Dublin, 1845: Der amerikanische Abolitionist Frederick Douglass reist durch das von Hungersnot gepeinigte Irland, wo die Leute schlimmer leiden als unter der Sklaverei.
Neufundland, 1919: Die beiden Flieger Jack Alcock und Arthur Brown unternehmen den ersten Nonstopflug über den Atlantik mit Kurs Irland.
New York, 1998: US-Senator George Mitchell verlässt seine junge Frau und sein erst wenige Tage altes Baby, um in Belfast die nordirischen Friedensgespräche zu einem unsicheren Abschluss zu führen.
«Transatlantik» verwebt drei ikonische historische Momente mit dem Schicksal dreier Frauen: Angefangen bei der irischen Hausmagd Lily Duggan, in der Frederick Douglass die Liebe zur Freiheit weckt, folgt der Roman ihrer Tochter Emily und ihrer Enkelin Lottie in die USA und, später, zurück auf die Insel. Ihr Leben spiegelt den Verlauf der bewegten Nationalgeschichte Irlands und Amerikas. Dabei spielt ein vergessener, über drei Generationen nicht geöffneter Brief eine entscheidende Rolle.
«Transatlantik» ist ein kraftvolles Epos über die Kollision von Geschichte und persönlichem Schicksal - geschrieben mit unvergleichlicher dichterischer Intensität, mit leuchtenden Szenen und klingender Sprache.
Neufundland, 1919: Die beiden Flieger Jack Alcock und Arthur Brown unternehmen den ersten Nonstopflug über den Atlantik mit Kurs Irland.
New York, 1998: US-Senator George Mitchell verlässt seine junge Frau und sein erst wenige Tage altes Baby, um in Belfast die nordirischen Friedensgespräche zu einem unsicheren Abschluss zu führen.
«Transatlantik» verwebt drei ikonische historische Momente mit dem Schicksal dreier Frauen: Angefangen bei der irischen Hausmagd Lily Duggan, in der Frederick Douglass die Liebe zur Freiheit weckt, folgt der Roman ihrer Tochter Emily und ihrer Enkelin Lottie in die USA und, später, zurück auf die Insel. Ihr Leben spiegelt den Verlauf der bewegten Nationalgeschichte Irlands und Amerikas. Dabei spielt ein vergessener, über drei Generationen nicht geöffneter Brief eine entscheidende Rolle.
«Transatlantik» ist ein kraftvolles Epos über die Kollision von Geschichte und persönlichem Schicksal - geschrieben mit unvergleichlicher dichterischer Intensität, mit leuchtenden Szenen und klingender Sprache.
"Jede Seite ist so voller Leidenschaft, Humor und schierer Lebenskraft, dass man geblendet, trunken, überwältigt zurückbleibt." -- Dave Eggers
"McCann ist mit unglaublicher Fantasie gesegnet." -- USA Today
"Ein wunderbar gewebter Stoff, ganz im Stil von McEwan." -- Red
"Der schiere Ehrgeiz, so verschiedenartige Geschichten und Schicksale durch Erzählkunst zu verbinden, hebt McCanns neuen Roman aus allen anderen Neuerscheinungen heraus." -- The New York Times Magazine
"McCann ist mit unglaublicher Fantasie gesegnet." -- USA Today
"Ein wunderbar gewebter Stoff, ganz im Stil von McEwan." -- Red
"Der schiere Ehrgeiz, so verschiedenartige Geschichten und Schicksale durch Erzählkunst zu verbinden, hebt McCanns neuen Roman aus allen anderen Neuerscheinungen heraus." -- The New York Times Magazine
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hans-Peter Kunisch beginnt seine Lektüre mit großer Skepsis, und es dauert eine Weile, bis Colum McCann ihn davon überzeugt, dass er mit diesem Roman nicht einfach nur mit dem Wind der Geschichte segelt oder schlimmer noch von generationenübergreifenden Frauenschicksalen erzählt. Es dauert einfach ein wenig, bis der Roman zu seinen Zentrum und seiner eigentlichen Hauptfigur vorstoße, meint Kunisch, der dann aber sehr eingenommen ist. Denn auch wenn der Roman mit der Atlantik-Überquerung von 1919 beginnt, sich mit dem Besuch eines schwarzen Amerikaners in Irland 1845 fortsetzt und schließlich die Geschichte der Geschäftsfrau Lily erzählt, macht das am Ende alles Sinn. Dann nämlich hat der beglückte Rezensent einen modernen Roman über ein gelungenes Leben gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2014Mit umgebautem Bomber bis nach Irland
Gegen die Fluchtrichtung: Colum McCann findet in "Transatlantik" sein Heimatland, doch alle wollen dort weg
Am Anfang stehen zwei Männer auf einer neufundländischen Wiese und warten auf schönes Wetter. Sie warten lange, aber zu Recht, denn ein bisschen Sonnenschein darf es schon sein, wenn man sich in Todesgefahr begibt. Jack Alcock und Arthur Brown kennen sich mit Gefahren zwar aus, immerhin haben sie den Ersten Weltkrieg überlebt, und, wer weiß, vielleicht haben sie deswegen so wenig Furcht, aber sie warten trotzdem - wenn auch vergebens. Der Himmel, in den sie mit ihrer Vickers Vimy, einem "umgebauten Bomber", wie es heißt, aufbrechen, ist kein Versprechen, und er schenkt ihnen nichts außer Regen, Schnee und vereisten Maschinenteilen. Doch am Ende landen die beiden tatsächlich in Irland und sind damit die Ersten, die auf dem lange für eine irrwitzige Illusion gehaltenen Flug über den Ozean nicht verlorengehen.
Alcock und Brown waren Pioniere, Brückenbauer und Grenzüberschreiter, und genau deswegen hat der Schriftsteller Colum McCann sie auserkoren, seinen neuen Roman zu eröffnen. "Transatlantik" ist eines von mehreren Büchern McCanns, in denen er erzählerisch nach Irland zurückkehrt, in jenes Land, das er selbst Mitte der achtziger Jahre mit Anfang zwanzig verlassen hat, um in Amerika sein Glück zu suchen. Die Frage, wie hoch und welcher Gestalt der autobiographische Anteil an seinen Irland-Büchern sei, liegt deshalb immer nahe und wird immer wieder gestellt, auch wenn die Antwort zum Verständnis seiner Texte gar nicht so viel beizutragen vermag.
Dass es in manchen Büchern - in dem Erzählungsband "Wie alles in diesem Land" (2001) etwa, in der Novelle "Hungerstreik" (2004), aber auch in dem mit dem National Book Award ausgezeichneten Roman "Die große Welt" (2009) - zumindest teilweise um Irland geht, mag zwar tatsächlich persönliche Gründe haben. Wichtiger ist aber das übergeordnete Thema, für das Irland genauso steht wie andere Orte in McCanns Werk, sei es Slowenien, sei es New York oder Paris: Immer wieder geht es bei ihm um das Fremd- und Anderssein, ums geistige und wirkliche Exil. McCann interessiert sich für Menschen, die ihre Familien und Heimatländer verlassen haben, oder aber, etwas weniger eindeutig, für solche, die sich fernab der westlichen bürgerlichen Mittelschichten an den Rändern ihrer Gesellschaften niederlassen.
Insofern schreibt er sein Werk auch mit dem neuen Roman fort. Ausgehend von dem ersten Transatlantikflug, den die beiden Engländer 1919 absolvierten, erzählt sein Buch in Vor- und Rückblenden eine einhundertfünfzig Jahre umspannende Geschichte irisch-amerikanischer Beziehungen. Die Haltepunkte dieser Geschichte bilden zum einen drei historische Ereignisse - also der besagte Flug; der auf dem Höhepunkt einer Hungersnot Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Irland erfolgte Besuch des ehemaligen amerikanischen Sklaven und Abolitionisten Frederick Douglass; und schließlich die Aushandlung des Karfreitagsabkommens, mit dem 1998 der irische Bürgerkrieg zu Ende ging. Auf der anderen Seite begegnen uns in dem Buch indes eine Reihe von weiblichen Charakteren, die, im Gegensatz zu den meisten Männern, alle fiktional sind und dem Roman strukturell als Bindeglieder dienen: Durch das parallele Auftauchen fiktionaler und realer Figuren verweben sich somit politisch-historische und private Sphären. Die Lebenswege der Frauen erzählen dann von den Auswirkungen der großen Geschichte auf den Einzelnen.
Wieder hat McCann also ein Buch geschrieben, in dem er, statt das Geschehen um ein Zentrum herum anzuordnen, mehrere Erzählstränge gleichberechtigt nebeneinanderstellt. Dem Leser verlangt er damit einiges an Aufmerksamkeit ab, weil sich Hinweise auf das, was die Figuren miteinander verbindet, oft in Halbsätzen und Andeutungen verbergen. Dem Autor selbst aber erlaubt dieses von ihm bereits mehrfach erprobte Erzählverfahren und der aus ihm entstehende Eindruck des Kaleidoskopartigen und Mosaikhaften, der breiten Zeitspanne Herr zu werden, die sein Buch umfasst. Dass man dabei nur selten den Eindruck gewinnt, es mit einzelnen Episoden, sondern tatsächlich mit einer Erzählung aus einem Guss zu tun zu haben, zeigt, wie gut McCann sein literarisches Handwerk versteht.
Als Stein des Anstoßes dient ihm der Zustand seiner irischen Heimat. Im Roman ist Irland ein zerrissenes, von Hungersnöten, Bürgerkriegen und Finanzkrisen gebeuteltes Land, das seinen Bewohnern im Grunde keine andere Wahl lässt, als wegzugehen. Als Erste wird die Hausmagd Lily Duggan ihr Land verlassen. Sie war, so schreibt McCann etwas lapidar, "einer Sehnsucht gefolgt" und begreift erst später, als sie schon lange in den Vereinigten Staaten lebt, dass es die Sehnsucht nach einer eigenen Geschichte war, von der sie spürte, dass sie sie im hungerleidenden Irland der Jahre 1845/46 nicht würde schreiben können. Nicht ganz zufällig wird Lilys Tochter Emily später zu einer erfolgreichen, fulminante Reportagen schreibenden Journalistin, die ihrerseits den Weg zurück nach Irland antritt - um über jene beiden Piloten zu berichten, die das erste Mal ihren Flieger über den Atlantik lenkten. Im Laufe des Romans werden auf diese Weise verschiedene Verbindungslinien über den Ozean gesponnen. Und diese Linien zeigen, dass vor allem die weiblichen Figuren auf ihren Reisen nach etwas suchten, was sich wohl als Identität bezeichnen lässt - ob diese Identität in irgendeinem und, wenn ja, in welchem Verhältnis sie zur Herkunft steht, das sind dann die Fragen, die der Roman aufwirft.
Gottlob ist er klug genug, darauf keine eindeutige Antwort zu geben. Er versinnbildlicht diese Suche aber in einem Brief, der einst in Neufundland aufgegeben wurde, dann von Tochter zu Tochter weitergereicht und erst spät, als sich die Erzählung in die jüngere Vergangenheit hineinbewegt, geöffnet und gelesen wird. Dieser Brief, der als Metapher zuweilen etwas zu selbsterklärend wirkt, obwohl der Autor ihn mit äußerster Vorsicht ins Geschehen einzuflechten versucht, gibt zumindest einen kleinen Hinweis auf die Richtung, in der eine Lösung zu finden sein könnte.
Verfasst hat ihn einst Emily, und sie schreibt: "Wir erfahren nur selten, welches Echo unsere Handlungen haben, aber unsere Geschichten werden uns beinahe gewiss überleben." Diese Geschichten könnten also Anhaltspunkte liefern, allerdings - darauf verweist die schöne Einschränkung "beinahe gewiss" - bedarf es einer Instanz, die sie auch erzählen kann. Das können natürlich die Söhne und Töchter sein. Es ist aber auch möglich, dass sich ein anderer, übergeordneter Erzähler findet - einer, der die Geschichten vom Hunger, vom Krieg und von der Liebe aufliest und zusammenführt, und zwar so, dass sie sich sogar denen erschließen, die sie erlebt haben. Und genau so ein Erzähler ist Colum McCann.
LENA BOPP
Colum McCann: "Transatlantik". Roman.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014. 381 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gegen die Fluchtrichtung: Colum McCann findet in "Transatlantik" sein Heimatland, doch alle wollen dort weg
Am Anfang stehen zwei Männer auf einer neufundländischen Wiese und warten auf schönes Wetter. Sie warten lange, aber zu Recht, denn ein bisschen Sonnenschein darf es schon sein, wenn man sich in Todesgefahr begibt. Jack Alcock und Arthur Brown kennen sich mit Gefahren zwar aus, immerhin haben sie den Ersten Weltkrieg überlebt, und, wer weiß, vielleicht haben sie deswegen so wenig Furcht, aber sie warten trotzdem - wenn auch vergebens. Der Himmel, in den sie mit ihrer Vickers Vimy, einem "umgebauten Bomber", wie es heißt, aufbrechen, ist kein Versprechen, und er schenkt ihnen nichts außer Regen, Schnee und vereisten Maschinenteilen. Doch am Ende landen die beiden tatsächlich in Irland und sind damit die Ersten, die auf dem lange für eine irrwitzige Illusion gehaltenen Flug über den Ozean nicht verlorengehen.
Alcock und Brown waren Pioniere, Brückenbauer und Grenzüberschreiter, und genau deswegen hat der Schriftsteller Colum McCann sie auserkoren, seinen neuen Roman zu eröffnen. "Transatlantik" ist eines von mehreren Büchern McCanns, in denen er erzählerisch nach Irland zurückkehrt, in jenes Land, das er selbst Mitte der achtziger Jahre mit Anfang zwanzig verlassen hat, um in Amerika sein Glück zu suchen. Die Frage, wie hoch und welcher Gestalt der autobiographische Anteil an seinen Irland-Büchern sei, liegt deshalb immer nahe und wird immer wieder gestellt, auch wenn die Antwort zum Verständnis seiner Texte gar nicht so viel beizutragen vermag.
Dass es in manchen Büchern - in dem Erzählungsband "Wie alles in diesem Land" (2001) etwa, in der Novelle "Hungerstreik" (2004), aber auch in dem mit dem National Book Award ausgezeichneten Roman "Die große Welt" (2009) - zumindest teilweise um Irland geht, mag zwar tatsächlich persönliche Gründe haben. Wichtiger ist aber das übergeordnete Thema, für das Irland genauso steht wie andere Orte in McCanns Werk, sei es Slowenien, sei es New York oder Paris: Immer wieder geht es bei ihm um das Fremd- und Anderssein, ums geistige und wirkliche Exil. McCann interessiert sich für Menschen, die ihre Familien und Heimatländer verlassen haben, oder aber, etwas weniger eindeutig, für solche, die sich fernab der westlichen bürgerlichen Mittelschichten an den Rändern ihrer Gesellschaften niederlassen.
Insofern schreibt er sein Werk auch mit dem neuen Roman fort. Ausgehend von dem ersten Transatlantikflug, den die beiden Engländer 1919 absolvierten, erzählt sein Buch in Vor- und Rückblenden eine einhundertfünfzig Jahre umspannende Geschichte irisch-amerikanischer Beziehungen. Die Haltepunkte dieser Geschichte bilden zum einen drei historische Ereignisse - also der besagte Flug; der auf dem Höhepunkt einer Hungersnot Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Irland erfolgte Besuch des ehemaligen amerikanischen Sklaven und Abolitionisten Frederick Douglass; und schließlich die Aushandlung des Karfreitagsabkommens, mit dem 1998 der irische Bürgerkrieg zu Ende ging. Auf der anderen Seite begegnen uns in dem Buch indes eine Reihe von weiblichen Charakteren, die, im Gegensatz zu den meisten Männern, alle fiktional sind und dem Roman strukturell als Bindeglieder dienen: Durch das parallele Auftauchen fiktionaler und realer Figuren verweben sich somit politisch-historische und private Sphären. Die Lebenswege der Frauen erzählen dann von den Auswirkungen der großen Geschichte auf den Einzelnen.
Wieder hat McCann also ein Buch geschrieben, in dem er, statt das Geschehen um ein Zentrum herum anzuordnen, mehrere Erzählstränge gleichberechtigt nebeneinanderstellt. Dem Leser verlangt er damit einiges an Aufmerksamkeit ab, weil sich Hinweise auf das, was die Figuren miteinander verbindet, oft in Halbsätzen und Andeutungen verbergen. Dem Autor selbst aber erlaubt dieses von ihm bereits mehrfach erprobte Erzählverfahren und der aus ihm entstehende Eindruck des Kaleidoskopartigen und Mosaikhaften, der breiten Zeitspanne Herr zu werden, die sein Buch umfasst. Dass man dabei nur selten den Eindruck gewinnt, es mit einzelnen Episoden, sondern tatsächlich mit einer Erzählung aus einem Guss zu tun zu haben, zeigt, wie gut McCann sein literarisches Handwerk versteht.
Als Stein des Anstoßes dient ihm der Zustand seiner irischen Heimat. Im Roman ist Irland ein zerrissenes, von Hungersnöten, Bürgerkriegen und Finanzkrisen gebeuteltes Land, das seinen Bewohnern im Grunde keine andere Wahl lässt, als wegzugehen. Als Erste wird die Hausmagd Lily Duggan ihr Land verlassen. Sie war, so schreibt McCann etwas lapidar, "einer Sehnsucht gefolgt" und begreift erst später, als sie schon lange in den Vereinigten Staaten lebt, dass es die Sehnsucht nach einer eigenen Geschichte war, von der sie spürte, dass sie sie im hungerleidenden Irland der Jahre 1845/46 nicht würde schreiben können. Nicht ganz zufällig wird Lilys Tochter Emily später zu einer erfolgreichen, fulminante Reportagen schreibenden Journalistin, die ihrerseits den Weg zurück nach Irland antritt - um über jene beiden Piloten zu berichten, die das erste Mal ihren Flieger über den Atlantik lenkten. Im Laufe des Romans werden auf diese Weise verschiedene Verbindungslinien über den Ozean gesponnen. Und diese Linien zeigen, dass vor allem die weiblichen Figuren auf ihren Reisen nach etwas suchten, was sich wohl als Identität bezeichnen lässt - ob diese Identität in irgendeinem und, wenn ja, in welchem Verhältnis sie zur Herkunft steht, das sind dann die Fragen, die der Roman aufwirft.
Gottlob ist er klug genug, darauf keine eindeutige Antwort zu geben. Er versinnbildlicht diese Suche aber in einem Brief, der einst in Neufundland aufgegeben wurde, dann von Tochter zu Tochter weitergereicht und erst spät, als sich die Erzählung in die jüngere Vergangenheit hineinbewegt, geöffnet und gelesen wird. Dieser Brief, der als Metapher zuweilen etwas zu selbsterklärend wirkt, obwohl der Autor ihn mit äußerster Vorsicht ins Geschehen einzuflechten versucht, gibt zumindest einen kleinen Hinweis auf die Richtung, in der eine Lösung zu finden sein könnte.
Verfasst hat ihn einst Emily, und sie schreibt: "Wir erfahren nur selten, welches Echo unsere Handlungen haben, aber unsere Geschichten werden uns beinahe gewiss überleben." Diese Geschichten könnten also Anhaltspunkte liefern, allerdings - darauf verweist die schöne Einschränkung "beinahe gewiss" - bedarf es einer Instanz, die sie auch erzählen kann. Das können natürlich die Söhne und Töchter sein. Es ist aber auch möglich, dass sich ein anderer, übergeordneter Erzähler findet - einer, der die Geschichten vom Hunger, vom Krieg und von der Liebe aufliest und zusammenführt, und zwar so, dass sie sich sogar denen erschließen, die sie erlebt haben. Und genau so ein Erzähler ist Colum McCann.
LENA BOPP
Colum McCann: "Transatlantik". Roman.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014. 381 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.06.2014Vergiss die Vogelflinte nicht
An den Anfang seines neuen Romans „Transatlantik“ hat Colum McCann einen historischen Non-Stop-Flug
von Neufundland nach Connemara gesetzt – und er landet glücklich mitten in der irischen Gesellschaft
VON HANS-PETER KUNISCH
Anfangs ist man etwas skeptisch: ein Roman über eine Atlantiküberquerung? Hefte sich Colum McCann nach seinem eigenwillig-geschmeidigen 9/11-Roman „Die große Welt“ da nicht wieder etwas zu elegant ans Rad der Historie? Auch wenn seine Helden und Ereignisse, gerade fürs deutschsprachige Publikum, eher B-Geschichtsprominente sind: versucht Mc Cann da nicht neuerlich stimmungsvoll vom großen Wind der Zeit zu profitieren, statt wirklich Geschichten zu erzählen, wie er es kann?
1965 in Dublin geboren, seit Jahren in New York wohnhaft und inzwischen einer der bekanntesten Gegenwartsautoren der englischsprachigen Welt, beginnt McCann nach einem kurzen Prolog mit der ersten Non-Stop-Atlantiküberquerung der beiden Ex-Erst-Weltkriegs-Soldaten Alcock und Brown, die 1919, acht Jahre vor Lindberghs Flug von New York nach Paris, knapp zweihundert Briefe über den Ozean transportieren. In einer Vikers Vimy, aus der eben noch Bomben fielen, landen sie beim irischen Connemara-Städtchen Clifden, recht ruppig, aber immerhin: Albert Read hatte Monate zuvor, auf seinem Weg von Long Island nach Plymouth, noch einen Schlenker über die Azoren und Lissabon machen müssen.
Eine weitere prominente Hauptfigur McCanns, die zuerst ohne ersichtlichen Zusammenhang eingeführt wird, ist Frederick Douglass, dessen Autobiographie „Sklaverei und Freiheit“ schon 1860 bei Hoffmann & Campe auf Deutsch erschien. Douglass, ein hellhäutiger Schwarzer, ist vermutlich der Sohn einer Sklavin und ihres Besitzers. Als Douglass auf Einladung seines irischen Verlegers 1845 die Insel besucht, folgt McCann dem edlen Mischling, den man in Irland, nach dem Vorbild des greisen Katholiken-Emanzipators, den „schwarzen O’Connell“ nennt, in die gehobene irische Gesellschaft, die damals zum großen Teil englisch war.
Es ist eine eigenartige, spannungsvolle Reise. Douglass predigt gegen die Sklaverei, fühlt sich frei vom Rassismus der US-Südstaaten, doch merkt er sehr wohl, dass es in Dublin große Armut gibt. Auch die Freiheit des Einzelnen gilt nur insofern, als sie die englische Herrschaft nicht verletzt.
Das ist alles sehr interessant und flüssig entlang den Ereignissen erzählt, aber noch fehlt dem Roman das Zentrum, das die Teilgeschichten zusammen hielte. Auch, als es auftaucht, ist es erst kaum zu erkennen: Lily, das Dienstmädchen, das beim philanthropischen Essighersteller Jennings in Cork arbeitet; dort, wo sich auch Douglass ein paar Tage aufhält. Anfangs wirkt Lily bloß wie eine klassische Illustration der elenden Kolonie Irland. Als Douglass wieder verschwindet, macht auch sie sich, neugierig geworden, in die USA auf.
Ganz langsam wird Lily dort zum tragfähigen Mittelpunkt des Texts, paradoxerweise erst, indem sie heiratet. Über ihren Mann Ehrlich, einen störrischen Einsiedler, der sich in der Einsamkeit Neufundlands nieder lässt, und davon lebt, dass er frisches Eis in das heiße New Orleans verschifft. gewinnt auch sie ungewöhnliche Kanten, und als Ehrlich mit dreien ihrer gemeinsamen Söhne bei einem Unfall stirbt, übernimmt Lily das Geschäft.
Auf einmal scheint der Roman zu wissen, was er will. Ausgehend von Lily, die einen beeindruckenden Wandel zur Pionierin durchmacht, gerät man in das fiktive Leben von vier Generationen Frauen, ohne dass das Buch zum modischen Frauen-Schicksalsroman verkäme, und zugleich erkennt man die Verbindungen zu den Geschichten über die historischen männlichen Charaktere.
Lilys Tochter Emmy entpuppt sich als die Journalistin, die anfangs des Buchs in Neufundland über den Start von Alcock und Brown berichtete. Zuvor hat sie, erfährt man jetzt, für ihren Ex-Liebhaber, einen Redakteur, die Geschichten geschrieben, mit denen er berühmt geworden ist, und selber nicht mehr als ab und zu ein Initial dafür erhalten. Nach langem Drängen gibt er ihr eine Kolumne. Doch als er stirbt, hinterlässt er als besondere Bosheit ein Schreiben, dass die Verhältnisse frech verkehrt, und behauptet, dass er alle von Emmy gezeichneten Texte geschrieben habe - was dazu führt, dass Emmy entlassen wird, auf und davon geht und zurück nach Neufundland kommt.
Eine der wirkungsvollsten Entscheidungen McCanns ist es, Lottie, Emmys Tochter, als glücklichen Menschen zu zeigen. Selbstständig, selbstbewusst, hat sie von vornherein einen Charakter, der viel erleben will und sich nichts gefallen lässt. Geschickt folgt McCann Emmys erstauntem Blick auf Lottie, die Photographin wird und einen liebenden, zärtlichen Mann heiratet, der anfangs auch noch vermögend ist. Ihre eigene Tochter Hannah trägt das Staunen über die Mutter weiter, auch für sie ist Lottie wie eine Nummer zu groß.
Gelingendes Leben in zeitgenössischer Literatur, das liest sich selten und klingt wie eine offene Provokation. Doch Lotties Glück hat mit dem Zustand der Welt, das wird schnell klar, nichts zu tun, sie steht nicht für etwas, sondern nur für sich selbst. Diese Frau ist einfach anders als der Rest ihrer Familie. Auch psychologisierende Erklärungen fehlen, zum Glück.
Souverän vermeidet Mc Cann auch eine andere Falle. Wenn Hannah am Ende nicht nur ihren jungen Sohn Tomas verliert, der sein Leben lässt, weil er in den Wirren des Nordirlandkonflikts über eine Vogelflinte verfügt, die ihm gestohlen wird, sondern auch noch das Familienhäuschen an einem Lough bei Bangor abgeben muss, dann ist das zwar traurig, aber keine klischeehaft ausgewalzte soziale Katastrophe. Hannah wehrt sich anfangs gegen den Verkauf an die Bank, doch als das Werk vollbracht ist, hat sie genügend Geld zum Weitermachen.
Unauffällig fügen sich die vielen Geschichten allmählich zu einer großen. Wieder ist McCann kein formaler Neuerer, aber auch diesmal versteht er es mit zunehmender Dauer des Buchs ausgezeichnet, pittoreske historische Charaktere über fiktive Figuren zu beleben und umgekehrt. Alles zusammen von Dirk van Gunsteren behutsam übersetzt.
Lily, das Dienstmädchen, hält
als Zentrum die Teilgeschichten
des Romans zusammen
Gelingendes Leben in
zeitgenössischer Literatur – das
klingt wie eine Provokation
In einer Militärmaschine flogen die Weltkrieg-I-Teilnehmer John Alcock und Arthur Whitten Brown im Juni 1919
von Neufundland nach Connemara in der Grafschaft Galway, Irland. Auf kolorierten Lithografien
wie dieser wurde die erste Non-Stop-Atlantiküberquerung gefeiert. Foto: www.bridgemanart.com
Colum McCann: Transatlantik. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag,
Reinbek 2014. 384 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
An den Anfang seines neuen Romans „Transatlantik“ hat Colum McCann einen historischen Non-Stop-Flug
von Neufundland nach Connemara gesetzt – und er landet glücklich mitten in der irischen Gesellschaft
VON HANS-PETER KUNISCH
Anfangs ist man etwas skeptisch: ein Roman über eine Atlantiküberquerung? Hefte sich Colum McCann nach seinem eigenwillig-geschmeidigen 9/11-Roman „Die große Welt“ da nicht wieder etwas zu elegant ans Rad der Historie? Auch wenn seine Helden und Ereignisse, gerade fürs deutschsprachige Publikum, eher B-Geschichtsprominente sind: versucht Mc Cann da nicht neuerlich stimmungsvoll vom großen Wind der Zeit zu profitieren, statt wirklich Geschichten zu erzählen, wie er es kann?
1965 in Dublin geboren, seit Jahren in New York wohnhaft und inzwischen einer der bekanntesten Gegenwartsautoren der englischsprachigen Welt, beginnt McCann nach einem kurzen Prolog mit der ersten Non-Stop-Atlantiküberquerung der beiden Ex-Erst-Weltkriegs-Soldaten Alcock und Brown, die 1919, acht Jahre vor Lindberghs Flug von New York nach Paris, knapp zweihundert Briefe über den Ozean transportieren. In einer Vikers Vimy, aus der eben noch Bomben fielen, landen sie beim irischen Connemara-Städtchen Clifden, recht ruppig, aber immerhin: Albert Read hatte Monate zuvor, auf seinem Weg von Long Island nach Plymouth, noch einen Schlenker über die Azoren und Lissabon machen müssen.
Eine weitere prominente Hauptfigur McCanns, die zuerst ohne ersichtlichen Zusammenhang eingeführt wird, ist Frederick Douglass, dessen Autobiographie „Sklaverei und Freiheit“ schon 1860 bei Hoffmann & Campe auf Deutsch erschien. Douglass, ein hellhäutiger Schwarzer, ist vermutlich der Sohn einer Sklavin und ihres Besitzers. Als Douglass auf Einladung seines irischen Verlegers 1845 die Insel besucht, folgt McCann dem edlen Mischling, den man in Irland, nach dem Vorbild des greisen Katholiken-Emanzipators, den „schwarzen O’Connell“ nennt, in die gehobene irische Gesellschaft, die damals zum großen Teil englisch war.
Es ist eine eigenartige, spannungsvolle Reise. Douglass predigt gegen die Sklaverei, fühlt sich frei vom Rassismus der US-Südstaaten, doch merkt er sehr wohl, dass es in Dublin große Armut gibt. Auch die Freiheit des Einzelnen gilt nur insofern, als sie die englische Herrschaft nicht verletzt.
Das ist alles sehr interessant und flüssig entlang den Ereignissen erzählt, aber noch fehlt dem Roman das Zentrum, das die Teilgeschichten zusammen hielte. Auch, als es auftaucht, ist es erst kaum zu erkennen: Lily, das Dienstmädchen, das beim philanthropischen Essighersteller Jennings in Cork arbeitet; dort, wo sich auch Douglass ein paar Tage aufhält. Anfangs wirkt Lily bloß wie eine klassische Illustration der elenden Kolonie Irland. Als Douglass wieder verschwindet, macht auch sie sich, neugierig geworden, in die USA auf.
Ganz langsam wird Lily dort zum tragfähigen Mittelpunkt des Texts, paradoxerweise erst, indem sie heiratet. Über ihren Mann Ehrlich, einen störrischen Einsiedler, der sich in der Einsamkeit Neufundlands nieder lässt, und davon lebt, dass er frisches Eis in das heiße New Orleans verschifft. gewinnt auch sie ungewöhnliche Kanten, und als Ehrlich mit dreien ihrer gemeinsamen Söhne bei einem Unfall stirbt, übernimmt Lily das Geschäft.
Auf einmal scheint der Roman zu wissen, was er will. Ausgehend von Lily, die einen beeindruckenden Wandel zur Pionierin durchmacht, gerät man in das fiktive Leben von vier Generationen Frauen, ohne dass das Buch zum modischen Frauen-Schicksalsroman verkäme, und zugleich erkennt man die Verbindungen zu den Geschichten über die historischen männlichen Charaktere.
Lilys Tochter Emmy entpuppt sich als die Journalistin, die anfangs des Buchs in Neufundland über den Start von Alcock und Brown berichtete. Zuvor hat sie, erfährt man jetzt, für ihren Ex-Liebhaber, einen Redakteur, die Geschichten geschrieben, mit denen er berühmt geworden ist, und selber nicht mehr als ab und zu ein Initial dafür erhalten. Nach langem Drängen gibt er ihr eine Kolumne. Doch als er stirbt, hinterlässt er als besondere Bosheit ein Schreiben, dass die Verhältnisse frech verkehrt, und behauptet, dass er alle von Emmy gezeichneten Texte geschrieben habe - was dazu führt, dass Emmy entlassen wird, auf und davon geht und zurück nach Neufundland kommt.
Eine der wirkungsvollsten Entscheidungen McCanns ist es, Lottie, Emmys Tochter, als glücklichen Menschen zu zeigen. Selbstständig, selbstbewusst, hat sie von vornherein einen Charakter, der viel erleben will und sich nichts gefallen lässt. Geschickt folgt McCann Emmys erstauntem Blick auf Lottie, die Photographin wird und einen liebenden, zärtlichen Mann heiratet, der anfangs auch noch vermögend ist. Ihre eigene Tochter Hannah trägt das Staunen über die Mutter weiter, auch für sie ist Lottie wie eine Nummer zu groß.
Gelingendes Leben in zeitgenössischer Literatur, das liest sich selten und klingt wie eine offene Provokation. Doch Lotties Glück hat mit dem Zustand der Welt, das wird schnell klar, nichts zu tun, sie steht nicht für etwas, sondern nur für sich selbst. Diese Frau ist einfach anders als der Rest ihrer Familie. Auch psychologisierende Erklärungen fehlen, zum Glück.
Souverän vermeidet Mc Cann auch eine andere Falle. Wenn Hannah am Ende nicht nur ihren jungen Sohn Tomas verliert, der sein Leben lässt, weil er in den Wirren des Nordirlandkonflikts über eine Vogelflinte verfügt, die ihm gestohlen wird, sondern auch noch das Familienhäuschen an einem Lough bei Bangor abgeben muss, dann ist das zwar traurig, aber keine klischeehaft ausgewalzte soziale Katastrophe. Hannah wehrt sich anfangs gegen den Verkauf an die Bank, doch als das Werk vollbracht ist, hat sie genügend Geld zum Weitermachen.
Unauffällig fügen sich die vielen Geschichten allmählich zu einer großen. Wieder ist McCann kein formaler Neuerer, aber auch diesmal versteht er es mit zunehmender Dauer des Buchs ausgezeichnet, pittoreske historische Charaktere über fiktive Figuren zu beleben und umgekehrt. Alles zusammen von Dirk van Gunsteren behutsam übersetzt.
Lily, das Dienstmädchen, hält
als Zentrum die Teilgeschichten
des Romans zusammen
Gelingendes Leben in
zeitgenössischer Literatur – das
klingt wie eine Provokation
In einer Militärmaschine flogen die Weltkrieg-I-Teilnehmer John Alcock und Arthur Whitten Brown im Juni 1919
von Neufundland nach Connemara in der Grafschaft Galway, Irland. Auf kolorierten Lithografien
wie dieser wurde die erste Non-Stop-Atlantiküberquerung gefeiert. Foto: www.bridgemanart.com
Colum McCann: Transatlantik. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag,
Reinbek 2014. 384 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein wunderbar gewebter Stoff, ganz im Stil von McEwan. Red