Als historiographisches Meisterwerk wird die von Jacob Katz beschriebene traditionelle - in sich abgeschlossene - jüdische Gesellschaft Mittel- und Osteuropas bezeichnet.
Der Band erschien 1961 zuerst in hebräischer Sprache und wurde danach 2x ins Englische übersetzt, bevor er jetzt in deutscher Sprache vorliegt - er hat wie kein zweiter das Bild vom vormodernen Judentum geprägt.
Jacob Katz beschreibt in seinem Hauptwerk die traditionelle, in sich abgeschlossene jüdische Gesellschaft Mittel- und Osteuropas, die durch die jüdische Aufklärung einerseits und die Frömmigkeitsbewegung des Chassidismus andererseits allmählich aufgelöst wurde und so den Weg in die Moderne angetreten hat. Das zuerst 1961 in hebräischer Sprache publizierte und bereits zweimal ins Englische übersetzte Buch hat wie kein zweites das Bild vom vormodernen Judentum geprägt und zählt zu den historiographischen Meisterwerken des 20. Jahrhunderts.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Band erschien 1961 zuerst in hebräischer Sprache und wurde danach 2x ins Englische übersetzt, bevor er jetzt in deutscher Sprache vorliegt - er hat wie kein zweiter das Bild vom vormodernen Judentum geprägt.
Jacob Katz beschreibt in seinem Hauptwerk die traditionelle, in sich abgeschlossene jüdische Gesellschaft Mittel- und Osteuropas, die durch die jüdische Aufklärung einerseits und die Frömmigkeitsbewegung des Chassidismus andererseits allmählich aufgelöst wurde und so den Weg in die Moderne angetreten hat. Das zuerst 1961 in hebräischer Sprache publizierte und bereits zweimal ins Englische übersetzte Buch hat wie kein zweites das Bild vom vormodernen Judentum geprägt und zählt zu den historiographischen Meisterwerken des 20. Jahrhunderts.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Andreas Kilcher würdigt die nun endlich auf deutsch vorliegende sozialgeschichtliche Untersuchung "Tradition und Krise" des israelischen Historikers Jacob Katz (1904-1998) als "historiographisches Meisterwerk". Wie Kilcher darlegt, beschreibt Katz - für Kilcher der "wohl bedeutendste jüdische Historikers des 20. Jahrhunderts"- in seinem Hauptwerk die langsame Auflösung der traditionellen jüdischen Gesellschaft im aschkenasischen Europa vom Elsass bis Polen im Vorfeld der Aufklärung. Kilcher hebt insbesondere den sozialgeschichtlichen Ansatz von Katz' Untersuchung hervor. Er ersetze den "chronologischen Zugang zur Geschichte" durch den Blick auf das komplexe strukturelle "Gefüge verschiedener sozialer Institutionen". So stehen bei Katz etwa die Verfassung der jüdischen Gemeinden, Familienformen, wirtschaftliche Strukturen, religiöse Institutionen und Gruppierungen im Zentrum, hält Kilcher fest. Eine große Leistung von Katz' Buch besteht für Kilcher auch darin, dass Katz sich mit diesen methodischen Vorgaben an die Beschreibung jenes mittel- und osteuropäischen Zeitraumes jüdischer Geschichte macht, der bisher gerne außer acht gelassen wurde: die jüdische frühe Neuzeit. Dabei könne Katz zeigen, dass nicht nur die wirtschaftlichen und technischen Erneuerungen und die ideellen Programme der Haskala die Modernisierung des europäischen Judentums vom Elsass bis Polen vorantrieben, sondern auch die große osteuropäische Bewegung des Chassidismus ihren Beitrag zur modernisierende "Desintegration" bestehender sozialer und religiöser Ordnungen leistete.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002Der Historiker hat keine heilenden Kräuter
Jacob Katz und sein Meisterwerk zur jüdischen Gesellschaft in der Zweiten Moderne / Von Friedrich Niewöhner
Gershom Scholem, der Jerusalemer Kollege von Jacob Katz, veröffentlichte 1958 seine berühmten "Zehn unhistorische Sätze über Kabbala". Die jüdische Mystik, Kabbala, ist dasjenige, was durch Tradition empfangen worden ist. Im ersten dieser Sätze heißt es apodiktisch: "Echte Tradition bleibt verborgen; erst die verfallende Tradition verfällt auf einen Gegenstand und wird im Verfall erst in ihrer Größe sichtbar."
Als Scholem dies schrieb, erschien 1958 in Jerusalem auch das Buch des Historikers Jacob Katz (geboren 1904 in Ungarn, seit 1936 in Palästina lebend) mit dem Titel "Tradition und Krise" (Masoret u-Maschber). Das Buch hat seine Geschichte: 1961 (bei The Free Press of Glencoe) und 1971 (bei Schocken) erschien es auf englisch in New York. 1993 wurde eine zweite englische Übersetzung (New York University Press) angefertigt, die im selben Jahr auch als Taschenbuch bei Schocken in New York erschien. Auf dieser Übersetzung basiert nun die deutsche Übersetzung - siebenundsechzig Jahre nachdem Katz in Frankfurt am Main von Karl Mannheim mit einer Arbeit über einen echten Mannheim-Titel promoviert worden ist: "Die Entstehung der Judenassimilation in Deutschland und deren Ideologie".
Das Buch "Tradition und Krise" thematisiert im Untertitel den Weg der jüdischen Gesellschaft "in die Moderne". Die hebräische Ausgabe und die englischen Übersetzungen hatten als Untertitel "Die jüdische Gesellschaft am Ende des Mittelalters". Was heißt hier "Moderne"? Katz selbst läßt keine Zweifel aufkommen: Die Moderne des neuen Untertitels ist die in seinem Buch thematisierte Krise, denn "die gesamte jüdische Vergangenheit ist in dem Übergang von der ,Tradition' zur ,Krise' gegenwärtig". Die Moderne als Krise ist somit der Ausgangspunkt der Untersuchung, was jedoch nicht heißen soll, daß Katz Heilmittel für diese Krise anbieten will. Drei Jahre vor seinem Tod in Jerusalem (1998) hat der greise Gelehrte noch einmal deutlich gesagt: "Ein Historiker, der sich der Erforschung der Vergangenheit zugewandt hat, um auf die Gegenwart einzuwirken, setzt den Lohn seiner Arbeit aufs Spiel." Katz hat immer eine wertfreie Wissenschaft betrieben.
Zur jüdischen Tradition wurden verschiedene Zugänge erprobt: Heinrich Graetz ("Geschichte der Juden von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart") und Marcus Jost ("Geschichte des Judenthums und seiner Sekten") hatten im neunzehnten Jahrhundert den chronologischen Weg gewählt. Im zwanzigsten Jahrhundert haben Jizchak Fritz Baer Lokalgeschichte ("Die Juden im christlichen Spanien") und Selma Stern Personengeschichte ("Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus") geschrieben, während Gershom Scholem ("Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen") die religionsgeschichtliche Linie verfolgte. Simon Dubnow ("Weltgeschichte des jüdischen Volkes") hatte zwar auch Institutionen berücksichtigt, doch Jacob Katz war der erste jüdische Historiker, der die jüdische Tradition rein soziologisch abgehandelt hat.
Im Mittelpunkt seiner Untersuchung steht die Struktur der Gemeinde (kehilla) in Europa zwischen dem späten sechzehnten und der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Eingerahmt ist diese Mitte von einer Abhandlung über die "Grundlage" der traditionellen jüdischen Existenz und einem Ausblick auf die "Anzeichen des Zusammenbruchs". Diese Anzeichen findet Katz sowohl in der osteuropäischen Frömmigkeit, dem Chassidismus, als auch in der westeuropäischen Aufklärung, der Haskala. Der Tenor des Buches lautet also nicht "Von der Dunkelheit (Mittelalter) heraus ans Licht (Aufklärung)". Vielmehr: von der traditionellen, in sich geschlossenen Gesellschaft zur Aufsplitterung in verschiedene Judentümer - das jiddische der frommen Mystiker (Chassidim), das deutsche und das russische der rationalistischen Aufklärer (Maskilim) und das sich religionsneutral gebärdende Judentum nach dem Tod von Moses Mendelssohn (zum Beispiel in den Berliner und Wiener Salons). Letzteres mündete oft ein in die völlige Aufgabe der jüdischen Tradition mit ihrem Religionsgesetz und somit in die Assimilation.
Was bedeutet es für Katz, die jüdische Geschichte unter soziologischen Gesichtspunkten zu beschreiben? Katz untersucht in erster Linie Institutionen: Gemeinden, Bezirksversammlungen, Familien, seelsorgerliche und barmherzige Vereinigungen und Bruderschaften, Handwerkerverbindungen, Bildungsinstitutionen (Schulen jeder Art) und religiöse Institutionen (Rabbinat und Synagoge) sowie die Interaktion zwischen diesen Institutionen. Die wichtigste Institution der jüdischen Tradition allerdings ist das Religionsgesetz, die Halacha, welche das gesamte Leben der Juden bestimmt - das private Leben (Familie), das öffentliche Leben (Gemeinde, Schule, Synagoge) wie die Wechselwirkungen zwischen ihnen. Der Halacha sind alle Institutionen des jüdischen Lebens untergeordnet.
Der Verlauf der jüdischen Geschichte von der Tradition in die Krise ist am Ende des Mittelalters durch etwas ausgelöst worden, das Katz als "paradox" bezeichnet: durch das Bemühen nämlich, die Tradition, und das heißt an erster Stelle die Halacha, zu bewahren. "Die starke Bindung der Juden an die Vergangenheit hatte zur Folge, daß die Gegenwart an Bedeutung verlor, während die Zukunft als Zeit galt, von der man die Wiederherstellung der Werte der Vergangenheit erhoffte." Katz interpretiert die jüdische Gemeinde als eine "idealistische Gesellschaft", die "zu Kompromissen mit der Realität gezwungen" wurde und die darum von ihrer Hoffnung auf eine Wiederherstellung dieser idealistischen Gesellschaft in der Zukunft lebte. Und so führte das, was eigentlich die Tradition bewahren sollte, nämlich die Forderung nach der Gültigkeit der Halacha für alle Lebensbereiche, in die Krise. Der Optimismus der Halachisten erwies sich als eine ebensolche Illusion wie der der jüdischen Aufklärer.
Da die jüdische Tradition ohne die Berücksichtigung der Bedeutung der Halacha für die Gemeinde nicht verständlich ist, so bedeutet jüdische Sozialgeschichte zu schreiben, nicht nur die "Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Juden" (so ein Werk von Gustav Caro) darzustellen, sondern auch, mit einer intimen Kenntnis des Talmuds und der auf ihm basierenden religiösen Rechtsprechung zu schreiben. Diese schwierige Materie, die in dem Anmerkungsapparat eindrücklich dokumentiert wird, behandelt Katz flüssig und gut lesbar, auch für völlige Laien. Man kann das Buch auch ohne die gelehrten Anmerkungen wie einen großen Essay lesen, der einführt in die Welt einer verfallenen Tradition, die unter der Feder von Katz in ihrer Größe wie in ihrer Zwiespältigkeit lebendig wird.
Diese soziologische Studie kann aber, als ein genuin jüdisches Buch, auch gelesen werden als eine neue Geschichte der Halacha in ihren Beziehungen zu den konkreten Wirklichkeiten in der Neuzeit: Karl Mannheims Soziologie mit dem Blick eines Talmudisten. Jacob Katz, der in Frankfurt am Main ordinierte Rabbiner, hat mit diesem Buch ein faszinierendes Meisterwerk geschrieben.
Jacob Katz: "Tradition und Krise". Der Weg der jüdischen Gesellschaft in die Moderne. Aus dem Englischen von Christian Wiese. Mit einem Vorwort von Michael Brenner. Verlag C. H. Beck, München 2002. 382 S., geb., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jacob Katz und sein Meisterwerk zur jüdischen Gesellschaft in der Zweiten Moderne / Von Friedrich Niewöhner
Gershom Scholem, der Jerusalemer Kollege von Jacob Katz, veröffentlichte 1958 seine berühmten "Zehn unhistorische Sätze über Kabbala". Die jüdische Mystik, Kabbala, ist dasjenige, was durch Tradition empfangen worden ist. Im ersten dieser Sätze heißt es apodiktisch: "Echte Tradition bleibt verborgen; erst die verfallende Tradition verfällt auf einen Gegenstand und wird im Verfall erst in ihrer Größe sichtbar."
Als Scholem dies schrieb, erschien 1958 in Jerusalem auch das Buch des Historikers Jacob Katz (geboren 1904 in Ungarn, seit 1936 in Palästina lebend) mit dem Titel "Tradition und Krise" (Masoret u-Maschber). Das Buch hat seine Geschichte: 1961 (bei The Free Press of Glencoe) und 1971 (bei Schocken) erschien es auf englisch in New York. 1993 wurde eine zweite englische Übersetzung (New York University Press) angefertigt, die im selben Jahr auch als Taschenbuch bei Schocken in New York erschien. Auf dieser Übersetzung basiert nun die deutsche Übersetzung - siebenundsechzig Jahre nachdem Katz in Frankfurt am Main von Karl Mannheim mit einer Arbeit über einen echten Mannheim-Titel promoviert worden ist: "Die Entstehung der Judenassimilation in Deutschland und deren Ideologie".
Das Buch "Tradition und Krise" thematisiert im Untertitel den Weg der jüdischen Gesellschaft "in die Moderne". Die hebräische Ausgabe und die englischen Übersetzungen hatten als Untertitel "Die jüdische Gesellschaft am Ende des Mittelalters". Was heißt hier "Moderne"? Katz selbst läßt keine Zweifel aufkommen: Die Moderne des neuen Untertitels ist die in seinem Buch thematisierte Krise, denn "die gesamte jüdische Vergangenheit ist in dem Übergang von der ,Tradition' zur ,Krise' gegenwärtig". Die Moderne als Krise ist somit der Ausgangspunkt der Untersuchung, was jedoch nicht heißen soll, daß Katz Heilmittel für diese Krise anbieten will. Drei Jahre vor seinem Tod in Jerusalem (1998) hat der greise Gelehrte noch einmal deutlich gesagt: "Ein Historiker, der sich der Erforschung der Vergangenheit zugewandt hat, um auf die Gegenwart einzuwirken, setzt den Lohn seiner Arbeit aufs Spiel." Katz hat immer eine wertfreie Wissenschaft betrieben.
Zur jüdischen Tradition wurden verschiedene Zugänge erprobt: Heinrich Graetz ("Geschichte der Juden von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart") und Marcus Jost ("Geschichte des Judenthums und seiner Sekten") hatten im neunzehnten Jahrhundert den chronologischen Weg gewählt. Im zwanzigsten Jahrhundert haben Jizchak Fritz Baer Lokalgeschichte ("Die Juden im christlichen Spanien") und Selma Stern Personengeschichte ("Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus") geschrieben, während Gershom Scholem ("Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen") die religionsgeschichtliche Linie verfolgte. Simon Dubnow ("Weltgeschichte des jüdischen Volkes") hatte zwar auch Institutionen berücksichtigt, doch Jacob Katz war der erste jüdische Historiker, der die jüdische Tradition rein soziologisch abgehandelt hat.
Im Mittelpunkt seiner Untersuchung steht die Struktur der Gemeinde (kehilla) in Europa zwischen dem späten sechzehnten und der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Eingerahmt ist diese Mitte von einer Abhandlung über die "Grundlage" der traditionellen jüdischen Existenz und einem Ausblick auf die "Anzeichen des Zusammenbruchs". Diese Anzeichen findet Katz sowohl in der osteuropäischen Frömmigkeit, dem Chassidismus, als auch in der westeuropäischen Aufklärung, der Haskala. Der Tenor des Buches lautet also nicht "Von der Dunkelheit (Mittelalter) heraus ans Licht (Aufklärung)". Vielmehr: von der traditionellen, in sich geschlossenen Gesellschaft zur Aufsplitterung in verschiedene Judentümer - das jiddische der frommen Mystiker (Chassidim), das deutsche und das russische der rationalistischen Aufklärer (Maskilim) und das sich religionsneutral gebärdende Judentum nach dem Tod von Moses Mendelssohn (zum Beispiel in den Berliner und Wiener Salons). Letzteres mündete oft ein in die völlige Aufgabe der jüdischen Tradition mit ihrem Religionsgesetz und somit in die Assimilation.
Was bedeutet es für Katz, die jüdische Geschichte unter soziologischen Gesichtspunkten zu beschreiben? Katz untersucht in erster Linie Institutionen: Gemeinden, Bezirksversammlungen, Familien, seelsorgerliche und barmherzige Vereinigungen und Bruderschaften, Handwerkerverbindungen, Bildungsinstitutionen (Schulen jeder Art) und religiöse Institutionen (Rabbinat und Synagoge) sowie die Interaktion zwischen diesen Institutionen. Die wichtigste Institution der jüdischen Tradition allerdings ist das Religionsgesetz, die Halacha, welche das gesamte Leben der Juden bestimmt - das private Leben (Familie), das öffentliche Leben (Gemeinde, Schule, Synagoge) wie die Wechselwirkungen zwischen ihnen. Der Halacha sind alle Institutionen des jüdischen Lebens untergeordnet.
Der Verlauf der jüdischen Geschichte von der Tradition in die Krise ist am Ende des Mittelalters durch etwas ausgelöst worden, das Katz als "paradox" bezeichnet: durch das Bemühen nämlich, die Tradition, und das heißt an erster Stelle die Halacha, zu bewahren. "Die starke Bindung der Juden an die Vergangenheit hatte zur Folge, daß die Gegenwart an Bedeutung verlor, während die Zukunft als Zeit galt, von der man die Wiederherstellung der Werte der Vergangenheit erhoffte." Katz interpretiert die jüdische Gemeinde als eine "idealistische Gesellschaft", die "zu Kompromissen mit der Realität gezwungen" wurde und die darum von ihrer Hoffnung auf eine Wiederherstellung dieser idealistischen Gesellschaft in der Zukunft lebte. Und so führte das, was eigentlich die Tradition bewahren sollte, nämlich die Forderung nach der Gültigkeit der Halacha für alle Lebensbereiche, in die Krise. Der Optimismus der Halachisten erwies sich als eine ebensolche Illusion wie der der jüdischen Aufklärer.
Da die jüdische Tradition ohne die Berücksichtigung der Bedeutung der Halacha für die Gemeinde nicht verständlich ist, so bedeutet jüdische Sozialgeschichte zu schreiben, nicht nur die "Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Juden" (so ein Werk von Gustav Caro) darzustellen, sondern auch, mit einer intimen Kenntnis des Talmuds und der auf ihm basierenden religiösen Rechtsprechung zu schreiben. Diese schwierige Materie, die in dem Anmerkungsapparat eindrücklich dokumentiert wird, behandelt Katz flüssig und gut lesbar, auch für völlige Laien. Man kann das Buch auch ohne die gelehrten Anmerkungen wie einen großen Essay lesen, der einführt in die Welt einer verfallenen Tradition, die unter der Feder von Katz in ihrer Größe wie in ihrer Zwiespältigkeit lebendig wird.
Diese soziologische Studie kann aber, als ein genuin jüdisches Buch, auch gelesen werden als eine neue Geschichte der Halacha in ihren Beziehungen zu den konkreten Wirklichkeiten in der Neuzeit: Karl Mannheims Soziologie mit dem Blick eines Talmudisten. Jacob Katz, der in Frankfurt am Main ordinierte Rabbiner, hat mit diesem Buch ein faszinierendes Meisterwerk geschrieben.
Jacob Katz: "Tradition und Krise". Der Weg der jüdischen Gesellschaft in die Moderne. Aus dem Englischen von Christian Wiese. Mit einem Vorwort von Michael Brenner. Verlag C. H. Beck, München 2002. 382 S., geb., 39,90 [Euro].
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"Katz hat unser Verständnis der jüdischen Geschichte zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert grundlegend verändert. Wir verstehen jetzt, dass das jüdische Ghetto in dieser Zeit nicht mehr komplett von allen äußerden Entwicklungen abgeschnitten war und dass der Weg der Juden in die Moderne lange vor iherer rechtlichen Emanzipation begonnen hat." (Arthur Hertzberg)