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"Ein nicht gedeuteter Traum ist wie ein nicht gelesener Brief" , so heißt es bereits im Talmud, und zweifelsohne gehört das Träumen zu den wunderbarsten wie rätselhaftesten Fähigkeiten des Menschen. Spätestens mit Sigmund Freuds Traumtheorie hat die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung und dem Sinn von Träumen eine ganz neue Dimension erhalten, versuchen neben den Psychologen auch Mediziner und Biologen das Geheimnis des Träumens zu entschlüsseln. Dieses Buch gibt einen Überblick über die Traumforschung dieses Jahrhunderts, indem es neben Freuds Arbeiten die wichtigsten…mehr

Produktbeschreibung
"Ein nicht gedeuteter Traum ist wie ein nicht gelesener Brief" , so heißt es bereits im Talmud, und zweifelsohne gehört das Träumen zu den wunderbarsten wie rätselhaftesten Fähigkeiten des Menschen. Spätestens mit Sigmund Freuds Traumtheorie hat die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung und dem Sinn von Träumen eine ganz neue Dimension erhalten, versuchen neben den Psychologen auch Mediziner und Biologen das Geheimnis des Träumens zu entschlüsseln. Dieses Buch gibt einen Überblick über die Traumforschung dieses Jahrhunderts, indem es neben Freuds Arbeiten die wichtigsten tiefenpsychologischen, psychoanalytischen und neurobiologischen Traumtheorien vorstellt und erläutert.
Autorenporträt
Wolfgang Mertens ist Professor für Psychoanalyse am Klinischen Institut für Psychologie und Pädagogik an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Er ist Lehranalytiker und Supervisor an der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999

Die Dame ist mein
Freuds Liebestraum ging in Erfüllung / Von Martin Stingelin

Die letzte Jahrhundertwende trennt die Landschaft, die von den Historikern der Psychoanalyse kartografiert wird, wie eine Wasserscheide in das undurchdringliche Dickicht suggestiver Behandlungstechniken, die 1895 von Josef Breuer und Sigmund Freud in den noch ganz unter dem Eindruck der Hypnose stehenden "Studien zur Hysterie" gebündelt wurden, und in die zusehends klarer gegliederte Kulturlandschaft ihrer Läuterung durch die weniger aufdringliche Methode der freien Assoziation, in der sich die durch das psychoanalytische Setting gehegte Übertragungs- und Gegenübertragungsdynamik zwischen Analytiker und Analysand entfaltet. Die Stiftungsurkunde der freien Assoziation ist die am 4. November 1899 ausgelieferte und vom Verleger Franz Deuticke auf 1900 vordatierte "Traumdeutung", die der S. Fischer Verlag zum hundertsten Jahrestag mit drei Begleitessays von Jean Starobinski, Ilse Grubrich-Simitis und Mark Solms als Reprint der Erstausgabe vorgelegt hat, ohne am Datum 1999 zu rühren.

Sigmund Freud selbst bezeichnete die Traumlehre 1933 als "Wendepunkt" in der Geschichte der Psychoanalyse. Mit dem darin vollzogenen "Schritt von einem psychotherapeutischen Verfahren zu einer Tiefenpsychologie" sei "ein Stück Neuland" des Wissens erobert worden, das sich nur demjenigen erschließt, der sich der Technik der Traumdeutung wie eines "Schibboleth" zu bedienen weiß, eines ideolektalen Zugehörigkeitszeichens, das als Losungswort die durch innere Widerstände und Zensoren befestigte Grenze zum Unbewussten öffnet. Doch der Gründungsakt der Psychoanalyse, die Freud in seinen fortschreitenden Neuschreibungen ihrer Entwicklungsgeschichte immer bestimmter aus der Deutung seiner eigenen Träume hervorgegangen wissen wollte, hat Zweifel an ihrer wissenschaftlichen Legitimität geweckt, verbürgt sich ihr Stifter doch persönlich für sie, obwohl er schon am 14. November 1897 in einem Brief festgehalten hat, "eigentliche Selbstanalyse ist unmöglich, sonst gäbe es keine Krankheit". Sind die dreiundvierzig eigenen Träume, auf die sich Freud in der "Traumdeutung" nicht ohne Selbstironie als "reichliches und bequemes Material" stützt, "das von einer ungefähr normalen Person herrührt und sich auf mannigfache Anlässe des täglichen Lebens bezieht", zuverlässige Anhaltspunkte für eine Traumtheorie?

In einer gewagten und an der Freudschen Deutungskunst geschulten Argumentationsvolte hat Kurt Robert Eissler 1985 diese Vorbehalte durch den ironischen Einwand ausgeräumt, Freuds Träume seien tatsächlich "fingiert", ohne dass die an ihrem Beispiel analysierten Traumarbeitsmechanismen und demonstrierten Traumdeutungstechniken dadurch an theoretischer Evidenz oder therapeutischer Wirkungskraft einbüßen würden. Sowohl die Mechanismen der Verdichtung, Verschiebung, Rücksicht auf Darstellbarkeit und sekundärer Bearbeitung wie ihre Deutung durch die Zerlegung des Traums in einzelne Fragmente seines manifesten Inhalts, aus dem sich in der freien Assoziation schließlich die latenten Traumgedanken herauskristallisieren, hätten sich in "tausend und abertausend Träumen" bewährt, die "seit 1900 analysiert worden" sind.

Der von Eissler ironisch gegen Freuds Kritiker gewendete Vorbehalt, seine Träume seien "fingiert", entspringt derselben Quelle wie Freuds sprichwörtliche Irritation, "dass die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind, und dass sie sozusagen des ernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren": Freuds Träume sind zu schön, um wahr zu sein, denn Freud hat vier Jahre lang von diesem Buch und im Dienst dieses Buches geträumt. Unverhüllt im "Traum von der botanischen Monografie": "Trauminhalt: Ich habe eine Monografie über eine gewisse Pflanze geschrieben. Das Buch liegt vor mir, ich blättere eben eine eingeschlagene Tafel um. Jedem Exemplar ist ein getrocknetes Specimen der Pflanze beigebunden, ähnlich wie aus einem Herbarium."

Freud erkannte in diesem Traum nicht nur eine Reminiszenz an seinen Aufsatz "Ueber Coca", mit dem er sich 1884 vergeblich einen Namen zu machen hoffte und an dessen Stelle jetzt "Die Traumdeutung" treten sollte. Sie war wie Freuds Kokainstudien noch immer dem Selbstversuch verpflichtet. Jürgen vom Scheidt hat vermutet, dass Freuds Kokainkonsum seine Traumaktivität angeregt, die Selbstzensur herabgesetzt und dadurch den Zugang zum eigenen Unbewussten erleichtert haben könnte. Ein mächtigeres Stimulans war jedoch "Die Traumdeutung" selbst: "Wer sich zum Beispiel als Forscher eine Zeit lang für den Traum interessiert, träumt während dessen auch mehr als sonst, das heißt wohl: er erinnert seine Träume leichter und häufiger."

Der "Traum von der botanischen Monografie" handelte gleichzeitig von der im Entstehen begriffenen "Traumdeutung", schrieb Freud doch ein weltblickender Freund, dem er Teile des Manuskripts geschickt hatte, "gestern aus Berlin: ,Mit Deinem Traumbuche beschäftige ich mich sehr viel. Ich sehe es fertig vor mir liegen und blättere darin.' Wie habe ich ihn um diese Sehergabe beneidet! Wenn ich es doch auch schon fertig vor mir liegen sehen könnte!" Der Freund war der Berliner Hals-, Nasen- und Ohrenarzt Wilhelm Fließ, den Sigmund Freud in ihrem Briefwechsel, aus dem "Die Traumdeutung" hervorgegangen ist, ausdrücklich als "Repräsentanten des ,Anderen'" bezeichnet. Ohne ihn hätte "Die Traumdeutung" nicht geschrieben werden können; ohne Freuds Briefe an ihn sollte sie nicht gelesen werden. Die getrocknete Pflanze aber ist eine Metapher für die blühenden Träume, die Freud sich nach dem Tod seines Vaters aus dem Fleisch seiner zum Leben erwachten Neurosen geschnitten hat, um sie bis in die feinsten Verästelungen und zartesten Blattadern zu zergliedern und der "Traumdeutung" einzuverleiben. Durch die Analyse ihrer Funktionsweise, ihrer Entstehung und ihrer Bedeutung wollte er unsterblich werden.

Freud hat davon geträumt, in seinem Buch den Code zur Entschlüsselung der Träume zu finden, die er als chiffrierte Texte las. Die Lösung sollte die Theorie vom Traum als Wunscherfüllung darstellen, die im manifesten Trauminhalt entstellt zum Ausdruck kommt. Wer durch die Lektüre der "Traumdeutung" von Freud - der bei sich Träume bestellen und experimentell reproduzieren konnte, während seine Patienten sich beeilten, Träume "nachzuträumen" oder sich durch "Gegenwunschträume" den Wunsch zu erfüllen, Freud möge mit seiner kränkenden Deutung Unrecht haben - einen Eindruck von ihrer Gefügigkeit, Form- und Fingierbarkeit gewonnen hat, wird nicht daran zweifeln, dass sich in Freuds Träumen der Wunsch vom Traum als Wunscherfüllung erfüllte. Sie waren ihrer Theorie nachgeträumt, die Freud am 24. Juli 1895 im Haus Bellevue bei der Deutung seines "Traums von Irma's Injection" entdeckte. Doch dies allein erklärt weder das schöpferische Eigenleben des Traums von der "Traumdeutung" noch ihre bestrickende Wirkungsmacht.

In der "Traumdeutung" bilden der Selbstversuch, die Selbstanalyse und die autobiografischen Bruchstücke einer selbstenthüllenden und -verhüllenden Konfession, die eine ganze Deutungsindustrie in Brot und Atem halten, jenes unauflösliche "Webermeisterstück", das Freud im Fall von Goethe "zwischen den Triebanlagen, den Erlebnissen und den Werken eines Künstlers" erkannte. "Die Traumdeutung" verkörpert die Poetik des modernen Schreibens, in dessen Selbstbezüglichkeit der Autor buchstäblich hineingewirkt ist. Daher rührt das mächtige Identifikationspotenzial von Freuds "Traumdeutung". Noch Wolfgang Mertens erzählt in seiner Einführung "Traum und Traumdeutung", die einen nützlichen Überblick über die Traumforschung seit Freud bietet, den "Traum von Irma's Injection" in erlebter Rede aus Freuds - unbewusster - Perspektive nach. Daher rührt auch die anhaltende Wirkung ihrer Ästhetik auf die Künste, sei es durch die von Freud parallel zu Nietzsches Sprachphilosophie wiederbelebte Tradition der antiken Rhetorik, die im Strukturalismus und Poststrukturalismus einen erfrischenden Deutungssturm entfacht hat, sei es durch die euphorische Verzweiflung eines Schreibens, das Halt nur noch an sich selbst findet. Und wie der nackte Traum hinter dem Schleier seiner Erzählung und Wiedererzählung nie zu fassen ist, so ist das Unbewusste, das aus der "Traumdeutung" spricht, unerschöpflich.

Im ungebrochenen Licht der Erstauflage zeichnen sich diese Konturen deutlicher ab als unter den Überwucherungen von eigener und fremder Hand, die bis zur achten Auflage 1930 hinzugetreten und von Ilse Grubrich-Simitis akribisch dokumentiert worden sind. Noch weiß der Leser zwar nicht, dass sich "Die Traumdeutung" als "Reaktion auf den Tod meines Vaters, also auf das bedeutsamste Ereignis, den einschneidendsten Verlust im Leben eines Mannes" erweisen wird, was der Autor ihm erst im Vorwort zur zweiten Auflage 1908 mitteilt. Doch das Buch, befangen in Freuds individueller Selbstanalyse, ist 1900 in seinen Grundfesten noch nicht erschüttert durch die Entdeckung der kollektiven Traumsymbolik, mit der ein methodologischer Riss durch die Psychoanalyse gehen wird, eine Verwerfungslinie, an der sich die psychoanalytische Bewegung aufreiben wird. Nachdem "Die Traumdeutung" in der vierten Auflage von 1914 durch das zunehmende Gewicht dieser Entdeckung gänzlich umgepflügt worden ist, kann Freud im selben Satz behaupten, der manifeste Trauminhalt sei nur durch die daran geknüpften individuellen Assoziationen deutbar, seine Symbole aber seien unabhängig vom jeweiligen Träumer allen Menschen als Relikt ihrer Prähistorie eigen.

Hier stellt sich die von Starobinski aufgeworfene Frage: "Ist der Chiffrierschlüssel zur Lektüre, den uns die Psychoanalyse für die Mythen anbietet, nicht selbst in der Gussform der Mythologie entstanden?" Eine textgenetische Edition der "Traumdeutung" täte Not; selbst in der Studienausgabe, die jeden bis 1930 neuhinzugekommenen Abschnitt datiert, ohne die weggefallenen zu bewahren, ist ihre Entwicklungsgeschichte nicht vollständig und zweifelsfrei rekonstruierbar.

Glaubt man den von Heinrich Deserno in seiner Anthologie "Das Jahrhundert der Traumdeutung" gesammelten Beiträgen, so hat die Psychoanalyse den Traum nach dem Tod von Sigmund Freud zunehmend mehr als individuellen Echoraum der Übertragungs- und Gegenübertragungsdynamik behandelt. Seit Erik H. Erikson gesteht man dem Träumer einen individuellen Traumstil zu (Walter Benjamin vermutete darüber hinaus schon 1927: "Das Träumen hat an der Geschichte teil"), seit Bertram D. Lewin und Fritz Morgenthaler ist man sensibel für die Entsprechungen zwischen der Traumbildung und der "Analysebildung" in der Psychotherapie. Überraschende Bestätigungen erfährt Freuds Traumtheorie zur Zeit von der Neuro- und Kognitionspsychologie, wie die Originalbeiträge von Andreas Hamburger, Wolfgang Leuschner und der Begleitessay von Mark Solms dokumentieren. Einer eigentlichen Fortentwicklung der psychoanalytischen Traumtheorie aber stand ihre unergründliche Quelle im Weg: Freuds nicht wiederholbare Selbstanalyse.

Zweifellos hat Kurt Robert Eissler Recht, wenn er schreibt, "seit 1900" hätten sich die Traumarbeitsmechanismen und die Traumdeutungstechnik, die Sigmund Freud entdeckt hat, in "tausend und abertausend Träumen" bewährt. Doch diese Träume sind tatsächlich dem Buch "Die Traumdeutung" entsprungen, das ihnen ihre Form gegeben hat. Wir träumen sie als Hommage an die ungebrochene Verführungskraft seiner Schönheit, die sich selbst dem Nichtleser durch die "psychische Realität" unserer Künste, Texte und Kinofilme vermittelt, in deren Traumdeutungsästhetik sich das Alltagsbewusstsein unserer Selbstwahrnehmung bricht. Der Reprint der Erstauflage mag als willkommener Anlass zur Relektüre dafür besorgt sein, dass dies weiterhin wenigstens nicht unbewusst geschieht.

Sigmund Freud: "Die Traumdeutung". Reprint der Erstausgabe des Verlags Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1900. Beigegeben: Jean Starobinski, Ilse Grubrich-Simitis und Mark Solms: "Hundert Jahre ,Traumdeutung' von Sigmund Freud. Drei Essays". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. V, 377 S., geb., 89 S., br., beide zusammen im Schuber 128,- DM.

Heinrich Deserno (Hrsg.): "Das Jahrhundert der Traumdeutung". Perspektiven psychoanalytischer Traumforschung. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1999. 475 S., geb., 68,- DM.

Wolfgang Mertens: "Traum und Traumdeutung". Verlag C. H. Beck, München 1999. 143 S., br., 14,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Martin Stingelin bespricht das Buch zusammen mit dem von Heinrich Deserno herausgegebenen Essayband "Das Jahrhundert der Traumdeutung" und dem Reprint der Erstauflage der Freudschen "Traumdeutung", die vor genau hundert Jahren erschien.
1) Wolfgang Mertens: "Traum und Traumdeutung"
Zu diesem Buch lässt Stingelin nur die Bemerkung fallen, dass es sich um "einen nützlichen Überblick" über Freuds Traumdeutung und ihre Wirkung in späterer Zeit handele.
2) Heinrich Deserno (Hrsg.): "Das Jahrhundert der Traumdeutung" (Klett-Cotta Verlag)
Die hier versammelten Essay zeigen nach Stingelin die Akzentverschiebungen auf, die die Traumforschung seit Freuds Urwerk bis heute erfahren habe. Zwei Essays böten "überraschende Bestätigungen" der Freudschen Thesen durch die neueste Hirnforschung.
3) Sigmund Freud: "Die Traumdeutung" (S. Fischer Verlag)
Besonders interessant findet Stingelin diese Wiederauflage, weil sie den von Freud in den späteren Auflagen so häufig überarbeiteten Text in ursprünglicher Form bietet. Dieser Gründungsakt einer Wissenschaft erscheine dadurch in wesentlich deutlicheren Konturen. Allerdings würde sich Stingelin mehr noch eine "