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Vier Jahre aus dem Leben des Schriftstellers Günter Herburger, eines Mannes, dem der Langstreckenlauf zum Bedürfnis geworden ist. Bei jeder Witterung absolviert er sein morgendliches Training, betrachtet es als Teil seiner Existenz. Beim Laufen hält er Zwiesprache, geht Erinnerungen nach und, nach Hause zurückgekehrt, hält er das, was ihm durch den Kopf ging, schriftlich, in seinem "geheimen Tagebuch" fest.

Produktbeschreibung
Vier Jahre aus dem Leben des Schriftstellers Günter Herburger, eines Mannes, dem der Langstreckenlauf zum Bedürfnis geworden ist. Bei jeder Witterung absolviert er sein morgendliches Training, betrachtet es als Teil seiner Existenz. Beim Laufen hält er Zwiesprache, geht Erinnerungen nach und, nach Hause zurückgekehrt, hält er das, was ihm durch den Kopf ging, schriftlich, in seinem "geheimen Tagebuch" fest.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.1995

Von allen Hunden gehetzt
Günter Herburger läuft viel schneller als sein Schatten

Auch die Dichter sind schneller geworden. Im Dauerlauf sucht Günter Herburger Einfälle zu fangen, die Tolstoi oder Robert Walser noch beim Spazierengehen zuflogen. Herburgers neue Prosasammlung "Traum und Bahn" bleibt dem 1990 erschienenen Schrittmacherband "Lauf und Wahn" mit Titel und Inhalt dicht auf den Fersen. Da beim Laufen erzeugte körpereigene Opiate süchtig machen, können wir uns vielleicht bald mit einem Band "Schnauf und Qual" auf den Beobachterposten Sofa zurückziehen.

Es ist nicht zu übersehen, daß Herburgers kleine literarische Extraweide nun ein bißchen abgegrast wirkt. Wie hier jemand mit dem Auto in die Ferien reist und seinen Freizeitsport effektvoll ausbeutet, wird in den auf Existentielles gemünzten Texten nirgendwo diskutiert. Sport ist eben eine todernste Angelegenheit. Niemals schaut der Schriftsteller Herburger dem Langstreckenläufer Herburger kritisch oder gar lachend über die Schulter. Darf man die kulinarischen Racheträume des von allen Hunden Gehetzten überhaupt amüsant finden? Ist da nicht ein Mensch in Not? Während sich der Leser noch mit bleischweren Fragen herumplagt, ist der Dichter längst vom Stöckchen zum Hölzchen davongesprungen.

So geschwitzt wie dieser Autor hat noch keiner: "Der Schweiß sträubte sich wie Nägel." Nicht um Selbstbestätigung im Nummernleibchen inmitten der kollektiven Einsamkeit großstädtischer Marathonrudel geht es diesmal, sondern um Wahrnehmungen innerhalb und außerhalb eines meist einsam durch die Gegend rennenden Literaten, dem die Symbolträchtigkeit seiner Körperkultur stets bewußt ist. Ohne sich einen Umweg oder ein Bleiben zu gestatten, flieht der Autor auf einigermaßen geordneten Bahnen vor sich selbst, mit Rückkehrgarantie. Einen weiten Bogen macht er dabei um Begründungen oder psychologische Deutungen, was die Anteilnahme erschwert. Unbehagen bereitet die Neigung des Autors, nicht nur sich selbst, sondern auch dem Leser auszuweichen. Wie die umeinander kreisenden Figuren eines Wetterhäuschens befinden sich Autor und Leser niemals gleichzeitig in derselben Ebene von Spannung und Entspannung: Für den Ich-Erzähler beschwerliche Laufpartien sind mühelos zu lesen; seine beiläufigen Assoziationen hingegen kann der Leser oft nur ächzend nachvollziehen.

Für den Ausübenden wirft die Ertüchtigung, die angeblich Leib und Seele ins Gleichgewicht bringt, zweifellos therapeutischen Gewinn ab. Der zum Zuschauen verurteilte Leser ärgert sich über die forcierte Originalität von Bildern, über lexikalisch-essayistische Einlagen, leichtfertige Abwertungen, medizinische Blitzaufklärung, eingeklammerte Besserwissereien. Im Laufschritt vom Wegesrand mitgenommene Naturerfahrungen wirken trotz ihrer Intensität synthetisch und dekorativ, weil sie keine Bindung an ein Gestaltungsziel erkennen lassen, das in überindividuelle Dimensionen reicht. Vielleicht ist aber ihre Zusammenhanglosigkeit einfach darauf zurückzuführen, daß im Rausch eines jeden Langstreckenlaufs alle Landschaftsdetails in aufregend neuem Licht erscheinen?

Den Satzverwindungen, manchen erlesenen Adjektiven merkt man es an, daß Herburger seine Impressionen nicht als Momentaufnahmen in ein umgehängtes Diktiergerät keucht, sondern am Schreibtisch rekonstruiert, montiert, anreichert. Ähnlich wie bei manchem aufbereiteten Tagebuch wünscht man auch hier, einen Blick auf das aussortierte, die Stilisierung des Innenlebens störende Material werfen zu können. Vom Hegel-Zitat bis zu einem langen Brockes-Gedicht ist alles, was der Läufer da aus seinem Kopf herausschüttelt, ziemlich edel. In manchen Sätzen freilich zittert die Lauftrance mächtig nach: "Hinaus, hinaus auf die Stadtgerade mit ihren wie jüdisch beschnittenen, siebenfachen Baumleuchten; dieser Eindruck mochte auf einem Irrtum beruhen, doch brachte Frieden."

Beim Leser löst die vom Autor zwanghaft verfolgte Laufthematik starke Fluchtinstinkte aus. Wenn sich die Collagen auf anderem Terrain bewegen, wird ihre Anziehungskraft größer. Im Prosastück "Wal" laufen nur noch Gedanken neben einer Programm-Musik her; die märchenhafte Traumlogik des Textes "Der unbekannte Berg" zeigt eine Wunderwelt, in der die Dinge und ihre Bilder vereinzelt wie auf Eisschollen vorübertreiben. Nicht nur in dieser Schlußgeschichte erscheint die Kindheit als rätselhafte Heimat der vom Schriftsteller weder mit List noch mit Gewalt zu erjagenden Phantasie. Überraschend meldet sich ganz am Ende des Buches, wenn der Autor und Leser von der sinnlosen Hatz ermattet sind, in aller Ruhe die Poesie zu Wort. Jetzt würde man gern weiterlesen, doch es folgen nur noch anderthalb leere Seiten. RENATE MIEHE

Günter Herburger: "Traum und Bahn". Luchterhand Literaturverlag, München 1994. 359 S., geb., 44,- DM.

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