Vom väterlichen "Radaugesicht" in der frühen Erzählung "Gadir" über Motetten singende Seehunde aus der "Gelehrtenrepublik" bis zu Wielands silberner Taschenuhr im letzten Roman Abend mit Goldrand: Die in Arno Schmidts Werke eingestreuten Träume sorgen immer wieder für poetische, surreale und scharfe, erinnerungsträchtige Bilder. Mehrfach hat Schmidt darauf hingewiesen, daß diese Träume nicht von ihm erdichtet, sondern tatsächlich geträumt worden sind. In seinem Nachwort geht Bernd Rauschenbach dieser Behauptung nach und verfolgt (unter Berücksichtigung bislang unveröffentlichter Traumprotokolle Schmidts), wie sich Schmidts Verständnis des Traums gewandelt hat: von einem Mittel, "über die Fläche des Zeitenstromes dahinzuschweifen", zum Freudschen Königsweg in die Tiefen der menschlichen Psyche.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.2008In der Höllenstadt
"Dies hab ich am 22. 3. gegen Morgen geträumt; kein Wort verstellt! (Wie auch die andern Träume im Leviathan! Bin ein Bandur in der Hinsicht.) Also:" - und was dann folgt, ist ein schöner Keim zu einem Roman, der vom Untergang der Stadt Öreland erzählt ("auf Pfählen, schweren Pfählen mitten in der rauhen See erbaut, es war weit im Nordmeer"). Einer der Überlebenden rettet sich an Land und schickt sich an, eine Hütte in der Wildnis zu bauen, und dann bricht der Traum leider ab. Nachzulesen ist er in Arno Schmidts Roman "Brand's Haide" von 1947, im Werk des Autors ist er nicht der einzige und auch nicht der längste. Wer wäre berufener als Bernd Rauschenbach, um diese Traumprotokolle zu sammeln und in einem klugen Nachwort zu erschließen? Ihre Fülle frappiert dann aber doch, auch ihre Verbreitung vom ersten bis zum letzten Roman Schmidts, ihre heterogene Gestalt ohnehin - da stehen kaum fassbare Verwirrungen des Gemüts neben konzisen Handlungen, Wunsch- neben Angstträumen oder irgendetwas dazwischen. Der Träumer reist in der Zeit (meist gerät er dabei wieder unter die Soldaten), er reist im Raum und dabei gern in phantastische Landschaften bis hin zur "Höllenstadt Weilaghiri". Eine wirkliche Trouvaille ist dann ein bislang unveröffentlichtes Notat eines Traums vom Januar 1962, das verändert in die Erzählung "Kundisches Geschirr" eingegangen ist und dort von einer Protagonistin analysiert wird. Von "kein Wort verstellt" kann hier allerdings keine Rede sein. Zum Glück. (Arno Schmidt: "Traumflausn". Gesammelt und mit einem Nachwort versehen von Bernd Rauschenbach. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 128 S., geb., 11,80 [Euro].) spre
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"Dies hab ich am 22. 3. gegen Morgen geträumt; kein Wort verstellt! (Wie auch die andern Träume im Leviathan! Bin ein Bandur in der Hinsicht.) Also:" - und was dann folgt, ist ein schöner Keim zu einem Roman, der vom Untergang der Stadt Öreland erzählt ("auf Pfählen, schweren Pfählen mitten in der rauhen See erbaut, es war weit im Nordmeer"). Einer der Überlebenden rettet sich an Land und schickt sich an, eine Hütte in der Wildnis zu bauen, und dann bricht der Traum leider ab. Nachzulesen ist er in Arno Schmidts Roman "Brand's Haide" von 1947, im Werk des Autors ist er nicht der einzige und auch nicht der längste. Wer wäre berufener als Bernd Rauschenbach, um diese Traumprotokolle zu sammeln und in einem klugen Nachwort zu erschließen? Ihre Fülle frappiert dann aber doch, auch ihre Verbreitung vom ersten bis zum letzten Roman Schmidts, ihre heterogene Gestalt ohnehin - da stehen kaum fassbare Verwirrungen des Gemüts neben konzisen Handlungen, Wunsch- neben Angstträumen oder irgendetwas dazwischen. Der Träumer reist in der Zeit (meist gerät er dabei wieder unter die Soldaten), er reist im Raum und dabei gern in phantastische Landschaften bis hin zur "Höllenstadt Weilaghiri". Eine wirkliche Trouvaille ist dann ein bislang unveröffentlichtes Notat eines Traums vom Januar 1962, das verändert in die Erzählung "Kundisches Geschirr" eingegangen ist und dort von einer Protagonistin analysiert wird. Von "kein Wort verstellt" kann hier allerdings keine Rede sein. Zum Glück. (Arno Schmidt: "Traumflausn". Gesammelt und mit einem Nachwort versehen von Bernd Rauschenbach. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 128 S., geb., 11,80 [Euro].) spre
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»Ihre Fülle frapiert dann aber doch, auch ihre Verbreitung vom ersten bis zum letzten Roman Schmidts, ihre heterogene Gestalt ohnehin.« Frankfurter Allgemeine Zeitung