Das Guevara-Projekt - der letzte Versuch einer sozialistischen WeltrevolutionVon allen revolutionären Mythen und Kulten des roten Weltzeitalters hat nur die Figur des Che überlebt - schön wie am letzten Tag. Grund genug, sein Guevara-Projekt einer historischen Nachmusterung zu unterziehen.
»Glotzt nicht so romantisch«, hat der junge Brecht seine Zuschauer angeherrscht. Eine zeitlose Maxime. Die christusmäßige Verklärung des Ernesto Guevara ist ein Aberwitz von historischem Format. Man hat den Mann schon zu Lebzeiten fast totfotografiert und posthum in eine Ikone verwandelt. In zwei Dutzend Biographien scheint alles über ihn gesagt - ohne jedoch ein schlüssiges, scharf konturiertes Bild der Lebenslinie zu liefern, der dieser Globalrevolutionär gefolgt ist, und des weltpolitischen Spannungsfeldes, in dem er operiert hat.
Die Traumpfade der Weltrevolution führen in eine der Schlüsselperioden des 20. Jahrhunderts: in die Zeit der antikolonialen Befreiungsbewegungen, der atomaren Konfrontation zwischen Ost und West während der »Kubakrise«, des Schismas der kommunistischen Weltbewegung zwischen dem Sowjetblock und China. In den Zwischenräumen dieser Brüche und Umbrüche entwickelte sich die kubanische Revolution des unverwüstlichen Charismatikers Fidel Castro. Und aus ihr entsprang das apokalyptische Weltkriegsunternehmen Guevaras (»Schafft zwei, drei, viele Vietnams«), das 1968 zum Fixstern einer westlichen Neuen Linken wurde.
Die zeitgenössische Kultfigur des Guerilleros brauchte auch ein weibliches Gesicht. Für die Bolivien-Operation Guevaras lieferte es die deutsch-jüdische Guerillera Tamara Bunke alias »Tania« aus Ostberlin, deren Biographie einen anderen, aufschlussreichen »roten Faden« dieser Geschichte liefert. Auch ihre Figur ist in den Mythenschatz des vergangenen Jahrhunderts eingegangen.
In dieses Bild gehört schließlich der kritische Blick und Rückblick auf das Verhältnis der USA zum Rest der Welt, und insbesondere zu Lateinamerika als einem Kontinent im Aufruhr und Aufbruch - mit Kuba als dem ewig neuralgischen Punkt.
Eine höchst aktuelle Geschichte also.
»Glotzt nicht so romantisch«, hat der junge Brecht seine Zuschauer angeherrscht. Eine zeitlose Maxime. Die christusmäßige Verklärung des Ernesto Guevara ist ein Aberwitz von historischem Format. Man hat den Mann schon zu Lebzeiten fast totfotografiert und posthum in eine Ikone verwandelt. In zwei Dutzend Biographien scheint alles über ihn gesagt - ohne jedoch ein schlüssiges, scharf konturiertes Bild der Lebenslinie zu liefern, der dieser Globalrevolutionär gefolgt ist, und des weltpolitischen Spannungsfeldes, in dem er operiert hat.
Die Traumpfade der Weltrevolution führen in eine der Schlüsselperioden des 20. Jahrhunderts: in die Zeit der antikolonialen Befreiungsbewegungen, der atomaren Konfrontation zwischen Ost und West während der »Kubakrise«, des Schismas der kommunistischen Weltbewegung zwischen dem Sowjetblock und China. In den Zwischenräumen dieser Brüche und Umbrüche entwickelte sich die kubanische Revolution des unverwüstlichen Charismatikers Fidel Castro. Und aus ihr entsprang das apokalyptische Weltkriegsunternehmen Guevaras (»Schafft zwei, drei, viele Vietnams«), das 1968 zum Fixstern einer westlichen Neuen Linken wurde.
Die zeitgenössische Kultfigur des Guerilleros brauchte auch ein weibliches Gesicht. Für die Bolivien-Operation Guevaras lieferte es die deutsch-jüdische Guerillera Tamara Bunke alias »Tania« aus Ostberlin, deren Biographie einen anderen, aufschlussreichen »roten Faden« dieser Geschichte liefert. Auch ihre Figur ist in den Mythenschatz des vergangenen Jahrhunderts eingegangen.
In dieses Bild gehört schließlich der kritische Blick und Rückblick auf das Verhältnis der USA zum Rest der Welt, und insbesondere zu Lateinamerika als einem Kontinent im Aufruhr und Aufbruch - mit Kuba als dem ewig neuralgischen Punkt.
Eine höchst aktuelle Geschichte also.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2008Scharfrichter und Zuckerverteiler
Gerd Koenen entzaubert das Leben und das Nachleben von Ernesto "Che" Guevara
Nach der Lektüre des eindrucksvollen Buches von Gerd Koenen wird sich hoffentlich jeder klar denkende Mensch davor hüten, im modischen Che-Look auf die Straße zu treten. Denn Ernesto Guevara kann als historische Gestalt aus Fleisch und Blut nur irgendwo zwischen Felix Dserschinski und Kim Il-Sung verortet werden - also zwischen kaltblütigem Massenmörder und kommunistischem Steinzeitideologen. Dass sich Koenen, der selbst ein Jahrzehnt auf den "Traumpfaden der Weltrevolution" gewandelt ist, dieses schwierigen Themas angenommen hat, ist ein Glücksfall. Der ehemalige Maoist, der sich zwischenzeitlich zu einen profunden Kenner der Zeitgeschichte gewandelt hat, weiß um die Anziehungskraft Ches aus eigenem Erleben - wohlgemerkt: des idealisierten und auch kanonisierten Revolutionärs argentinischer Herkunft, der in Castros Kuba unmittelbar nach seiner Ermordung am 9. Oktober 1967 zu einem "sozialistischen Übermenschen der Zukunft" erhoben worden ist.
Wie bei allen Heiligengeschichten bedarf es einigen Spürsinns und auch eines gerüttelt Maß an historischer Skepsis, um sich der realen Person zu nähern. Dies umso mehr, wenn eine gesamte Ideologie mit totalitärem Weltverbesserungsanspruch sich dieser Gestalt bemächtigt hat. Kurzum: Es ist für jeden Historiker mühsam, sich durch das Dickicht der Legenden und Mythen zu schlagen, die sich um Ernesto Guevara ranken. Doch Koenen hat sowohl mit Tatkraft als auch mit Feinsinn einen Weg gebahnt, der uns aus heutiger Sicht nah an die historische Person heranführt. Geschickt verknüpft er die biographische Hauptlinie des Buches mit zwei anderen Erzählsträngen: den revolutionären Lebensläufen von Fidel Castro und Tamara Bunke. Während die Biographie des Máximo Líder selbstverständlich eng mit dem Leben und Sterben Ches verknüpft ist, lässt der zweite Name aufhorchen. Rasch wird aber erkennbar, dass der Zugang über diese "seltsame Heroine der späten DDR" erkenntnisfördernd ist. Denn sie war nicht nur Kampfgefährtin Ches in Bolivien, sondern auch glühende Traumwandlerin auf dem Pfad der Weltrevolution. Ohne besondere Begabungen oder hervorstechende Eigenschaften war Frau Bunke so etwas wie eine "Otto Normalverbraucherin" der kommunistischen Ideologie, die sie mit jeder Faser ihrer Existenz verinnerlicht hatte.
Schon der junge Ernesto Guevara - Jahrgang 1928 - war alles andere als gewöhnlich. Er war nicht nur ein vielfach talentierter Spross der argentinischen Oberschicht, sondern suchte schon früh nach einer Berufung, die ihn ganz ausfüllen sollte. Dichterische Produktion sowie Medizinstudium konnten seinen unstillbaren Ehrgeiz nicht befriedigen, der durch das körperliche Gebrechen des schweren Asthmas noch angestachelt wurde. Dieses explosive Gemisch hat ihn immer wieder in den physischen Zusammenbruch getrieben. Schon früh glaubte Guevara jedenfalls daran, eine Mission zu haben. Seine Wanderjahre, die ihn in den fünfziger Jahren durch den ganzen lateinamerikanischen Subkontinent führen sollten, sind in dieser Hinsicht als rastlose Suche zu verstehen.
Gewiss hatte er sich früh zum Stalinismus bekannt und hielt auch nach der einsetzenden Entstalinisierung an seiner Bewunderung für einen der größten Menschenschlächter der Weltgeschichte fest. Doch seine eigentliche Bestimmung fand er erst im Krieg. Pablo Neruda, einem seiner Säulenheiligen, gestand er im Winter 1960/61: "Der Krieg . . . der Krieg . . . Wir sind immer gegen den Krieg, aber wenn wir einmal Krieg geführt haben, können wir nicht mehr ohne Krieg leben. Wir wollen alle Augenblicke zu ihm zurückkehren." Der Schriftsteller erschauderte, denn hier war kein Großsprecher am Werk, sondern der bereits legendäre Commandante, der maßgeblich zum Sieg der kubanischen Revolution beigetragen hatte. Wie so oft in seinem kurzen Leben meinte Che, was er sagte. In einem späteren Brief an seine Eltern bezeichnete er sich selbst folgerichtig als "kleinen Condottiere des zwanzigsten Jahrhunderts". Der Krieg war ihm zur zweiten Natur geworden.
Wie Koenen immer wieder unterstreicht, war Che ein "Tatmensch". Seine rücksichtslose Unbedingtheit und seine ideologische Verbohrtheit, mit denen er im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging, widern aus der Rückschau an, gleichzeitig müssen sie zeitgenössisch als wichtige Motive seines Heldenstatus gesehen werden. Hier war ein Intellektueller, der nicht von der Weltrevolution schwadronierte, sondern mit der Waffe in der Hand gegen den großen Satan im Norden - gegen die Vereinigten Staaten von Amerika - kämpfte. Die beiden Jahre des Kampfes 1957/58 in der Sierra Maestra sollten für Che zur "durch und durch prägenden Erfahrungsbasis" werden. Hier hatte er als eine Art Initiationsritus seinen ersten Mann erschossen, hier hatte er zudem erkannt, dass die Weltrevolution mit der Schaffung eines "Neuen Menschen" einhergehen müsse. Dieser hypertrophe Schöpfungsakt avancierte zum eigentlichen Kern des "Guevara-Projekts".
Nach der Machtübernahme auf Kuba am 1. Januar 1959 musste die Herrschaft der "Bärtigen" gesichert werden. Che ging zunächst ganz in seiner neuen Rolle als Scharfrichter der Revolution auf. Doch der erste erregte Taumel dieser Frühphase verflog schnell, bald standen Verwaltungsarbeiten und Planungssitzungen auf dem Terminplan Guevaras, der nun zum "kubanischen Wirtschaftsdiktator" avancierte. Er versuchte zwar auch in dieser herausgehobenen Stellung, seine kriegerische Herangehensweise nicht zu ändern, recht rasch musste er allerdings erkennen, dass die Reorganisation einer gesamten Volkswirtschaft - ein Euphemismus für Staatsraub und Zwangskollektivierung - ihn im Grunde langweilten. Gleichzeitig trat sein Scheitern schon im März 1962 für alle Welt sichtbar an die Oberfläche: die Einführung einer Rationierungskarte für Basisgüter - selbst auf Zucker!
Che richtete sein Hauptinteresse weniger auf die wirtschaftlichen Probleme des Landes, sondern war fasziniert von der Möglichkeit des Revolutionsexports. Der Berufsrevolutionär begab sich auf "die systematische Suche nach dem archimedischen Punkt, von dem aus die imperiale Weltordnung insgesamt aus den Angeln gehoben werden konnte". Im April 1965 glaubte Guevara, fündig geworden zu sein. Gemeinsam mit einer handverlesenen Truppe von kubanischen Guerrillas wollte er den Kongo zum Ausgangspunkt dieser Weltrevolution machen. Ohne Rücksicht auf völlig andere lokale Begebenheiten wollte er seine kubanischen Erfahrungen direkt und unvermittelt auf das schwarzafrikanische Land übertragen. Er erlitt völligen Schiffbruch. Bereits nach sechs Monaten mussten er und seine Kämpfer evakuiert werden.
Doch diese persönliche Niederlage brachte ihn nicht zum Umdenken. Im Gegenteil: Wie viele Ideologen, denen die Realität einen Streich gespielt hat, setzte er auf Radikalisierung. Bolivien war sein nächstes, sein letztes Ziel. Nun stand er unter "morbidem Wiederholungszwang" seiner kubanischen Erfahrungen. Wieder scheiterte er an örtlichen Spezifika, von denen er nicht wissen wollte, weil er für seine Revolutionslehre universale Gültigkeit beanspruchte. Die bolivianische Armee erwies sich allerdings als ernstzunehmender Feind. Die Truppe um Che hatte seit dem Beginn eigener Operationen am 1. Februar 1967 jedenfalls alle Hände voll damit zu tun, der Gefangennahme zu entgehen. Gleichzeitig zeigte Che Schwächen gegenüber seinen Mitkämpfern und verzichtete auf das bewährte Mittel der "terroristischen Säuberung" gegenüber Verrätern oder Versagern. Kurzum: Bei einem Feuergefecht wurde er verletzt und später gefangengenommen. Um die Ermordung Ches am 9. Oktober 1967 ranken sich bis heute viele Verschwörungstheorien, die Koenen weitgehend entzaubern kann. Die Todesschüsse erfolgten auf ausdrücklichen Befehl der bolivianischen Regierung; die Vereinigten Staaten waren nicht involviert.
Es ist eine Stärke des Buches, dass das Nachleben Ches als Revolutionsikone ausdrücklich gewürdigt wird. Koenen beschreibt luzide, wie der Mythos offensiv eingesetzt worden ist - oftmals für völlig entgegengesetzte Ziele. Zweifellos ist es das Verdienst dieser eindringlichen Studie, diese Beliebigkeit zu durchbrechen. Koenen arbeitet die konkreten Ziele Che Guevaras heraus und benennt unzweideutig die terroristischen Methoden, mit denen er sie zu erreichen suchte. Che wäre sicherlich der Letzte, der ihm widersprochen hätte.
HARALD BIERMANN
Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 602 S., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerd Koenen entzaubert das Leben und das Nachleben von Ernesto "Che" Guevara
Nach der Lektüre des eindrucksvollen Buches von Gerd Koenen wird sich hoffentlich jeder klar denkende Mensch davor hüten, im modischen Che-Look auf die Straße zu treten. Denn Ernesto Guevara kann als historische Gestalt aus Fleisch und Blut nur irgendwo zwischen Felix Dserschinski und Kim Il-Sung verortet werden - also zwischen kaltblütigem Massenmörder und kommunistischem Steinzeitideologen. Dass sich Koenen, der selbst ein Jahrzehnt auf den "Traumpfaden der Weltrevolution" gewandelt ist, dieses schwierigen Themas angenommen hat, ist ein Glücksfall. Der ehemalige Maoist, der sich zwischenzeitlich zu einen profunden Kenner der Zeitgeschichte gewandelt hat, weiß um die Anziehungskraft Ches aus eigenem Erleben - wohlgemerkt: des idealisierten und auch kanonisierten Revolutionärs argentinischer Herkunft, der in Castros Kuba unmittelbar nach seiner Ermordung am 9. Oktober 1967 zu einem "sozialistischen Übermenschen der Zukunft" erhoben worden ist.
Wie bei allen Heiligengeschichten bedarf es einigen Spürsinns und auch eines gerüttelt Maß an historischer Skepsis, um sich der realen Person zu nähern. Dies umso mehr, wenn eine gesamte Ideologie mit totalitärem Weltverbesserungsanspruch sich dieser Gestalt bemächtigt hat. Kurzum: Es ist für jeden Historiker mühsam, sich durch das Dickicht der Legenden und Mythen zu schlagen, die sich um Ernesto Guevara ranken. Doch Koenen hat sowohl mit Tatkraft als auch mit Feinsinn einen Weg gebahnt, der uns aus heutiger Sicht nah an die historische Person heranführt. Geschickt verknüpft er die biographische Hauptlinie des Buches mit zwei anderen Erzählsträngen: den revolutionären Lebensläufen von Fidel Castro und Tamara Bunke. Während die Biographie des Máximo Líder selbstverständlich eng mit dem Leben und Sterben Ches verknüpft ist, lässt der zweite Name aufhorchen. Rasch wird aber erkennbar, dass der Zugang über diese "seltsame Heroine der späten DDR" erkenntnisfördernd ist. Denn sie war nicht nur Kampfgefährtin Ches in Bolivien, sondern auch glühende Traumwandlerin auf dem Pfad der Weltrevolution. Ohne besondere Begabungen oder hervorstechende Eigenschaften war Frau Bunke so etwas wie eine "Otto Normalverbraucherin" der kommunistischen Ideologie, die sie mit jeder Faser ihrer Existenz verinnerlicht hatte.
Schon der junge Ernesto Guevara - Jahrgang 1928 - war alles andere als gewöhnlich. Er war nicht nur ein vielfach talentierter Spross der argentinischen Oberschicht, sondern suchte schon früh nach einer Berufung, die ihn ganz ausfüllen sollte. Dichterische Produktion sowie Medizinstudium konnten seinen unstillbaren Ehrgeiz nicht befriedigen, der durch das körperliche Gebrechen des schweren Asthmas noch angestachelt wurde. Dieses explosive Gemisch hat ihn immer wieder in den physischen Zusammenbruch getrieben. Schon früh glaubte Guevara jedenfalls daran, eine Mission zu haben. Seine Wanderjahre, die ihn in den fünfziger Jahren durch den ganzen lateinamerikanischen Subkontinent führen sollten, sind in dieser Hinsicht als rastlose Suche zu verstehen.
Gewiss hatte er sich früh zum Stalinismus bekannt und hielt auch nach der einsetzenden Entstalinisierung an seiner Bewunderung für einen der größten Menschenschlächter der Weltgeschichte fest. Doch seine eigentliche Bestimmung fand er erst im Krieg. Pablo Neruda, einem seiner Säulenheiligen, gestand er im Winter 1960/61: "Der Krieg . . . der Krieg . . . Wir sind immer gegen den Krieg, aber wenn wir einmal Krieg geführt haben, können wir nicht mehr ohne Krieg leben. Wir wollen alle Augenblicke zu ihm zurückkehren." Der Schriftsteller erschauderte, denn hier war kein Großsprecher am Werk, sondern der bereits legendäre Commandante, der maßgeblich zum Sieg der kubanischen Revolution beigetragen hatte. Wie so oft in seinem kurzen Leben meinte Che, was er sagte. In einem späteren Brief an seine Eltern bezeichnete er sich selbst folgerichtig als "kleinen Condottiere des zwanzigsten Jahrhunderts". Der Krieg war ihm zur zweiten Natur geworden.
Wie Koenen immer wieder unterstreicht, war Che ein "Tatmensch". Seine rücksichtslose Unbedingtheit und seine ideologische Verbohrtheit, mit denen er im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging, widern aus der Rückschau an, gleichzeitig müssen sie zeitgenössisch als wichtige Motive seines Heldenstatus gesehen werden. Hier war ein Intellektueller, der nicht von der Weltrevolution schwadronierte, sondern mit der Waffe in der Hand gegen den großen Satan im Norden - gegen die Vereinigten Staaten von Amerika - kämpfte. Die beiden Jahre des Kampfes 1957/58 in der Sierra Maestra sollten für Che zur "durch und durch prägenden Erfahrungsbasis" werden. Hier hatte er als eine Art Initiationsritus seinen ersten Mann erschossen, hier hatte er zudem erkannt, dass die Weltrevolution mit der Schaffung eines "Neuen Menschen" einhergehen müsse. Dieser hypertrophe Schöpfungsakt avancierte zum eigentlichen Kern des "Guevara-Projekts".
Nach der Machtübernahme auf Kuba am 1. Januar 1959 musste die Herrschaft der "Bärtigen" gesichert werden. Che ging zunächst ganz in seiner neuen Rolle als Scharfrichter der Revolution auf. Doch der erste erregte Taumel dieser Frühphase verflog schnell, bald standen Verwaltungsarbeiten und Planungssitzungen auf dem Terminplan Guevaras, der nun zum "kubanischen Wirtschaftsdiktator" avancierte. Er versuchte zwar auch in dieser herausgehobenen Stellung, seine kriegerische Herangehensweise nicht zu ändern, recht rasch musste er allerdings erkennen, dass die Reorganisation einer gesamten Volkswirtschaft - ein Euphemismus für Staatsraub und Zwangskollektivierung - ihn im Grunde langweilten. Gleichzeitig trat sein Scheitern schon im März 1962 für alle Welt sichtbar an die Oberfläche: die Einführung einer Rationierungskarte für Basisgüter - selbst auf Zucker!
Che richtete sein Hauptinteresse weniger auf die wirtschaftlichen Probleme des Landes, sondern war fasziniert von der Möglichkeit des Revolutionsexports. Der Berufsrevolutionär begab sich auf "die systematische Suche nach dem archimedischen Punkt, von dem aus die imperiale Weltordnung insgesamt aus den Angeln gehoben werden konnte". Im April 1965 glaubte Guevara, fündig geworden zu sein. Gemeinsam mit einer handverlesenen Truppe von kubanischen Guerrillas wollte er den Kongo zum Ausgangspunkt dieser Weltrevolution machen. Ohne Rücksicht auf völlig andere lokale Begebenheiten wollte er seine kubanischen Erfahrungen direkt und unvermittelt auf das schwarzafrikanische Land übertragen. Er erlitt völligen Schiffbruch. Bereits nach sechs Monaten mussten er und seine Kämpfer evakuiert werden.
Doch diese persönliche Niederlage brachte ihn nicht zum Umdenken. Im Gegenteil: Wie viele Ideologen, denen die Realität einen Streich gespielt hat, setzte er auf Radikalisierung. Bolivien war sein nächstes, sein letztes Ziel. Nun stand er unter "morbidem Wiederholungszwang" seiner kubanischen Erfahrungen. Wieder scheiterte er an örtlichen Spezifika, von denen er nicht wissen wollte, weil er für seine Revolutionslehre universale Gültigkeit beanspruchte. Die bolivianische Armee erwies sich allerdings als ernstzunehmender Feind. Die Truppe um Che hatte seit dem Beginn eigener Operationen am 1. Februar 1967 jedenfalls alle Hände voll damit zu tun, der Gefangennahme zu entgehen. Gleichzeitig zeigte Che Schwächen gegenüber seinen Mitkämpfern und verzichtete auf das bewährte Mittel der "terroristischen Säuberung" gegenüber Verrätern oder Versagern. Kurzum: Bei einem Feuergefecht wurde er verletzt und später gefangengenommen. Um die Ermordung Ches am 9. Oktober 1967 ranken sich bis heute viele Verschwörungstheorien, die Koenen weitgehend entzaubern kann. Die Todesschüsse erfolgten auf ausdrücklichen Befehl der bolivianischen Regierung; die Vereinigten Staaten waren nicht involviert.
Es ist eine Stärke des Buches, dass das Nachleben Ches als Revolutionsikone ausdrücklich gewürdigt wird. Koenen beschreibt luzide, wie der Mythos offensiv eingesetzt worden ist - oftmals für völlig entgegengesetzte Ziele. Zweifellos ist es das Verdienst dieser eindringlichen Studie, diese Beliebigkeit zu durchbrechen. Koenen arbeitet die konkreten Ziele Che Guevaras heraus und benennt unzweideutig die terroristischen Methoden, mit denen er sie zu erreichen suchte. Che wäre sicherlich der Letzte, der ihm widersprochen hätte.
HARALD BIERMANN
Gerd Koenen: Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 602 S., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2008Im Sog von Blut und Tod
Der Che-Guevara-Biograf Gerd Koenen braucht zum Demolieren keine Abrissbirne
Sechs „Ikonen” werden in Frankfurt die Kultur Argentiniens verkörpern. So hat es die Präsidentin der Republik verfügt, die zwei Jahrhunderte nach ihrer Entstehung als Gastland zur Buchmesse 2010 geladen ist. Leider sind nur zwei der „Ikonen” Schriftsteller: Jorge Luis Borges und Julio Cortázar. Sie wurden nachträglich, auf Proteste hin, in die Riege aufgenommen. Ursprünglich hatte die Linksperonistin Cristina Kirchner sich mit vier Kultur-Kolossen begnügen wollen: Diego Armando Maradona, Evita Perón, Carlos Gardel und Che Guevara.
Die Verwechslung von Kult mit Kultur hätte der Buchmesse eine exquisite Argentinien-Auslese beschert. Einen durch Doping und Kokain mental angeschlagenen Fußballer, der soeben vom Maskottchen zum Nationaltrainer befördert wurde. Eine verkrachte Filmschauspielerin, die als First Lady eines Diktators zum Massenidol aufstieg. Einen 1935 in der startenden Ju-52 verunglückten Tango-Tenor. Und die Ikone aller Ikonen: den in Argentinien geborenen, in Kuba militärisch erfolgreichen, als Weltrevolutionär aber fulminant gescheiterten Guerilla-Apostel.
Schriftsteller statt Bauern
Von den vier Erwähnten hat nur Che so etwas wie Buchmesse-Statur. gewiss nicht literarisch, auch wenn seine Selbstironie die hinterlassenen Schriften streckenweise lesbar macht. Doch Ernesto Guevara de la Serna war unter allen politischen Akteuren des vergangenen Jahrhunderts derjenige, der unter den Dichtern und Intellektuellen des Westens die meisten schwärmerischen Anhänger fand. „Eine Dostojewski-Figur” wurde er schon zu Lebzeiten genannt. Doch Che war mehr: Eine Sagengestalt, die sich selbst erfunden und erschaffen hat.
Die Macht der Bilder dürfte das in Frankfurt beweisen: Nicht nur der halbseidene Messias der Plakatindustrie, sondern die ganze Personality Show, die Che als begnadeter Poseur von Jugend an abgezogen hat. Der grimmig nachdenkende Schüler, auf einem Balkon ausgestreckt, die Hände unterm Nacken. Der tollkühne Gymnasiast, auf einer Rohrleitung über einer Schlucht balancierend. Der Medizinstudent in der Anatomie, vor einem nackten Leichnam unverschämt grinsend. Che beim Rugby, Bergsteigen, Motorradfahren, Segelfliegen, als Zigarrenraucher und Mate-Schlürfer. Sogar in geheimer Mission im Kongo sorgte er für Fotografen. Und wo das nicht ging – im Hotel in Bolivien, wo er sich 1966 als „Adolfo Mena” mit Halbglatze und Brille tarnte –, knipste er sich vor dem Spiegel selber. Keine Episode seines Heldenepos durfte unbebildert bleiben. Am Liebsten ließ Che sich mit entblößtem Oberkörper abbilden, sogar für Playboy. Anders als beim Líder Máximo waren seine Hüften nie durch Fettwülste entstellt.
„Ein Märtyrer muss fotogen sein”, notierte im Londoner Exil der Kubaner Guillermo Cabrera Infante („Drei traurige Tiger”), der Fidel und Che aus nächster Nähe erlebt hat. Als Chef der Literaturbeilage „Lunes de Revolución”, die 1961 wegen laxer Linientreue abgestellt wurde, war Cabrera mit der Ikonografie des Regimes vertraut. Er wusste, wie das Che-Foto in Umlauf kam, in welchem der Katholik Carl Amery „unter dem schwarzen Barett das bleiche Haupt des Nazareners” zu erkennen meinte:
Giangiàcomo Feltrinelli, Europas erfolgreichster Verleger, hatte jenen trotzig schönen Che aus einem Stapel Bilder des Modefotografen Korda herausgefischt. Mit ihrem Gespür für Design veredelten die Italiener das Antlitz zur Devotionalie, die 1968 im Triumph um die Welt ging. Offenbar aber verliebte Feltrinelli sich in seine eigene Kreation. Und wollte antifaschistische Buße leisten für die Verehrung, die er als Junger für Mussolini empfunden hatte – den Duce, der am Gardasee in der Villa seiner Eltern lebte. Wie anders wäre zu erklären, dass dieser Erbe riesiger Wälder in Kärnten und unendlicher Rinderherden in Brasilien sich mitten im Wohlleben Italiens aktiv der Weltrevolution verschrieb?
Man könnte sagen, Feltrinelli sei an einer Überdosis Che Guevara gestorben. „In jedem Winkel Italiens schlummert ein kleines Vietnam”, phantasierte er, inspiriert vom Diktat des Che, „zwei, drei, viele Vietnam” zu schaffen, „mit ihrem Sog von Blut und von Tod”, um das US-Imperium in die Knie zu zwingen. Ein kleiner Hund entdeckte Feltrinellis zerfetzten Leichnam am 14. März 1972 nahe Mailand unter einem Hochspannungsmast. Den hatte der große Verleger und sparsame Terroristen-Sponsor eigenhändig in die Luft sprengen wollen.
Bei der fesselnden Lektüre von Gerd Koenens „Traumpfade der Weltrevolution – Das Guevara-Projekt” (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 450 S., 18,95 Euro) sind Begegnungen mit dem Wahnwitz unvermeidlich. Dabei hat der Autor es mehr auf neue Erkenntnisse, verborgene Zusammenhänge und analytische Klarheit angelegt denn auf die Entzauberung der Revolution oder die Aufklärung der Che-Gemeinde. Die Anfälligkeit der Intellektuellen für gewalttätige Übermenschen, befremdlich so kurz nach Hitlers Untergang, wird am Beispiel Jean-Paul Sartres und Simone de Beauvoirs evident. Diese hatte 1957 in „Der lange Marsch” mit dem europäischen Mao-Kult begonnen, und als das Paar drei Jahre später nach Kuba kam, ernannte der Philosoph den lebenden Che zum „vollkommensten Menschen des Zeitalters”.
Verführerischer wirkte Che als Toter. Koenen zeigt eindrucksvoll, wie Boliviens Militärs 1967 ihre Beute nach der Erschießung unbewusst zur Christusfigur stilisierten. Ches Oberkörper wurde entblößt (ganz sein Geschmack), Haare und Bart leicht gestutzt, die Augen offen gelassen; ein mattes, nachsichtiges Lächeln umspielte die Lippen des Leichnams. Die Fotografen durften sich an dem Bild festsaugen, das nun wirklich „Ikone” wurde. Und die Intellektuellen waren entsprechend erschüttert. „Ich sitze in meinem Büro, umringt von Büchern, im falschen Frieden und falschen Wohlstand Europas. Ich nehme mir etwas Zeit, um ohne Risiko über den Mann zu schreiben, der alles riskierte.” So schuldbewusst wie Italo Calvino ging auch der Uruguayer Mario Benedetti mit sich ins Gericht: „Es ist schändlich, auf Bilder, Sessel, Teppiche zu blicken...” Der Dramatiker Peter Weiss aber schlug sich mit der Flagellantenpeitsche auf den nackten Rücken: „Sind wir mitschuldig an diesem Tod? Sind wir die Verräter?” Und er fragte, ein deutscher Schriftsteller: „Haben wir es vermieden, Stellung zu nehmen?”
Der irritierende Fakt freilich war: Statt geknechteter Bauern hinter Maschinengewehren gingen freie Schriftsteller hinter Schreibmaschinen in Stellung. Die Revolution, die die weite Dritte Welt entflammen sollte, war ein Rohrkrepierer. Die Indios, die Guevara durch den Opfergang revolutionieren wollte, blieben in seinen Worten „stumpf wie Steine”. Aber der letzte Akt war wenigstens nicht ganz so unwürdig verlaufen wie der vorletzte – Guevaras militärische Intervention im Kongo. Dort hatte er 1965 mit 130 erfahrenen Kämpfern aus Kuba, die alle (außer ihm) schwarzer Hautfarbe sein mussten, den Bürgerkrieg zugunsten der „revolutionären Kräfte” Laurent Kabilas entscheiden wollen. Koenen zwingt sich, dieses bis zum Slapstick groteske Unternehmen kühl zu beschreiben, obwohl viele Details sich nachdrücklich einer satirischen Behandlung empfehlen. Am Ende musste Che mit sanfter Gewalt evakuiert werden.
Elf Jahre, bevor er selbst in die Gewehrmündung seines angetrunkenen Vollstreckers blickte, hatte Che in Kuba als Scharfrichter debütiert, einen wehrlosen Menschen getötet. Eutimio Guerra hieß der – ein Mitkämpfer, der zum Verräter geworden war. „Ich schoss ihm mit einer 32er Pistole in die rechte Gehirnhälfte, mit Austrittsloch am rechten Schläfenbein.” Die klinische Sachlichkeit der Tagebuchnotiz nimmt die Gefühlskälte vorweg, mit der Che bald Hunderte von Todesurteilen bestätigen und vollstrecken wird. Die Pseudo-Autorität des bewaffneten Kämpfers, der aus seiner Bereitschaft zu sterben das Recht zu töten ableitet, hatte sich in der Sierra Maestra gegen renitente Bauern bewährt und legitimierte nach dem Einmarsch in Havanna die revolutionäre Blutjustiz.
Emotionale Inspirationsquelle
Koenen vermutet, dass Fidel nicht zufällig dem Außenseiter Guevara die Rolle des Sonderkommissars für politische Säuberung zugewiesen hatte. Doch die Rückversicherung war unnötig: Willige Medien machten die Hinrichtungspraxis populär. Castro wollte „das gesamte Volk in die Blutrache verstricken” (Koenen). Das rhythmisierte Paredón – an die Wand – wurde auf den Straßen mit karnevalistischer Ausgelassenheit gebrüllt, auch von vielen, die sich unter Batista ganz wohl gefühlt hatten. Schauprozesse fanden in einem Stadion vor 17 000 Fans statt. Ganz offiziell sind nach dem Sieg in der Festung La Cabaña unter Aufsicht des Che 550 Todesurteile gefällt und vollstreckt worden. Im Osten der Insel machte Fidels kleiner Bruder und jetziger Erbe Raúl Castro kürzeren Prozess: Er ließ siebzig Anhänger Batistas mit Maschinengewehren niedermähen und von Bulldozern begraben. Heute erhoffen westliche Sympathisanten von diesem alten Henkersknecht die Reform des „kubanischen Modells”.
Unter den zwei Dutzend Che-Biografen ragt Koenen als der anspruchsvollste heraus, auch sprachlich. Zur Zertrümmerung von Mythen braucht er keine Abrissbirne: Nebenher erfährt der Leser, dass die Erschießung des Che nicht auf Weisung Washingtons erfolgte – die Amerikaner hätten den Weltrevolutionär lieber in ihre Kanalzone nach Panama geflogen und vor Gericht gestellt. Wäre ein ähnliches Buch schon 1968 erschienen, hätte es dem internationalen Terrorismus – von den Tupamaros in Uruguay zu den Montoneros in Argentinien, von Italiens Roten Brigaden zur Baader-Meinhof-Bande – wohl an einer wesentlichen emotionalen Inspirationsquelle gefehlt. CARLOS WIDMANN
Che ließ sich überall und am liebsten mit nacktem Oberkörper fotografieren. Foto: Andrew Saint-George/Magnum/Ag. Focus
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Der Che-Guevara-Biograf Gerd Koenen braucht zum Demolieren keine Abrissbirne
Sechs „Ikonen” werden in Frankfurt die Kultur Argentiniens verkörpern. So hat es die Präsidentin der Republik verfügt, die zwei Jahrhunderte nach ihrer Entstehung als Gastland zur Buchmesse 2010 geladen ist. Leider sind nur zwei der „Ikonen” Schriftsteller: Jorge Luis Borges und Julio Cortázar. Sie wurden nachträglich, auf Proteste hin, in die Riege aufgenommen. Ursprünglich hatte die Linksperonistin Cristina Kirchner sich mit vier Kultur-Kolossen begnügen wollen: Diego Armando Maradona, Evita Perón, Carlos Gardel und Che Guevara.
Die Verwechslung von Kult mit Kultur hätte der Buchmesse eine exquisite Argentinien-Auslese beschert. Einen durch Doping und Kokain mental angeschlagenen Fußballer, der soeben vom Maskottchen zum Nationaltrainer befördert wurde. Eine verkrachte Filmschauspielerin, die als First Lady eines Diktators zum Massenidol aufstieg. Einen 1935 in der startenden Ju-52 verunglückten Tango-Tenor. Und die Ikone aller Ikonen: den in Argentinien geborenen, in Kuba militärisch erfolgreichen, als Weltrevolutionär aber fulminant gescheiterten Guerilla-Apostel.
Schriftsteller statt Bauern
Von den vier Erwähnten hat nur Che so etwas wie Buchmesse-Statur. gewiss nicht literarisch, auch wenn seine Selbstironie die hinterlassenen Schriften streckenweise lesbar macht. Doch Ernesto Guevara de la Serna war unter allen politischen Akteuren des vergangenen Jahrhunderts derjenige, der unter den Dichtern und Intellektuellen des Westens die meisten schwärmerischen Anhänger fand. „Eine Dostojewski-Figur” wurde er schon zu Lebzeiten genannt. Doch Che war mehr: Eine Sagengestalt, die sich selbst erfunden und erschaffen hat.
Die Macht der Bilder dürfte das in Frankfurt beweisen: Nicht nur der halbseidene Messias der Plakatindustrie, sondern die ganze Personality Show, die Che als begnadeter Poseur von Jugend an abgezogen hat. Der grimmig nachdenkende Schüler, auf einem Balkon ausgestreckt, die Hände unterm Nacken. Der tollkühne Gymnasiast, auf einer Rohrleitung über einer Schlucht balancierend. Der Medizinstudent in der Anatomie, vor einem nackten Leichnam unverschämt grinsend. Che beim Rugby, Bergsteigen, Motorradfahren, Segelfliegen, als Zigarrenraucher und Mate-Schlürfer. Sogar in geheimer Mission im Kongo sorgte er für Fotografen. Und wo das nicht ging – im Hotel in Bolivien, wo er sich 1966 als „Adolfo Mena” mit Halbglatze und Brille tarnte –, knipste er sich vor dem Spiegel selber. Keine Episode seines Heldenepos durfte unbebildert bleiben. Am Liebsten ließ Che sich mit entblößtem Oberkörper abbilden, sogar für Playboy. Anders als beim Líder Máximo waren seine Hüften nie durch Fettwülste entstellt.
„Ein Märtyrer muss fotogen sein”, notierte im Londoner Exil der Kubaner Guillermo Cabrera Infante („Drei traurige Tiger”), der Fidel und Che aus nächster Nähe erlebt hat. Als Chef der Literaturbeilage „Lunes de Revolución”, die 1961 wegen laxer Linientreue abgestellt wurde, war Cabrera mit der Ikonografie des Regimes vertraut. Er wusste, wie das Che-Foto in Umlauf kam, in welchem der Katholik Carl Amery „unter dem schwarzen Barett das bleiche Haupt des Nazareners” zu erkennen meinte:
Giangiàcomo Feltrinelli, Europas erfolgreichster Verleger, hatte jenen trotzig schönen Che aus einem Stapel Bilder des Modefotografen Korda herausgefischt. Mit ihrem Gespür für Design veredelten die Italiener das Antlitz zur Devotionalie, die 1968 im Triumph um die Welt ging. Offenbar aber verliebte Feltrinelli sich in seine eigene Kreation. Und wollte antifaschistische Buße leisten für die Verehrung, die er als Junger für Mussolini empfunden hatte – den Duce, der am Gardasee in der Villa seiner Eltern lebte. Wie anders wäre zu erklären, dass dieser Erbe riesiger Wälder in Kärnten und unendlicher Rinderherden in Brasilien sich mitten im Wohlleben Italiens aktiv der Weltrevolution verschrieb?
Man könnte sagen, Feltrinelli sei an einer Überdosis Che Guevara gestorben. „In jedem Winkel Italiens schlummert ein kleines Vietnam”, phantasierte er, inspiriert vom Diktat des Che, „zwei, drei, viele Vietnam” zu schaffen, „mit ihrem Sog von Blut und von Tod”, um das US-Imperium in die Knie zu zwingen. Ein kleiner Hund entdeckte Feltrinellis zerfetzten Leichnam am 14. März 1972 nahe Mailand unter einem Hochspannungsmast. Den hatte der große Verleger und sparsame Terroristen-Sponsor eigenhändig in die Luft sprengen wollen.
Bei der fesselnden Lektüre von Gerd Koenens „Traumpfade der Weltrevolution – Das Guevara-Projekt” (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 450 S., 18,95 Euro) sind Begegnungen mit dem Wahnwitz unvermeidlich. Dabei hat der Autor es mehr auf neue Erkenntnisse, verborgene Zusammenhänge und analytische Klarheit angelegt denn auf die Entzauberung der Revolution oder die Aufklärung der Che-Gemeinde. Die Anfälligkeit der Intellektuellen für gewalttätige Übermenschen, befremdlich so kurz nach Hitlers Untergang, wird am Beispiel Jean-Paul Sartres und Simone de Beauvoirs evident. Diese hatte 1957 in „Der lange Marsch” mit dem europäischen Mao-Kult begonnen, und als das Paar drei Jahre später nach Kuba kam, ernannte der Philosoph den lebenden Che zum „vollkommensten Menschen des Zeitalters”.
Verführerischer wirkte Che als Toter. Koenen zeigt eindrucksvoll, wie Boliviens Militärs 1967 ihre Beute nach der Erschießung unbewusst zur Christusfigur stilisierten. Ches Oberkörper wurde entblößt (ganz sein Geschmack), Haare und Bart leicht gestutzt, die Augen offen gelassen; ein mattes, nachsichtiges Lächeln umspielte die Lippen des Leichnams. Die Fotografen durften sich an dem Bild festsaugen, das nun wirklich „Ikone” wurde. Und die Intellektuellen waren entsprechend erschüttert. „Ich sitze in meinem Büro, umringt von Büchern, im falschen Frieden und falschen Wohlstand Europas. Ich nehme mir etwas Zeit, um ohne Risiko über den Mann zu schreiben, der alles riskierte.” So schuldbewusst wie Italo Calvino ging auch der Uruguayer Mario Benedetti mit sich ins Gericht: „Es ist schändlich, auf Bilder, Sessel, Teppiche zu blicken...” Der Dramatiker Peter Weiss aber schlug sich mit der Flagellantenpeitsche auf den nackten Rücken: „Sind wir mitschuldig an diesem Tod? Sind wir die Verräter?” Und er fragte, ein deutscher Schriftsteller: „Haben wir es vermieden, Stellung zu nehmen?”
Der irritierende Fakt freilich war: Statt geknechteter Bauern hinter Maschinengewehren gingen freie Schriftsteller hinter Schreibmaschinen in Stellung. Die Revolution, die die weite Dritte Welt entflammen sollte, war ein Rohrkrepierer. Die Indios, die Guevara durch den Opfergang revolutionieren wollte, blieben in seinen Worten „stumpf wie Steine”. Aber der letzte Akt war wenigstens nicht ganz so unwürdig verlaufen wie der vorletzte – Guevaras militärische Intervention im Kongo. Dort hatte er 1965 mit 130 erfahrenen Kämpfern aus Kuba, die alle (außer ihm) schwarzer Hautfarbe sein mussten, den Bürgerkrieg zugunsten der „revolutionären Kräfte” Laurent Kabilas entscheiden wollen. Koenen zwingt sich, dieses bis zum Slapstick groteske Unternehmen kühl zu beschreiben, obwohl viele Details sich nachdrücklich einer satirischen Behandlung empfehlen. Am Ende musste Che mit sanfter Gewalt evakuiert werden.
Elf Jahre, bevor er selbst in die Gewehrmündung seines angetrunkenen Vollstreckers blickte, hatte Che in Kuba als Scharfrichter debütiert, einen wehrlosen Menschen getötet. Eutimio Guerra hieß der – ein Mitkämpfer, der zum Verräter geworden war. „Ich schoss ihm mit einer 32er Pistole in die rechte Gehirnhälfte, mit Austrittsloch am rechten Schläfenbein.” Die klinische Sachlichkeit der Tagebuchnotiz nimmt die Gefühlskälte vorweg, mit der Che bald Hunderte von Todesurteilen bestätigen und vollstrecken wird. Die Pseudo-Autorität des bewaffneten Kämpfers, der aus seiner Bereitschaft zu sterben das Recht zu töten ableitet, hatte sich in der Sierra Maestra gegen renitente Bauern bewährt und legitimierte nach dem Einmarsch in Havanna die revolutionäre Blutjustiz.
Emotionale Inspirationsquelle
Koenen vermutet, dass Fidel nicht zufällig dem Außenseiter Guevara die Rolle des Sonderkommissars für politische Säuberung zugewiesen hatte. Doch die Rückversicherung war unnötig: Willige Medien machten die Hinrichtungspraxis populär. Castro wollte „das gesamte Volk in die Blutrache verstricken” (Koenen). Das rhythmisierte Paredón – an die Wand – wurde auf den Straßen mit karnevalistischer Ausgelassenheit gebrüllt, auch von vielen, die sich unter Batista ganz wohl gefühlt hatten. Schauprozesse fanden in einem Stadion vor 17 000 Fans statt. Ganz offiziell sind nach dem Sieg in der Festung La Cabaña unter Aufsicht des Che 550 Todesurteile gefällt und vollstreckt worden. Im Osten der Insel machte Fidels kleiner Bruder und jetziger Erbe Raúl Castro kürzeren Prozess: Er ließ siebzig Anhänger Batistas mit Maschinengewehren niedermähen und von Bulldozern begraben. Heute erhoffen westliche Sympathisanten von diesem alten Henkersknecht die Reform des „kubanischen Modells”.
Unter den zwei Dutzend Che-Biografen ragt Koenen als der anspruchsvollste heraus, auch sprachlich. Zur Zertrümmerung von Mythen braucht er keine Abrissbirne: Nebenher erfährt der Leser, dass die Erschießung des Che nicht auf Weisung Washingtons erfolgte – die Amerikaner hätten den Weltrevolutionär lieber in ihre Kanalzone nach Panama geflogen und vor Gericht gestellt. Wäre ein ähnliches Buch schon 1968 erschienen, hätte es dem internationalen Terrorismus – von den Tupamaros in Uruguay zu den Montoneros in Argentinien, von Italiens Roten Brigaden zur Baader-Meinhof-Bande – wohl an einer wesentlichen emotionalen Inspirationsquelle gefehlt. CARLOS WIDMANN
Che ließ sich überall und am liebsten mit nacktem Oberkörper fotografieren. Foto: Andrew Saint-George/Magnum/Ag. Focus
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wäre dieses Buch schon vor vierzig Jahren erschienen, seufzt Carlos Widmann, hätte dem internationalen Terrorismus wohl eine wichtige Ikone gefehlt. Denn der Historiker Gerd Koenen zertrümmere den Mythos Che Guevara nicht "mit einer Abrissbirne", sondern mit kühler Präzision, wie Widmann in seinem Text schreibt, der weniger eine Besprechung ist als eine Antwort auf die Ankündigung von Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner, mit den Ikonen Diego Maradona, Evita Peron, Carlos Gardel und eben Che Guevara im Jahr 2010 den Auftritt ihres Landes bei der Frankfurter Buchmesse zu bestreiten (Borges und Cortazar wurde nachträglich mit auf die Liste gesetzt). Widmann zeichnet nur kursorisch Ches revolutionäre Stationen nach - seine Blutjustiz in Kuba, sein Abenteuer im Kongo -, um den Wahnwitz zu fassen, den dieses Leben versammelt, und das Koenen am "anspruchsvollsten" von allen Che-Guevara-Biografen in seinem "fesselnden" Buch darstellt, wie Widmann lobt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine faszinierende, sowohl erhellende wie auch erschreckene Lektüre.« Tages-Anzeiger, Schweiz