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Martin Milne wird bereits seit drei Tagen vermisst, als Sergeant Logan McRae und sein Team eine Leiche finden. Der Tote liegt nackt, gefesselt und mit einer Plastiktüte über dem Kopf in einem Wald nahe der schottischen Küste. Doch es ist nicht Milne - es ist dessen Geschäftspartner. Ganz in der Nähe hatte man kurz zuvor die Studentin Emily Benton erschlagen aufgefunden. Hängen die Fälle womöglich zusammen? Die Ermittlungen leitet DCI Roberta Steel, die mit ihren Leuten aus Aberdeen in das Küstenstädtchen Banff kommt. Steel war früher McRaes Vorgesetzte, und das Verhältnis der beiden ist äußerst angespannt. Nun müssen sie sich zusammenraufen, um die beiden Morde aufzuklären. Oder sind es längst drei Morde? Von Martin Milne fehlt nämlich noch immer jedes Lebenszeichen ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2017Alle Spuren führen nach Schottland
Krimis in Kürze: Zoë Beck, Lisa Ballantyne und Stuart MacBride
"London, vielleicht bald" lautet die Zeitvorgabe für diese Geschichte, und da man beim derzeitigen Zustand der britischen Zivilgesellschaft nicht sicher sein kann, wohin das Unvereinigte Königreich treibt, hat die Story der Drogenhändlerin, welche die vielfach bewährte Zoë Beck in ihrem neuen Roman "Die Lieferantin" (Suhrkamp, 325 S., br., 14,95 [Euro]) auftischt, von Haus aus einen Wahrscheinlichkeitskredit. Sie beginnt mit einem klassischen Motiv, das sie umdreht: Ein Schutzgeldeintreiber hat das Pech, in Ausübung seines Dienstes von einem Kneipenwirt erschossen zu werden; die Leiche landet ganz traditionell in frischem Zementfußboden. Sein Verschwinden bringt seine Auftraggeber auf den Plan, einen alteingesessenen Drogenclan mit Verhaltenskodex und Beziehungen zum Inlandsgeheimdienst. Fassungslos registriert die Old Economy, dass ein neuer Konkurrent mit Hilfe militärischer Drohnen einen Direktvertrieb feinster Drogen, hauptsächlich Heroin, aufgebaut hat. Man bestellt bequem im Darknet, die Lieferung kommt aus der Luft. Dass sich dahinter eine Frau verbirgt, das herauszufinden dauert eine Weile, aber dann soll alles ganz schnell gehen: Kopfgeld, Auslöschung.
Becks Idee ist gut, die Ausführung hat Mängel, etwa wenn ein Gespräch zwischen Lieferantin und neuem Dealer zu einem Referat über die schottische Medizingeschichte mutiert. Das verkleistert den Plot ebenso wie die wenig überzeugende Emanzipationsgeschichte des studierten Drogenhändlersohnes, der kein Blut sehen, aber doch seinem Daddy etwas beweisen will. Dieser Declan Boyce tapert so unbeholfen durch die Unterwelt, dass er am Ende in einem schematischen Finale vom Jäger zum Gejagten wird.
Ebenfalls in London nimmt ein Roman seinen Anfang, der dann in die Tiefen einer schottischen Kindheit führt, die freizulegen er sich kriminalistischer Mittel bedient. Die leidenschaftliche Lehrerin Margaret Holloway kommt bei einer Massenkarambolage auf der Autobahn nur knapp mit dem Leben davon: Ein stark vernarbter Unbekannter rettet sie aus dem brennenden Wagen. Sie sucht im Krankenhaus nach ihrem Retter und findet ihn dort im Koma wieder. Zur Ruhe kommt Margaret nicht: Der Unfall hat Bilder freigelegt, die sie nicht mehr loslassen. Und sie fühlt sich zu dem Komatösen hingezogen, ohne zu wissen, warum.
Die Schottin Linda Ballantyne, Jahrgang 1972, legt in ihrem zweiten Buch "Wenn du vergisst" (btb Verlag, 479 S., br., 9,99 [Euro]) die Spuren nicht zu einem whodunit aus, sondern zu einem who was I? Der vernarbte Patient evoziert als literarisches Echo Michael Ondaatjes englischen Patienten, das wirkt eher überambitioniert. Die allzu früh sich abzeichnende Lösung kann man verschmerzen, weil Ballantyne ohne falsche Sentimentalitäten schreibt. Nur den alttestamentarisch agierenden Presbyterianer-Journalisten hätte sie sich sparen können.
Viel mehr Einsparpotential lässt hingegen ihr Landsmann Stuart MacBride, Jahrgang 1969, erkennen, den sein deutscher Verlag als "Breitwand-Krimi vor schottischer Kulisse" verkauft. Banff an der Nordostküste Schottlands ist älteren Kinofreunden als Drehort des zauberhaften Heimatfilms "Local Hero" bekannt. Da MacBride seine Mordermittlung in "Totenkalt" (Goldmann, 637 S., br., 9,99 [Euro]) auf acht Tage im Februar konzentriert, ist das Wetter ein mächtiger Akteur. Wenn es nicht schneit, stürmt oder friert, regnet es Katzen und Hunde.
Das Ermittlerteam um Detective Sergeant Logan McRae und seine übersexualisierte frühere Vorgesetzte Roberta Steel wird einer Chefin unterstellt, die sich als nahe Verwandte des an der Grenze zwischen Recht und Unterwelt operierenden McRae entpuppt. Der muss obendrein seine seit Jahren im Koma liegende Freundin abschalten, und er muss sich mit Händen und Schusswaffen der Umarmungsversuche des örtlichen Verbrechersyndikats erwehren. Dabei hat er doch Polizeiarbeit zu verrichten: Geht der zugerichtete Geschäftsmann auf das Konto der organisierten Kriminalität? Die winkt ab. Dann stellt sich heraus, dass der tote Familienvaterdarsteller schwul war, sich bei Geschlechtsakten mit weiblicher Beteiligung filmen ließ und nebst Lebensgefährten und Sohn das Land verlassen wollte.
"Breitwand" heißt wohl auch, es könnte noch lange so weitergehen mit diesem ohnehin komplett auserzählten Roman, dem zehnten der Serie. Weiter auch mit dem Dauerfeuer schmutziger Ausdrücke. Selten so viele Altherren- und Neulesbenwitze gelesen. Vor allem Roberta Steel weiß stets, wohin sich wer was schieben könnte. Und der Erzähler wird nicht müde, unverdrossen einen Absturz auf die nächste Sauferei, eine Prügelei auf den nächsten Todeskampf zu setzen, bis zur völligen Erschöpfung seines Personals - und des Lesers. Und das, obwohl er hundert Seiten weniger abgeliefert hat als beim Vorgänger. Words do come easy.
HANNES HINTERMEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Zoë Beck, Lisa Ballantyne und Stuart MacBride
"London, vielleicht bald" lautet die Zeitvorgabe für diese Geschichte, und da man beim derzeitigen Zustand der britischen Zivilgesellschaft nicht sicher sein kann, wohin das Unvereinigte Königreich treibt, hat die Story der Drogenhändlerin, welche die vielfach bewährte Zoë Beck in ihrem neuen Roman "Die Lieferantin" (Suhrkamp, 325 S., br., 14,95 [Euro]) auftischt, von Haus aus einen Wahrscheinlichkeitskredit. Sie beginnt mit einem klassischen Motiv, das sie umdreht: Ein Schutzgeldeintreiber hat das Pech, in Ausübung seines Dienstes von einem Kneipenwirt erschossen zu werden; die Leiche landet ganz traditionell in frischem Zementfußboden. Sein Verschwinden bringt seine Auftraggeber auf den Plan, einen alteingesessenen Drogenclan mit Verhaltenskodex und Beziehungen zum Inlandsgeheimdienst. Fassungslos registriert die Old Economy, dass ein neuer Konkurrent mit Hilfe militärischer Drohnen einen Direktvertrieb feinster Drogen, hauptsächlich Heroin, aufgebaut hat. Man bestellt bequem im Darknet, die Lieferung kommt aus der Luft. Dass sich dahinter eine Frau verbirgt, das herauszufinden dauert eine Weile, aber dann soll alles ganz schnell gehen: Kopfgeld, Auslöschung.
Becks Idee ist gut, die Ausführung hat Mängel, etwa wenn ein Gespräch zwischen Lieferantin und neuem Dealer zu einem Referat über die schottische Medizingeschichte mutiert. Das verkleistert den Plot ebenso wie die wenig überzeugende Emanzipationsgeschichte des studierten Drogenhändlersohnes, der kein Blut sehen, aber doch seinem Daddy etwas beweisen will. Dieser Declan Boyce tapert so unbeholfen durch die Unterwelt, dass er am Ende in einem schematischen Finale vom Jäger zum Gejagten wird.
Ebenfalls in London nimmt ein Roman seinen Anfang, der dann in die Tiefen einer schottischen Kindheit führt, die freizulegen er sich kriminalistischer Mittel bedient. Die leidenschaftliche Lehrerin Margaret Holloway kommt bei einer Massenkarambolage auf der Autobahn nur knapp mit dem Leben davon: Ein stark vernarbter Unbekannter rettet sie aus dem brennenden Wagen. Sie sucht im Krankenhaus nach ihrem Retter und findet ihn dort im Koma wieder. Zur Ruhe kommt Margaret nicht: Der Unfall hat Bilder freigelegt, die sie nicht mehr loslassen. Und sie fühlt sich zu dem Komatösen hingezogen, ohne zu wissen, warum.
Die Schottin Linda Ballantyne, Jahrgang 1972, legt in ihrem zweiten Buch "Wenn du vergisst" (btb Verlag, 479 S., br., 9,99 [Euro]) die Spuren nicht zu einem whodunit aus, sondern zu einem who was I? Der vernarbte Patient evoziert als literarisches Echo Michael Ondaatjes englischen Patienten, das wirkt eher überambitioniert. Die allzu früh sich abzeichnende Lösung kann man verschmerzen, weil Ballantyne ohne falsche Sentimentalitäten schreibt. Nur den alttestamentarisch agierenden Presbyterianer-Journalisten hätte sie sich sparen können.
Viel mehr Einsparpotential lässt hingegen ihr Landsmann Stuart MacBride, Jahrgang 1969, erkennen, den sein deutscher Verlag als "Breitwand-Krimi vor schottischer Kulisse" verkauft. Banff an der Nordostküste Schottlands ist älteren Kinofreunden als Drehort des zauberhaften Heimatfilms "Local Hero" bekannt. Da MacBride seine Mordermittlung in "Totenkalt" (Goldmann, 637 S., br., 9,99 [Euro]) auf acht Tage im Februar konzentriert, ist das Wetter ein mächtiger Akteur. Wenn es nicht schneit, stürmt oder friert, regnet es Katzen und Hunde.
Das Ermittlerteam um Detective Sergeant Logan McRae und seine übersexualisierte frühere Vorgesetzte Roberta Steel wird einer Chefin unterstellt, die sich als nahe Verwandte des an der Grenze zwischen Recht und Unterwelt operierenden McRae entpuppt. Der muss obendrein seine seit Jahren im Koma liegende Freundin abschalten, und er muss sich mit Händen und Schusswaffen der Umarmungsversuche des örtlichen Verbrechersyndikats erwehren. Dabei hat er doch Polizeiarbeit zu verrichten: Geht der zugerichtete Geschäftsmann auf das Konto der organisierten Kriminalität? Die winkt ab. Dann stellt sich heraus, dass der tote Familienvaterdarsteller schwul war, sich bei Geschlechtsakten mit weiblicher Beteiligung filmen ließ und nebst Lebensgefährten und Sohn das Land verlassen wollte.
"Breitwand" heißt wohl auch, es könnte noch lange so weitergehen mit diesem ohnehin komplett auserzählten Roman, dem zehnten der Serie. Weiter auch mit dem Dauerfeuer schmutziger Ausdrücke. Selten so viele Altherren- und Neulesbenwitze gelesen. Vor allem Roberta Steel weiß stets, wohin sich wer was schieben könnte. Und der Erzähler wird nicht müde, unverdrossen einen Absturz auf die nächste Sauferei, eine Prügelei auf den nächsten Todeskampf zu setzen, bis zur völligen Erschöpfung seines Personals - und des Lesers. Und das, obwohl er hundert Seiten weniger abgeliefert hat als beim Vorgänger. Words do come easy.
HANNES HINTERMEIER
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»Ein hervorragender Thriller« buchtips.net