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Das Guevara-Projekt - der letzte Versuch einer sozialistischen WeltrevolutionVon allen revolutionären Mythen und Kulten des roten Weltzeitalters hat nur die Figur des Che überlebt - schön wie am letzten Tag. Grund genug, sein Guevara-Projekt einer historischen Nachmusterung zu unterziehen.
»Glotzt nicht so romantisch«, hat der junge Brecht seine Zuschauer angeherrscht. Eine zeitlose Maxime. Die christusmäßige Verklärung des Ernesto Guevara ist ein Aberwitz von historischem Format. Man hat den Mann schon zu Lebzeiten fast totfotografiert und posthum in eine Ikone verwandelt. In zwei Dutzend
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Produktbeschreibung
Das Guevara-Projekt - der letzte Versuch einer sozialistischen WeltrevolutionVon allen revolutionären Mythen und Kulten des roten Weltzeitalters hat nur die Figur des Che überlebt - schön wie am letzten Tag. Grund genug, sein Guevara-Projekt einer historischen Nachmusterung zu unterziehen.

»Glotzt nicht so romantisch«, hat der junge Brecht seine Zuschauer angeherrscht. Eine zeitlose Maxime. Die christusmäßige Verklärung des Ernesto Guevara ist ein Aberwitz von historischem Format. Man hat den Mann schon zu Lebzeiten fast totfotografiert und posthum in eine Ikone verwandelt. In zwei Dutzend Biographien scheint alles über ihn gesagt - ohne jedoch ein schlüssiges, scharf konturiertes Bild der Lebenslinie zu liefern, der dieser Globalrevolutionär gefolgt ist, und des weltpolitischen Spannungsfeldes, in dem er operiert hat.

Die Traumpfade der Weltrevolution führen in eine der Schlüsselperioden des 20. Jahrhunderts: in die Zeit der antikolonialen Befreiungsbewegungen, der atomaren Konfrontation zwischen Ost und West während der »Kubakrise«, des Schismas der kommunistischen Weltbewegung zwischen dem Sowjetblock und China. In den Zwischenräumen dieser Brüche und Umbrüche entwickelte sich die kubanische Revolution des unverwüstlichen Charismatikers Fidel Castro. Und aus ihr entsprang das apokalyptische Weltkriegsunternehmen Guevaras (»Schafft zwei, drei, viele Vietnams«), das 1968 zum Fixstern einer westlichen Neuen Linken wurde.

Die zeitgenössische Kultfigur des Guerilleros brauchte auch ein weibliches Gesicht. Für die Bolivien-Operation Guevaras lieferte es die deutsch-jüdische Guerillera Tamara Bunke alias »Tania« aus Ostberlin, deren Biographie einen anderen, aufschlussreichen »roten Faden« dieser Geschichte liefert. Auch ihre Figur ist in den Mythenschatz des vergangenen Jahrhunderts eingegangen.

In dieses Bild gehört schließlich der kritische Blick und Rückblick auf das Verhältnis der USA zum Rest der Welt, und insbesondere zu Lateinamerika als einem Kontinent im Aufruhr und Aufbruch - mit Kuba als dem ewig neuralgischen Punkt.

Eine höchst aktuelle Geschichte also.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2008

Scharfrichter und Zuckerverteiler
Gerd Koenen entzaubert das Leben und das Nachleben von Ernesto "Che" Guevara

Nach der Lektüre des eindrucksvollen Buches von Gerd Koenen wird sich hoffentlich jeder klar denkende Mensch davor hüten, im modischen Che-Look auf die Straße zu treten. Denn Ernesto Guevara kann als historische Gestalt aus Fleisch und Blut nur irgendwo zwischen Felix Dserschinski und Kim Il-Sung verortet werden - also zwischen kaltblütigem Massenmörder und kommunistischem Steinzeitideologen. Dass sich Koenen, der selbst ein Jahrzehnt auf den "Traumpfaden der Weltrevolution" gewandelt ist, dieses schwierigen Themas angenommen hat, ist ein Glücksfall. Der ehemalige Maoist, der sich zwischenzeitlich zu einen profunden Kenner der Zeitgeschichte gewandelt hat, weiß um die Anziehungskraft Ches aus eigenem Erleben - wohlgemerkt: des idealisierten und auch kanonisierten Revolutionärs argentinischer Herkunft, der in Castros Kuba unmittelbar nach seiner Ermordung am 9. Oktober 1967 zu einem "sozialistischen Übermenschen der Zukunft" erhoben worden ist.

Wie bei allen Heiligengeschichten bedarf es einigen Spürsinns und auch eines gerüttelt Maß an historischer Skepsis, um sich der realen Person zu nähern. Dies umso mehr, wenn eine gesamte Ideologie mit totalitärem Weltverbesserungsanspruch sich dieser Gestalt bemächtigt hat. Kurzum: Es ist für jeden Historiker mühsam, sich durch das Dickicht der Legenden und Mythen zu schlagen, die sich um Ernesto Guevara ranken. Doch Koenen hat sowohl mit Tatkraft als auch mit Feinsinn einen Weg gebahnt, der uns aus heutiger Sicht nah an die historische Person heranführt. Geschickt verknüpft er die biographische Hauptlinie des Buches mit zwei anderen Erzählsträngen: den revolutionären Lebensläufen von Fidel Castro und Tamara Bunke. Während die Biographie des Máximo Líder selbstverständlich eng mit dem Leben und Sterben Ches verknüpft ist, lässt der zweite Name aufhorchen. Rasch wird aber erkennbar, dass der Zugang über diese "seltsame Heroine der späten DDR" erkenntnisfördernd ist. Denn sie war nicht nur Kampfgefährtin Ches in Bolivien, sondern auch glühende Traumwandlerin auf dem Pfad der Weltrevolution. Ohne besondere Begabungen oder hervorstechende Eigenschaften war Frau Bunke so etwas wie eine "Otto Normalverbraucherin" der kommunistischen Ideologie, die sie mit jeder Faser ihrer Existenz verinnerlicht hatte.

Schon der junge Ernesto Guevara - Jahrgang 1928 - war alles andere als gewöhnlich. Er war nicht nur ein vielfach talentierter Spross der argentinischen Oberschicht, sondern suchte schon früh nach einer Berufung, die ihn ganz ausfüllen sollte. Dichterische Produktion sowie Medizinstudium konnten seinen unstillbaren Ehrgeiz nicht befriedigen, der durch das körperliche Gebrechen des schweren Asthmas noch angestachelt wurde. Dieses explosive Gemisch hat ihn immer wieder in den physischen Zusammenbruch getrieben. Schon früh glaubte Guevara jedenfalls daran, eine Mission zu haben. Seine Wanderjahre, die ihn in den fünfziger Jahren durch den ganzen lateinamerikanischen Subkontinent führen sollten, sind in dieser Hinsicht als rastlose Suche zu verstehen.

Gewiss hatte er sich früh zum Stalinismus bekannt und hielt auch nach der einsetzenden Entstalinisierung an seiner Bewunderung für einen der größten Menschenschlächter der Weltgeschichte fest. Doch seine eigentliche Bestimmung fand er erst im Krieg. Pablo Neruda, einem seiner Säulenheiligen, gestand er im Winter 1960/61: "Der Krieg . . . der Krieg . . . Wir sind immer gegen den Krieg, aber wenn wir einmal Krieg geführt haben, können wir nicht mehr ohne Krieg leben. Wir wollen alle Augenblicke zu ihm zurückkehren." Der Schriftsteller erschauderte, denn hier war kein Großsprecher am Werk, sondern der bereits legendäre Commandante, der maßgeblich zum Sieg der kubanischen Revolution beigetragen hatte. Wie so oft in seinem kurzen Leben meinte Che, was er sagte. In einem späteren Brief an seine Eltern bezeichnete er sich selbst folgerichtig als "kleinen Condottiere des zwanzigsten Jahrhunderts". Der Krieg war ihm zur zweiten Natur geworden.

Wie Koenen immer wieder unterstreicht, war Che ein "Tatmensch". Seine rücksichtslose Unbedingtheit und seine ideologische Verbohrtheit, mit denen er im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging, widern aus der Rückschau an, gleichzeitig müssen sie zeitgenössisch als wichtige Motive seines Heldenstatus gesehen werden. Hier war ein Intellektueller, der nicht von der Weltrevolution schwadronierte, sondern mit der Waffe in der Hand gegen den großen Satan im Norden - gegen die Vereinigten Staaten von Amerika - kämpfte. Die beiden Jahre des Kampfes 1957/58 in der Sierra Maestra sollten für Che zur "durch und durch prägenden Erfahrungsbasis" werden. Hier hatte er als eine Art Initiationsritus seinen ersten Mann erschossen, hier hatte er zudem erkannt, dass die Weltrevolution mit der Schaffung eines "Neuen Menschen" einhergehen müsse. Dieser hypertrophe Schöpfungsakt avancierte zum eigentlichen Kern des "Guevara-Projekts".

Nach der Machtübernahme auf Kuba am 1. Januar 1959 musste die Herrschaft der "Bärtigen" gesichert werden. Che ging zunächst ganz in seiner neuen Rolle als Scharfrichter der Revolution auf. Doch der erste erregte Taumel dieser Frühphase verflog schnell, bald standen Verwaltungsarbeiten und Planungssitzungen auf dem Terminplan Guevaras, der nun zum "kubanischen Wirtschaftsdiktator" avancierte. Er versuchte zwar auch in dieser herausgehobenen Stellung, seine kriegerische Herangehensweise nicht zu ändern, recht rasch musste er allerdings erkennen, dass die Reorganisation einer gesamten Volkswirtschaft - ein Euphemismus für Staatsraub und Zwangskollektivierung - ihn im Grunde langweilten. Gleichzeitig trat sein Scheitern schon im März 1962 für alle Welt sichtbar an die Oberfläche: die Einführung einer Rationierungskarte für Basisgüter - selbst auf Zucker!

Che richtete sein Hauptinteresse weniger auf die wirtschaftlichen Probleme des Landes, sondern war fasziniert von der Möglichkeit des Revolutionsexports. Der Berufsrevolutionär begab sich auf "die systematische Suche nach dem archimedischen Punkt, von dem aus die imperiale Weltordnung insgesamt aus den Angeln gehoben werden konnte". Im April 1965 glaubte Guevara, fündig geworden zu sein. Gemeinsam mit einer handverlesenen Truppe von kubanischen Guerrillas wollte er den Kongo zum Ausgangspunkt dieser Weltrevolution machen. Ohne Rücksicht auf völlig andere lokale Begebenheiten wollte er seine kubanischen Erfahrungen direkt und unvermittelt auf das schwarzafrikanische Land übertragen. Er erlitt völligen Schiffbruch. Bereits nach sechs Monaten mussten er und seine Kämpfer evakuiert werden.

Doch diese persönliche Niederlage brachte ihn nicht zum Umdenken. Im Gegenteil: Wie viele Ideologen, denen die Realität einen Streich gespielt hat, setzte er auf Radikalisierung. Bolivien war sein nächstes, sein letztes Ziel. Nun stand er unter "morbidem Wiederholungszwang" seiner kubanischen Erfahrungen. Wieder scheiterte er an örtlichen Spezifika, von denen er nicht wissen wollte, weil er für seine Revolutionslehre universale Gültigkeit beanspruchte. Die bolivianische Armee erwies sich allerdings als ernstzunehmender Feind. Die Truppe um Che hatte seit dem Beginn eigener Operationen am 1. Februar 1967 jedenfalls alle Hände voll damit zu tun, der Gefangennahme zu entgehen. Gleichzeitig zeigte Che Schwächen gegenüber seinen Mitkämpfern und verzichtete auf das bewährte Mittel der "terroristischen Säuberung" gegenüber Verrätern oder Versagern. Kurzum: Bei einem Feuergefecht wurde er verletzt und später gefangengenommen. Um die Ermordung Ches am 9. Oktober 1967 ranken sich bis heute viele Verschwörungstheorien, die Koenen weitgehend entzaubern kann. Die Todesschüsse erfolgten auf ausdrücklichen Befehl der bolivianischen Regierung; die Vereinigten Staaten waren nicht involviert.

Es ist eine Stärke des Buches, dass das Nachleben Ches als Revolutionsikone ausdrücklich gewürdigt wird. Koenen beschreibt luzide, wie der Mythos offensiv eingesetzt worden ist - oftmals für völlig entgegengesetzte Ziele. Zweifellos ist es das Verdienst dieser eindringlichen Studie, diese Beliebigkeit zu durchbrechen. Koenen arbeitet die konkreten Ziele Che Guevaras heraus und benennt unzweideutig die terroristischen Methoden, mit denen er sie zu erreichen suchte. Che wäre sicherlich der Letzte, der ihm widersprochen hätte.

HARALD BIERMANN

Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 602 S., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wäre dieses Buch schon vor vierzig Jahren erschienen, seufzt Carlos Widmann, hätte dem internationalen Terrorismus wohl eine wichtige Ikone gefehlt. Denn der Historiker Gerd Koenen zertrümmere den Mythos Che Guevara nicht "mit einer Abrissbirne", sondern mit kühler Präzision, wie Widmann in seinem Text schreibt, der weniger eine Besprechung ist als eine Antwort auf die Ankündigung von Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner, mit den Ikonen Diego Maradona, Evita Peron, Carlos Gardel und eben Che Guevara im Jahr 2010 den Auftritt ihres Landes bei der Frankfurter Buchmesse zu bestreiten (Borges und Cortazar wurde nachträglich mit auf die Liste gesetzt). Widmann zeichnet nur kursorisch Ches revolutionäre Stationen nach - seine Blutjustiz in Kuba, sein Abenteuer im Kongo -, um den Wahnwitz zu fassen, den dieses Leben versammelt, und das Koenen am "anspruchsvollsten" von allen Che-Guevara-Biografen in seinem "fesselnden" Buch darstellt, wie Widmann lobt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Eine faszinierende, sowohl erhellende wie auch erschreckene Lektüre.« Tages-Anzeiger, Schweiz