»Traum von mehr bis minder schönen Frauen« ist ein pikaresker, unflätiger, philosophischer Bericht über des jungen Mannes Belacqua ungestüme Suche nach der eigenen literarischen und persönlichen Identität; das überschäumend virtuose, mit Sprachen, Zitaten und Anspielungen jonglierende, teils sehr quälerische, teils überaus komische Buch eines Genies. Eine extreme Herausforderung für den Übersetzer, Wolfgang Held, der über den Roman schreibt: »Es ist ein erstaunlich ausgeformtes, höhen- und tiefentrunkenes, zynisch-saturnisch schillerndes, psychotisch-satirisch-puritanisch-faunisches Werk, voll subtiler Vulgarismen und Sophismen, und der ganze spätere Beckett steckt in diesem 'wombtomb' in Belacquas fauler Haut, die da unterm Felsen in Dantes Purgatorium zusammengerollt die Chance vertut, am Engel vorbei durch die Himmelspforte zu schlüpfen; auch daß er ein Lautenmacher war im historischen Florenz, findet ein Echo bei Beckett: es ist ein ungemein musikalisch fein strukturierter Text.«"
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.1996Gewitzt und geschleckt
Samuel Becketts erster Roman · Von Harald Hartung
Im Mai 1932 begann ein junger Mann in einem Pariser Hotel die Arbeit an einem Roman. Er hatte seinen Universitätsjob in Dublin gekündigt, war folglich mittellos, zudem bei seiner Familie in Ungnade gefallen. Mit dem Schreiben jedoch kam er schnell voran. Wohl weil er hoffte, mit dem Roman Geld zu verdienen. Vielleicht auch deshalb, weil er dem Rat seines Mentors James Joyce folgte, die eigene Biographie auszubeuten und über Menschen zu schreiben, die man kennt.
So entstand in wenigen Wochen Becketts erster Roman "Dream of fair to middling women". Als er fertig war, hatte der Autor kein Geld, nach London zu fahren, um den Roman einem Verlag anzubieten - es reichte nicht einmal für das Porto, um das Manuskript herumzuschicken. Dann, als Beckett die Reisekosten aufbringen konnte, mußte er erfahren, daß keiner der Londoner Verleger den Roman haben wollte. Beckett tat das Vernünftigste, was unter solchen Umständen zu tun ist: Er schlachtete das Manuskript aus und machte daraus eine Folge von zehn Erzählungen. Sie erschienen zwei Jahre später unter dem Titel "More Pricks Than Kicks" (Mehr Prügel als Flügel). Ohnehin erwies sich der Roman als ein Materiallager, aus dem Beckett sich auch später immer wieder bediente. "Nichts zu machen", der berühmte Anfangssatz von "Warten auf Godot", findet sich gleich mehrfach in dem aufgegebenen Roman, den der Dichter später "unreif und unwürdig" nannte - wohl nicht zuletzt deshalb, weil er sein autobiographisches Geheimnis verriet.
Um seinen "Traum von mehr bis minder schönen Frauen" zu realisieren, bedurfte es schon einiger Verlarvung. Als passionierter Dante-Leser fand Beckett in der Figur des trägen Florentiner Lautenbauers Belacqua die Maske, unter der er sich verstecken wie offenbaren konnte. Zu lebenslangem Warten verurteilt, verharrt dieser Belacqua überaus geduldig in embryonaler Hockstellung. Ähnlich hatte Beckett seinen letzten Dubliner Winter im Bett verbracht, das Gesicht zur Wand und in fötaler Position. Ein solcher Protagonist, melancholisch, passiv, indolent, bedurfte einer aktiven Gegenfigur.
Für Smeraldina-Rima, die weibliche Hauptfigur der ersten Romanhälfte, mußte der Autor nicht lange nach einem Modell suchen. Er fand es in seiner Kasseler Cousine Peggy Sinclair, die er zunächst heftig umworben, aber dann doch sehr auf Distanz gehalten hatte. Peggy, eine intelligente, quirlige, unkonventionelle Person, war eine grünäugige Schönheit, die ein Faible für grüne Kleider hatte - daher im Roman ihr Name Smeraldina oder dessen Koseform Smerry, der fast überdeutlich die wirkliche Peggy evoziert.
Schon der Roman vor dem Roman gab also eine brauchbare Exposition. Beckett mußte seine misogynen Tendenzen nur ins Komische und Groteske treiben. Sein träger, immerhin zur Liebe entschlossener Belacqua beschränkt sein Verliebtsein auf die Partien "vom Gürtel aufwärts". Er haßt das "Libidogeschniefe", haßt jedweden "Angriff auf sein Gemächte" und kann ihn doch nicht immer verhindern. Bel - wie sein Kosename lautet - tut noch mehr: Er treibt Smerry geradezu in die Arme anderer Männer, nur um ihr zu entkommen. All das ist eher komisch als traurig, eher possenhaft als tragisch, und dennoch teilt sich dem Leser ein Gefühl melancholischer Ambivalenz mit, ein Wechselbad der Gefühle. Einmal heißt es ganz ernsthaft: ",Mit der Ferne der Leiber wächst die Nähe der Seelen', ist ein wahres Wort." Und eine Seite weiter: "Beatrice lauert in jedem Bordell." Für Beckett macht das offenbar wenig Unterschied.
Die zweite Romanhälfte wartet mit weiteren Frauenfiguren auf, mit Alba, Frica, Syra-Cusa, auch sie nervtötend, bedrängend, beutelüstern. Aber das Schlimmste scheint überstanden, und der Leser ahnt, daß Belacquas Fluchtbewegung mit den Stationen Wien, Paris, Dublin erfolgreich sein wird - wenn denn Regression als Erfolg bezeichnet werden darf.
So weit Becketts Konzession an den Roman, der von Frauen und Liebe handelt. Er gibt mit seinen Episoden ein Gerüst, an dem der Autor seine artistischen Girlanden aufhängen kann; seine Stilübungen, seine Auseinandersetzung mit dem Übervater Joyce, seine Befreiung von ihm. Becketts "Traum" ist ein Anti-Roman. "Es gibt keinen wirklichen Belacqua", heißt es einmal. Oder: "Der einzige Zusammenhang in dieser Geschichte ist, will's Gott, ein unfreiwilliger Zusammenhang." Aber selbst solche poetologischen Aussagen muß man mit Vorsicht genießen - ihr Gegenteil ist zumindest ebenso richtig.
Becketts "Traum" ist ein Probelauf, eine forcierte Recherche seiner literarischen Möglichkeiten. Er zieht alle Register, die Partitur ist deshalb überinstrumentiert. Er konkurriert mit Joyce und kaschiert das mit dem Clown Grock, der wieder und wieder in die Szene springt. Er läßt sich keinen Wortwitz, keinen Kalauer entgehen; und sein Übersetzer Wolfgang Held folgt ihm kongenial vom "Hodendendron" bis zur "nightingeilen Florence". Cousine Peggy muß als Smerry einen Brief beisteuern, der ihr schlechtes Englisch ausstellt. Vor allem aber geht es darum, Joyce zu paraphrasieren und zu parodieren, um von ihm loszukommen.
Beckett scheint schon zu wissen, was er will oder besser: was er künftig wollen wird. Er läßt sein alter ego sinnieren, was das sein könnte. Belacqua möchte ein Buch schreiben, "worin die Ausdrucksweise mit Bedacht gewitzt und geschleckt wäre, aber von einer Gewitztheit und Geschlecktheit, die sich von der ihres nachbarlichen Umfelds abhebt . . . Das Erleben meines Lesers soll sich zwischen den Ausdrücken ereignen, im Schweigen, übermittelt in den Pausen, nicht in den Worten der Aussage."
Da wir das gelesen haben, machen wir uns um Belacqua, was immer ihm noch zustößt im Roman, keine Sorgen mehr. Wir verlassen ihn im Regen auf einer Dubliner Brücke. Dort finden wir ihn sturzbetrunken, in der bewährten Hockstellung - und bei der Betrachtung seiner Hände: "Da waren ja seine Hände. Ja so was, wer hätte das gedacht!" Und während wir weiterlesen, wie er seine Hände hin und her wendet, bis ihn eine Stimme aufscheucht, meinen wir zu wissen, wozu er sie benötigt. Belacqua hat - wie sein Vorgänger - die Chance verpaßt, am Engel vorbei durch die Himmelspforte zu schlüpfen. Er wird aber als jener Autor, der sich als "Mr. Beckett" bereits in den Roman einschlich, jene Texte schreiben, in denen alles Wesentliche sich in den Pausen ereignet.
Samuel Beckett: "Traum von mehr bis minder schönen Frauen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Held. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 316 S., geb., 48,- DM.
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Samuel Becketts erster Roman · Von Harald Hartung
Im Mai 1932 begann ein junger Mann in einem Pariser Hotel die Arbeit an einem Roman. Er hatte seinen Universitätsjob in Dublin gekündigt, war folglich mittellos, zudem bei seiner Familie in Ungnade gefallen. Mit dem Schreiben jedoch kam er schnell voran. Wohl weil er hoffte, mit dem Roman Geld zu verdienen. Vielleicht auch deshalb, weil er dem Rat seines Mentors James Joyce folgte, die eigene Biographie auszubeuten und über Menschen zu schreiben, die man kennt.
So entstand in wenigen Wochen Becketts erster Roman "Dream of fair to middling women". Als er fertig war, hatte der Autor kein Geld, nach London zu fahren, um den Roman einem Verlag anzubieten - es reichte nicht einmal für das Porto, um das Manuskript herumzuschicken. Dann, als Beckett die Reisekosten aufbringen konnte, mußte er erfahren, daß keiner der Londoner Verleger den Roman haben wollte. Beckett tat das Vernünftigste, was unter solchen Umständen zu tun ist: Er schlachtete das Manuskript aus und machte daraus eine Folge von zehn Erzählungen. Sie erschienen zwei Jahre später unter dem Titel "More Pricks Than Kicks" (Mehr Prügel als Flügel). Ohnehin erwies sich der Roman als ein Materiallager, aus dem Beckett sich auch später immer wieder bediente. "Nichts zu machen", der berühmte Anfangssatz von "Warten auf Godot", findet sich gleich mehrfach in dem aufgegebenen Roman, den der Dichter später "unreif und unwürdig" nannte - wohl nicht zuletzt deshalb, weil er sein autobiographisches Geheimnis verriet.
Um seinen "Traum von mehr bis minder schönen Frauen" zu realisieren, bedurfte es schon einiger Verlarvung. Als passionierter Dante-Leser fand Beckett in der Figur des trägen Florentiner Lautenbauers Belacqua die Maske, unter der er sich verstecken wie offenbaren konnte. Zu lebenslangem Warten verurteilt, verharrt dieser Belacqua überaus geduldig in embryonaler Hockstellung. Ähnlich hatte Beckett seinen letzten Dubliner Winter im Bett verbracht, das Gesicht zur Wand und in fötaler Position. Ein solcher Protagonist, melancholisch, passiv, indolent, bedurfte einer aktiven Gegenfigur.
Für Smeraldina-Rima, die weibliche Hauptfigur der ersten Romanhälfte, mußte der Autor nicht lange nach einem Modell suchen. Er fand es in seiner Kasseler Cousine Peggy Sinclair, die er zunächst heftig umworben, aber dann doch sehr auf Distanz gehalten hatte. Peggy, eine intelligente, quirlige, unkonventionelle Person, war eine grünäugige Schönheit, die ein Faible für grüne Kleider hatte - daher im Roman ihr Name Smeraldina oder dessen Koseform Smerry, der fast überdeutlich die wirkliche Peggy evoziert.
Schon der Roman vor dem Roman gab also eine brauchbare Exposition. Beckett mußte seine misogynen Tendenzen nur ins Komische und Groteske treiben. Sein träger, immerhin zur Liebe entschlossener Belacqua beschränkt sein Verliebtsein auf die Partien "vom Gürtel aufwärts". Er haßt das "Libidogeschniefe", haßt jedweden "Angriff auf sein Gemächte" und kann ihn doch nicht immer verhindern. Bel - wie sein Kosename lautet - tut noch mehr: Er treibt Smerry geradezu in die Arme anderer Männer, nur um ihr zu entkommen. All das ist eher komisch als traurig, eher possenhaft als tragisch, und dennoch teilt sich dem Leser ein Gefühl melancholischer Ambivalenz mit, ein Wechselbad der Gefühle. Einmal heißt es ganz ernsthaft: ",Mit der Ferne der Leiber wächst die Nähe der Seelen', ist ein wahres Wort." Und eine Seite weiter: "Beatrice lauert in jedem Bordell." Für Beckett macht das offenbar wenig Unterschied.
Die zweite Romanhälfte wartet mit weiteren Frauenfiguren auf, mit Alba, Frica, Syra-Cusa, auch sie nervtötend, bedrängend, beutelüstern. Aber das Schlimmste scheint überstanden, und der Leser ahnt, daß Belacquas Fluchtbewegung mit den Stationen Wien, Paris, Dublin erfolgreich sein wird - wenn denn Regression als Erfolg bezeichnet werden darf.
So weit Becketts Konzession an den Roman, der von Frauen und Liebe handelt. Er gibt mit seinen Episoden ein Gerüst, an dem der Autor seine artistischen Girlanden aufhängen kann; seine Stilübungen, seine Auseinandersetzung mit dem Übervater Joyce, seine Befreiung von ihm. Becketts "Traum" ist ein Anti-Roman. "Es gibt keinen wirklichen Belacqua", heißt es einmal. Oder: "Der einzige Zusammenhang in dieser Geschichte ist, will's Gott, ein unfreiwilliger Zusammenhang." Aber selbst solche poetologischen Aussagen muß man mit Vorsicht genießen - ihr Gegenteil ist zumindest ebenso richtig.
Becketts "Traum" ist ein Probelauf, eine forcierte Recherche seiner literarischen Möglichkeiten. Er zieht alle Register, die Partitur ist deshalb überinstrumentiert. Er konkurriert mit Joyce und kaschiert das mit dem Clown Grock, der wieder und wieder in die Szene springt. Er läßt sich keinen Wortwitz, keinen Kalauer entgehen; und sein Übersetzer Wolfgang Held folgt ihm kongenial vom "Hodendendron" bis zur "nightingeilen Florence". Cousine Peggy muß als Smerry einen Brief beisteuern, der ihr schlechtes Englisch ausstellt. Vor allem aber geht es darum, Joyce zu paraphrasieren und zu parodieren, um von ihm loszukommen.
Beckett scheint schon zu wissen, was er will oder besser: was er künftig wollen wird. Er läßt sein alter ego sinnieren, was das sein könnte. Belacqua möchte ein Buch schreiben, "worin die Ausdrucksweise mit Bedacht gewitzt und geschleckt wäre, aber von einer Gewitztheit und Geschlecktheit, die sich von der ihres nachbarlichen Umfelds abhebt . . . Das Erleben meines Lesers soll sich zwischen den Ausdrücken ereignen, im Schweigen, übermittelt in den Pausen, nicht in den Worten der Aussage."
Da wir das gelesen haben, machen wir uns um Belacqua, was immer ihm noch zustößt im Roman, keine Sorgen mehr. Wir verlassen ihn im Regen auf einer Dubliner Brücke. Dort finden wir ihn sturzbetrunken, in der bewährten Hockstellung - und bei der Betrachtung seiner Hände: "Da waren ja seine Hände. Ja so was, wer hätte das gedacht!" Und während wir weiterlesen, wie er seine Hände hin und her wendet, bis ihn eine Stimme aufscheucht, meinen wir zu wissen, wozu er sie benötigt. Belacqua hat - wie sein Vorgänger - die Chance verpaßt, am Engel vorbei durch die Himmelspforte zu schlüpfen. Er wird aber als jener Autor, der sich als "Mr. Beckett" bereits in den Roman einschlich, jene Texte schreiben, in denen alles Wesentliche sich in den Pausen ereignet.
Samuel Beckett: "Traum von mehr bis minder schönen Frauen". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Held. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 316 S., geb., 48,- DM.
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