Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2016Inbegriff von Endstation
Gier und Ausschweifung, Unflat, Folter und Verfall – Fiston Mwanza Mujila beschreibt in seinem
Debütroman „Tram 83“ den Untergang der afrikanischen Welt, in einer Prosa, die völlig unspekulativ ist
VON HELMUT SCHÖDEL
Der Bahnhof dieser „Stadtland“ genannten Gegend in Afrika ist „nichts als ein halbfertiges, von Granateneinschlägen zerschundenes Metallgerüst mit ein paar Gleisen und Lokomotiven“. In der Nähe dieses scheußlichen Gerippes gibt es ein molochartiges Lokal, das „Tram 83“. Was sich hier abspielt, ist ausnahmslos unter aller Kanone. Hier herrschen die Gesetze des Dschungels: „Wenn du nicht fickst, wirst du gefickt. Wenn du nicht frisst, wirst du gefressen. Wenn du nicht vernichtest, wirst du vernichtet.“
Der oberflächliche Anfangsverdacht, dieses Buch protze womöglich mit den exotischen Schauderhaftigkeiten einer desorganisierten Bananenrepublik, von der im Text auch die Rede ist, muss schon sehr bald klein beigeben. Im „Tram 83“ ereignet sich in den Nächten der Gier und des Betrugs, der Ausschweifungen und des menschlichen Bankrotts der fünfte Akt eines Welttheaters, an dem wir aus der Ferne mitinszenieren und als dessen Hintergrund man die kongolesische Erfahrung des 1981 in der Demokratischen Republik Kongo geborenen Autors annehmen darf, auch wenn ganz wenige Verweise auf das Land seiner Herkunft vorkommen und nicht ins Gewicht fallen. Fiston Mwanza Mujila präsentiert in „Tram 83“ einen grandiosen ersten Roman, der uns mit einem gnadenlos verrohten Leben konfrontiert. „Dies hier ist die Neue Welt“, schreibt der Autor. Sie geht zu weit. Sie fährt sich selber gegen die Wand.
Alltag in „Tram 83“: „Sobald der Tag anbricht, fragt man sich, was man essen soll, und mit der Sonne fügt man sich in den Kreislauf von Stadtland, man angelt, man gräbt, man wühlt, man sammelt, man erfindet, man fickt, man schwitzt, man verkauft, man tauscht, man tratscht, man missbraucht, man besticht, man trinkt, man kackt ins Treppenhaus, man verschmilzt mit dem Jazz, man verachtet die weißen Touristen. . .“
Die Prosa dieses Buches ergeht sich nicht in Bildern und Metaphern. Die stammen aus der Vorzeit, in der wir in Europa leben. Wir sind bestenfalls das Vorwort zu einer „Tragödie, die längst geschrieben ist“, wie es im Text heißt und in Stadtland en suite aufgeführt wird. Hier schreibt das Leben seine Literatur selber, und ihre Sprache kommt aus dem Wörterbuch des Unflats. Die Nächte „strotzen vor Pöbel“, heißt es einmal. In dessen Sprache verkörpert sich das Geschehen, und der Autor kann fast gänzlich auf Darstellungen von Gewalt und Brutalität verzichten, auf Details aus dem erbärmlichen Leben der minderjährigen, „Küken“ genannten Prostituierten oder der älteren, der „Single-Mamis“, auf Einzelheiten über das Leid der Süchtigen oder der Suizidalen.
Es ist nichts spekulativ an dieser Prosa, wie man hätte befürchten können. Mit großer Präzision wird vielmehr eine Welt ohne Empathie und Ethos evoziert, in der Werte wie Nächstenliebe, Respekt oder Barmherzigkeit ersetzt werden durch Wörter wie Silber, Kupfer, Barium oder Zinn. In der Neuen Welt erscheint diese Entwicklung schlicht als Faktum und irgendwie alternativlos.
Die Komposition des Buches – seine Rhythmen, Wiederholungen, Litaneien – begegnet dem Untergang mit kraftvoller Vitalität. In den oft fast ganze Seiten langen Aufzählungen tritt die komplette Besetzung des Lokals auf: die Waffen- und die Organhändler, die Kindersoldaten, die Schamanen, die Sexbesessenen, die Kopfgeldjäger und die Passfälscher. Das Metallskelett der Bahnhofsruine, dieser Inbegriff von Endstation, wird mit den immer gleichen Sätzen wieder und wieder beschrieben. Dazwischen unsägliche Male die rhetorisch werdende Frage: „Was sagt die Uhr?“
Im „Tram 83“ gibt es trotz Untergang immer auch Musik. Es ist der Jazz, der in diesem Haus des Horrors an die Kultur erinnert, und man hört ihn auch aus den Texten dieses Buches heraus. Klang, Rhythmus, Komposition, nicht vergebliche intellektuelle Debatten sind es, mit denen der Autor der Verrohung begegnet. Als könnten, wenn Dr. Jekyll aufspielt, Mr. Hyde die Ohren platzen. In der Verdichtung werden die beschriebenen Verhältnisse nicht nur massiv, sondern bekommen oft einen Zug ins Ironische.
Im Speiseplan des „Tram 83“ findet man ausschließlich Hundefleischgerichte. Die Hunde werden in Bündeln zusammengeschnürt, Draht um die Schnauzen, in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen, mit Eisenstangen erschlagen oder aufgehängt, oder lebend gehäutet, das Material für warme Schuhe, wenn die Europäer kalte Füße bekommen.
Folter ist in der Gegend um Stadtland eine übliche Prozedur auch am Menschen. Alles, was man vor Ort beklagen kann, ist der Verfall. Früher hätten die Folter Professionisten betrieben, ausgebildete Unholde und perfekt gerüstet mit Spezialgeräten. Nicht selten stammten sie aus der Elite des Landes. Eine „Kunst“ sei die Folter gewesen. Jetzt foltern größtenteils Studenten ohne Universität, autodidaktische Journalisten, Grubenarbeiter, ehemalige Kindersoldaten, Draufgänger, die mit Stöcken und Schemeln losprügeln.
Der Autor demontiert die afrikanischen Verhältnisse nicht aus kritischer Distanz, sondern von innen heraus. Man muss sich diesem grausamen Chaos wohl ein Stück lang überlassen, um es überhaupt noch als Leben verstehen zu können, und es dann weitertreiben, nicht nur ins Ironische, sondern durchaus auch in die karikaturhafte Verschärfung.
Der Schriftsteller Lucien, den stets ein Schweizer Verleger, selbst in die schmutzigen Geschäfte verwickelt, mit seinen absurden Ratschlägen bedrängt, schafft den Zugang zur Neuen Welt nicht und liegt immer wieder im Streit mit seinem Freund Requiem, der sich blutige Hände macht, den er aber braucht. Lucien arbeitet an einem Epos „Das Afrika der Möglichkeiten“, wofür er bei einer Lesung im Lokal kräftig verprügelt wird. Er hat nicht begriffen, worum es hier geht, will mit Blick auf den Bahnhof seinen Sätzen die „Lebenswut“ dieser Züge einhauchen: „Ihre Präsenz, ihren Stolz, ihre animalische Wut, ihre Baufälligkeit und den Rost, der sie zerfrisst.“ Er fasst zusammen: „Ich suchte den Menschen, aber ich fand die Eisenbahn.“ Derart verzopfte und verkopfte Poeten braucht man nicht nur in Afrika nicht mehr.
Am Ende sucht das Dreigestirn das Weite. Lucien, wegen seines Epos inzwischen politisch verfolgt, Requiem und der Verleger kommen auf dem Weg zum Bahnhof noch einmal an „Tram 83“ vorbei. Musik dringt zu ihnen herüber, ein Jazzkonzert. Saxofon, Schlagzeug und Trompete. Solistisch und in erlesenem Zusammenspiel. Es gibt etwas im „Tram 83“, das nicht korrumpierbar ist: der Jazz. Fiston Mwanza Mujila, der jetzt als Universitätslektor in Graz lebt, setzt auf ihn, auch in diesem einzigartigen Debütroman.
Jazz als Hoffnung – als könnten,
wenn Dr. Jekyll aufspielt,
Mr. Hyde die Ohren platzen
„Ich suchte den Menschen“,
schreibt ein verzopfter Poet,
„aber ich fand die Eisenbahn.“
Das triste Nachtleben in Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo – der fünfte Akt eines Welttheaters, an dem auch wir aus der Ferne mitinszenieren.
Foto: Per-Anders Pettersson / Getty Images
Fiston Mwanza Mujila:
Tram 83. Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller. Zsolnay Verlag, Wien 2016.
208 Seiten, 20 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gier und Ausschweifung, Unflat, Folter und Verfall – Fiston Mwanza Mujila beschreibt in seinem
Debütroman „Tram 83“ den Untergang der afrikanischen Welt, in einer Prosa, die völlig unspekulativ ist
VON HELMUT SCHÖDEL
Der Bahnhof dieser „Stadtland“ genannten Gegend in Afrika ist „nichts als ein halbfertiges, von Granateneinschlägen zerschundenes Metallgerüst mit ein paar Gleisen und Lokomotiven“. In der Nähe dieses scheußlichen Gerippes gibt es ein molochartiges Lokal, das „Tram 83“. Was sich hier abspielt, ist ausnahmslos unter aller Kanone. Hier herrschen die Gesetze des Dschungels: „Wenn du nicht fickst, wirst du gefickt. Wenn du nicht frisst, wirst du gefressen. Wenn du nicht vernichtest, wirst du vernichtet.“
Der oberflächliche Anfangsverdacht, dieses Buch protze womöglich mit den exotischen Schauderhaftigkeiten einer desorganisierten Bananenrepublik, von der im Text auch die Rede ist, muss schon sehr bald klein beigeben. Im „Tram 83“ ereignet sich in den Nächten der Gier und des Betrugs, der Ausschweifungen und des menschlichen Bankrotts der fünfte Akt eines Welttheaters, an dem wir aus der Ferne mitinszenieren und als dessen Hintergrund man die kongolesische Erfahrung des 1981 in der Demokratischen Republik Kongo geborenen Autors annehmen darf, auch wenn ganz wenige Verweise auf das Land seiner Herkunft vorkommen und nicht ins Gewicht fallen. Fiston Mwanza Mujila präsentiert in „Tram 83“ einen grandiosen ersten Roman, der uns mit einem gnadenlos verrohten Leben konfrontiert. „Dies hier ist die Neue Welt“, schreibt der Autor. Sie geht zu weit. Sie fährt sich selber gegen die Wand.
Alltag in „Tram 83“: „Sobald der Tag anbricht, fragt man sich, was man essen soll, und mit der Sonne fügt man sich in den Kreislauf von Stadtland, man angelt, man gräbt, man wühlt, man sammelt, man erfindet, man fickt, man schwitzt, man verkauft, man tauscht, man tratscht, man missbraucht, man besticht, man trinkt, man kackt ins Treppenhaus, man verschmilzt mit dem Jazz, man verachtet die weißen Touristen. . .“
Die Prosa dieses Buches ergeht sich nicht in Bildern und Metaphern. Die stammen aus der Vorzeit, in der wir in Europa leben. Wir sind bestenfalls das Vorwort zu einer „Tragödie, die längst geschrieben ist“, wie es im Text heißt und in Stadtland en suite aufgeführt wird. Hier schreibt das Leben seine Literatur selber, und ihre Sprache kommt aus dem Wörterbuch des Unflats. Die Nächte „strotzen vor Pöbel“, heißt es einmal. In dessen Sprache verkörpert sich das Geschehen, und der Autor kann fast gänzlich auf Darstellungen von Gewalt und Brutalität verzichten, auf Details aus dem erbärmlichen Leben der minderjährigen, „Küken“ genannten Prostituierten oder der älteren, der „Single-Mamis“, auf Einzelheiten über das Leid der Süchtigen oder der Suizidalen.
Es ist nichts spekulativ an dieser Prosa, wie man hätte befürchten können. Mit großer Präzision wird vielmehr eine Welt ohne Empathie und Ethos evoziert, in der Werte wie Nächstenliebe, Respekt oder Barmherzigkeit ersetzt werden durch Wörter wie Silber, Kupfer, Barium oder Zinn. In der Neuen Welt erscheint diese Entwicklung schlicht als Faktum und irgendwie alternativlos.
Die Komposition des Buches – seine Rhythmen, Wiederholungen, Litaneien – begegnet dem Untergang mit kraftvoller Vitalität. In den oft fast ganze Seiten langen Aufzählungen tritt die komplette Besetzung des Lokals auf: die Waffen- und die Organhändler, die Kindersoldaten, die Schamanen, die Sexbesessenen, die Kopfgeldjäger und die Passfälscher. Das Metallskelett der Bahnhofsruine, dieser Inbegriff von Endstation, wird mit den immer gleichen Sätzen wieder und wieder beschrieben. Dazwischen unsägliche Male die rhetorisch werdende Frage: „Was sagt die Uhr?“
Im „Tram 83“ gibt es trotz Untergang immer auch Musik. Es ist der Jazz, der in diesem Haus des Horrors an die Kultur erinnert, und man hört ihn auch aus den Texten dieses Buches heraus. Klang, Rhythmus, Komposition, nicht vergebliche intellektuelle Debatten sind es, mit denen der Autor der Verrohung begegnet. Als könnten, wenn Dr. Jekyll aufspielt, Mr. Hyde die Ohren platzen. In der Verdichtung werden die beschriebenen Verhältnisse nicht nur massiv, sondern bekommen oft einen Zug ins Ironische.
Im Speiseplan des „Tram 83“ findet man ausschließlich Hundefleischgerichte. Die Hunde werden in Bündeln zusammengeschnürt, Draht um die Schnauzen, in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen, mit Eisenstangen erschlagen oder aufgehängt, oder lebend gehäutet, das Material für warme Schuhe, wenn die Europäer kalte Füße bekommen.
Folter ist in der Gegend um Stadtland eine übliche Prozedur auch am Menschen. Alles, was man vor Ort beklagen kann, ist der Verfall. Früher hätten die Folter Professionisten betrieben, ausgebildete Unholde und perfekt gerüstet mit Spezialgeräten. Nicht selten stammten sie aus der Elite des Landes. Eine „Kunst“ sei die Folter gewesen. Jetzt foltern größtenteils Studenten ohne Universität, autodidaktische Journalisten, Grubenarbeiter, ehemalige Kindersoldaten, Draufgänger, die mit Stöcken und Schemeln losprügeln.
Der Autor demontiert die afrikanischen Verhältnisse nicht aus kritischer Distanz, sondern von innen heraus. Man muss sich diesem grausamen Chaos wohl ein Stück lang überlassen, um es überhaupt noch als Leben verstehen zu können, und es dann weitertreiben, nicht nur ins Ironische, sondern durchaus auch in die karikaturhafte Verschärfung.
Der Schriftsteller Lucien, den stets ein Schweizer Verleger, selbst in die schmutzigen Geschäfte verwickelt, mit seinen absurden Ratschlägen bedrängt, schafft den Zugang zur Neuen Welt nicht und liegt immer wieder im Streit mit seinem Freund Requiem, der sich blutige Hände macht, den er aber braucht. Lucien arbeitet an einem Epos „Das Afrika der Möglichkeiten“, wofür er bei einer Lesung im Lokal kräftig verprügelt wird. Er hat nicht begriffen, worum es hier geht, will mit Blick auf den Bahnhof seinen Sätzen die „Lebenswut“ dieser Züge einhauchen: „Ihre Präsenz, ihren Stolz, ihre animalische Wut, ihre Baufälligkeit und den Rost, der sie zerfrisst.“ Er fasst zusammen: „Ich suchte den Menschen, aber ich fand die Eisenbahn.“ Derart verzopfte und verkopfte Poeten braucht man nicht nur in Afrika nicht mehr.
Am Ende sucht das Dreigestirn das Weite. Lucien, wegen seines Epos inzwischen politisch verfolgt, Requiem und der Verleger kommen auf dem Weg zum Bahnhof noch einmal an „Tram 83“ vorbei. Musik dringt zu ihnen herüber, ein Jazzkonzert. Saxofon, Schlagzeug und Trompete. Solistisch und in erlesenem Zusammenspiel. Es gibt etwas im „Tram 83“, das nicht korrumpierbar ist: der Jazz. Fiston Mwanza Mujila, der jetzt als Universitätslektor in Graz lebt, setzt auf ihn, auch in diesem einzigartigen Debütroman.
Jazz als Hoffnung – als könnten,
wenn Dr. Jekyll aufspielt,
Mr. Hyde die Ohren platzen
„Ich suchte den Menschen“,
schreibt ein verzopfter Poet,
„aber ich fand die Eisenbahn.“
Das triste Nachtleben in Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo – der fünfte Akt eines Welttheaters, an dem auch wir aus der Ferne mitinszenieren.
Foto: Per-Anders Pettersson / Getty Images
Fiston Mwanza Mujila:
Tram 83. Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller. Zsolnay Verlag, Wien 2016.
208 Seiten, 20 Euro.
E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2017Das Spielzeug liegt überall herum
Er kommt aus Kongo, schreibt auf Französisch und unterrichtet in Österreich: Zu dem, was man mit Sprachen machen kann, hat Fiston Mwanza Mujila seine eigene Theorie.
Von Florian Balke
Er stammt aus der letzten französischsprachigen Stadt Afrikas. So nennt Fiston Mwanza Mujila seine Heimat Lubumbashi, die Millionenstadt, in der er 1981 zur Welt kam. Die Hauptstadt der alten Minenprovinz Katanga liegt ganz im Süden Kongos. Mit dem Bus, sagt der in Graz lebende Schriftsteller, braucht man über die naheliegende Grenze zu Sambia, dem ersten der englischsprachigen Nachbarländer, nur eine Stunde. Das portugiesischsprachige Angola ist in zwei Tagen zu erreichen. Nach Kinshasa hingegen, in die Hauptstadt seines eigenen Landes, gibt es quer durch den Urwald keine durchgehende Straßenverbindung. Wer nicht das Geld für einen teuren Flug hat, ist mit Auto, Zug, Bus und Schiff manchmal drei Monate unterwegs.
Lubumbashi ist eine Minenstadt, Kongo ein Rohstoffland. Coltan wird abgebaut, veredelt zu Tantal ist es ist ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Smartphones. "Kongo ist Teil der Weltwirtschaft", sagt Mwanza Mujila ironisch. "Tram 83", sein Debütroman, den er demnächst auf den "Frankfurter Literaturtagen" vorstellt (siehe Kasten), schildert die Gesellschaft, die sich in der wildesten Bar einer typischen Minenstadt versammelt. Hier wird das Geld ausgegeben, dass von der Wertschöpfungskette ausländischer Minenkonzerne für schwarze Arbeiter und bestechliche Offizielle abfällt, hier schaut der "abtrünnige General" vorbei, ein Lokalherrscher, wie es ihn in Kongo, dessen zunehmend autoritäre Zentralregierung über weite Teile des Ostens keine Macht hat, sehr oft gibt. Hier sucht eine Arbeitergesellschaft, geprägt von Männlichkeitsidealen und latenter Gewalt, bei den "Küken" in den Hinterzimmern nach Entspannung vom Alltag, drumherum finden sich Künstler und Gauner wie der Schriftsteller Lucien und der Dieb Requiem.
Ein wenig Lubumbashi steckt auch im Buch, das nicht von einer bestimmten Stadt und einem bestimmten Land, sondern von allen Minenstädten der Welt erzählt, wie Mwanza Mujila sagt. Geschrieben hat er das Buch, seinen ersten Roman nach mehreren Gedichtbänden, allerdings in Europa: "Ich wollte als Schriftsteller leben." Das ist zu Hause schwer. In Lubumbashi hat er Literatur studiert, dort wird harte Arbeit bewundert, Aufmerksamkeit für Autoren aber gibt es kaum. Mwanza Mujila hat in Belgien, Deutschland und Frankreich gelebt und wohnt seit einiger Zeit in Graz, wo er an der Universität afrikanische Literatur, Kunst, Film und Geschichte unterrichtet. Die Stadt ist für ihn zur Heimat geworden: "Ich bin viel unterwegs, aber ich kann nur hier schreiben."
"Tram 83" hat er Anfang 2014 rasch verfasst. Das von seiner Liebe zur Musik durchtränkte Buch, das von den Träumen und Alpträumen nicht nur der kongolesischen Gesellschaft erzählt, ist vor zwei Jahren im französischen Original erschienen und stand voriges Jahr auf der Longlist der internationalen Ausgabe des Man-Booker-Preises. Vor wenigen Monaten ist es bei Zsolnay in Wien auch auf Deutsch herausgekommen. Angelegt hat es Mwanza Mujila, der mit dem Schreiben begann, obwohl er Musiker werden wollte, dann aber an der Musikschule von Lubumbashi und in der ganzen Stadt kein Saxophon zum Üben fand, wie ein Jazzkonzert von Heinz Sauer und Michael Wollny - jeder Moment ein eigener Klang, ganz anders als der Augenblick zuvor oder der danach: "Sprache ist wie ein Instrument", sagt der Autor, für den einzelne Passagen eines Textes durch Satzbau, Wortwahl und Lautinstrumentierung so verschieden klingen können wie das geliebte Saxophon, eine Flöte oder ein Vibraphon.
Das Buch, das zwischendurch auch in die Folterkeller führt, zeigt einen Erzähler, der den Dichter nicht vergessen hat. Seine für alle anderen Minenstädte stehende Stadt der Gier, des Genusses, der Freude und der Verzweiflung aber beschreibt auch die Wirklichkeit Kongos. Denn von einem ist Mwanza Mujila überzeugt: "Kongo ist keine postkoloniale Gesellschaft, sondern eine koloniale." Noch immer gehören die Minen in Katanga und anderswo großen Konzernen aus den einstigen Kolonialstaaten: "Vor der Kolonialzeit gab es keine." Insofern ist sein oft fast allegorisch angelegtes Buch für ihn auch ein sehr konkretes "Nachdenken über die Globalisierung". Geschrieben ist es mit einem scharfen Blick auf das, was sich in der Lebenswirklichkeit seines Landes abspielt, zugleich aber stets literarisch gedacht: "Ich versuche, zuallererst Schriftsteller zu sein und erst dann Kongolese." Als Bürger seines Landes könne man derzeit gar nicht anders, als sich politisch zu engagieren. Das jedoch tue Büchern nicht gut. Literatur müsse politisch sein, aber vor allem sie selbst bleiben. Und eine allzu deutliche Kritik an der immer diktatorischer auftretenden Regierung des Präsidenten Joseph Kabila empfehle sich ebenfalls nicht: "Man muss viele Metaphern benutzen."
Man selbst bleiben. Dass das auch möglich ist, indem man sich verändert und wächst, hat Mwanza Mujila an seinem eigenen Leben erfahren. Schriftsteller, sagt er, habe er in Lubumbashi nur durch seine Eltern werden können. Sein Vater besaß zu Hause eine kleine Bibliothek, seine Mutter legte Wert darauf, dass der Sohn die öffentliche Bücherei benutzte, und schenkte ihm Bücher. Um ihm eine gute Ausbildung und eine bessere Zukunft zu ermöglichen, beschlossen die Eltern darüber hinaus, mit ihm zu Hause Französisch zu sprechen, draußen vor der Tür des elterlichen Heimes die Hauptamtssprache des Landes. Mit seiner Mutter spricht Mwanza Mujila seitdem Suaheli, mit dem Vater Französisch: "Bis heute."
Da er nebenher auch noch Tschiluba beherrscht, die Sprache seiner Großeltern aus der Nachbarregion Kasai, und die fast im gesamten Kongo verbreitete Handelssprache Lingala pflegt, die er lernte, weil sie für ein paar von ihm bewunderte Musiker von Bedeutung ist, hat ihn in Österreich auch das Deutsche nicht erschreckt: "Die Sprachen leben im Kopf zusammen." Anders als die Mehrzahl der in Frankreich schreibenden afrikanischen, karibischen und asiatischen Kollegen, die er auf den "Literaturtagen" treffen wird, spricht er im Alltag inzwischen Deutsch und benutzt Französisch nur als Arbeitssprache: "Ich habe zwei Leben, eines in der Frankophonie und eines in der deutschen Sprache." Er liest viel österreichische Literatur und genießt es, sich eine weitere literarische Ahnenreihe geben zu können. Mittlerweile stehe er nicht mehr nur in der Tradition von Camus oder Apollinaire, sondern auch in der Ernst Jandls und Friederike Mayröckers: "Man wird ein zweites Mal geboren."
Und während er mit den anderen Teilnehmern der "Literaturtage" die lebhafte französische Debatte darüber weiterführen kann, ob das Publizieren in der auf die Standardsprache fixierten Frankophonie für Autoren aus den einstigen Kolonien gut oder hinderlich ist, freut er sich über sein neues deutsches sprachliches Spielzeug. Ein Kind, sagt Mwanza Mujila, könne mit allem spielen. So besäßen auch alle Wörter sämtlicher Sprachen ihre eigene Poesie. Da ist das Wanderleben das beste Spielzimmer: "Ich bin wie ein Kind."
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Er kommt aus Kongo, schreibt auf Französisch und unterrichtet in Österreich: Zu dem, was man mit Sprachen machen kann, hat Fiston Mwanza Mujila seine eigene Theorie.
Von Florian Balke
Er stammt aus der letzten französischsprachigen Stadt Afrikas. So nennt Fiston Mwanza Mujila seine Heimat Lubumbashi, die Millionenstadt, in der er 1981 zur Welt kam. Die Hauptstadt der alten Minenprovinz Katanga liegt ganz im Süden Kongos. Mit dem Bus, sagt der in Graz lebende Schriftsteller, braucht man über die naheliegende Grenze zu Sambia, dem ersten der englischsprachigen Nachbarländer, nur eine Stunde. Das portugiesischsprachige Angola ist in zwei Tagen zu erreichen. Nach Kinshasa hingegen, in die Hauptstadt seines eigenen Landes, gibt es quer durch den Urwald keine durchgehende Straßenverbindung. Wer nicht das Geld für einen teuren Flug hat, ist mit Auto, Zug, Bus und Schiff manchmal drei Monate unterwegs.
Lubumbashi ist eine Minenstadt, Kongo ein Rohstoffland. Coltan wird abgebaut, veredelt zu Tantal ist es ist ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Smartphones. "Kongo ist Teil der Weltwirtschaft", sagt Mwanza Mujila ironisch. "Tram 83", sein Debütroman, den er demnächst auf den "Frankfurter Literaturtagen" vorstellt (siehe Kasten), schildert die Gesellschaft, die sich in der wildesten Bar einer typischen Minenstadt versammelt. Hier wird das Geld ausgegeben, dass von der Wertschöpfungskette ausländischer Minenkonzerne für schwarze Arbeiter und bestechliche Offizielle abfällt, hier schaut der "abtrünnige General" vorbei, ein Lokalherrscher, wie es ihn in Kongo, dessen zunehmend autoritäre Zentralregierung über weite Teile des Ostens keine Macht hat, sehr oft gibt. Hier sucht eine Arbeitergesellschaft, geprägt von Männlichkeitsidealen und latenter Gewalt, bei den "Küken" in den Hinterzimmern nach Entspannung vom Alltag, drumherum finden sich Künstler und Gauner wie der Schriftsteller Lucien und der Dieb Requiem.
Ein wenig Lubumbashi steckt auch im Buch, das nicht von einer bestimmten Stadt und einem bestimmten Land, sondern von allen Minenstädten der Welt erzählt, wie Mwanza Mujila sagt. Geschrieben hat er das Buch, seinen ersten Roman nach mehreren Gedichtbänden, allerdings in Europa: "Ich wollte als Schriftsteller leben." Das ist zu Hause schwer. In Lubumbashi hat er Literatur studiert, dort wird harte Arbeit bewundert, Aufmerksamkeit für Autoren aber gibt es kaum. Mwanza Mujila hat in Belgien, Deutschland und Frankreich gelebt und wohnt seit einiger Zeit in Graz, wo er an der Universität afrikanische Literatur, Kunst, Film und Geschichte unterrichtet. Die Stadt ist für ihn zur Heimat geworden: "Ich bin viel unterwegs, aber ich kann nur hier schreiben."
"Tram 83" hat er Anfang 2014 rasch verfasst. Das von seiner Liebe zur Musik durchtränkte Buch, das von den Träumen und Alpträumen nicht nur der kongolesischen Gesellschaft erzählt, ist vor zwei Jahren im französischen Original erschienen und stand voriges Jahr auf der Longlist der internationalen Ausgabe des Man-Booker-Preises. Vor wenigen Monaten ist es bei Zsolnay in Wien auch auf Deutsch herausgekommen. Angelegt hat es Mwanza Mujila, der mit dem Schreiben begann, obwohl er Musiker werden wollte, dann aber an der Musikschule von Lubumbashi und in der ganzen Stadt kein Saxophon zum Üben fand, wie ein Jazzkonzert von Heinz Sauer und Michael Wollny - jeder Moment ein eigener Klang, ganz anders als der Augenblick zuvor oder der danach: "Sprache ist wie ein Instrument", sagt der Autor, für den einzelne Passagen eines Textes durch Satzbau, Wortwahl und Lautinstrumentierung so verschieden klingen können wie das geliebte Saxophon, eine Flöte oder ein Vibraphon.
Das Buch, das zwischendurch auch in die Folterkeller führt, zeigt einen Erzähler, der den Dichter nicht vergessen hat. Seine für alle anderen Minenstädte stehende Stadt der Gier, des Genusses, der Freude und der Verzweiflung aber beschreibt auch die Wirklichkeit Kongos. Denn von einem ist Mwanza Mujila überzeugt: "Kongo ist keine postkoloniale Gesellschaft, sondern eine koloniale." Noch immer gehören die Minen in Katanga und anderswo großen Konzernen aus den einstigen Kolonialstaaten: "Vor der Kolonialzeit gab es keine." Insofern ist sein oft fast allegorisch angelegtes Buch für ihn auch ein sehr konkretes "Nachdenken über die Globalisierung". Geschrieben ist es mit einem scharfen Blick auf das, was sich in der Lebenswirklichkeit seines Landes abspielt, zugleich aber stets literarisch gedacht: "Ich versuche, zuallererst Schriftsteller zu sein und erst dann Kongolese." Als Bürger seines Landes könne man derzeit gar nicht anders, als sich politisch zu engagieren. Das jedoch tue Büchern nicht gut. Literatur müsse politisch sein, aber vor allem sie selbst bleiben. Und eine allzu deutliche Kritik an der immer diktatorischer auftretenden Regierung des Präsidenten Joseph Kabila empfehle sich ebenfalls nicht: "Man muss viele Metaphern benutzen."
Man selbst bleiben. Dass das auch möglich ist, indem man sich verändert und wächst, hat Mwanza Mujila an seinem eigenen Leben erfahren. Schriftsteller, sagt er, habe er in Lubumbashi nur durch seine Eltern werden können. Sein Vater besaß zu Hause eine kleine Bibliothek, seine Mutter legte Wert darauf, dass der Sohn die öffentliche Bücherei benutzte, und schenkte ihm Bücher. Um ihm eine gute Ausbildung und eine bessere Zukunft zu ermöglichen, beschlossen die Eltern darüber hinaus, mit ihm zu Hause Französisch zu sprechen, draußen vor der Tür des elterlichen Heimes die Hauptamtssprache des Landes. Mit seiner Mutter spricht Mwanza Mujila seitdem Suaheli, mit dem Vater Französisch: "Bis heute."
Da er nebenher auch noch Tschiluba beherrscht, die Sprache seiner Großeltern aus der Nachbarregion Kasai, und die fast im gesamten Kongo verbreitete Handelssprache Lingala pflegt, die er lernte, weil sie für ein paar von ihm bewunderte Musiker von Bedeutung ist, hat ihn in Österreich auch das Deutsche nicht erschreckt: "Die Sprachen leben im Kopf zusammen." Anders als die Mehrzahl der in Frankreich schreibenden afrikanischen, karibischen und asiatischen Kollegen, die er auf den "Literaturtagen" treffen wird, spricht er im Alltag inzwischen Deutsch und benutzt Französisch nur als Arbeitssprache: "Ich habe zwei Leben, eines in der Frankophonie und eines in der deutschen Sprache." Er liest viel österreichische Literatur und genießt es, sich eine weitere literarische Ahnenreihe geben zu können. Mittlerweile stehe er nicht mehr nur in der Tradition von Camus oder Apollinaire, sondern auch in der Ernst Jandls und Friederike Mayröckers: "Man wird ein zweites Mal geboren."
Und während er mit den anderen Teilnehmern der "Literaturtage" die lebhafte französische Debatte darüber weiterführen kann, ob das Publizieren in der auf die Standardsprache fixierten Frankophonie für Autoren aus den einstigen Kolonien gut oder hinderlich ist, freut er sich über sein neues deutsches sprachliches Spielzeug. Ein Kind, sagt Mwanza Mujila, könne mit allem spielen. So besäßen auch alle Wörter sämtlicher Sprachen ihre eigene Poesie. Da ist das Wanderleben das beste Spielzimmer: "Ich bin wie ein Kind."
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main