»Es gibt einen Fundus an Dummheit in der Menschheit, der ebenso ewig ist wie die Menschheit selbst« (Flaubert), und dass es immer so weitergeht, ist zwar die Katastrophe, macht aber Bücher wie dieses erst möglich. Nötig allerdings auch. Alles andere wäre ja auch noch schöner, wenn auch keinesfalls schöner als dieses kommende Standardwerk, das 50 politisch-polemische Texte aus (beinah) 20 Jahren Kultur- und Betriebskritik versammelt: über Mozart-Shows und Motivationstrainer, doofe Tätowierungen und schlimme Jacken, Literaturpreise und Preisochsen;über Bundespräsidenten, Bundeskanzlerinnen und beider Freunde von der Presse; über das Musterland Deutschland, den Exfreund Amerika und den Glücksfall Israel; über alte weiße Frauen, dumme weiße Männer, den Aktivismus der wenigen und den Passivismus der vielen; über zu dicke Autos, zu dünne Kinder und warum man den Pudding vor dem Hauptgang essen soll. Dazu alles über das (gute) Weltklima, Bildung, Facebook und Hitler. Unter anderem!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2024Als gäb's keine Bosheit auf der Welt
Die rote Linie ist überschritten, es besteht Handlungsbedarf: Sprachkritik von Wiglaf Droste und Stefan Gärtner
Wie kann es sein, dass jemand, der nicht nur die Sprache, sondern auch noch deren Kritik beherrscht, die Überzeugung äußert, "dass es nichts Sinnloseres als Kultur- oder gar Sprachkritik gibt"? So Stefan Gärtner im November-Heft des Satiremagazins "Titanic", bei dem er lange Redakteur war und das er mit einer Kolumne bereichert, in der er, genau wie in der "Konkret", unermüdlich gegen Falsches in Politik und Kultur anredet.
Mehr als dagegen anreden kann er schließlich nicht, genauso wie sein Bruder im Geiste Wiglaf Droste. Von den beiden gibt es jetzt wieder Glossensammlungen. Dass Droste mit der Schrotflinte, manchmal sogar mit einer abgesägten, unterwegs ist und Gärtner mit dem Florett, zeigt sich erneut. Es ist Tiamat-Verleger Klaus Bittermann dafür zu danken, dass er Drostes weniger bekannte Arbeiten zusammengekehrt hat: die Radiobeiträge, gesendet von 1994 bis 2018, dem Jahr vor Drostes Tod. "Vollbad im Gesinnungsschaum": Der Titel deutet schon auf Drostes Überzeugung hin, dass es zwischen richtigem Ausdruck und richtigem, auch gutem Denken einen Zusammenhang gibt.
Es versteht sich, dass Droste in seiner Analyse des öffentlichen Redens und Schreibens, bei Politikern, Wirtschaftsvertretern, Schriftstellern und Schauspielern reiche Beute macht, wenngleich die Treffsicherheit über dem Hang zum Veralbern zuweilen verloren geht. Triftig und entlarvend sind jedenfalls seine Auslassungen zur eigentlich politischen Rede, die immer konformistischer wird: "Rote Linien", die angeblich bei jeder Gelegenheit überschritten sind, ohne dass etwas daraus folgt; "Vertrauen" und "Wertigkeit" als handlungsanleitende Maximen, hinter denen dann doch nichts steckt; das "Ab-" beziehungsweise "Ausgrenzen", dazu der "Handlungsbedarf" als leergelaufene Routinen - Droste greift sich das alles, nicht oder jedenfalls nicht nur, weil er es besser weiß, sondern auch, weil er hinter der Gedankenlosigkeit oft eine fragwürdige oder eben gar keine Moral wittert: "Darüber hinaus gibt es längst eine Kreidefresser- und Schaumsprache, hinter der miese Haltungen respektive schäbige Haltungslosigkeit harmlostuend in Deckung gehen können."
Harmlostuend: Das ist am Ende das, was Droste wie Gärtner am meisten gegen die immer versatzstückhafter werdende und sich dabei auch noch kritisch dünkende, in Wahrheit aber Machtverhältnisse und Ungerechtigkeiten verschleiernde Rede aufbringt. In der Diagnose, dass über eine heillose Welt in einer Sprache gedacht und gesprochen wird, die zumindest die Möglichkeit des Heilen vorgaukelt, es harmlos haben will, treffen sich die beiden auf Schritt und Tritt. Im Gestus des Überempfindlich-Genervten tragen sie mehr vor als bloß Stilkritik, mit der Sprache wollen sie auch die Welt verbessern oder wenigstens die Notwendigkeit davon in Erinnerung rufen. Fast könnte man, wenn man sie so hört - Droste robust, aggressiv, Gärtner eher auf Eleganz und Subtilitäten setzend -, an Alex denken, den Ich-Erzähler aus "Uhrwerk Orange", der das Geschwätz einer jungen Frau so bei sich kommentiert: "Die Devotchka quatschte, als gäb's keine Bosheit in der Welt."
Es gibt sie aber und gab sie auch in der Merkel-Ära, aus der fast alle von Gärtners hier versammelten Kritiken stammen. Über die Kanzlerin, mit deren Rhetorik er scharf ins Gericht geht, und das von ihr mehr verwaltete als gestaltete Land teilt er mit: "Denn so harmlos, neutral und freundlich, wie auch Merkel nie war, ist dieses Land auf keinen Fall; und wenn es in den Spiegel sieht, dann soll es sich auch sehen."
Man sollte vielleicht nicht unterschlagen, dass beim manischen Zeitungsleser Gärtner auch diese Zeitung keineswegs ungeschoren davonkommt. Aber er teilt, alte "Titanic"-Schule, nach allen Seiten aus. Es zeigt sich, dass viele der von ihm schon länger ausgetragenen Schlachten immer noch nicht geschlagen sind; schon deswegen nicht, weil das Personal großteils noch dasselbe ist.
Migrationsdebatte, Klima, nationaler Diskurs, Antisemitismus, Lifestyle - mehr Aktualität geht fast nicht. Hinter allem wittert Gärtner Neoliberalismus. Er arbeitet mit einer Verdachtspsychologie, die selbst oder gerade an unauffällig scheinender Stelle Verräterisches ausmacht. Wenn zum Beispiel der "Spiegel" titelt: "Fremdenhass vergiftet Deutschland", dann tritt zutage, was Gärtner für typisch deutsch hält: Opfermentalität - der, polemisch formuliert, "Volkskörper" ist es, der den Schaden hat - und die Neigung zu Angstmacherei und Hysterie.
Durchweg schließt er dabei von sprachlicher Form auf gedanklichen Inhalt, wofür exemplarisch seine Kritik an links-grünen Milieus gelten kann, die für ihn keinen Anlass bietet, einen Linksruck zu diagnostizieren: "Was die zeitgenössische Optimalgesinnung zwischen Fahrradhelm und mehrsprachigem Bratschenunterricht bezweckt, ist ein Statusbewusstsein, das wissen soll, wer gemeint ist, wenn in der Zeit von ,wir' die Rede ist. Hauptschüler, Türken und anderweitig Fehlerzogene jedenfalls nicht." So viel zur sogenannten neuen Bürgerlichkeit, geschrieben im Dezember 2012.
Das Prädikat "besonders wertvoll" ist schließlich auch den literaturkritischen Auslassungen zu verleihen. Mit Hingabe und bisweilen vernichtender Schärfe pflegt Gärtner seine Lieblingsfeindschaften mit Judith Hermann, Juli Zeh und Nora Bossong. Allerdings kann man es diesem Kritiker aber auch nur schwer recht machen, Gärtner selbst würde das wahrscheinlich zugeben. Aber wer will es ihm vorwerfen, wenn er die reichlich gegebenen Steilvorlagen annimmt.
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Solange Sprachkritik sich auf ein derart feines, auf jeden falschen Ton allergisch reagierendes Sensorium stützen kann wie bei Droste und Gärtner und dabei in so unterhaltsamer Polemik daherkommt, kann sie gar nicht sinnlos sein. EDO REENTS
Wiglaf Droste: "Vollbad im Gesinnungsschaum". Sprachkritische Glossen.
Hrsg. von Klaus Bittermann. Edition Tiamat, Berlin 2023. 304 S., br., 22,- Euro.
Stefan Gärtner: "Tote und Tattoo". Essays, Glossen, Kritik der Dummheit.
Edition Tiamat, Berlin 2023. 336 S., br., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die rote Linie ist überschritten, es besteht Handlungsbedarf: Sprachkritik von Wiglaf Droste und Stefan Gärtner
Wie kann es sein, dass jemand, der nicht nur die Sprache, sondern auch noch deren Kritik beherrscht, die Überzeugung äußert, "dass es nichts Sinnloseres als Kultur- oder gar Sprachkritik gibt"? So Stefan Gärtner im November-Heft des Satiremagazins "Titanic", bei dem er lange Redakteur war und das er mit einer Kolumne bereichert, in der er, genau wie in der "Konkret", unermüdlich gegen Falsches in Politik und Kultur anredet.
Mehr als dagegen anreden kann er schließlich nicht, genauso wie sein Bruder im Geiste Wiglaf Droste. Von den beiden gibt es jetzt wieder Glossensammlungen. Dass Droste mit der Schrotflinte, manchmal sogar mit einer abgesägten, unterwegs ist und Gärtner mit dem Florett, zeigt sich erneut. Es ist Tiamat-Verleger Klaus Bittermann dafür zu danken, dass er Drostes weniger bekannte Arbeiten zusammengekehrt hat: die Radiobeiträge, gesendet von 1994 bis 2018, dem Jahr vor Drostes Tod. "Vollbad im Gesinnungsschaum": Der Titel deutet schon auf Drostes Überzeugung hin, dass es zwischen richtigem Ausdruck und richtigem, auch gutem Denken einen Zusammenhang gibt.
Es versteht sich, dass Droste in seiner Analyse des öffentlichen Redens und Schreibens, bei Politikern, Wirtschaftsvertretern, Schriftstellern und Schauspielern reiche Beute macht, wenngleich die Treffsicherheit über dem Hang zum Veralbern zuweilen verloren geht. Triftig und entlarvend sind jedenfalls seine Auslassungen zur eigentlich politischen Rede, die immer konformistischer wird: "Rote Linien", die angeblich bei jeder Gelegenheit überschritten sind, ohne dass etwas daraus folgt; "Vertrauen" und "Wertigkeit" als handlungsanleitende Maximen, hinter denen dann doch nichts steckt; das "Ab-" beziehungsweise "Ausgrenzen", dazu der "Handlungsbedarf" als leergelaufene Routinen - Droste greift sich das alles, nicht oder jedenfalls nicht nur, weil er es besser weiß, sondern auch, weil er hinter der Gedankenlosigkeit oft eine fragwürdige oder eben gar keine Moral wittert: "Darüber hinaus gibt es längst eine Kreidefresser- und Schaumsprache, hinter der miese Haltungen respektive schäbige Haltungslosigkeit harmlostuend in Deckung gehen können."
Harmlostuend: Das ist am Ende das, was Droste wie Gärtner am meisten gegen die immer versatzstückhafter werdende und sich dabei auch noch kritisch dünkende, in Wahrheit aber Machtverhältnisse und Ungerechtigkeiten verschleiernde Rede aufbringt. In der Diagnose, dass über eine heillose Welt in einer Sprache gedacht und gesprochen wird, die zumindest die Möglichkeit des Heilen vorgaukelt, es harmlos haben will, treffen sich die beiden auf Schritt und Tritt. Im Gestus des Überempfindlich-Genervten tragen sie mehr vor als bloß Stilkritik, mit der Sprache wollen sie auch die Welt verbessern oder wenigstens die Notwendigkeit davon in Erinnerung rufen. Fast könnte man, wenn man sie so hört - Droste robust, aggressiv, Gärtner eher auf Eleganz und Subtilitäten setzend -, an Alex denken, den Ich-Erzähler aus "Uhrwerk Orange", der das Geschwätz einer jungen Frau so bei sich kommentiert: "Die Devotchka quatschte, als gäb's keine Bosheit in der Welt."
Es gibt sie aber und gab sie auch in der Merkel-Ära, aus der fast alle von Gärtners hier versammelten Kritiken stammen. Über die Kanzlerin, mit deren Rhetorik er scharf ins Gericht geht, und das von ihr mehr verwaltete als gestaltete Land teilt er mit: "Denn so harmlos, neutral und freundlich, wie auch Merkel nie war, ist dieses Land auf keinen Fall; und wenn es in den Spiegel sieht, dann soll es sich auch sehen."
Man sollte vielleicht nicht unterschlagen, dass beim manischen Zeitungsleser Gärtner auch diese Zeitung keineswegs ungeschoren davonkommt. Aber er teilt, alte "Titanic"-Schule, nach allen Seiten aus. Es zeigt sich, dass viele der von ihm schon länger ausgetragenen Schlachten immer noch nicht geschlagen sind; schon deswegen nicht, weil das Personal großteils noch dasselbe ist.
Migrationsdebatte, Klima, nationaler Diskurs, Antisemitismus, Lifestyle - mehr Aktualität geht fast nicht. Hinter allem wittert Gärtner Neoliberalismus. Er arbeitet mit einer Verdachtspsychologie, die selbst oder gerade an unauffällig scheinender Stelle Verräterisches ausmacht. Wenn zum Beispiel der "Spiegel" titelt: "Fremdenhass vergiftet Deutschland", dann tritt zutage, was Gärtner für typisch deutsch hält: Opfermentalität - der, polemisch formuliert, "Volkskörper" ist es, der den Schaden hat - und die Neigung zu Angstmacherei und Hysterie.
Durchweg schließt er dabei von sprachlicher Form auf gedanklichen Inhalt, wofür exemplarisch seine Kritik an links-grünen Milieus gelten kann, die für ihn keinen Anlass bietet, einen Linksruck zu diagnostizieren: "Was die zeitgenössische Optimalgesinnung zwischen Fahrradhelm und mehrsprachigem Bratschenunterricht bezweckt, ist ein Statusbewusstsein, das wissen soll, wer gemeint ist, wenn in der Zeit von ,wir' die Rede ist. Hauptschüler, Türken und anderweitig Fehlerzogene jedenfalls nicht." So viel zur sogenannten neuen Bürgerlichkeit, geschrieben im Dezember 2012.
Das Prädikat "besonders wertvoll" ist schließlich auch den literaturkritischen Auslassungen zu verleihen. Mit Hingabe und bisweilen vernichtender Schärfe pflegt Gärtner seine Lieblingsfeindschaften mit Judith Hermann, Juli Zeh und Nora Bossong. Allerdings kann man es diesem Kritiker aber auch nur schwer recht machen, Gärtner selbst würde das wahrscheinlich zugeben. Aber wer will es ihm vorwerfen, wenn er die reichlich gegebenen Steilvorlagen annimmt.
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Solange Sprachkritik sich auf ein derart feines, auf jeden falschen Ton allergisch reagierendes Sensorium stützen kann wie bei Droste und Gärtner und dabei in so unterhaltsamer Polemik daherkommt, kann sie gar nicht sinnlos sein. EDO REENTS
Wiglaf Droste: "Vollbad im Gesinnungsschaum". Sprachkritische Glossen.
Hrsg. von Klaus Bittermann. Edition Tiamat, Berlin 2023. 304 S., br., 22,- Euro.
Stefan Gärtner: "Tote und Tattoo". Essays, Glossen, Kritik der Dummheit.
Edition Tiamat, Berlin 2023. 336 S., br., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Keineswegs sinnlos ist Sprachkritik, wenn sie so betrieben wird wie von Stefan Gärtner, findet Rezensent Edo Reents. Die hier versammelten Texte sind fast durchweg während Angela Merkels Kanzlerschaft entstanden, lernen wir, und auch die verharmlosende Rhetorik der Kanzlerin nimmt der Autor aufs Korn. Überhaupt schimpft Gärtner, so Reents, in alle Richtungen, diverse aktuelle Debatten kommen zur Sprache, am Ende ist stets der Neoliberalismus schuld. Form und Inhalt von Sprache werden dabei konsequent kurzgeschlossen, heißt es weiter. Reents liest das alles mit Genuss: Wo so viel Unsinn dahergeredet wird, brauche es nun einmal einen - seinerseits elegant formulierenden - Sprachkritiker wie Gärtner.
© Perlentaucher Medien GmbH
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