»Es ist höchste Zeit, einmal ganz offiziell eine Lanze für das oft geschmähte Genre des Trash-TVs zu brechen. Darum, in alter, abgenudelter, unironisch und ganz ehrlich gemeinter It's-only-Rock'n'Roll-but-I-like-it-Pose: Es ist Mist, aber ich mag's.«
Gewisse TV-Formate suchen Ihresgleichen. Zum Beispiel Live-Übertragungen aus dem australischen Dschungel oder aus Wohncontainern mit Z-Promi-Protagonisten scharenweise. Oder die Akquise von Topmodels und Superstars, die gar nicht erst aus der Versenkung auftauchen, in der sie bald wieder verschwinden. Hier zählt nicht das Ergebnis, sondern der Weg. Er ist das Ziel. Über Staffeln hinweg gesuchte Schwiegertöchter, getauschte Frauen, Bauernbräute und Mega-Junggesellen (neudeutsch »Bachelor«) beglücken den geneigten Zuschauer mit einer Mischung aus Überlegenheitsgefühl und Fremdschämen. Gesehen haben will all das keiner, Bescheid weiß jeder. Besonders Anja Rützel, die einen kritisch-amüsanten Blick hinter die Fassaden wirft, hinter die solcher Fernsehformate und hinter die ihrer Betrachter.
Mit 4-farbigen Abbildungen und Infografiken.
Gewisse TV-Formate suchen Ihresgleichen. Zum Beispiel Live-Übertragungen aus dem australischen Dschungel oder aus Wohncontainern mit Z-Promi-Protagonisten scharenweise. Oder die Akquise von Topmodels und Superstars, die gar nicht erst aus der Versenkung auftauchen, in der sie bald wieder verschwinden. Hier zählt nicht das Ergebnis, sondern der Weg. Er ist das Ziel. Über Staffeln hinweg gesuchte Schwiegertöchter, getauschte Frauen, Bauernbräute und Mega-Junggesellen (neudeutsch »Bachelor«) beglücken den geneigten Zuschauer mit einer Mischung aus Überlegenheitsgefühl und Fremdschämen. Gesehen haben will all das keiner, Bescheid weiß jeder. Besonders Anja Rützel, die einen kritisch-amüsanten Blick hinter die Fassaden wirft, hinter die solcher Fernsehformate und hinter die ihrer Betrachter.
Mit 4-farbigen Abbildungen und Infografiken.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2017Liebe zum
Dschungel
Die Journalistin Anja Rützel
studiert Trash-TV mit Hingabe
Der Fernseh-Bauernkalender, den Anja Rützel in ihrem Buch Trash-TV. 100 Seiten aufstellt, bietet klare Orientierung in den Jahreszeiten. Er sagt fürs Frühjahr den Bachelor voraus, im Mai zeigen sich die neuen frauensuchenden Bauern und im September die Promis im Big Brother-Haus. Mit dem Helene-Fischer-Weihnachtskonzert geht das Jahr zu Ende, bevor das neue mit der Dschungelcamp-Saison startet. Seit 2013 ist Letztere eigentlich die Anja-Rützel-Saison. Seitdem schreibt sie für Spiegel Online Recaps über den „Dschungel“, wie die RTL-Survival-Show für maximal Semi-Prominente, Ich bin ein Star – Holt mich hier raus im Volksmund heißt.
Nun widmet die Journalistin und Mitbegründerin von Business Punk dieser medialen Parallelwelt ein ganzes Buch für die überaus charmante Reclam-Reihe 100 Seiten. In dem Programm des Verlags, den viele noch aus dem Lateinunterricht kennen, erschien auch schon ein Band zu den Gilmore Girls oder über Twin Peaks.
Die neun Kapitel über Trash-TV sind in Rützels gewohnt rotzigem Ton gehalten, mit starken Bildern und Vergleichen. Sie diskutiert das Wort „Unterschichtenfernsehen“, das sich 2005 etabliert hat, als Harald Schmidt seinen ehemaligen Arbeitgeber so bezeichnete, den Privatsender Sat 1, und geht zurück bis zu den Anfängen von Reality-Fernsehen im Jahr 1948, als mit Candid Camera, das US-Vorbild der Versteckten Kamera startete.
Ihrem Lieblingssujet, dem Dschungelcamp, widmet Rützel natürlich mehr als ein ganzes Kapitel. „Das Dschungelcamp ist zweifellos das saftige Filetstück in der stellenweise durchaus etwas angegammelten Trash-Fleischtheke“, schreibt sie. Nicht nur, weil einer Zuschaueranalyse von 2015 zufolge fast jeder dritte Zuschauer Abitur und jeder vierte einen Uni-Abschluss hat, sondern vor allem deshalb, weil die Sendung zwei Wochen lang eine Auszeit verspreche und in unserer überkomplexen Welt an die Banalität des Daseins erinnere.
Rützel seziert berühmte Momente des Trash-Genres und amüsiert sich über die Ideen der vergangenen Fernsehmesse MIPTV (Marché International des Programmes de Télévision) in Cannes. Da gab es unter anderem Perlen des schlechten Geschmacks wie die japanische Sendung Resurrection Makeover, für die Schauspieler wie Verstorbene geschminkt werden, um dann vor laufender Kamera Hinterbliebene zu besuchen. Wenige Seiten nach einer Typologie der inzwischen etablierten Rollen in Reality-Shows („Die Busenlüfterin“, „Das Sanostolkind“) zitiert Rützel den römischen Dichter Lukrez. Trash-TV garniert mit Altphilologie. Ein bemerkenswerter Spagat.
Besonders schön sind die Zusatz-Features im Buch: etwa die „Erdbeerkäse“-Monologe einer Frauentausch-Kandidatin – eines der bekanntesten viralen Videos aus dem Trash-Genre („Bio ist für mich Abfall!“). Oder die Floskeln von Trash-TV-Kritikern („Und für so was zahlen wir Gebühren!“). Insgesamt bringt Rützel in ihrem Buch so viele Formate als Beispiele, dass einem schwindlig werden kann. Kennen muss man die nicht, um das Buch zu lesen und lustig zu finden. Am Ende ist Rützels Buch, obwohl es die angemessene Kritik enthält, eine Liebeserklärung ans Trash-Fernsehen geworden.
„Es ist Mist“, schreibt Rützel in der Einleitung über ihr Fachgebiet, „aber ich mag’s.“
KATHRIN HOLLMER
Jeder dritte Dschungelcamp-Zuschauer hat Abitur, jeder vierte einen Hochschulabschluss. Da lag es vielleicht nahe, diese Untersuchung bei Reclam zu publizieren.
Anja Rützel: Trash TV. 100 Seiten; 10 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Dschungel
Die Journalistin Anja Rützel
studiert Trash-TV mit Hingabe
Der Fernseh-Bauernkalender, den Anja Rützel in ihrem Buch Trash-TV. 100 Seiten aufstellt, bietet klare Orientierung in den Jahreszeiten. Er sagt fürs Frühjahr den Bachelor voraus, im Mai zeigen sich die neuen frauensuchenden Bauern und im September die Promis im Big Brother-Haus. Mit dem Helene-Fischer-Weihnachtskonzert geht das Jahr zu Ende, bevor das neue mit der Dschungelcamp-Saison startet. Seit 2013 ist Letztere eigentlich die Anja-Rützel-Saison. Seitdem schreibt sie für Spiegel Online Recaps über den „Dschungel“, wie die RTL-Survival-Show für maximal Semi-Prominente, Ich bin ein Star – Holt mich hier raus im Volksmund heißt.
Nun widmet die Journalistin und Mitbegründerin von Business Punk dieser medialen Parallelwelt ein ganzes Buch für die überaus charmante Reclam-Reihe 100 Seiten. In dem Programm des Verlags, den viele noch aus dem Lateinunterricht kennen, erschien auch schon ein Band zu den Gilmore Girls oder über Twin Peaks.
Die neun Kapitel über Trash-TV sind in Rützels gewohnt rotzigem Ton gehalten, mit starken Bildern und Vergleichen. Sie diskutiert das Wort „Unterschichtenfernsehen“, das sich 2005 etabliert hat, als Harald Schmidt seinen ehemaligen Arbeitgeber so bezeichnete, den Privatsender Sat 1, und geht zurück bis zu den Anfängen von Reality-Fernsehen im Jahr 1948, als mit Candid Camera, das US-Vorbild der Versteckten Kamera startete.
Ihrem Lieblingssujet, dem Dschungelcamp, widmet Rützel natürlich mehr als ein ganzes Kapitel. „Das Dschungelcamp ist zweifellos das saftige Filetstück in der stellenweise durchaus etwas angegammelten Trash-Fleischtheke“, schreibt sie. Nicht nur, weil einer Zuschaueranalyse von 2015 zufolge fast jeder dritte Zuschauer Abitur und jeder vierte einen Uni-Abschluss hat, sondern vor allem deshalb, weil die Sendung zwei Wochen lang eine Auszeit verspreche und in unserer überkomplexen Welt an die Banalität des Daseins erinnere.
Rützel seziert berühmte Momente des Trash-Genres und amüsiert sich über die Ideen der vergangenen Fernsehmesse MIPTV (Marché International des Programmes de Télévision) in Cannes. Da gab es unter anderem Perlen des schlechten Geschmacks wie die japanische Sendung Resurrection Makeover, für die Schauspieler wie Verstorbene geschminkt werden, um dann vor laufender Kamera Hinterbliebene zu besuchen. Wenige Seiten nach einer Typologie der inzwischen etablierten Rollen in Reality-Shows („Die Busenlüfterin“, „Das Sanostolkind“) zitiert Rützel den römischen Dichter Lukrez. Trash-TV garniert mit Altphilologie. Ein bemerkenswerter Spagat.
Besonders schön sind die Zusatz-Features im Buch: etwa die „Erdbeerkäse“-Monologe einer Frauentausch-Kandidatin – eines der bekanntesten viralen Videos aus dem Trash-Genre („Bio ist für mich Abfall!“). Oder die Floskeln von Trash-TV-Kritikern („Und für so was zahlen wir Gebühren!“). Insgesamt bringt Rützel in ihrem Buch so viele Formate als Beispiele, dass einem schwindlig werden kann. Kennen muss man die nicht, um das Buch zu lesen und lustig zu finden. Am Ende ist Rützels Buch, obwohl es die angemessene Kritik enthält, eine Liebeserklärung ans Trash-Fernsehen geworden.
„Es ist Mist“, schreibt Rützel in der Einleitung über ihr Fachgebiet, „aber ich mag’s.“
KATHRIN HOLLMER
Jeder dritte Dschungelcamp-Zuschauer hat Abitur, jeder vierte einen Hochschulabschluss. Da lag es vielleicht nahe, diese Untersuchung bei Reclam zu publizieren.
Anja Rützel: Trash TV. 100 Seiten; 10 Euro.
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»Anja Rützel forscht furchtlos in den sumpfigsten Niederungen des Genres und hat mit 'Trash-TV' ein Standardwerk vorgelegt.« Süddeutsche Zeitung, 15.01.2021