Die Auswertung von 17.050 Träumen bildet die Grundlage des Buches, in dem der Autor zentrale Themen der traumorientierten Psychotherapie aufgreift, wie z.B. Liebe, Treue, Sexualität, Aggression, Angst, Depression oder Ekel im Traum. Wertvoll ist die Systematik von 667 Traumsymbolen. Der Autor legt ein Buch vor, aus dem Praxisnähe und seine große Erfahrung sprechen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.1999Klug ist der Schlaf, töricht sind die Träume
Wie man mit einer zweistündigen Siesta eine Stunde Arbeitszeit sparen kann
Jeder von uns kennt einen militanten Nichtraucher, der keine Gelegenheit verstreichen läßt, uns über die Gefahren des indianischen Krauts zu belehren. Natürlich haben diese Leute recht, aber auf die Nerven gehen sie uns trotzdem. Stanley Coren ist auch aus diesem Holz geschnitzt, nur hat er ein anderes Lieblingsthema. In seinem Buch "Die unausgeschlafene Gesellschaft" geht es um die schädlichen Auswirkungen eines Mangels an Schlaf.
Coren ist Psychologieprofessor an der Universität Vancouver. Er vertritt die Theorie, daß in unseren westlichen Industriegesellschaften im Durchschnitt zu wenig geschlafen wird. Dadurch leidet die Qualität unserer Arbeit, es gibt mehr Unfälle, und unter dem Strich ist ein Nachteil für die Volkswirtschaft zu konstatieren. Beim Rauchen konnte man die Schädlichkeit mit Statistiken beweisen, auch wenn einige hartgesottene Vertreter der Zigarettenindustrie sie immer noch abstreiten. Beim chronischen Schlafdefizit ist die analoge Forschungsarbeit noch weitgehend zu leisten. Wenn Coren mit seinen Vermutungen recht hat, müssen wir aber von einem Problem ausgehen, das von der Größenordnung her etwa mit dem Alkohol- oder Nikotinmißbrauch vergleichbar ist.
Bis vor wenigen hundert Jahren haben wir Menschen nachts hauptsächlich geschlafen. Das stimmt insbesondere, wenn man beide Bedeutungen des Wortes "schlafen" zuläßt. Als Augentiere sind wir tagsüber aktiv, seinerzeit taten wir gut daran, uns in der Dunkelheit in unsere Hütten zurückzuziehen, wo wir vor den Bären geschützt waren und uns gegenseitig wärmen konnten. Dann wurden die Tranfunzel, der Farbfernseher und die Disco erfunden. Das führte zu einer radikalen Änderung unserer Lebensgewohnheiten. Unsere durchschnittliche Schlafzeit hat sich um mehrere Stunden reduziert. Wir schlafen weniger, als die Natur für uns eingeplant hat. Und weil sich das alles vor relativ kurzer Zeit abgespielt hat, konnte die Evolution noch nicht darauf reagieren.
Schlafen für die Volkswirtschaft
Es ist offensichtlich, daß extremer Schlafentzug schädliche Folgen haben kann. Wer jemals am Steuer eingeschlafen ist, weiß, wovon wir reden. (Natürlich nur, wenn er dieses Ereignis überlebt hat.) Aber darum geht es Coren eigentlich gar nicht. Vereinfacht ausgedrückt, ist seine Botschaft, daß wir am Tag eine Stunde länger schlafen und dafür eine Stunde weniger arbeiten sollten. Das würde erstens unsere Lebensqualität und zweitens das Bruttosozialprodukt steigern. Die Zusammenhänge sind zu komplex, als daß ein einzelner Forscher in der Lage wäre, endgültige Ergebnisse vorzulegen. Corens Buch kann deshalb auch nur präparatorisch sein. Wir lernen viel über den normalen und den gestörten, über den verkürzten und den verlängerten Schlaf. Anekdoten sollen den Leser wachhalten.
Der Erfinder Thomas Alva Edison hat mit seiner Glühbirne erst die Schichtarbeit in unseren Fabriken ermöglicht. Gleichzeitig vertrat er die Ansicht, daß wir zuviel schlafen und deshalb ständig müde sind. Er kam mit vier Stunden pro Nacht aus. Allerdings machte er tagsüber öfters man ein Nickerchen. Nun haben gründliche Untersuchungen aber ergeben, daß wir die Länge eines solchen Nickerchens oft systematisch unterschätzen. Es gibt durchaus Personen mit einem reduzierten Ruhebedürfnis, Bonaparte ist ein Beispiel, aber Edison gehörte vielleicht gar nicht zu dieser Gruppe. Eine besondere Gefahr für den Schlaf geht von Drogen aus. Zu den üblichen Verdächtigen gehört natürlich das Koffein. Eine Tasse Kaffee, zwei Stunden vor dem Zubettgehen getrunken, genügt schon, um die zum Einschlafen benötigte Zeit zu verdoppeln. Aber auch eine Tasse heiße Schokolade enthält so viele Stimulantien, daß empfindliche Personen dieses Getränk meiden sollten. Alkohol hilft zwar beim Einschlafen, verschlechtert aber die Qualität der zweiten Hälfte des Schlafs. Schlaftabletten wirken kurzfristig, verschlimmern jedoch das Problem auf Dauer. Wer schlecht schläft, sollte es einmal mit einem Glas heißer Milch und zwei Aspirin versuchen. Vielleicht reicht das schon.
Ständig wechselnde Arbeitszeiten machen den regelmäßigen Schlaf fast unmöglich. In Corens nordamerikanischer Heimat, aber wohl auch bei uns in Deutschland ist es üblich, Ärzte in der Ausbildung bis an ihre Grenzen zu belasten. Vierundzwanzig Stunden Dienst hintereinander sind ohne weiteres möglich. Das hat einerseits handfeste ökonomische Gründe: Die Nachfrage nach diesen Stellen übersteigt das Angebot, und deshalb kann man den jungen Leuten viel zumuten. Andererseits handelt es sich aber wohl auch um einen Initiationsritus und eine Art Elchtest. Die Zeche zahlen natürlich die Patienten, im Extremfall mit ihrem Leben.
Flugzeuge sind abgestürzt, weil im Cockpit alle geschlafen haben. Bei der Havarie der Exxon Valdez und den Atomunglücken von Three Mile Island und Tschernobyl waren die Verantwortlichen übermüdet. Es ist sogar schon vorgekommen, daß Studentinnen im Prüfungsstreß nach einer durchgearbeiteten Nacht wertvolles Gerät im Schlaflabor von Professor Coren zertöppert haben. Solche Fälle sind eindeutig. Nicht so einfach ist es aber zu beweisen, daß schon ein geringer Mangel an Schlaf gefährlich ist. Coren hat sich in diesem Zusammenhang mit Beginn und Ende der Sommerzeit beschäftigt. An einem Sonntag im Frühling verlieren wir eine Stunde Schlaf, an einem Sonntag im Herbst bekommen wir sie zurück. Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Im Frühling steigt die Zahl der tödlichen Unfälle, im Herbst sinkt sie.
Es gibt aber auch positive Auswirkungen des Schlafentzugs. Ein erfahrener Schlichter bei Tarifverhandlungen schildert anonym, wie er es schafft, die Parteien mit langen nächtlichen Sitzungen mürbe zu machen: "Die meisten von ihnen sind so benebelt, daß sie sich nicht mehr sicher sind, ob der entsprechende Punkt geklärt worden ist oder nicht, und oft sind sie ohnehin zu müde, um Einspruch zu erheben."
Alles in allem ist das Buch leider nicht sehr mitreißend geschrieben. Man könnte es ohne weiteres auf die Hälfte kürzen. Wer unter Schlafstörungen leidet, kann aber viel Interessantes und vielleicht sogar Hilfreiches daraus lernen. Die Insomnie verschafft uns ja schließlich genug Zeit zur Lektüre.
"Schlafen? Vielleicht auch träumen - ja da ist der Haken!" heißt es bei Shakespeare (Hamlet, 3. Akt; sehr gebildet). Dazu ist zu bemerken, daß das Wort "vielleicht" eine Untertreibung ist. Zu einem vollständigen Schlaf gehört immer mindestens ein Traum, nur erinnert man sich oft nicht mehr daran. Freuds Untersuchungen mußten leider unvollständig bleiben, weil es zu seiner Zeit noch kein MS-Windows gab. Dr. Holger Bertrand Flöttmanns - seines Zeichens Neurologe, Psychiater und Produzent tiefenpsychologischer Filme - hat diese Lücke geschlossen. "Erstmals ist es gelungen, 17050 Träume in einer eigens entwickelten Datenbank anzulegen. Erst der Computer ermöglicht das Systematisieren und Zuordnen von Träumen und Konflikten. Die Traumforschung ist somit ein sehr aktuelles Gebiet. Die Träume wurden mit Hilfe von 11909 Stichwörtern auf 653 Symbole untersucht. So kann man zum Beispiel alle Träume mit einem Symbol oder anderen Merkmalen auswählen." Mit dieser Verheißung wirbt das von Flöttmann geleitete "Institut für Forschung und Lehre der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik".
17050 bunte Träume
Das Buch beginnt mit einer allgemeinen Einführung in die Traumdeutung mit Abschnitten über Themen wie Schuldgefühle, Angst, Ekel, Sexualität, Inzest, Lebensfreude und so weiter im Traum. Im zweiten Teil geht es um die Traumsymbole im einzelnen, von A wie Auto bis Z wie Zahn. Die theoretischen Überlegungen werden dabei immer wieder mit einem der 17050 Träume illustriert.
Zunächst wird in wenigen Sätzen geschildert, warum die Patienten in Behandlung sind: "Eine siebenundzwanzigjährige Beamtin leidet unter Eßanfällen und einer Verkümmerung ihrer Liebesfähigkeit." Dann erfolgt die Beschreibung des Traums: "Ich schrecke auf und sehe ganz entsetzt, wie die Hand von einer gigantischen, ganz weißen Spinne mit total haarigen und zahlreichen langen Beinen umklammert wird." Zum Schluß erhalten wir dann noch eine Interpretation: "Im Traum gelingt es der Tochter, sich gegen die Umklammerung der Mutter zu wehren."
Das Buch ist auch für Laien angenehm zu lesen. Wer voyeuristische Tendenzen hat, wird ein besonderes Vergnügen empfinden. So bequem kann man bei seinen Nachbarn sonst nie durchs Schlafzimmerfenster schauen ("Wir haben Sex, und meine Eltern sind dabei"). Zu warnen ist allerdings davor, übereilte Schlüsse über die eigene Situation zu ziehen. Die Träume stammen von 269 Frauen und 204 Männern mit neurotischen und psychosomatischen Störungen. Inwieweit die Interpretationen auch für Personen ohne psychische Erkrankung gültig sind, bleibt offen. Und überhaupt: "Träume überraschen uns manchmal damit, daß sie das Gegenteil dessen aussagen, was sie vordergründig darstellen."
Aber halt! Eine Kleinigkeit möchte der Rezensent doch bemängeln. Zwischen Zeppelin und Zigeuner fehlt die Zigarre. Wo er doch seit den letzten Ereignissen in den Staaten ständig davon träumt, daß ihm die Steffi eine Zigarre schenkt! Aber die Träume im Buch stammen wohl hauptsächlich von Kassenpatienten, die wenig von den Genüssen des Lebens verstehen. Immerhin ließ sich ein anderer Traum mit den Elementen Bus (Symbol für Mutter), Telefon (Nabelschnur), Schwimmbad (Mutterleib), Friseur (Reifung) und Fotoapparat (Wunscherfüllung) mühelos deuten. ERNST HORST
Stanley Coren: "Die unausgeschlafene Gesellschaft". Aus dem Amerikanischen von Alan Posener. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 448 S., geb., 45,- DM.
Holger Bertrand Flöttmann: "Träume zeigen neue Wege". Eine Systematik der Traumsymbole. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1998. 254 S., br., 49,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie man mit einer zweistündigen Siesta eine Stunde Arbeitszeit sparen kann
Jeder von uns kennt einen militanten Nichtraucher, der keine Gelegenheit verstreichen läßt, uns über die Gefahren des indianischen Krauts zu belehren. Natürlich haben diese Leute recht, aber auf die Nerven gehen sie uns trotzdem. Stanley Coren ist auch aus diesem Holz geschnitzt, nur hat er ein anderes Lieblingsthema. In seinem Buch "Die unausgeschlafene Gesellschaft" geht es um die schädlichen Auswirkungen eines Mangels an Schlaf.
Coren ist Psychologieprofessor an der Universität Vancouver. Er vertritt die Theorie, daß in unseren westlichen Industriegesellschaften im Durchschnitt zu wenig geschlafen wird. Dadurch leidet die Qualität unserer Arbeit, es gibt mehr Unfälle, und unter dem Strich ist ein Nachteil für die Volkswirtschaft zu konstatieren. Beim Rauchen konnte man die Schädlichkeit mit Statistiken beweisen, auch wenn einige hartgesottene Vertreter der Zigarettenindustrie sie immer noch abstreiten. Beim chronischen Schlafdefizit ist die analoge Forschungsarbeit noch weitgehend zu leisten. Wenn Coren mit seinen Vermutungen recht hat, müssen wir aber von einem Problem ausgehen, das von der Größenordnung her etwa mit dem Alkohol- oder Nikotinmißbrauch vergleichbar ist.
Bis vor wenigen hundert Jahren haben wir Menschen nachts hauptsächlich geschlafen. Das stimmt insbesondere, wenn man beide Bedeutungen des Wortes "schlafen" zuläßt. Als Augentiere sind wir tagsüber aktiv, seinerzeit taten wir gut daran, uns in der Dunkelheit in unsere Hütten zurückzuziehen, wo wir vor den Bären geschützt waren und uns gegenseitig wärmen konnten. Dann wurden die Tranfunzel, der Farbfernseher und die Disco erfunden. Das führte zu einer radikalen Änderung unserer Lebensgewohnheiten. Unsere durchschnittliche Schlafzeit hat sich um mehrere Stunden reduziert. Wir schlafen weniger, als die Natur für uns eingeplant hat. Und weil sich das alles vor relativ kurzer Zeit abgespielt hat, konnte die Evolution noch nicht darauf reagieren.
Schlafen für die Volkswirtschaft
Es ist offensichtlich, daß extremer Schlafentzug schädliche Folgen haben kann. Wer jemals am Steuer eingeschlafen ist, weiß, wovon wir reden. (Natürlich nur, wenn er dieses Ereignis überlebt hat.) Aber darum geht es Coren eigentlich gar nicht. Vereinfacht ausgedrückt, ist seine Botschaft, daß wir am Tag eine Stunde länger schlafen und dafür eine Stunde weniger arbeiten sollten. Das würde erstens unsere Lebensqualität und zweitens das Bruttosozialprodukt steigern. Die Zusammenhänge sind zu komplex, als daß ein einzelner Forscher in der Lage wäre, endgültige Ergebnisse vorzulegen. Corens Buch kann deshalb auch nur präparatorisch sein. Wir lernen viel über den normalen und den gestörten, über den verkürzten und den verlängerten Schlaf. Anekdoten sollen den Leser wachhalten.
Der Erfinder Thomas Alva Edison hat mit seiner Glühbirne erst die Schichtarbeit in unseren Fabriken ermöglicht. Gleichzeitig vertrat er die Ansicht, daß wir zuviel schlafen und deshalb ständig müde sind. Er kam mit vier Stunden pro Nacht aus. Allerdings machte er tagsüber öfters man ein Nickerchen. Nun haben gründliche Untersuchungen aber ergeben, daß wir die Länge eines solchen Nickerchens oft systematisch unterschätzen. Es gibt durchaus Personen mit einem reduzierten Ruhebedürfnis, Bonaparte ist ein Beispiel, aber Edison gehörte vielleicht gar nicht zu dieser Gruppe. Eine besondere Gefahr für den Schlaf geht von Drogen aus. Zu den üblichen Verdächtigen gehört natürlich das Koffein. Eine Tasse Kaffee, zwei Stunden vor dem Zubettgehen getrunken, genügt schon, um die zum Einschlafen benötigte Zeit zu verdoppeln. Aber auch eine Tasse heiße Schokolade enthält so viele Stimulantien, daß empfindliche Personen dieses Getränk meiden sollten. Alkohol hilft zwar beim Einschlafen, verschlechtert aber die Qualität der zweiten Hälfte des Schlafs. Schlaftabletten wirken kurzfristig, verschlimmern jedoch das Problem auf Dauer. Wer schlecht schläft, sollte es einmal mit einem Glas heißer Milch und zwei Aspirin versuchen. Vielleicht reicht das schon.
Ständig wechselnde Arbeitszeiten machen den regelmäßigen Schlaf fast unmöglich. In Corens nordamerikanischer Heimat, aber wohl auch bei uns in Deutschland ist es üblich, Ärzte in der Ausbildung bis an ihre Grenzen zu belasten. Vierundzwanzig Stunden Dienst hintereinander sind ohne weiteres möglich. Das hat einerseits handfeste ökonomische Gründe: Die Nachfrage nach diesen Stellen übersteigt das Angebot, und deshalb kann man den jungen Leuten viel zumuten. Andererseits handelt es sich aber wohl auch um einen Initiationsritus und eine Art Elchtest. Die Zeche zahlen natürlich die Patienten, im Extremfall mit ihrem Leben.
Flugzeuge sind abgestürzt, weil im Cockpit alle geschlafen haben. Bei der Havarie der Exxon Valdez und den Atomunglücken von Three Mile Island und Tschernobyl waren die Verantwortlichen übermüdet. Es ist sogar schon vorgekommen, daß Studentinnen im Prüfungsstreß nach einer durchgearbeiteten Nacht wertvolles Gerät im Schlaflabor von Professor Coren zertöppert haben. Solche Fälle sind eindeutig. Nicht so einfach ist es aber zu beweisen, daß schon ein geringer Mangel an Schlaf gefährlich ist. Coren hat sich in diesem Zusammenhang mit Beginn und Ende der Sommerzeit beschäftigt. An einem Sonntag im Frühling verlieren wir eine Stunde Schlaf, an einem Sonntag im Herbst bekommen wir sie zurück. Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Im Frühling steigt die Zahl der tödlichen Unfälle, im Herbst sinkt sie.
Es gibt aber auch positive Auswirkungen des Schlafentzugs. Ein erfahrener Schlichter bei Tarifverhandlungen schildert anonym, wie er es schafft, die Parteien mit langen nächtlichen Sitzungen mürbe zu machen: "Die meisten von ihnen sind so benebelt, daß sie sich nicht mehr sicher sind, ob der entsprechende Punkt geklärt worden ist oder nicht, und oft sind sie ohnehin zu müde, um Einspruch zu erheben."
Alles in allem ist das Buch leider nicht sehr mitreißend geschrieben. Man könnte es ohne weiteres auf die Hälfte kürzen. Wer unter Schlafstörungen leidet, kann aber viel Interessantes und vielleicht sogar Hilfreiches daraus lernen. Die Insomnie verschafft uns ja schließlich genug Zeit zur Lektüre.
"Schlafen? Vielleicht auch träumen - ja da ist der Haken!" heißt es bei Shakespeare (Hamlet, 3. Akt; sehr gebildet). Dazu ist zu bemerken, daß das Wort "vielleicht" eine Untertreibung ist. Zu einem vollständigen Schlaf gehört immer mindestens ein Traum, nur erinnert man sich oft nicht mehr daran. Freuds Untersuchungen mußten leider unvollständig bleiben, weil es zu seiner Zeit noch kein MS-Windows gab. Dr. Holger Bertrand Flöttmanns - seines Zeichens Neurologe, Psychiater und Produzent tiefenpsychologischer Filme - hat diese Lücke geschlossen. "Erstmals ist es gelungen, 17050 Träume in einer eigens entwickelten Datenbank anzulegen. Erst der Computer ermöglicht das Systematisieren und Zuordnen von Träumen und Konflikten. Die Traumforschung ist somit ein sehr aktuelles Gebiet. Die Träume wurden mit Hilfe von 11909 Stichwörtern auf 653 Symbole untersucht. So kann man zum Beispiel alle Träume mit einem Symbol oder anderen Merkmalen auswählen." Mit dieser Verheißung wirbt das von Flöttmann geleitete "Institut für Forschung und Lehre der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik".
17050 bunte Träume
Das Buch beginnt mit einer allgemeinen Einführung in die Traumdeutung mit Abschnitten über Themen wie Schuldgefühle, Angst, Ekel, Sexualität, Inzest, Lebensfreude und so weiter im Traum. Im zweiten Teil geht es um die Traumsymbole im einzelnen, von A wie Auto bis Z wie Zahn. Die theoretischen Überlegungen werden dabei immer wieder mit einem der 17050 Träume illustriert.
Zunächst wird in wenigen Sätzen geschildert, warum die Patienten in Behandlung sind: "Eine siebenundzwanzigjährige Beamtin leidet unter Eßanfällen und einer Verkümmerung ihrer Liebesfähigkeit." Dann erfolgt die Beschreibung des Traums: "Ich schrecke auf und sehe ganz entsetzt, wie die Hand von einer gigantischen, ganz weißen Spinne mit total haarigen und zahlreichen langen Beinen umklammert wird." Zum Schluß erhalten wir dann noch eine Interpretation: "Im Traum gelingt es der Tochter, sich gegen die Umklammerung der Mutter zu wehren."
Das Buch ist auch für Laien angenehm zu lesen. Wer voyeuristische Tendenzen hat, wird ein besonderes Vergnügen empfinden. So bequem kann man bei seinen Nachbarn sonst nie durchs Schlafzimmerfenster schauen ("Wir haben Sex, und meine Eltern sind dabei"). Zu warnen ist allerdings davor, übereilte Schlüsse über die eigene Situation zu ziehen. Die Träume stammen von 269 Frauen und 204 Männern mit neurotischen und psychosomatischen Störungen. Inwieweit die Interpretationen auch für Personen ohne psychische Erkrankung gültig sind, bleibt offen. Und überhaupt: "Träume überraschen uns manchmal damit, daß sie das Gegenteil dessen aussagen, was sie vordergründig darstellen."
Aber halt! Eine Kleinigkeit möchte der Rezensent doch bemängeln. Zwischen Zeppelin und Zigeuner fehlt die Zigarre. Wo er doch seit den letzten Ereignissen in den Staaten ständig davon träumt, daß ihm die Steffi eine Zigarre schenkt! Aber die Träume im Buch stammen wohl hauptsächlich von Kassenpatienten, die wenig von den Genüssen des Lebens verstehen. Immerhin ließ sich ein anderer Traum mit den Elementen Bus (Symbol für Mutter), Telefon (Nabelschnur), Schwimmbad (Mutterleib), Friseur (Reifung) und Fotoapparat (Wunscherfüllung) mühelos deuten. ERNST HORST
Stanley Coren: "Die unausgeschlafene Gesellschaft". Aus dem Amerikanischen von Alan Posener. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 448 S., geb., 45,- DM.
Holger Bertrand Flöttmann: "Träume zeigen neue Wege". Eine Systematik der Traumsymbole. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1998. 254 S., br., 49,- DM.
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