Zwei Männer fassen einen irrwitzigen Plan: Sie wollen den berühmtesten politischen Gefangenen der Welt befreien, Michail Chodorkowskij, seit 2005 in Südostsibirien inhaftiert. Die edlen Retter, ein Deutscher und ein Pole, sind alte Freunde. Grund ihrer Mission: Der eine fühlt sich gerade seelisch etwas " eingeklemmt ", der andere hat schon lange für keine Sache mehr so richtig " gebrannt ". Also erzählen sie ihren Frauen irgendwas, üben Schießen (auf Bierdosen) und brechen auf, über Moskau und Irkutsk und quer durch die Taiga reisen sie bis ins tiefste Sibirien. Ein Trip zwischen tolldreistem Spiel und riskantem Abenteuer: Sie kommen dem Geheimnis der toten Wildhunde auf die Spur und überleben nur knapp eine Fehde unter Schwarztaxifahrern, entdecken die konspirativen Qualitäten eines Bades im Baikalsee, und der Deutsche verliebt sich in die schöne Witwe Mascha, obwohl die an chinesische Feindinsekten glaubt und Chodorkowskij verachtet. Ob sie ihr Ziel erreichen, ist ungewiss - aber vielleicht geht es darum auch gar nicht...Olaf Kühl schildert die Abenteuer zweier Helden, die in der stillen Schönheit vergessener Länder so handfesten wie sehnsuchtsmüden Menschen begegnen. Ein aufregendes Erzähldebüt - und ein außergewöhnlicher Reise- und Freundschaftsroman.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Olaf Kühl hat sich als Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen einen Namen gemacht und ist zudem Russland-Referent des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, weiß Christoph Schröder. Sein Debütroman, der auf einer gemeinsamen Reise mit seinem Freund, dem polnischen Autor Andrzej Stasiuk nach Sibirien basiert, hat den Rezensenten auch von Kühls Qualitäten als Schriftsteller vollkommen überzeugt. Der Autor erzählt von der Reise zweier Freunde, dem Deutschen Konrad und seinem polnischen Freund Andrzej, die den inhaftierten Oligarchen Michail Chodorkowski befreien wollen. Es ist Abenteuerfahrt, Reisereportage und Krimi in einem und das Buch lebt vor allem von den sich geschickt abwechselnden unterschiedlichen Perspektiven und Geisteshaltungen, findet der Rezensent. So sehen die Freunde Chodorkowski als "Hoffnungssymbol", die Russen jedoch, mit denen sie sich unterhalten, verurteilen den Inhaftierten als "Verräter" und Volksfeind, erklärt der Rezensent. So wird der Roman zur Reflexion über den Zwiespalt zwischen "eigener und fremder Weltwahrnehmung", der sich auch zwischen den Reisenden auftut, so Schröder gefesselt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2012Komm, mein Freund, wir befreien Michail Chodorkowskij!
In dem Debütroman "Tote Tiere" von Olaf Kühl machen sich zwei Männer zu einer Reise durch Russland auf - ein Land, das sie zu kennen glauben und doch vollständig neu entdecken.
Einige Monate nach seiner Verhaftung hat der russische Oligarch und Regimekritiker Michail Chodorkowskij erfahren, Präsident Putin habe beschlossen, ihn "die Schleimsuppe der Gefängnisse" volle acht Jahre löffeln zu lassen. "Damals fiel es schwer, das zu glauben", so sein Kommentar, der, wie die Information selbst, in seinen "Briefen aus dem Gefängnis" nachzulesen ist. Heute, acht Jahre später, ist er immer noch inhaftiert, und die Weltöffentlichkeit empört sich zwar darüber, hat es aber nicht eilig, dem berühmtesten Häftling Russlands zu Hilfe zu eilen.
Nicht so die beiden Protagonisten in Olaf Kühls Debütroman "Tote Tiere": Der deutsche Ich-Erzähler Konrad und sein polnischer Freund Andrzej Karymsiuk beschließen, Chodorkowskij aus dem Gefängnis in Sibirien zu befreien. Eigentlich ist dieser Plan weniger auf ihren Gerechtigkeitssinn als auf ihre eigene Befindlichkeit zurückzuführen: Beide - der eine leicht als Alter Ego des Autors, der andere als scherzhaftes Abbild des Schriftstellers Andrzej Stasiuk zu erkennen - stecken in seelischen Krisen. Der Deutsche will die eigenen Grenzen ausloten. Und der Pole hat zwar die seinen längst erkannt und empfindet die rauhe Realität eines Bergdorfes, seiner täglichen Umgebung, als die "Altersheim-Variante" dessen, worüber er schreibt, dennoch sieht er in einem Russland-Trip nicht etwas, das ihm neuen Antrieb geben könnte. Er wisse genau, was ihn dort erwarte: "Obrigkeitsdenken. Sie fürchten sich. Daran hat sich nichts geändert."
Seine Weigerung ist auch der Auslöser für die absurde Befreiungsidee, die Konrad plötzlich "nur so rausrutscht", und somit für die Handlung des Romans. Denn das Wort "Befreiung" ist für Karymsiuk, zu dessen rebellischer Vergangenheit auch eine Gefängnisstrafe gehört, "ein geradezu heiliger Begriff", also bleibt ihm nichts anderes übrig, als der Reise zuzustimmen. Sie führt die beiden Freunde quer durch die Taiga bis an die chinesische Grenze und ist voller Erlebnisse, die ihre Lust auf Alltagsabstand und Selbstprüfung mehr als befriedigen. Kaum sind sie nämlich im Land angekommen, erleben sie ein Abenteuer nach dem anderen, und ihr Ziel, Chodorkowskijs Befreiung, rückt schon deshalb schnell in weite Ferne, weil sie immer öfter damit beschäftigt sind, um ihr eigenes Leben zu bangen - spätestens, als eine junge Frau, die in Chodorkowkijs Gefängnis beschäftigt ist, tot aufgefunden wird und ihre Reise die Form einer Flucht annimmt.
"Tote Tiere" ist demnach nicht nur ein Abenteuerroman, sondern in Ansätzen auch ein Thriller. Es ist ferner die Geschichte einer Männerfreundschaft und natürlich ein Reiseroman, mit allem, was dazugehört: Alltagsskizzen, Menschenporträts und eine Menge geographischer und topographischer Details. Olaf Kühl bringt für all das die besten Voraussetzungen mit. Er ist literarischer Übersetzer aus dem Russischen und Polnischen, unter anderem von Andrzej Stasiuk, aber auch Russland-Berater des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. So ist sein Buch ein intimes Porträt Russlands im doppelten Sinne des Wortes: ein kenntnisreiches und ein emotionales zugleich.
Allerdings muss auch er beziehungsweise sein Alter Ego sich auf dieser Reise eines Besseren belehren lassen: Die Situation gerät immer mehr außer Kontrolle, die beiden Männer fahren Tausende Kilometer in die falsche Richtung, und der Gedanke an Chodorkowkijs Rettung verliert dabei selbst für Konrad seinen Reiz, ja er fängt an, seine bisherige Sicht der Dinge anzuzweifeln: "Vielleicht musste der russische Staat jetzt wirklich Härte zeigen, vielleicht ließ dieser Riesenkoloss an Raum und Zeit sich gar nicht anders beherrschen." Und überhaupt: Vor Reisebeginn hatte er eine klare Vorstellung von der Lage im Land und war fest entschlossen, sich von keinen Mythen und schnellen Vereinfachungen leiten zu lassen. Jetzt sieht er, dass vieles doch "kein Mythos, sondern Tatsache" ist, die erdrückende Weite des Landes, die mentale Starre der Bewohner und die seit Jahrhunderten überlieferten Feindbilder eingeschlossen.
"Tote Tiere" ist also ein komplexer Roman: weil er mehrere Gattungen vereint, aber auch weil er widersprüchliche Emotionen und Reflexe zum Ausdruck bringt, Sympathie und Enttäuschung, Empathie und Befremdung, Lob und Schelte. Kühls Erzählstil bleibt ruhig und unaufgeregt, hat ein Tempo, das der Bezeichnung "Abenteuerroman" standhält und gleichzeitig seine Bilder, Gedanken und Assoziationen voll zur Geltung bringt. Man folgt ihm als Leser gern, auch wenn man sich manchmal wünscht, dass er hin und wieder den einmal gewählten stilistischen Pfad verlassen und - der Grundidee entsprechend - mehr Mut zum Absurden, Grotesken oder Satirischen gezeigt hätte. Zwar sind die Figuren in Gogols Roman "Tote Seelen", auf den er offensichtlich anspielt, laut Vladimir Nabokov gar keinen absurden Situationen ausgesetzt, "weil die ganze Welt, in der er lebt, absurd ist". Allerdings sind diese Figuren kein schon an sich leicht absurdes, deutsch-polnisches Gespann.
MARTA KIJOWSKA
Olaf Kühl: "Tote Tiere". Roman.
Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2011. 272 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In dem Debütroman "Tote Tiere" von Olaf Kühl machen sich zwei Männer zu einer Reise durch Russland auf - ein Land, das sie zu kennen glauben und doch vollständig neu entdecken.
Einige Monate nach seiner Verhaftung hat der russische Oligarch und Regimekritiker Michail Chodorkowskij erfahren, Präsident Putin habe beschlossen, ihn "die Schleimsuppe der Gefängnisse" volle acht Jahre löffeln zu lassen. "Damals fiel es schwer, das zu glauben", so sein Kommentar, der, wie die Information selbst, in seinen "Briefen aus dem Gefängnis" nachzulesen ist. Heute, acht Jahre später, ist er immer noch inhaftiert, und die Weltöffentlichkeit empört sich zwar darüber, hat es aber nicht eilig, dem berühmtesten Häftling Russlands zu Hilfe zu eilen.
Nicht so die beiden Protagonisten in Olaf Kühls Debütroman "Tote Tiere": Der deutsche Ich-Erzähler Konrad und sein polnischer Freund Andrzej Karymsiuk beschließen, Chodorkowskij aus dem Gefängnis in Sibirien zu befreien. Eigentlich ist dieser Plan weniger auf ihren Gerechtigkeitssinn als auf ihre eigene Befindlichkeit zurückzuführen: Beide - der eine leicht als Alter Ego des Autors, der andere als scherzhaftes Abbild des Schriftstellers Andrzej Stasiuk zu erkennen - stecken in seelischen Krisen. Der Deutsche will die eigenen Grenzen ausloten. Und der Pole hat zwar die seinen längst erkannt und empfindet die rauhe Realität eines Bergdorfes, seiner täglichen Umgebung, als die "Altersheim-Variante" dessen, worüber er schreibt, dennoch sieht er in einem Russland-Trip nicht etwas, das ihm neuen Antrieb geben könnte. Er wisse genau, was ihn dort erwarte: "Obrigkeitsdenken. Sie fürchten sich. Daran hat sich nichts geändert."
Seine Weigerung ist auch der Auslöser für die absurde Befreiungsidee, die Konrad plötzlich "nur so rausrutscht", und somit für die Handlung des Romans. Denn das Wort "Befreiung" ist für Karymsiuk, zu dessen rebellischer Vergangenheit auch eine Gefängnisstrafe gehört, "ein geradezu heiliger Begriff", also bleibt ihm nichts anderes übrig, als der Reise zuzustimmen. Sie führt die beiden Freunde quer durch die Taiga bis an die chinesische Grenze und ist voller Erlebnisse, die ihre Lust auf Alltagsabstand und Selbstprüfung mehr als befriedigen. Kaum sind sie nämlich im Land angekommen, erleben sie ein Abenteuer nach dem anderen, und ihr Ziel, Chodorkowskijs Befreiung, rückt schon deshalb schnell in weite Ferne, weil sie immer öfter damit beschäftigt sind, um ihr eigenes Leben zu bangen - spätestens, als eine junge Frau, die in Chodorkowkijs Gefängnis beschäftigt ist, tot aufgefunden wird und ihre Reise die Form einer Flucht annimmt.
"Tote Tiere" ist demnach nicht nur ein Abenteuerroman, sondern in Ansätzen auch ein Thriller. Es ist ferner die Geschichte einer Männerfreundschaft und natürlich ein Reiseroman, mit allem, was dazugehört: Alltagsskizzen, Menschenporträts und eine Menge geographischer und topographischer Details. Olaf Kühl bringt für all das die besten Voraussetzungen mit. Er ist literarischer Übersetzer aus dem Russischen und Polnischen, unter anderem von Andrzej Stasiuk, aber auch Russland-Berater des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. So ist sein Buch ein intimes Porträt Russlands im doppelten Sinne des Wortes: ein kenntnisreiches und ein emotionales zugleich.
Allerdings muss auch er beziehungsweise sein Alter Ego sich auf dieser Reise eines Besseren belehren lassen: Die Situation gerät immer mehr außer Kontrolle, die beiden Männer fahren Tausende Kilometer in die falsche Richtung, und der Gedanke an Chodorkowkijs Rettung verliert dabei selbst für Konrad seinen Reiz, ja er fängt an, seine bisherige Sicht der Dinge anzuzweifeln: "Vielleicht musste der russische Staat jetzt wirklich Härte zeigen, vielleicht ließ dieser Riesenkoloss an Raum und Zeit sich gar nicht anders beherrschen." Und überhaupt: Vor Reisebeginn hatte er eine klare Vorstellung von der Lage im Land und war fest entschlossen, sich von keinen Mythen und schnellen Vereinfachungen leiten zu lassen. Jetzt sieht er, dass vieles doch "kein Mythos, sondern Tatsache" ist, die erdrückende Weite des Landes, die mentale Starre der Bewohner und die seit Jahrhunderten überlieferten Feindbilder eingeschlossen.
"Tote Tiere" ist also ein komplexer Roman: weil er mehrere Gattungen vereint, aber auch weil er widersprüchliche Emotionen und Reflexe zum Ausdruck bringt, Sympathie und Enttäuschung, Empathie und Befremdung, Lob und Schelte. Kühls Erzählstil bleibt ruhig und unaufgeregt, hat ein Tempo, das der Bezeichnung "Abenteuerroman" standhält und gleichzeitig seine Bilder, Gedanken und Assoziationen voll zur Geltung bringt. Man folgt ihm als Leser gern, auch wenn man sich manchmal wünscht, dass er hin und wieder den einmal gewählten stilistischen Pfad verlassen und - der Grundidee entsprechend - mehr Mut zum Absurden, Grotesken oder Satirischen gezeigt hätte. Zwar sind die Figuren in Gogols Roman "Tote Seelen", auf den er offensichtlich anspielt, laut Vladimir Nabokov gar keinen absurden Situationen ausgesetzt, "weil die ganze Welt, in der er lebt, absurd ist". Allerdings sind diese Figuren kein schon an sich leicht absurdes, deutsch-polnisches Gespann.
MARTA KIJOWSKA
Olaf Kühl: "Tote Tiere". Roman.
Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2011. 272 S., geb., 19,95 [Euro].
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