung der Fernsehkrimis, die an der Struktur der Anstalten hängt, wäre dazu der Vorläufer. Der Erfolg von "Midsomer Murders", wie Inspektor Barnabys Fälle im Original heißen, zeigt aber an, dass auch in ausgesprochen zentralistischen Ländern der Wunsch nach heimatlich-unheimlichen Peripherien blüht.
Man könnte lakonisch sagen: Irgendwo müssen Romane ja spielen. Insofern sind alle Romane irgendwie Regionalromane, von "Wilhelm Meister", "Moby Dick" oder "Krieg und Frieden" mal abgesehen. Doch auch wenn sich das Romanpersonal nicht stark im Raum bewegt, zögert man, "Madame Bovary" einen Normandie-Roman zu nennen. Anders beim Kriminalroman. Man kommt in den Laden, um ein Exemplar der Gattung zu kaufen. Gerade deshalb ist der Aufstieg des Regionalkrimis bemerkenswert - weil auf seinem Cover jetzt zwei Genrebezeichnungen stehen: Krimi und Schauplatz.
Auch bei Kriminalromanen waren natürlich die Schauplätze nie gleichgültig. Lokales Wissen ist bei jedem Mord wichtig, ob nun in Stockholm oder im erfundenen südwestenglischen Causton: Topographien, Kleinmilieus, die Kenntnis der ortsansässigen Wirtschaft, der kommunalen Elite. Die Leser zu unbekannten Orten mitzunehmen passte außerdem seit jeher gut zur Aufforderung an sie, jedes Detail für eventuell wichtig zu halten.
Es muss mithin einen besondern Grund geben, auf den Buchdeckel eigens draufzuschreiben, wo ermittelt wird. Genauer sind es wohl zwei Gründe, beide liegen im Buchmarkt. Denn was kann es für Motive geben, einen "Darmstadt-" oder einen "Nordfriesland-Krimi" zu erwerben? Angesichts der jeweiligen Besiedlungsdichte sind es wohl unterschiedliche. In Darmstadt wird die lokale Mitleserschaft angesprochen. Das Motiv liegt im Versprechen des Wiedererkennens. Man unterstellt es automatisch: Inzwischen sind die ersten Klagen von Leuten zu hören, denen zum dritten Mal derselbe Darmstadt-Krimi geschenkt wurde. Über den Kreis der Ortsansässigen und ihrer Bekannten hinaus dürfte die pure Tatsache, dass in Darmstadt gemordet wurde, aber kein Kaufmotiv sein.
Wäre andererseits der Sylt-Krimi auf lesende Eingeborene angewiesen, hätte er keinen großen Markt. Bei diesem Typ Regionalkrimi sind es gerade die Ortsfremden, für die produziert wird. Nirgendwo zeigt sich das gerade deutlicher als in den "französischen" von Jean-Luc Bannalec, die ein deutscher Bretagne-Tourist für deutsche Touristen schreibt, denen gerade im selben Verlag aufmachungsähnlich ein Côte-d'Azur-Krimi folgt. Der Ermittler kommt gerade aus Paris, teilt also angeblich die Fremdheit mit dem Leser. Auch ihm muss erklärt werden, was ein Pan Bagnat ist - obwohl das ungefähr so ist, als wüsste ein Berliner Kommissar nicht, was Weißwürste sind. Auch der Pariser schwärmt in einem fort von Landschaft, Küche, Südlichkeit und geht in Cannes sogar zu Fuß, weil er "ein bisschen Festivalatmosphäre schnuppern" will.
Wie bei Bannalec wird also auch hier ständig touristisch nachgewürzt. So wie man in der Bretagne nicht Meeresfrüchte, sondern "fruits de mer" bestellt, so werden in Cannes die Personen ständig als Monsieur le Commissaire und Monsieur le Procureur angesprochen, auch wenn sie sich selbst als Kommissar oder Staatsanwalt vorstellen. Ständig wird ein n'est-ce pas, bon courage, bienvenue, bonne journée oder merde eingestreut. Ständig geht es ums Essen und Trinken, denn Tourismus heißt Speisekarte.
Kein Klischee bleibt dabei ungenutzt, von den vollerotisierten Beziehungen der Franzosen über die Yachten im Hafen, die kleinen Restaurants mit phantastischen Gerichten für ganz wenig Geld bis zur unbeschreiblichen Eitelkeit der Lokalfunktionäre. Auch hier soll der Leser also wiedererkennen, nur eben nicht eine Nahumwelt, sondern den Ferienprospekt, den Spielfilm und das, was für ihn als Käufer vor Ort eingerichtet wurde. Der Kriminalroman selbst ist mehr der Träger dieser Verkaufe als eine Geschichte eigenen Gewichts.
Noch einen Schritt weiter geht im Genre der Touristenabschöpfung Johannes Hucke, der einen "Weinkrimi" vorgelegt hat, den der Verlag zugleich als "Berlin-Spanien-Krimi" bezeichnet. Weinkrimi hier im Sinne von Weingummi - das Buch soll nach Wein schmecken und wendet sich an Leser, die von Beschreibungen wie "rote Früchte mit Tabaknoten" oder "Saft und Samt, in Fülle ausharmonisiert" nicht genug bekommen können. Der Roman ist ganz offen - "Eine Cuvée, oder?" - als Dauerwerbesendung für einen Berliner Importeur spanischer Weine geschrieben. Ob verschiedene Restaurants, die erwähnt werden und deren Adressen sich im Anhang finden, an der Finanzierung des Buches beteiligt waren, ist unklar.
Das Product-Placement jedenfalls fordert literarische Opfer, etwa wenn eine Gruppe mit dem Tode bedrohter Weinfreunde sich kurz vor dem befürchteten Ende noch an einer Flasche laben. Die hat ihnen der Auftragskiller hinterlassen, vermutlich weil auch er weiß, dass sich seine Existenz dem Umsatz mit Rotem verdankt. Im Angesichts des Todes sind noch die letzten Gedanken Reklame: "Dieser Ambata Mencia aus der D.O. Bierzo, von manchen schon als zweiter Priorat gepriesen, verströmte eine Tiefe und Frische, die unter Normalbedingungen alle Aufmerksamkeit beanspruchte." Dass Hucke schreiben kann, macht diese Form literarischen Panschens nicht besser. Aber vielleicht muss man gar nicht normativ reagieren. Neben der Kasse liegen jetzt neben überteuertem Senf eben auch gedruckte Aromabeutel.
Gibt es zwischen dem Geschenkbuch für Einheimische und der Touristenfalle noch andere Möglichkeiten eines Regionalkrimis, der mehr als ein Krimi mit einem Schauplatz ist? Dietrich Fabers "Tote Hunde beißen nicht" ergreift eine davon, die ihn allerdings aus der Gattung fast hinausführt. Denn hier erscheint die hessische Provinz zwischen Nidda und Alsfeld als reines Kabarett, bevölkert von dialektsprechenden Nervensägen - "Tut mir escht sorry" -, voller Familienkatastrophen und loriothafter Alltagsgrenzwerte. Heimat als des Schrecklichen Anfang und Dableiben als Mittäterschaft: eine hessische Antwort auf David Schalkos geniale Fernsehserie "Braunschlag", wo ja auch das eine oder andere Verbrechen hereinspielt. So übersetzt sich "Regionalkrimi" als "Heimatroman mit Polizisten". Was die Region und die Polizisten und das Erzählen angeht, ist das auf jeden Fall die bessere Lösung, auch wenn es sich dann nur noch zufälligerweise um einen Krimi handelt.
JÜRGEN KAUBE
Christine Cazon: "Mörderische Côte d'Azur". Der erste Fall für Kommissar Duval. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 336 S., br., 9,99 [Euro].
Johannes Hucke: "Das Mesa-Projekt. Weinkrimi". Info Verlag/Lindemanns Bibliothek, Karlsruhe 2013. 232 S., br., 13,90 [Euro].
Dietrich Faber: "Tote Hunde beißen nicht". Bröhmann ermittelt wieder. Verlag Rowohlt Polaris, Reinbek 2014. 288 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Aroma-Roman, die neueste Variante des Regionalkrimis
Der Regionalkrimi kam in den achtziger Jahren auf. Ursprünglich verband sich mit ihm die Absicht, Verbrechensgeschichten "von unten" zu schreiben, also mit ethnographischer Kenntnis über lokale Verstrickungen. Inzwischen gibt es ein Internetportal, auf dem man eine Karte anklicken kann, um Krimis nach Bundesländern sortiert zu bekommen. Auf den Buchcovern steht "Wiesbaden-Krimi" oder "Alpen-Krimi" oder "Tatort Niederrhein". Unter jedem dieser Titel sind mehrere Autoren tätig. Ganze Verlage haben ein Programm auf regionalem Morden aufgebaut.
Wie kommt das? Handelt es sich um ein literarisches Pendant zum ausgeprägten Föderalismus ohne Metropolentradition? Die starke Regionalisierung der Fernsehkrimis, die an der Struktur der Anstalten hängt, wäre dazu der Vorläufer. Der Erfolg von "Midsomer Murders", wie Inspektor Barnabys Fälle im Original heißen, zeigt aber an, dass auch in ausgesprochen zentralistischen Ländern der Wunsch nach heimatlich-unheimlichen Peripherien blüht.
Man könnte lakonisch sagen: Irgendwo müssen Romane ja spielen. Insofern sind alle Romane irgendwie Regionalromane, von "Wilhelm Meister", "Moby Dick" oder "Krieg und Frieden" mal abgesehen. Doch auch wenn sich das Romanpersonal nicht stark im Raum bewegt, zögert man, "Madame Bovary" einen Normandie-Roman zu nennen. Anders beim Kriminalroman. Man kommt in den Laden, um ein Exemplar der Gattung zu kaufen. Gerade deshalb ist der Aufstieg des Regionalkrimis bemerkenswert - weil auf seinem Cover jetzt zwei Genrebezeichnungen stehen: Krimi und Schauplatz.
Auch bei Kriminalromanen waren natürlich die Schauplätze nie gleichgültig. Lokales Wissen ist bei jedem Mord wichtig, ob nun in Stockholm oder im erfundenen südwestenglischen Causton: Topographien, Kleinmilieus, die Kenntnis der ortsansässigen Wirtschaft, der kommunalen Elite. Die Leser zu unbekannten Orten mitzunehmen passte außerdem seit jeher gut zur Aufforderung an sie, jedes Detail für eventuell wichtig zu halten.
Es muss mithin einen besondern Grund geben, auf den Buchdeckel eigens draufzuschreiben, wo ermittelt wird. Genauer sind es wohl zwei Gründe, beide liegen im Buchmarkt. Denn was kann es für Motive geben, einen "Darmstadt-" oder einen "Nordfriesland-Krimi" zu erwerben? Angesichts der jeweiligen Besiedlungsdichte sind es wohl unterschiedliche. In Darmstadt wird die lokale Mitleserschaft angesprochen. Das Motiv liegt im Versprechen des Wiedererkennens. Man unterstellt es automatisch: Inzwischen sind die ersten Klagen von Leuten zu hören, denen zum dritten Mal derselbe Darmstadt-Krimi geschenkt wurde. Über den Kreis der Ortsansässigen und ihrer Bekannten hinaus dürfte die pure Tatsache, dass in Darmstadt gemordet wurde, aber kein Kaufmotiv sein.
Wäre andererseits der Sylt-Krimi auf lesende Eingeborene angewiesen, hätte er keinen großen Markt. Bei diesem Typ Regionalkrimi sind es gerade die Ortsfremden, für die produziert wird. Nirgendwo zeigt sich das gerade deutlicher als in den "französischen" von Jean-Luc Bannalec, die ein deutscher Bretagne-Tourist für deutsche Touristen schreibt, denen gerade im selben Verlag aufmachungsähnlich ein Côte-d'Azur-Krimi folgt. Der Ermittler kommt gerade aus Paris, teilt also angeblich die Fremdheit mit dem Leser. Auch ihm muss erklärt werden, was ein Pan Bagnat ist - obwohl das ungefähr so ist, als wüsste ein Berliner Kommissar nicht, was Weißwürste sind. Auch der Pariser schwärmt in einem fort von Landschaft, Küche, Südlichkeit und geht in Cannes sogar zu Fuß, weil er "ein bisschen Festivalatmosphäre schnuppern" will.
Wie bei Bannalec wird also auch hier ständig touristisch nachgewürzt. So wie man in der Bretagne nicht Meeresfrüchte, sondern "fruits de mer" bestellt, so werden in Cannes die Personen ständig als Monsieur le Commissaire und Monsieur le Procureur angesprochen, auch wenn sie sich selbst als Kommissar oder Staatsanwalt vorstellen. Ständig wird ein n'est-ce pas, bon courage, bienvenue, bonne journée oder merde eingestreut. Ständig geht es ums Essen und Trinken, denn Tourismus heißt Speisekarte.
Kein Klischee bleibt dabei ungenutzt, von den vollerotisierten Beziehungen der Franzosen über die Yachten im Hafen, die kleinen Restaurants mit phantastischen Gerichten für ganz wenig Geld bis zur unbeschreiblichen Eitelkeit der Lokalfunktionäre. Auch hier soll der Leser also wiedererkennen, nur eben nicht eine Nahumwelt, sondern den Ferienprospekt, den Spielfilm und das, was für ihn als Käufer vor Ort eingerichtet wurde. Der Kriminalroman selbst ist mehr der Träger dieser Verkaufe als eine Geschichte eigenen Gewichts.
Noch einen Schritt weiter geht im Genre der Touristenabschöpfung Johannes Hucke, der einen "Weinkrimi" vorgelegt hat, den der Verlag zugleich als "Berlin-Spanien-Krimi" bezeichnet. Weinkrimi hier im Sinne von Weingummi - das Buch soll nach Wein schmecken und wendet sich an Leser, die von Beschreibungen wie "rote Früchte mit Tabaknoten" oder "Saft und Samt, in Fülle ausharmonisiert" nicht genug bekommen können. Der Roman ist ganz offen - "Eine Cuvée, oder?" - als Dauerwerbesendung für einen Berliner Importeur spanischer Weine geschrieben. Ob verschiedene Restaurants, die erwähnt werden und deren Adressen sich im Anhang finden, an der Finanzierung des Buches beteiligt waren, ist unklar.
Das Product-Placement jedenfalls fordert literarische Opfer, etwa wenn eine Gruppe mit dem Tode bedrohter Weinfreunde sich kurz vor dem befürchteten Ende noch an einer Flasche laben. Die hat ihnen der Auftragskiller hinterlassen, vermutlich weil auch er weiß, dass sich seine Existenz dem Umsatz mit Rotem verdankt. Im Angesichts des Todes sind noch die letzten Gedanken Reklame: "Dieser Ambata Mencia aus der D.O. Bierzo, von manchen schon als zweiter Priorat gepriesen, verströmte eine Tiefe und Frische, die unter Normalbedingungen alle Aufmerksamkeit beanspruchte." Dass Hucke schreiben kann, macht diese Form literarischen Panschens nicht besser. Aber vielleicht muss man gar nicht normativ reagieren. Neben der Kasse liegen jetzt neben überteuertem Senf eben auch gedruckte Aromabeutel.
Gibt es zwischen dem Geschenkbuch für Einheimische und der Touristenfalle noch andere Möglichkeiten eines Regionalkrimis, der mehr als ein Krimi mit einem Schauplatz ist? Dietrich Fabers "Tote Hunde beißen nicht" ergreift eine davon, die ihn allerdings aus der Gattung fast hinausführt. Denn hier erscheint die hessische Provinz zwischen Nidda und Alsfeld als reines Kabarett, bevölkert von dialektsprechenden Nervensägen - "Tut mir escht sorry" -, voller Familienkatastrophen und loriothafter Alltagsgrenzwerte. Heimat als des Schrecklichen Anfang und Dableiben als Mittäterschaft: eine hessische Antwort auf David Schalkos geniale Fernsehserie "Braunschlag", wo ja auch das eine oder andere Verbrechen hereinspielt. So übersetzt sich "Regionalkrimi" als "Heimatroman mit Polizisten". Was die Region und die Polizisten und das Erzählen angeht, ist das auf jeden Fall die bessere Lösung, auch wenn es sich dann nur noch zufälligerweise um einen Krimi handelt.
JÜRGEN KAUBE
Christine Cazon: "Mörderische Côte d'Azur". Der erste Fall für Kommissar Duval. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 336 S., br., 9,99 [Euro].
Johannes Hucke: "Das Mesa-Projekt. Weinkrimi". Info Verlag/Lindemanns Bibliothek, Karlsruhe 2013. 232 S., br., 13,90 [Euro].
Dietrich Faber: "Tote Hunde beißen nicht". Bröhmann ermittelt wieder. Verlag Rowohlt Polaris, Reinbek 2014. 288 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2014Dies ist eine Touristenfalle, n'est-ce pas?
Der Aroma-Roman, die neueste Variante des Regionalkrimis
Der Regionalkrimi kam in den achtziger Jahren auf. Ursprünglich verband sich mit ihm die Absicht, Verbrechensgeschichten "von unten" zu schreiben, also mit ethnographischer Kenntnis über lokale Verstrickungen. Inzwischen gibt es ein Internetportal, auf dem man eine Karte anklicken kann, um Krimis nach Bundesländern sortiert zu bekommen. Auf den Buchcovern steht "Wiesbaden-Krimi" oder "Alpen-Krimi" oder "Tatort Niederrhein". Unter jedem dieser Titel sind mehrere Autoren tätig. Ganze Verlage haben ein Programm auf regionalem Morden aufgebaut.
Wie kommt das? Handelt es sich um ein literarisches Pendant zum ausgeprägten Föderalismus ohne Metropolentradition? Die starke Regionalisierung der Fernsehkrimis, die an der Struktur der Anstalten hängt, wäre dazu der Vorläufer. Der Erfolg von "Midsomer Murders", wie Inspektor Barnabys Fälle im Original heißen, zeigt aber an, dass auch in ausgesprochen zentralistischen Ländern der Wunsch nach heimatlich-unheimlichen Peripherien blüht.
Man könnte lakonisch sagen: Irgendwo müssen Romane ja spielen. Insofern sind alle Romane irgendwie Regionalromane, von "Wilhelm Meister", "Moby Dick" oder "Krieg und Frieden" mal abgesehen. Doch auch wenn sich das Romanpersonal nicht stark im Raum bewegt, zögert man, "Madame Bovary" einen Normandie-Roman zu nennen. Anders beim Kriminalroman. Man kommt in den Laden, um ein Exemplar der Gattung zu kaufen. Gerade deshalb ist der Aufstieg des Regionalkrimis bemerkenswert - weil auf seinem Cover jetzt zwei Genrebezeichnungen stehen: Krimi und Schauplatz.
Auch bei Kriminalromanen waren natürlich die Schauplätze nie gleichgültig. Lokales Wissen ist bei jedem Mord wichtig, ob nun in Stockholm oder im erfundenen südwestenglischen Causton: Topographien, Kleinmilieus, die Kenntnis der ortsansässigen Wirtschaft, der kommunalen Elite. Die Leser zu unbekannten Orten mitzunehmen passte außerdem seit jeher gut zur Aufforderung an sie, jedes Detail für eventuell wichtig zu halten.
Es muss mithin einen besondern Grund geben, auf den Buchdeckel eigens draufzuschreiben, wo ermittelt wird. Genauer sind es wohl zwei Gründe, beide liegen im Buchmarkt. Denn was kann es für Motive geben, einen "Darmstadt-" oder einen "Nordfriesland-Krimi" zu erwerben? Angesichts der jeweiligen Besiedlungsdichte sind es wohl unterschiedliche. In Darmstadt wird die lokale Mitleserschaft angesprochen. Das Motiv liegt im Versprechen des Wiedererkennens. Man unterstellt es automatisch: Inzwischen sind die ersten Klagen von Leuten zu hören, denen zum dritten Mal derselbe Darmstadt-Krimi geschenkt wurde. Über den Kreis der Ortsansässigen und ihrer Bekannten hinaus dürfte die pure Tatsache, dass in Darmstadt gemordet wurde, aber kein Kaufmotiv sein.
Wäre andererseits der Sylt-Krimi auf lesende Eingeborene angewiesen, hätte er keinen großen Markt. Bei diesem Typ Regionalkrimi sind es gerade die Ortsfremden, für die produziert wird. Nirgendwo zeigt sich das gerade deutlicher als in den "französischen" von Jean-Luc Bannalec, die ein deutscher Bretagne-Tourist für deutsche Touristen schreibt, denen gerade im selben Verlag aufmachungsähnlich ein Côte-d'Azur-Krimi folgt. Der Ermittler kommt gerade aus Paris, teilt also angeblich die Fremdheit mit dem Leser. Auch ihm muss erklärt werden, was ein Pan Bagnat ist - obwohl das ungefähr so ist, als wüsste ein Berliner Kommissar nicht, was Weißwürste sind. Auch der Pariser schwärmt in einem fort von Landschaft, Küche, Südlichkeit und geht in Cannes sogar zu Fuß, weil er "ein bisschen Festivalatmosphäre schnuppern" will.
Wie bei Bannalec wird also auch hier ständig touristisch nachgewürzt. So wie man in der Bretagne nicht Meeresfrüchte, sondern "fruits de mer" bestellt, so werden in Cannes die Personen ständig als Monsieur le Commissaire und Monsieur le Procureur angesprochen, auch wenn sie sich selbst als Kommissar oder Staatsanwalt vorstellen. Ständig wird ein n'est-ce pas, bon courage, bienvenue, bonne journée oder merde eingestreut. Ständig geht es ums Essen und Trinken, denn Tourismus heißt Speisekarte.
Kein Klischee bleibt dabei ungenutzt, von den vollerotisierten Beziehungen der Franzosen über die Yachten im Hafen, die kleinen Restaurants mit phantastischen Gerichten für ganz wenig Geld bis zur unbeschreiblichen Eitelkeit der Lokalfunktionäre. Auch hier soll der Leser also wiedererkennen, nur eben nicht eine Nahumwelt, sondern den Ferienprospekt, den Spielfilm und das, was für ihn als Käufer vor Ort eingerichtet wurde. Der Kriminalroman selbst ist mehr der Träger dieser Verkaufe als eine Geschichte eigenen Gewichts.
Noch einen Schritt weiter geht im Genre der Touristenabschöpfung Johannes Hucke, der einen "Weinkrimi" vorgelegt hat, den der Verlag zugleich als "Berlin-Spanien-Krimi" bezeichnet. Weinkrimi hier im Sinne von Weingummi - das Buch soll nach Wein schmecken und wendet sich an Leser, die von Beschreibungen wie "rote Früchte mit Tabaknoten" oder "Saft und Samt, in Fülle ausharmonisiert" nicht genug bekommen können. Der Roman ist ganz offen - "Eine Cuvée, oder?" - als Dauerwerbesendung für einen Berliner Importeur spanischer Weine geschrieben. Ob verschiedene Restaurants, die erwähnt werden und deren Adressen sich im Anhang finden, an der Finanzierung des Buches beteiligt waren, ist unklar.
Das Product-Placement jedenfalls fordert literarische Opfer, etwa wenn eine Gruppe mit dem Tode bedrohter Weinfreunde sich kurz vor dem befürchteten Ende noch an einer Flasche laben. Die hat ihnen der Auftragskiller hinterlassen, vermutlich weil auch er weiß, dass sich seine Existenz dem Umsatz mit Rotem verdankt. Im Angesichts des Todes sind noch die letzten Gedanken Reklame: "Dieser Ambata Mencia aus der D.O. Bierzo, von manchen schon als zweiter Priorat gepriesen, verströmte eine Tiefe und Frische, die unter Normalbedingungen alle Aufmerksamkeit beanspruchte." Dass Hucke schreiben kann, macht diese Form literarischen Panschens nicht besser. Aber vielleicht muss man gar nicht normativ reagieren. Neben der Kasse liegen jetzt neben überteuertem Senf eben auch gedruckte Aromabeutel.
Gibt es zwischen dem Geschenkbuch für Einheimische und der Touristenfalle noch andere Möglichkeiten eines Regionalkrimis, der mehr als ein Krimi mit einem Schauplatz ist? Dietrich Fabers "Tote Hunde beißen nicht" ergreift eine davon, die ihn allerdings aus der Gattung fast hinausführt. Denn hier erscheint die hessische Provinz zwischen Nidda und Alsfeld als reines Kabarett, bevölkert von dialektsprechenden Nervensägen - "Tut mir escht sorry" -, voller Familienkatastrophen und loriothafter Alltagsgrenzwerte. Heimat als des Schrecklichen Anfang und Dableiben als Mittäterschaft: eine hessische Antwort auf David Schalkos geniale Fernsehserie "Braunschlag", wo ja auch das eine oder andere Verbrechen hereinspielt. So übersetzt sich "Regionalkrimi" als "Heimatroman mit Polizisten". Was die Region und die Polizisten und das Erzählen angeht, ist das auf jeden Fall die bessere Lösung, auch wenn es sich dann nur noch zufälligerweise um einen Krimi handelt.
JÜRGEN KAUBE
Christine Cazon: "Mörderische Côte d'Azur". Der erste Fall für Kommissar Duval. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 336 S., br., 9,99 [Euro].
Johannes Hucke: "Das Mesa-Projekt. Weinkrimi". Info Verlag/Lindemanns Bibliothek, Karlsruhe 2013. 232 S., br., 13,90 [Euro].
Dietrich Faber: "Tote Hunde beißen nicht". Bröhmann ermittelt wieder. Verlag Rowohlt Polaris, Reinbek 2014. 288 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Aroma-Roman, die neueste Variante des Regionalkrimis
Der Regionalkrimi kam in den achtziger Jahren auf. Ursprünglich verband sich mit ihm die Absicht, Verbrechensgeschichten "von unten" zu schreiben, also mit ethnographischer Kenntnis über lokale Verstrickungen. Inzwischen gibt es ein Internetportal, auf dem man eine Karte anklicken kann, um Krimis nach Bundesländern sortiert zu bekommen. Auf den Buchcovern steht "Wiesbaden-Krimi" oder "Alpen-Krimi" oder "Tatort Niederrhein". Unter jedem dieser Titel sind mehrere Autoren tätig. Ganze Verlage haben ein Programm auf regionalem Morden aufgebaut.
Wie kommt das? Handelt es sich um ein literarisches Pendant zum ausgeprägten Föderalismus ohne Metropolentradition? Die starke Regionalisierung der Fernsehkrimis, die an der Struktur der Anstalten hängt, wäre dazu der Vorläufer. Der Erfolg von "Midsomer Murders", wie Inspektor Barnabys Fälle im Original heißen, zeigt aber an, dass auch in ausgesprochen zentralistischen Ländern der Wunsch nach heimatlich-unheimlichen Peripherien blüht.
Man könnte lakonisch sagen: Irgendwo müssen Romane ja spielen. Insofern sind alle Romane irgendwie Regionalromane, von "Wilhelm Meister", "Moby Dick" oder "Krieg und Frieden" mal abgesehen. Doch auch wenn sich das Romanpersonal nicht stark im Raum bewegt, zögert man, "Madame Bovary" einen Normandie-Roman zu nennen. Anders beim Kriminalroman. Man kommt in den Laden, um ein Exemplar der Gattung zu kaufen. Gerade deshalb ist der Aufstieg des Regionalkrimis bemerkenswert - weil auf seinem Cover jetzt zwei Genrebezeichnungen stehen: Krimi und Schauplatz.
Auch bei Kriminalromanen waren natürlich die Schauplätze nie gleichgültig. Lokales Wissen ist bei jedem Mord wichtig, ob nun in Stockholm oder im erfundenen südwestenglischen Causton: Topographien, Kleinmilieus, die Kenntnis der ortsansässigen Wirtschaft, der kommunalen Elite. Die Leser zu unbekannten Orten mitzunehmen passte außerdem seit jeher gut zur Aufforderung an sie, jedes Detail für eventuell wichtig zu halten.
Es muss mithin einen besondern Grund geben, auf den Buchdeckel eigens draufzuschreiben, wo ermittelt wird. Genauer sind es wohl zwei Gründe, beide liegen im Buchmarkt. Denn was kann es für Motive geben, einen "Darmstadt-" oder einen "Nordfriesland-Krimi" zu erwerben? Angesichts der jeweiligen Besiedlungsdichte sind es wohl unterschiedliche. In Darmstadt wird die lokale Mitleserschaft angesprochen. Das Motiv liegt im Versprechen des Wiedererkennens. Man unterstellt es automatisch: Inzwischen sind die ersten Klagen von Leuten zu hören, denen zum dritten Mal derselbe Darmstadt-Krimi geschenkt wurde. Über den Kreis der Ortsansässigen und ihrer Bekannten hinaus dürfte die pure Tatsache, dass in Darmstadt gemordet wurde, aber kein Kaufmotiv sein.
Wäre andererseits der Sylt-Krimi auf lesende Eingeborene angewiesen, hätte er keinen großen Markt. Bei diesem Typ Regionalkrimi sind es gerade die Ortsfremden, für die produziert wird. Nirgendwo zeigt sich das gerade deutlicher als in den "französischen" von Jean-Luc Bannalec, die ein deutscher Bretagne-Tourist für deutsche Touristen schreibt, denen gerade im selben Verlag aufmachungsähnlich ein Côte-d'Azur-Krimi folgt. Der Ermittler kommt gerade aus Paris, teilt also angeblich die Fremdheit mit dem Leser. Auch ihm muss erklärt werden, was ein Pan Bagnat ist - obwohl das ungefähr so ist, als wüsste ein Berliner Kommissar nicht, was Weißwürste sind. Auch der Pariser schwärmt in einem fort von Landschaft, Küche, Südlichkeit und geht in Cannes sogar zu Fuß, weil er "ein bisschen Festivalatmosphäre schnuppern" will.
Wie bei Bannalec wird also auch hier ständig touristisch nachgewürzt. So wie man in der Bretagne nicht Meeresfrüchte, sondern "fruits de mer" bestellt, so werden in Cannes die Personen ständig als Monsieur le Commissaire und Monsieur le Procureur angesprochen, auch wenn sie sich selbst als Kommissar oder Staatsanwalt vorstellen. Ständig wird ein n'est-ce pas, bon courage, bienvenue, bonne journée oder merde eingestreut. Ständig geht es ums Essen und Trinken, denn Tourismus heißt Speisekarte.
Kein Klischee bleibt dabei ungenutzt, von den vollerotisierten Beziehungen der Franzosen über die Yachten im Hafen, die kleinen Restaurants mit phantastischen Gerichten für ganz wenig Geld bis zur unbeschreiblichen Eitelkeit der Lokalfunktionäre. Auch hier soll der Leser also wiedererkennen, nur eben nicht eine Nahumwelt, sondern den Ferienprospekt, den Spielfilm und das, was für ihn als Käufer vor Ort eingerichtet wurde. Der Kriminalroman selbst ist mehr der Träger dieser Verkaufe als eine Geschichte eigenen Gewichts.
Noch einen Schritt weiter geht im Genre der Touristenabschöpfung Johannes Hucke, der einen "Weinkrimi" vorgelegt hat, den der Verlag zugleich als "Berlin-Spanien-Krimi" bezeichnet. Weinkrimi hier im Sinne von Weingummi - das Buch soll nach Wein schmecken und wendet sich an Leser, die von Beschreibungen wie "rote Früchte mit Tabaknoten" oder "Saft und Samt, in Fülle ausharmonisiert" nicht genug bekommen können. Der Roman ist ganz offen - "Eine Cuvée, oder?" - als Dauerwerbesendung für einen Berliner Importeur spanischer Weine geschrieben. Ob verschiedene Restaurants, die erwähnt werden und deren Adressen sich im Anhang finden, an der Finanzierung des Buches beteiligt waren, ist unklar.
Das Product-Placement jedenfalls fordert literarische Opfer, etwa wenn eine Gruppe mit dem Tode bedrohter Weinfreunde sich kurz vor dem befürchteten Ende noch an einer Flasche laben. Die hat ihnen der Auftragskiller hinterlassen, vermutlich weil auch er weiß, dass sich seine Existenz dem Umsatz mit Rotem verdankt. Im Angesichts des Todes sind noch die letzten Gedanken Reklame: "Dieser Ambata Mencia aus der D.O. Bierzo, von manchen schon als zweiter Priorat gepriesen, verströmte eine Tiefe und Frische, die unter Normalbedingungen alle Aufmerksamkeit beanspruchte." Dass Hucke schreiben kann, macht diese Form literarischen Panschens nicht besser. Aber vielleicht muss man gar nicht normativ reagieren. Neben der Kasse liegen jetzt neben überteuertem Senf eben auch gedruckte Aromabeutel.
Gibt es zwischen dem Geschenkbuch für Einheimische und der Touristenfalle noch andere Möglichkeiten eines Regionalkrimis, der mehr als ein Krimi mit einem Schauplatz ist? Dietrich Fabers "Tote Hunde beißen nicht" ergreift eine davon, die ihn allerdings aus der Gattung fast hinausführt. Denn hier erscheint die hessische Provinz zwischen Nidda und Alsfeld als reines Kabarett, bevölkert von dialektsprechenden Nervensägen - "Tut mir escht sorry" -, voller Familienkatastrophen und loriothafter Alltagsgrenzwerte. Heimat als des Schrecklichen Anfang und Dableiben als Mittäterschaft: eine hessische Antwort auf David Schalkos geniale Fernsehserie "Braunschlag", wo ja auch das eine oder andere Verbrechen hereinspielt. So übersetzt sich "Regionalkrimi" als "Heimatroman mit Polizisten". Was die Region und die Polizisten und das Erzählen angeht, ist das auf jeden Fall die bessere Lösung, auch wenn es sich dann nur noch zufälligerweise um einen Krimi handelt.
JÜRGEN KAUBE
Christine Cazon: "Mörderische Côte d'Azur". Der erste Fall für Kommissar Duval. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 336 S., br., 9,99 [Euro].
Johannes Hucke: "Das Mesa-Projekt. Weinkrimi". Info Verlag/Lindemanns Bibliothek, Karlsruhe 2013. 232 S., br., 13,90 [Euro].
Dietrich Faber: "Tote Hunde beißen nicht". Bröhmann ermittelt wieder. Verlag Rowohlt Polaris, Reinbek 2014. 288 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine tolle Mischung aus Komik und Ernst. Und: Faber verzichtet bei all seinen Pointen und Wendungen nicht auf Tiefgang. FAZ.NET
"Man kann das Hörbuch natürlich auch unabhängig vom Roman 'konsumieren', das von dem Specher Dietrich Faber hervorragend vorgetragen wird."