Valyna Mort, 1981 in Minsk in der damaligen Sowjetunion geboren, hat erst als Jugendliche Weißrussisch gelernt. Sie, die eigentlich Sängerin werden wollte, entdeckte die politisch umkämpfte Sprache als Instrument des lyrischen Ausdrucks - und macht sie zum Thema ihrer aggressiven Balladen und militanten Litaneien. Von der Kindheit in einem Land voller Angst bis zu den Reisen nach Berlin und New York folgen die Gedichte den Stationen ihres Lebens. Lakonie wechselt ab mit zornigem Pathos. Mort experimentiert mit den Formen Kinderlied, Oper, Agitprop-Gedicht ('Und wieder liegt in der Jahres- / bilanz die Tränenfabrik/ ganz vorn.') und erzielt surrealistische Effekte ('wie ein erstarrter blitz/steht eine tulpe/auf meinem bett'). Sie ist die stärkste lyrische Stimme aus einem verschlossenen Land.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2009Zigarettennebel
In den Gedichten von Valzhyna Mort sind animistische Vorgänge zu beobachten. Ob Wüsten, Meere, Himmelskörper oder tote Gegenstände - was diese 1981 in Minsk geborene Lyrikerin mit ihrer Sprache berührt, wird lebendig. Bei ihr wohnt das Mana im Instrument: "Akkordeon, arroganter Vogel / pickt in die Hände mir / anstatt zu essen aus ihnen. / Ein riesiger Falter, dessen Flügel die Augen blenden / und den ich fangen muss nach Gehör. / Akkordeon, das sich wie eine Metapher öffnet. / Akkordeon, das mir den Rücken zukehrt." Eine Auswahl ihrer besten Gedichte liegt, aus dem Weißrussischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen, nun erstmals auf Deutsch vor. Darin besticht der oft abrupte Wechsel zwischen hypnotisierender Zärtlichkeit und alarmierender Lautstärke. Hungrig greift Mort in die Wirklichkeit, breitet mit großem Gespür für die Ambivalenzen des sexuellen Begehrens die Fragmente einer Sprache der Liebe aus. Jean-Paul Belmondo hat ein Steingesicht, "auf dem wie zwei Robben die lippen liegen / im küstennebel aus zigarettenrauch". Die Lust "kommt wie ein Bus zur Haltestelle, wartet eine Minute und macht einem vor der Nase die Tür zu". Schmerz ist "ein Gott, der küsst und piekt mit seiner unrasierten Wange". Ob es ums Erwachsenwerden, um Einsamkeit, Familie oder Städte geht - die Motive von Valzhyna Mort, die ihre Gedichte oft in Nordamerika verortet, sind universell. Und doch kommt dieses Ausnahmetalent, das in Amerika lebt, immer wieder auf das verschlossene Heimatland zurück: "deine sprache ist so klein, / dass sie noch kein gespräch führen kann. / und du, belarus, in hysterie, / dir scheint stets, / dass die hebammen die wickel verwechselt haben." (Valzhyna Mort: "Tränenfabrik". Gedichte. Aus dem Weißrussischen von Katharina Narbutovic. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 86 S., br., 10,- [Euro].) spe
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In den Gedichten von Valzhyna Mort sind animistische Vorgänge zu beobachten. Ob Wüsten, Meere, Himmelskörper oder tote Gegenstände - was diese 1981 in Minsk geborene Lyrikerin mit ihrer Sprache berührt, wird lebendig. Bei ihr wohnt das Mana im Instrument: "Akkordeon, arroganter Vogel / pickt in die Hände mir / anstatt zu essen aus ihnen. / Ein riesiger Falter, dessen Flügel die Augen blenden / und den ich fangen muss nach Gehör. / Akkordeon, das sich wie eine Metapher öffnet. / Akkordeon, das mir den Rücken zukehrt." Eine Auswahl ihrer besten Gedichte liegt, aus dem Weißrussischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen, nun erstmals auf Deutsch vor. Darin besticht der oft abrupte Wechsel zwischen hypnotisierender Zärtlichkeit und alarmierender Lautstärke. Hungrig greift Mort in die Wirklichkeit, breitet mit großem Gespür für die Ambivalenzen des sexuellen Begehrens die Fragmente einer Sprache der Liebe aus. Jean-Paul Belmondo hat ein Steingesicht, "auf dem wie zwei Robben die lippen liegen / im küstennebel aus zigarettenrauch". Die Lust "kommt wie ein Bus zur Haltestelle, wartet eine Minute und macht einem vor der Nase die Tür zu". Schmerz ist "ein Gott, der küsst und piekt mit seiner unrasierten Wange". Ob es ums Erwachsenwerden, um Einsamkeit, Familie oder Städte geht - die Motive von Valzhyna Mort, die ihre Gedichte oft in Nordamerika verortet, sind universell. Und doch kommt dieses Ausnahmetalent, das in Amerika lebt, immer wieder auf das verschlossene Heimatland zurück: "deine sprache ist so klein, / dass sie noch kein gespräch führen kann. / und du, belarus, in hysterie, / dir scheint stets, / dass die hebammen die wickel verwechselt haben." (Valzhyna Mort: "Tränenfabrik". Gedichte. Aus dem Weißrussischen von Katharina Narbutovic. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 86 S., br., 10,- [Euro].) spe
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Einigermaßen hymnisch bespricht Rezensentin Insa Wilke diesen Lyrikband der "ungewöhnlichen jungen Lyrikerin" aus Weißrussland, die aus ihrer Sicht Weltliteraturformat hat. Wilke vernimmt "die Stimme Baals" aus den Texten, und zwar "mythisch, kraftvoll, unverwüstlich". Manchen Gedichten bescheinigt sie die "Kraft eines Walt Whitman", auch der Umgang mit erotischen Motiven beeindruckt die Rezensentin sehr. Sorgfältig komponiert findet sie diese deutsche Edition zudem, die eigens von der Lyrikerin "komponiert" und durch einen autobiografischen Essay ergänzt worden sei. Ein Riesenlob geht auch an Übersetzerin Katharina Narbutovic, der es aus Sicht der Rezensentin zu verdanken ist, dass die Gedichte auch auf Deutsch "wunderbar tönen".
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»Ob es ums Erwachsenwerden, um Einsamkeit, Familie oder Städte geht - die Motive von Valzhyna Mort, die ihre Gedichte oft in Nordamerika verortet, sind universell.« Stefanie Peter Frankfurter Allgemeine Zeitung 20090828