Die Internationalisierung der Geschichtswissenschaft schreitet voran. Zunehmend orientiert sie sich an transnationalen Fragestellungen und globalen Zusammenhängen. Dieser Band zieht eine Zwischenbilanz der aktuellen Entwicklung. Vom historischen Vergleich über die europäische Geschichte und die Postcolonial Studies bis zu globalgeschichtlichen Perspektiven stellen die Autoren die wichtigsten Konzepte einer transnationalen Historiographie vor. Daneben werden Felder der Geschichtswissenschaft behandelt, in denen transnationale Perspektiven eine lange Tradition haben - wie die jüdische Geschichte, die Intellectual History, die Geschichte multinationaler Unternehmen und die Konsumgeschichte - oder vergleichende und beziehungsgeschichtliche Fragen in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen haben - wie die historische Nationalismusforschung, die Arbeitergeschichte, die Geschichte der Zivilgesellschaft oder die Geschichte kollektiver Erinnerungen. Schließlich werden Ansätze wie die Kulturgeschichte oder die Mikrogeschichte, die sich gegen internationalisierende Zugriffe zu sperren scheinen, in ihrer transnationalen Dimension diskutiert.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2006Kein Gedöns für Wehler
Was leistet die „Transnationale Geschichte”?
Die Weltgeschichte ist wieder im Kommen - freilich nicht jene althergebrachte, die in Jahrhunderten und Kontinenten dachte und nach Letztbegründungen menschlicher Geschichte suchte, sondern eine zeitgemäße, vom Geist der Globalisierung inspirierte, die mit schicken Begriffen wie „connected”, „entangled” oder „embedded” Geschichtsschreibung jenseits des Nationalstaates betreibt. Transnationale Geschichte ist zwar nicht Weltgeschichte, vermittelt aber die Perspektive, mit der eine solche geschrieben werden soll. „Themen, Tendenzen und Theorien” dieser transnationalen Geschichte sind in einem Sammelband vereinigt, der eine Art Zwischenbilanz einer Erweiterung der Geschichtsschreibung über den nationalgeschichtlichen Rahmen hinaus sein will.
Das Besondere dieses Bandes: Es versammelt die internationale, pardon: transnationale Historikerprominenz, sozusagen die Avantgarde eines Netzwerkes von Globalgeschichtlern zwischen zwei Buchdeckeln. Folglich ist Englisch die Lingua franca. Freundlicherweise haben die Herausgeber die deutschen Beiträge nicht ins Englische übersetzt. Diese Community der Globalhistoriker teilt zwar etliche Essentials wie die Wertschätzung des historischen Vergleichs oder die Bedeutung von beziehungsgeschichtlichen Ansätzen. Sie kann sich aber auch trefflich streiten, beispielsweise über den Stellenwert der Nation in Geschichte und Gegenwart. Mit Sicherheit hat sie noch keinen Masterplan mit folgendem arbeitsteiligem Programm zur Erforschung der Weltgeschichte entworfen, zu zufällig sind die Texte zusammengewürfelt. Man hat das genommen, was die Meister zu bieten hatten; von gezielten Anfragen hat man abgesehen.
Die transnationale Geschichte befindet sich offensichtlich noch im Stadium der Publicrelations - die Leistungsschau gilt allerdings weniger der breiten Öffentlichkeit als der Wissenschaft selbst. Immerhin ist man clever genug, die Kritiker einzubinden. Hans-Ulrich Wehler etwa findet, dass bereits die Altvorderen, wie Max Weber und Hans-Ulrich Wehler, alles richtig gemacht haben, und bittet darum, vom postkolonialen Gedöns verschont zu werden.
Die großen Bücher mit transnationaler Perspektive jenseits von Absichtserklärungen und methodischen Vorüberlegungen, geschrieben von einer neuen Generation von Historikern in Deutschland, kommen erst noch. Dann wird man sehen, wie neu das alles wirklich ist. Und man darf gespannt sein, wie die für die deutsche Geschichte bislang zentrale Frage angegangen wird, nämlich, wie Auschwitz globalgeschichtlich zu deuten ist.
JÖRG SPÄTER
GUNILLA BUDDE, SEBASTIAN CONRAD, OLIVER JANZ (Hrsg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 320 S., 24,90 Euro.
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Was leistet die „Transnationale Geschichte”?
Die Weltgeschichte ist wieder im Kommen - freilich nicht jene althergebrachte, die in Jahrhunderten und Kontinenten dachte und nach Letztbegründungen menschlicher Geschichte suchte, sondern eine zeitgemäße, vom Geist der Globalisierung inspirierte, die mit schicken Begriffen wie „connected”, „entangled” oder „embedded” Geschichtsschreibung jenseits des Nationalstaates betreibt. Transnationale Geschichte ist zwar nicht Weltgeschichte, vermittelt aber die Perspektive, mit der eine solche geschrieben werden soll. „Themen, Tendenzen und Theorien” dieser transnationalen Geschichte sind in einem Sammelband vereinigt, der eine Art Zwischenbilanz einer Erweiterung der Geschichtsschreibung über den nationalgeschichtlichen Rahmen hinaus sein will.
Das Besondere dieses Bandes: Es versammelt die internationale, pardon: transnationale Historikerprominenz, sozusagen die Avantgarde eines Netzwerkes von Globalgeschichtlern zwischen zwei Buchdeckeln. Folglich ist Englisch die Lingua franca. Freundlicherweise haben die Herausgeber die deutschen Beiträge nicht ins Englische übersetzt. Diese Community der Globalhistoriker teilt zwar etliche Essentials wie die Wertschätzung des historischen Vergleichs oder die Bedeutung von beziehungsgeschichtlichen Ansätzen. Sie kann sich aber auch trefflich streiten, beispielsweise über den Stellenwert der Nation in Geschichte und Gegenwart. Mit Sicherheit hat sie noch keinen Masterplan mit folgendem arbeitsteiligem Programm zur Erforschung der Weltgeschichte entworfen, zu zufällig sind die Texte zusammengewürfelt. Man hat das genommen, was die Meister zu bieten hatten; von gezielten Anfragen hat man abgesehen.
Die transnationale Geschichte befindet sich offensichtlich noch im Stadium der Publicrelations - die Leistungsschau gilt allerdings weniger der breiten Öffentlichkeit als der Wissenschaft selbst. Immerhin ist man clever genug, die Kritiker einzubinden. Hans-Ulrich Wehler etwa findet, dass bereits die Altvorderen, wie Max Weber und Hans-Ulrich Wehler, alles richtig gemacht haben, und bittet darum, vom postkolonialen Gedöns verschont zu werden.
Die großen Bücher mit transnationaler Perspektive jenseits von Absichtserklärungen und methodischen Vorüberlegungen, geschrieben von einer neuen Generation von Historikern in Deutschland, kommen erst noch. Dann wird man sehen, wie neu das alles wirklich ist. Und man darf gespannt sein, wie die für die deutsche Geschichte bislang zentrale Frage angegangen wird, nämlich, wie Auschwitz globalgeschichtlich zu deuten ist.
JÖRG SPÄTER
GUNILLA BUDDE, SEBASTIAN CONRAD, OLIVER JANZ (Hrsg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 320 S., 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Jörg Später rümpft die Nase über diesen Sammelband: die Disziplin "transnationale Geschichte" befinde sich wohl noch "im Stadium ihrer Publicrelation". So ganz ernst nehmen kann er die versammelten Text offensichtlich nicht. Schon das Fach selbst samt seiner "schicken Begriffe" verursacht Stirnrunzeln und lässt mehr Fragen offen, als beantwortet werden können. Zum Beispiel was Transnationale Geschichtsschreibung eigentlich ist. Die Texte scheinen hierüber auch keinen befriedigenden Aufschluss zu geben, die auf den Rezensenten eher wie gesampelt als gezielt zusammengestellt wirken. Die echten Offenbarungen dieser neuen Richtung der Geschichtsschreibung stehen aus Späters Sicht daher noch aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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