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Produktdetails
  • Verlag: Oberbaum
  • Seitenzahl: 103
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 238g
  • ISBN-13: 9783928254816
  • ISBN-10: 3928254812
  • Artikelnr.: 24942309
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2000

Lesetip zum Wochenende
Befreit beharren
Magdalena Tullis Stadt-Biologie
Vom Schwerpunkt der kommenden Frankfurter Buchmesse haben in den letzten Wochen immer mehr Verlagskataloge gekündet – mit Dutzenden von angebotenen neuen Titeln aus der polnischen Literatur. Gerade noch Zeit also, auf ein Buch hinzuweisen, das bereits vor zwei Jahren erschienen ist. Weder Essay noch Erzählung, weder Reportage noch Traktat, ist es ein kaleidoskopisches Prosabuch, darin jeder Satz die Qualität eines Aphorismus besitzt, mit traumwandlerischer Sicherheit sich frei hält von jeglichem Lyrismus.
Geschrieben hat das Buch die 1955 geborene, in Warschau und Mailand aufgewachsene Magdalena Tulli, eine promovierte Biologin. Es trägt den Titel „Träume und Steine” und ist gleich nach Erscheinen 1995 in Polen mit einem Literaturpreis ausgezeichnet worden. Das – aus der Kunstgeschichte geborgte – Titelbild der deutschen Ausgabe „passt” hundertprozentig – ein bewölkter Himmel und der riesige Felstropfen, der erhaben über der Brandung schwebt, gekrönt von einer fensterlosen Polis, ein bizarres Geschwür, das der Fels seinerseits hervorgetrieben hat: René Magrittes „Pyrenäenschloß”.
Auch der Text, bevor er zu seinem Thema kommt, setzt mit einem Bild ein, dem der Baumkrone, die ihre unterirdische Entsprechung im Wurzelwerk hat: „Auch die Stadt besetzt eine solche Doppelnatur. Sie existiert als Verkörperung einer einzelnen Möglichkeit auf der Liste dessen, was möglich ist. Sie hat einen Namen, der auf jedem ihrer Bahnhöfe steht, einen Fluss, einen Zoologischen Garten. Alle kennen die Schattierungen der Wolken am Himmel und des Verputzes auswendig . . . Beim Durchstreifen der Stadt beginnen sie alle zugleich wie im Fieber die Vorstellung dessen, was sie noch sein könnte, zu vervielfachen. Wenn zum Beispiel der Fluss breit und träge zwischen sandigen Ufern dahin fließt, müssen sie einen anderen erschaffen, tief und reißend, mit grün bewachsenem Steilufer. ”
Es gibt feine Anspielungen auf Warschau, aber „gemeint” sind alle Städte der Welt, auch die nicht geplanten, die des Einzelnen: „Ein Verkehrspolizist, der den Straßenverkehr regelt, wohnt in einer Stadt, die aus Nummernschildern gebaut ist, an die Karosserien, Fahrgestelle, Motoren und Blinker angeschlossen sind. ” Sowie die Welten im Kopf: „Unter den Gewölben der Schädeldecke dehnen sich, unberührt von menschlichem Fuß, unbegrenzte Räume voller Dinge, die deutlich zu sehen, aber nicht zu berühren sind. ” Die Städte aus Stein und die Städte des Traumes – in der Zeit der Dämmerung durchdringen sie einander. Immer deutlicher wird, dass Magdalena Tulli sich nicht nur „urbi et orbi” widmet, sondern – Biologin, Lebenskundlerin, die sie ist – dem Menschengeschlecht an sich und der Vergänglichkeit der conditio humana: „Auf der Welt gibt es keine Entscheidungen, die so schlecht sind, dass niemand sie trifft. Sogar der schlimmste Ausweg kann sich für jemanden als der beste erweisen. ”
Das Leben der Steine
An der Grenze dreier Elemente sei die Stadt errichtet worden, auf dem Lehm des Gedächtnisses, dem Sand der Träume, dem Grundwasser des Vergessens. Erinnerungen seien für das Vergessen das, was Sandburgen für das nahend Wasser sind . . . Die Sintflut ist es dann, die das Schöpfungswerk vervollkommnet – zu diesen letzten Worten: „Die Stadt am Anfang dieser Geschichte, geboren durch den Baum der Welt – existiert nicht, ebenso wenig wie der Baum und wir selbst. Doch das Leben der Steine, das keine Sorge um Vergangenheit und Zukunft kennt, war ein unzerbrechliches von seinem Namen befreites Beharren – und wird es bleiben. ”
Magdalena Tullis Prosa ist sozusagen grundsätzlicher als die von Italo Calvino in den „Unsichtbaren Städten”. Und in der Unbeirrbarkeit ihrer Definitionen erinnert sie manchmal an die von Jorge Luis Borges, in ihren mythischen Referaten an die des neuen Bachmann-Preis-Trägers Georg Klein. Hundert dichte und doch leichte Seiten sind das, und manchmal wünscht man sich die Sätze gesprochen – von einer Schauspielerin wie Heidelinde Weis, mit einer Stimme, die nicht erzählt, sondern suggestiv zuhört. Das Schönste ist: Im Spätsommer erscheint bei der Deutschen Verlags-Anstalt ein neuer Roman von Magdalena Tulli: „In Rot”.
HERMANN WALLMANN
MAGDALENA TULLI: Träume und Steine. Aus dem Polnischen von Bettina Eberspächer. Oberbaum Verlag, Berlin 1998. 103 Seiten, 29,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Zuordnung zu einem bestimmten Genre fällt schwer, stellt der Rezensent Hermann Wallmann fest. Auf der Hand liege aber die hohe Qualität des Bandes, "in dem jeder Satz die Qualität eines Aphorismus besitzt". Das Thema sei die Stadt, und zwar im allgemeinen - ebenso wie im besondern (angespielt wenigstens:) Warschau. Wallmann fühlt sich an Calvino, an Borges, auch an Georg Klein erinnert, zitiert ausführlich und wünscht sich das Buch, das er so dicht wie leicht findet, vorgelesen "mit einer Stimme, die nicht erzählt, sondern suggestiv zuhört."

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