Tränen strömen, bewegen sie. In den bildenden Künsten, im Theater, Film und in der Literatur kommt die adressierende Qualität der Tränen ebenso zur Geltung wie vor Gericht. Im Weinen entäußert sich das Innere, die Tränen werden auf der Körperoberfläche zu sicht- und lesbaren Anzeichen verbor-gener Regungen. Das Über-schreiten der Haut hat nicht nur eine kommunikative Funktion. Die Entgrenzung des Körpers bedeutet auch drohende Auflö-sung. Der Gabe der Tränen ste-hen Weinkrämpfe gegenüber, in denen der Körper die Herrschaft über das Subjekt zu gewinnen scheint. Zugleich thematisieren die Tränen als nicht nur bewe-gendes, sondern auch bewegtes Phänomen die Möglichkeiten und Grenzen von Darstellbarkeit. Der Band geht den ästhetischen, kommunikativen und anthropo-logischen Wirkweisen der Tränen aus der Perspektive von Kunst-, Literatur-, Film- und Theaterwis-senschaft sowie Wissenschafts- und Medizingeschichte nach.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine ZeitungWeinerlich
Tränen gelten als unverfälschter Ausdruck wahrer Gefühle, als "unwillkürliche Boten" des Inneren. Das Weinen ist ein Moment, in dem die Sprache buchstäblich versagt. Aber es gibt auch die täuschenden, berechneten Tränen. Mit diesem Thema befasst sich ein Sammelband, der aus kunst-, literatur- und medienwissenschaftlicher Perspektive das Phänomen des Weinens in den Blick nimmt. Wie man die feuchte Sprache zu interpretieren hat, unterscheidet sich nach historischem und kulturellem Kontext. In der Historie der Tränen lässt sich ein augenfälliger Wandel der Anlässe feststellen, bei denen sie vergossen werden. Durch das Mittelalter hindurch bis zum Barock konnten Tränen als Ausdruck des Verhältnisses zu Gott gelten. Ein Beitrag von Joseph Imorde befasst sich mit dem weinerlichen Papst Clemens VIII. Dieses Weinen war jedoch nicht Ausdruck einer nervösen Reizbarkeit, sondern verdankte sich der katholischen Reuetradition. Im Mittelalter hatte man ganze Tränenkataloge angelegt. Im empfindsamen 18. Jahrhundert hatte das Weinen dann Hochkonjunktur, entweder als "perverser Selbstgenuss" - so urteilte Rousseau über die Tränen der selbstbezogenen Eigenliebe - oder auch als libertine Verführungskunst. Manfred Schneider befasst sich mit den "Tränen vor Gericht", die "in der westlichen Kultur ein dogmatisch ausgearbeiteter, juristisch kodifizierter, reich kommentierter Auftritt" sind. Erfreulich, dass ein Sammelband so viele verschiedene Perspektiven eines Phänomens eröffnet, ohne dabei die Tiefenschärfe zu verlieren. ("Tränen". Herausgegeben von Beate Söntgen und Geraldine Spiekermann. Wilhelm Fink Verlag, München 2008. 308 S., Abb., br., 39,90 [Euro].) mith
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tränen gelten als unverfälschter Ausdruck wahrer Gefühle, als "unwillkürliche Boten" des Inneren. Das Weinen ist ein Moment, in dem die Sprache buchstäblich versagt. Aber es gibt auch die täuschenden, berechneten Tränen. Mit diesem Thema befasst sich ein Sammelband, der aus kunst-, literatur- und medienwissenschaftlicher Perspektive das Phänomen des Weinens in den Blick nimmt. Wie man die feuchte Sprache zu interpretieren hat, unterscheidet sich nach historischem und kulturellem Kontext. In der Historie der Tränen lässt sich ein augenfälliger Wandel der Anlässe feststellen, bei denen sie vergossen werden. Durch das Mittelalter hindurch bis zum Barock konnten Tränen als Ausdruck des Verhältnisses zu Gott gelten. Ein Beitrag von Joseph Imorde befasst sich mit dem weinerlichen Papst Clemens VIII. Dieses Weinen war jedoch nicht Ausdruck einer nervösen Reizbarkeit, sondern verdankte sich der katholischen Reuetradition. Im Mittelalter hatte man ganze Tränenkataloge angelegt. Im empfindsamen 18. Jahrhundert hatte das Weinen dann Hochkonjunktur, entweder als "perverser Selbstgenuss" - so urteilte Rousseau über die Tränen der selbstbezogenen Eigenliebe - oder auch als libertine Verführungskunst. Manfred Schneider befasst sich mit den "Tränen vor Gericht", die "in der westlichen Kultur ein dogmatisch ausgearbeiteter, juristisch kodifizierter, reich kommentierter Auftritt" sind. Erfreulich, dass ein Sammelband so viele verschiedene Perspektiven eines Phänomens eröffnet, ohne dabei die Tiefenschärfe zu verlieren. ("Tränen". Herausgegeben von Beate Söntgen und Geraldine Spiekermann. Wilhelm Fink Verlag, München 2008. 308 S., Abb., br., 39,90 [Euro].) mith
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main