Ein einzigartiger Einblick in das persönliche und kreative Leben des visionären Künstlers David Lynch, erzählt von ihm selbst und seinen engsten Kollegen, Freunden und Verwandten.
In einer faszinierenden Mischung aus Biografie und Memoire schreibt David Lynch erstmals über seine vielen Kämpfe und auch Niederlagen; wie kompliziert es oft war, seine zahlreichen unorthodoxen Projekte zu verwirklichen. Lynch kommentiert ungefiltert und auf sehr offene Art und Weise die biografischen Ausführungen seiner Co-Autorin Kristine McKenna, die für das Buch über hundert Interviews mit erstaunlich gesprächigen Ex-Frauen, Familienmitgliedern, Schauspielern, Agenten, Musikern und sonstigen Kollegen geführt hat.
Traumwelten ist ein besonderes Buch, das dem Leser eine tiefe Einsicht in das Leben und die Gedankenwelt eines der schillerndsten und originellsten Künstlers unserer Zeit gewährt.
In einer faszinierenden Mischung aus Biografie und Memoire schreibt David Lynch erstmals über seine vielen Kämpfe und auch Niederlagen; wie kompliziert es oft war, seine zahlreichen unorthodoxen Projekte zu verwirklichen. Lynch kommentiert ungefiltert und auf sehr offene Art und Weise die biografischen Ausführungen seiner Co-Autorin Kristine McKenna, die für das Buch über hundert Interviews mit erstaunlich gesprächigen Ex-Frauen, Familienmitgliedern, Schauspielern, Agenten, Musikern und sonstigen Kollegen geführt hat.
Traumwelten ist ein besonderes Buch, das dem Leser eine tiefe Einsicht in das Leben und die Gedankenwelt eines der schillerndsten und originellsten Künstlers unserer Zeit gewährt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2018Um euch zu befremden
Die gar nicht so seltsame Biographie eines Künstlers, der ziemlich seltsame Sachen malt, dichtet und dreht: "Traumwelten" von Kristine McKenna und David Lynch gibt Letzterem eine feine Gelegenheit, sein Leben zu rezensieren.
Der ausgesucht höfliche, ein bisschen linkische, aber alles andere als demonstrativ introvertierte Mensch kam aus einer Kleinstadt, wo alle und alles zu dicht aufeinanderhockten. Dort wollte er nicht bleiben, weil er es vorzog, sich einen Ort zu suchen, wo die Widersprüche der Wirklichkeit, des Empfindens und des Denkens ein bisschen mehr Platz haben als im Gewöhnlichen, um aufeinander zu wirken und sich füreinander zu interessieren. Weil die Überwindung der inneren Enge, die sich als Abdruck der kleinstädtisch und kleinbürgerlichen äußeren in die Seele prägt, anstrengende Arbeit ist, ließ er sich unterwegs von einer Sekte das Meditieren beibringen. Ganz darin verschwunden ist er zum Glück nie; ein Nirwana, wo sich Widersprüche auflösen wie Kandis in heißem Tee, interessiert ihn nicht.
Statt also der Erleuchtung hinterherzulaufen, beschäftigt er sich lieber damit, die Schönheit abgeschnittener Ohren ("Blue Velvet", 1968), knirschender Tonspurmanipulationen, die sich anhören, als hätte jemand alle Mikrofone am Drehort durch Gewürzmühlen ersetzt ("Twin Peaks: Fire Walk With me", 1992), und verschmierter Gesichtszüge auf dehnbaren Oberflächen ("Inland Empire", 2006) gleichzeitig zu untersuchen, zu inszenieren, zu fürchten und zu feiern.
Zum Kino, wo er all das treibt, kam David Lynch von der Seite: Er war Student der Malerei, als sich auf einem seiner Gemälde "ein Windhauch" regte, wie er sagt. Der junge Künstler sah's als Hinweis, dass seine Arbeit sich bewegen wollte, und nahm den ersten Film in Angriff, bei dem unter anderem Polyesterharz außerplanmäßig Feuer fing und zwei volle Monate Dreharbeiten nicht die geplanten zweieinhalb Minuten Spielzeit hervorbrachten, sondern zunächst überhaupt nichts - die Kamera war kaputt, keinerlei Aufzeichnung hatte stattgefunden. David Lynch "schlug die Hände vors Gesicht und weinte zwei Minuten lang. Dann sagte er ,Scheiß drauf!' und ließ die Kamera reparieren. Er war immer sehr diszipliniert."
Das Buch "Traumwelten" von Kristine McKenna und David Lynch, in dem diese Anekdote steht, hat mit Recht keine Lust, sich zu entscheiden, ob es lieber eine Recherche der Autorin oder eine Autobiographie des Autors sein will. Wohltuend wenig wird in dem dicken, aber kurzweiligen Band psychologisiert oder genealogisiert (die Mutter ein Stadtmensch, der Vater vom Land, Yin, Yang, Ahörnchen und Behörnchen, so what?). Stattdessen bleibt eine wichtige Wahrheit dezent, aber durchgängig im Hintergrund präsent: Wären David Lynchs Filme, graphischen Erzeugnisse und unklassifizierbaren Online-Experimente nicht so eigen, würde sich niemand für Lynchs Biographie interessieren, die nicht sonderlich eigen ist; man kann Leuten, die Kunst verstehen wollen, nichts Besseres und Gesünderes in die Hand geben als einen Text, der sich nirgends darüber betrügt, dass Herkunft bei Kunst nichts erklärt, nichts verbürgt und nichts beweist, sondern den vielen Brillen, durch die man sie betrachten kann, nur eine weitere hinzufügt, nicht besser und nicht schlechter als andere.
Kristine McKenna ist Journalistin und seit Jahrzehnten mit Lynch befreundet. Für "Traumwelten" (im Original zugleich bescheidener und vager, also absolut lynchgemäß: "Room to Dream") hat sie sämtliche Menschen befragt, die Lynch je gesprochen, an ihm gerochen oder ein Stück von ihm abgebissen haben. Die Kapitel, in denen sie die Protokolle dieser Unterredungen (gekürzt aufs mehr oder weniger Verständliche) wiedergibt, wechseln ab mit anderen, in denen Lynch ihr weniger widerspricht, als sie vielmehr so ausführlich ergänzt, dass man beiden nicht mehr so recht glaubt, aber immer lieber dabei zuschaut, wie sie so plausibel wie möglich ihre vieldeutigen Geschichten spinnen. Erfunden haben sie diese Buchform nicht, Geoffrey Benningtons hübsche Derrida-Schwarte von 1991 funktioniert sehr ähnlich, wobei sich der französische Dazwischendenker anders als Lynch freilich nicht mit Scharnierkapiteln abspeisen ließ, sondern direkt mit Fußnoten in den Text des Gegenübers grätschte, auf den deshalb genauso wie auch auf "Traumwelten" die anschauliche deutsche Wertung "nicht ganz dicht" passt - aber auch eine Dusche ist nicht ganz dicht, und man stellt sich gern drunter, wenn sie frisch genug sprüht.
Tastend, respektvoll und ohne vorschnelle Gesamturteile nähert sich "Traumwelten" insbesondere einem heiklen Gebiet, das man "Lynchs Humor" nennen könnte, wenn das Wort nicht so abgegriffen wäre und wenn das, was man im Fall Lynch damit meint, nicht einerseits ein bisschen korrosiver und böser als herkömmlicher Humor, andererseits aber auch wieder weniger spitz und scharf als Satire, Sarkasmus oder sonst eine Distanz zum Gegenstand der künstlerischen Tätigkeit setzende Art von Witz wäre.
Lynch hat seine Mitmenschen offenbar schon als Kind komisch gefunden und ihnen das auch mitgeteilt, aber eben bereits damals so, dass man ihm gar nicht so leicht eine Spott- oder Karikaturabsicht nachweisen konnte: "Die meisten trugen damals einfarbige T-Shirts, und David fing an, die Hemden nach den Wünschen seiner Kunden mit Magic Markers zu gestalten. Alle in der Nachbarschaft kauften welche. Ich erinnere mich noch, dass Mr. Smith, unser Nachbar, eins für einen Freund kaufte, der schon vierzig war. David beschrieb es mit dem Spruch ,Das Leben beginnt mit 40' und malte dazu das Bild eines Mannes, der eine hübsche Frau anstarrt." Das hat, wie die windschiefen Menschenporträts in Lynchs späteren Filmen, fast nichts mit irgendeinem antibourgeoisen Angriff aufs Normale, mit Surrealismus, mit Luis Buñuel oder Thomas Ligotti zu tun, deren Arbeiten man mit seinen oft verkehrt verklammert, dafür aber viel mit "I Love Lucy", den "Simpsons" und einer Art Tongue-in-cheek-Humanität, die man in Abwandlung der kernamerikanischen Formel "tough love" wohl "harte Nächstenliebe" nennen kann.
Natürlich stehen bei rund sechshundert (das Original) beziehungsweise siebenhundert (die deutsche Fassung) Seiten Text nicht nur solche aufschlussreichen Sachen im Buch, sondern auch ein paar anfechtbare; etwa wenn jemand sich entsinnt, das Haus in Boise/Idaho, in dem die Lynchs während der Kindheit des kleinen David wohnten, sei "so gräßlich" gewesen wie das wichtigste Gebäude in "Blue Velvet". In Wahrheit steht der Bau, den Lynch für den Film ausgesucht hat, als einziges ehrliches Gebäude an einer von nutzlosen Prunksäulen und Breite-Treppen-Angeber-Stuss aus der Südstaaten-Sklavereizeit beherrschten Kreuzung, und "gräßlich" ist bei Lynch sowieso nichts, dazu sind seine Schocks viel zu nah an Juckpulver und Kitzelattacken: Ausgeburten einer weder je völlig erwachsenen noch im harmlos-putzigen Sinn kindlichen Phantasie, die sich für Mord und Totschlag, Inzest und Vergewaltigung nicht etwa so interessiert wie ein Horrorkünstler für Monster, sondern so, wie sich ein Monster, das gar nicht weiß, dass es ein Monster ist, für die Nichtmonstrosität interessieren könnte, die man "normal" nennt - und die Lynch so darstellt wie der große F.W. Bernstein in seinen besten Versen das Freudsche "Unheimliche": "Horch - ein Schrank geht durch die Nacht, / voll mit nassen Hemden. / Den hab ich mir ausgedacht / um euch zu befremden."
Die Brillanz der Regieleistungen des David Lynch, behauptet das Buch einmal, beruhe "zum großen Teil" auf der Fähigkeit des Meisters, "Schauspieler an Orte zu führen, die ihnen bis dahin fremd waren". Aber ganz offensichtlich, man muss nur hinsehen, bleiben diese Orte den Schauspielern auch dann noch fremd, wenn er sie hingeführt hat, und außerdem sind und bleiben sie auch ihm selbst fremd, deshalb will er ja hin, mit den anderen - eine Utopie: Absichtliche Fremdheit bringt uns einander näher. So kann man Filme machen, in denen nichts passt, aber alles stimmt - und außerdem, wie sich zeigt, ein sehr nettes Buch.
DIETMAR DATH
David Lynch und Kristine McKenna: "Traumwelten".
Ein Leben. Aus dem Amerikanischen von R. Brack, D. Müller, W. Dorn und S. Glietsch. Heyne Encore Verlag, München 2018. 768 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die gar nicht so seltsame Biographie eines Künstlers, der ziemlich seltsame Sachen malt, dichtet und dreht: "Traumwelten" von Kristine McKenna und David Lynch gibt Letzterem eine feine Gelegenheit, sein Leben zu rezensieren.
Der ausgesucht höfliche, ein bisschen linkische, aber alles andere als demonstrativ introvertierte Mensch kam aus einer Kleinstadt, wo alle und alles zu dicht aufeinanderhockten. Dort wollte er nicht bleiben, weil er es vorzog, sich einen Ort zu suchen, wo die Widersprüche der Wirklichkeit, des Empfindens und des Denkens ein bisschen mehr Platz haben als im Gewöhnlichen, um aufeinander zu wirken und sich füreinander zu interessieren. Weil die Überwindung der inneren Enge, die sich als Abdruck der kleinstädtisch und kleinbürgerlichen äußeren in die Seele prägt, anstrengende Arbeit ist, ließ er sich unterwegs von einer Sekte das Meditieren beibringen. Ganz darin verschwunden ist er zum Glück nie; ein Nirwana, wo sich Widersprüche auflösen wie Kandis in heißem Tee, interessiert ihn nicht.
Statt also der Erleuchtung hinterherzulaufen, beschäftigt er sich lieber damit, die Schönheit abgeschnittener Ohren ("Blue Velvet", 1968), knirschender Tonspurmanipulationen, die sich anhören, als hätte jemand alle Mikrofone am Drehort durch Gewürzmühlen ersetzt ("Twin Peaks: Fire Walk With me", 1992), und verschmierter Gesichtszüge auf dehnbaren Oberflächen ("Inland Empire", 2006) gleichzeitig zu untersuchen, zu inszenieren, zu fürchten und zu feiern.
Zum Kino, wo er all das treibt, kam David Lynch von der Seite: Er war Student der Malerei, als sich auf einem seiner Gemälde "ein Windhauch" regte, wie er sagt. Der junge Künstler sah's als Hinweis, dass seine Arbeit sich bewegen wollte, und nahm den ersten Film in Angriff, bei dem unter anderem Polyesterharz außerplanmäßig Feuer fing und zwei volle Monate Dreharbeiten nicht die geplanten zweieinhalb Minuten Spielzeit hervorbrachten, sondern zunächst überhaupt nichts - die Kamera war kaputt, keinerlei Aufzeichnung hatte stattgefunden. David Lynch "schlug die Hände vors Gesicht und weinte zwei Minuten lang. Dann sagte er ,Scheiß drauf!' und ließ die Kamera reparieren. Er war immer sehr diszipliniert."
Das Buch "Traumwelten" von Kristine McKenna und David Lynch, in dem diese Anekdote steht, hat mit Recht keine Lust, sich zu entscheiden, ob es lieber eine Recherche der Autorin oder eine Autobiographie des Autors sein will. Wohltuend wenig wird in dem dicken, aber kurzweiligen Band psychologisiert oder genealogisiert (die Mutter ein Stadtmensch, der Vater vom Land, Yin, Yang, Ahörnchen und Behörnchen, so what?). Stattdessen bleibt eine wichtige Wahrheit dezent, aber durchgängig im Hintergrund präsent: Wären David Lynchs Filme, graphischen Erzeugnisse und unklassifizierbaren Online-Experimente nicht so eigen, würde sich niemand für Lynchs Biographie interessieren, die nicht sonderlich eigen ist; man kann Leuten, die Kunst verstehen wollen, nichts Besseres und Gesünderes in die Hand geben als einen Text, der sich nirgends darüber betrügt, dass Herkunft bei Kunst nichts erklärt, nichts verbürgt und nichts beweist, sondern den vielen Brillen, durch die man sie betrachten kann, nur eine weitere hinzufügt, nicht besser und nicht schlechter als andere.
Kristine McKenna ist Journalistin und seit Jahrzehnten mit Lynch befreundet. Für "Traumwelten" (im Original zugleich bescheidener und vager, also absolut lynchgemäß: "Room to Dream") hat sie sämtliche Menschen befragt, die Lynch je gesprochen, an ihm gerochen oder ein Stück von ihm abgebissen haben. Die Kapitel, in denen sie die Protokolle dieser Unterredungen (gekürzt aufs mehr oder weniger Verständliche) wiedergibt, wechseln ab mit anderen, in denen Lynch ihr weniger widerspricht, als sie vielmehr so ausführlich ergänzt, dass man beiden nicht mehr so recht glaubt, aber immer lieber dabei zuschaut, wie sie so plausibel wie möglich ihre vieldeutigen Geschichten spinnen. Erfunden haben sie diese Buchform nicht, Geoffrey Benningtons hübsche Derrida-Schwarte von 1991 funktioniert sehr ähnlich, wobei sich der französische Dazwischendenker anders als Lynch freilich nicht mit Scharnierkapiteln abspeisen ließ, sondern direkt mit Fußnoten in den Text des Gegenübers grätschte, auf den deshalb genauso wie auch auf "Traumwelten" die anschauliche deutsche Wertung "nicht ganz dicht" passt - aber auch eine Dusche ist nicht ganz dicht, und man stellt sich gern drunter, wenn sie frisch genug sprüht.
Tastend, respektvoll und ohne vorschnelle Gesamturteile nähert sich "Traumwelten" insbesondere einem heiklen Gebiet, das man "Lynchs Humor" nennen könnte, wenn das Wort nicht so abgegriffen wäre und wenn das, was man im Fall Lynch damit meint, nicht einerseits ein bisschen korrosiver und böser als herkömmlicher Humor, andererseits aber auch wieder weniger spitz und scharf als Satire, Sarkasmus oder sonst eine Distanz zum Gegenstand der künstlerischen Tätigkeit setzende Art von Witz wäre.
Lynch hat seine Mitmenschen offenbar schon als Kind komisch gefunden und ihnen das auch mitgeteilt, aber eben bereits damals so, dass man ihm gar nicht so leicht eine Spott- oder Karikaturabsicht nachweisen konnte: "Die meisten trugen damals einfarbige T-Shirts, und David fing an, die Hemden nach den Wünschen seiner Kunden mit Magic Markers zu gestalten. Alle in der Nachbarschaft kauften welche. Ich erinnere mich noch, dass Mr. Smith, unser Nachbar, eins für einen Freund kaufte, der schon vierzig war. David beschrieb es mit dem Spruch ,Das Leben beginnt mit 40' und malte dazu das Bild eines Mannes, der eine hübsche Frau anstarrt." Das hat, wie die windschiefen Menschenporträts in Lynchs späteren Filmen, fast nichts mit irgendeinem antibourgeoisen Angriff aufs Normale, mit Surrealismus, mit Luis Buñuel oder Thomas Ligotti zu tun, deren Arbeiten man mit seinen oft verkehrt verklammert, dafür aber viel mit "I Love Lucy", den "Simpsons" und einer Art Tongue-in-cheek-Humanität, die man in Abwandlung der kernamerikanischen Formel "tough love" wohl "harte Nächstenliebe" nennen kann.
Natürlich stehen bei rund sechshundert (das Original) beziehungsweise siebenhundert (die deutsche Fassung) Seiten Text nicht nur solche aufschlussreichen Sachen im Buch, sondern auch ein paar anfechtbare; etwa wenn jemand sich entsinnt, das Haus in Boise/Idaho, in dem die Lynchs während der Kindheit des kleinen David wohnten, sei "so gräßlich" gewesen wie das wichtigste Gebäude in "Blue Velvet". In Wahrheit steht der Bau, den Lynch für den Film ausgesucht hat, als einziges ehrliches Gebäude an einer von nutzlosen Prunksäulen und Breite-Treppen-Angeber-Stuss aus der Südstaaten-Sklavereizeit beherrschten Kreuzung, und "gräßlich" ist bei Lynch sowieso nichts, dazu sind seine Schocks viel zu nah an Juckpulver und Kitzelattacken: Ausgeburten einer weder je völlig erwachsenen noch im harmlos-putzigen Sinn kindlichen Phantasie, die sich für Mord und Totschlag, Inzest und Vergewaltigung nicht etwa so interessiert wie ein Horrorkünstler für Monster, sondern so, wie sich ein Monster, das gar nicht weiß, dass es ein Monster ist, für die Nichtmonstrosität interessieren könnte, die man "normal" nennt - und die Lynch so darstellt wie der große F.W. Bernstein in seinen besten Versen das Freudsche "Unheimliche": "Horch - ein Schrank geht durch die Nacht, / voll mit nassen Hemden. / Den hab ich mir ausgedacht / um euch zu befremden."
Die Brillanz der Regieleistungen des David Lynch, behauptet das Buch einmal, beruhe "zum großen Teil" auf der Fähigkeit des Meisters, "Schauspieler an Orte zu führen, die ihnen bis dahin fremd waren". Aber ganz offensichtlich, man muss nur hinsehen, bleiben diese Orte den Schauspielern auch dann noch fremd, wenn er sie hingeführt hat, und außerdem sind und bleiben sie auch ihm selbst fremd, deshalb will er ja hin, mit den anderen - eine Utopie: Absichtliche Fremdheit bringt uns einander näher. So kann man Filme machen, in denen nichts passt, aber alles stimmt - und außerdem, wie sich zeigt, ein sehr nettes Buch.
DIETMAR DATH
David Lynch und Kristine McKenna: "Traumwelten".
Ein Leben. Aus dem Amerikanischen von R. Brack, D. Müller, W. Dorn und S. Glietsch. Heyne Encore Verlag, München 2018. 768 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2018Das Leben ist ein Donut
Seine Filme sind Rätsel, und sie bleiben ungelöst. In seiner Autobiografie „Traumwelten“ beschreibt sich David Lynch
nicht als Genie, sondern als fröhlich vor sich hin bastelnden Lausbub aus Idaho
PHILIPP STADELMAIER
Ende der Siebzigerjahre, David Lynch hat gerade „Eraserhead“, seinen ersten langen Spielfilm fertiggestellt, trifft er in Hollywood einen Produzenten, um ihm sein neues Drehbuch vorzustellen, Titel: „Ronnie Rocket“. „Na, mein Bester, was hast du anzubieten?“, fragt der Produzent. Lynch antwortet: „Es geht um einen Mann, der gerade mal einen Meter groß ist, eine rote Schmalztollenfrisur hat und sich ständig mit 60-Hertz-Wechselstrom aufladen muss.“ Sein Gegenüber erwidert: „Du findest ja sicher selbst raus, oder?“
So erzählt es der legendäre Künstler und Filmemacher in seiner Autobiografie, die er mit der Journalistin Kristine McKenna verfasst hat. Im Original heißt das Buch „Room to Dream“, Raum, um zu träumen – auf Deutsch erscheint es unter dem Titel „Traumwelten. Ein Leben“. Tatsächlich stammen Lynchs Ideen, wie jene zu „Ronnie Rocket“, aus einer eigenen, surrealen Traumwelt. Damit hat er sich den Rausschmiss aus dem einen oder anderen Produzentenbüro eingehandelt.
Es ist nicht so, als sei über den Regisseur, dessen Filme voller ungeklärter Rätsel sind, bislang wenig geschrieben worden. Mit diesem neuen Buch kommen noch mal satte siebenhundert Seiten dazu. Und natürlich wird man auch in ihnen nicht das finden, worauf Fans seit jeher warten: Antworten auf die drängende Frage, was denn nun wirklich passiert ist in Filmen wie „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“, in denen die Figuren abrutschen in die dunklen Fugen des Unbewussten, verloren gehen zwischen mehreren Persönlichkeiten und verwirrend unterschiedlichen Versionen ihrer Existenz. Lynch sucht nie nach Erklärungen. „Mir gefällt es, tiefer und tiefer in ein Haus vorzudringen und unter all den Dingen dort neue Dinge zu entdecken“, sagt er stattdessen einmal in seiner Autobiografie.
So gehen nun auch McKenna und Lynch vor: Sie decken ein Detail ums andere auf
– allerdings nicht in den Sinnschichten von Lynchs Filmen, sondern in seinem Leben. Aus dem hat Lynch schon in der 2016 erschienenen Dokumentation „The Art Life“ erzählt. „Traumwelten“ zeichnet sich demgegenüber aber durch einen besonderen Detailreichtum aus. In jedem Kapitel erzählt zunächst McKenna von Lynch, die seine Familienmitglieder, Freunde, Partnerinnen, Schauspieler und Mitarbeiter interviewt hat. Dann ergänzt Lynch das Erzählte um eigene Erinnerungen. So werden chronologisch die Stationen von Lynchs Leben abgegangen. Wenn auf diese Weise auch keine Rätsel gelöst werden, steht man am Ende doch mit einem Schlüssel zu seinem Werk da und kann sich vieles darin aus konkreten Lebens- und Arbeitssituationen erklären. Vor allem aber aus der spirituellen Haltung dieses Regisseurs.
Sein Leben beginnt in der Kleinstadt Boise, Idaho, wo Lynch seine Kindheit verbringt. Die Eltern sind freundlich und liberal. Mit trockenem Humor erinnert sich Lynch aber auch, wie sein einmal Vater so lange auf einen Kleiderhaufen einschlug, bis eine tote Maus herauskullerte. Oder wie er selbst im Sommer versuchte, mit einer Spitzhacke eine verwesende Kuh zum Explodieren zu bringen: „Na ja, Kinder probieren halt gerne mal was aus.“
Später erzählte er in „Blue Velvet“ und der Fernsehserie „Twin Peaks“ von Brutalität und Perversion hinter den idyllischen Fassaden amerikanischer Kleinstädte. Da scheinen auch einige Kindheitserinnerungen eingeflossen zu sein.
Als Jugendlicher geht Lynch zu den Pfadfindern, später tritt er einer Studentenverbindung bei. Als ihm ein Freund erzählt, dass sein Vater Maler ist, realisiert er, dass es das ist, was er mit seinem Leben tun will. 1967, während er in Philadelphia an der Kunstakademie studiert, kommt ihm die Idee, Filme zu machen. Als er an einem Gemälde arbeitet, „bemerkte er etwas, das er als einen Windhauch beschrieb, und sah, wie sich die Oberfläche der Farbe bewegte. Als wäre es eine Botschaft aus dem Äther gewesen, kam ihm auf einmal die Idee für ein sich bewegendes Gemälde.“ Daraufhin dreht Lynch zwei Animationsfilme, bekommt ein Stipendium vom American Film Institute und zieht nach Los Angeles, um „Eraserhead“ zu drehen.
In vielen kleinen Geschichten erzählt, wirkt auch Lynchs Leben wie ein Bild, das von einem Windhauch erfasst worden ist und sich zu bewegen beginnt. Der Detailreichtum des Textes enthüllt einen seinerseits von Details besessenen Künstler. Bei den Dreharbeiten zu „Blue Velvet“ platziert er Staubflusen unter einem Heizkörper und bei „Lost Highway“ Kaffeebohnen in einer dunklen Ecke. Für den Fall, dass die Kamera diesen Winkel einmal in den Blick bekommt.
Die Geheimnisse in Lynchs Filmen, so stellt sich heraus, bestehen weniger aus vorgefassten Konzepten, sondern entstehen durch Spiel und Improvisation. Lynch arbeitet mit dem, was er konkret vor sich hat. Als es beim Außendreh zu „Lost Highway“ in einer Szene, in der es nicht regnen darf, doch regnet, engagiert Lynch kurzerhand ein paar Kinder, die sich mit Wasserschläuchen nass spritzen: „So sah es aus, als käme das Wasser aus den Schläuchen und nicht vom Himmel.“
Und Bob, die berühmte, dämonische Figur aus „Twin Peaks“, stand gar nicht im Skript und wurde erst beim Drehen erfunden: In einem Take sieht man aus Versehen einen Requisiteur in einem Spiegel – Lynch ist begeistert und fragt den Mann, ob er nicht in der Serie mitspielen wolle.
„Traumwelten“ handelt von einem Künstler, der die ganze Zeit an irgendetwas herumbastelt. Der Filmemacher arbeitet auch als Maler, Werbefilmer, Möbelbauer, Musiker. Bei den Dreharbeiten zum Megaprojekt „Dune“, während er Hunderte Statisten in der sengend heißen mexikanischen Wüste befehligt, findet er nebenher die Zeit, ein „Fish Kit“ zu basteln: Er zerlegt eine Makrele in Einzelteile und beschriftet sie, um ihre Wiederzusammensetzung zu ermöglichen. Die Bastelei hört auch bei der Arbeit an der eigenen Biografie nicht auf. Wie der Makrele geht es einigen Berühmtheiten, die Lynch in seinen Erinnerungen zerlegt und neu zusammensetzt, so dass sie in einem absurden Licht dastehen.
Zum Beispiel Marlon Brando. Der steht einmal vor Lynchs Haus in Los Angeles und verlangt etwas zu essen. Lynch serviert ihm eine Tomate und eine Banane, die Brando konzentriert verschlingt. Später stopft sich Brando bei einer Vorführung von „Lost Highway“ mit Fastfood und Süßigkeiten voll.
Neben solchen Anekdoten erscheint doch auch vieles redundant in diesem Buch, vor allem, wenn Kristine McKennas Tonfall ins Hagiografische abdriftet. Dass Lynch, bei aller Dunkelheit und Brutalität seiner Filme, der netteste Kerl der Welt ist, mit dem alle gerne zusammenarbeiten, hat man irgendwann oft genug gelesen. Bringt ihm ein Assistent auch nur eine Tasse Kaffee, bedankt er sich vielmals. Schön zu hören.
Seit der Arbeit an „Eraserhead“ betreibt Lynch die sogenannte Transzendentale Meditation, die er auch mit einer Stiftung und mit Vortragsreisen bewirbt. Offenbar hat sie ihn zu einem ausgeglichen Wesen gemacht und ihm die Ideen der Wiedergeburt und der Vorbestimmung nahegebracht. Darauf und auf eine Grundentspanntheit, die sein Leben begleitet habe, kommt er immer wieder zu sprechen.
Die Dinge des Lebens erschienen ihm offenbar wie vorbestimmt – er musste sie nur noch entdecken. Nicht er selbst wollte Maler werden, sondern seine Begegnung mit dem Sohn eines Künstlers hat ihn seinem Lebenssinn nahegebracht; später fiel ihm die Erkenntnis zu, er müsse Filme machen. Lynch tritt also weniger als genialer Schöpfer und Visionär auf. Vielmehr als ein Lausbub aus Idaho, der nichts weiter tun muss, als fröhlich werkelnd und bastelnd die vielfältigen Kulissen einer Künstlerexistenz zu erkunden, die schon immer auf ihn gewartet hat. Es geht Lynch in seiner Autobiografie nicht um Lynch. Es geht ihm ums Universum, das ihm seinen Platz als Starregisseur zugewiesen und ihn eingeladen hat, dessen dunkelste und rätselhafteste Winkel zu erforschen.
In „Ronnie Rocket“, seinem nie realisierten Drehbuch, bringt Lynch seine Philosophie auf eine Formel: „Das Leben ist ein Donut.“ Es ist harmonisch und in sich geschlossen. Man kann sich nicht aussuchen, als was man auf diese Welt kommt oder wiedergeboren wird, ob als Donut oder als David Lynch. Aber man kann von verdammtem Glück sprechen, wenn es zu Letzterem gekommen ist. Da kann man sich schon mal nett für jeden Kaffee bedanken, der einem gebracht wird.
David Lynch zerlegt
eine Makrele und
beschriftet die Einzelteile
Das Universum hat ihm
seinen Platz als
Starregisseur zugewiesen
David Lynch, Kristine McKenna: Traumwelten. Aus dem Amerikanischen von Robert Brack, Daniel Müller, Wulf Dorn und Stephan Glietsch. Heyne Verlag, München 2018. 768 Seiten, 25 Euro.
Im Kopf und in den Filmen von David Lynch spielen sich surreale Szenen ab. Beim Dreh zu „Dune – Der Wüstenplanet“ (1984) befehligte er einige Hundert Statisten durch die mexikanische Wüste.
Foto: Allstar / Universal Pictures
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Seine Filme sind Rätsel, und sie bleiben ungelöst. In seiner Autobiografie „Traumwelten“ beschreibt sich David Lynch
nicht als Genie, sondern als fröhlich vor sich hin bastelnden Lausbub aus Idaho
PHILIPP STADELMAIER
Ende der Siebzigerjahre, David Lynch hat gerade „Eraserhead“, seinen ersten langen Spielfilm fertiggestellt, trifft er in Hollywood einen Produzenten, um ihm sein neues Drehbuch vorzustellen, Titel: „Ronnie Rocket“. „Na, mein Bester, was hast du anzubieten?“, fragt der Produzent. Lynch antwortet: „Es geht um einen Mann, der gerade mal einen Meter groß ist, eine rote Schmalztollenfrisur hat und sich ständig mit 60-Hertz-Wechselstrom aufladen muss.“ Sein Gegenüber erwidert: „Du findest ja sicher selbst raus, oder?“
So erzählt es der legendäre Künstler und Filmemacher in seiner Autobiografie, die er mit der Journalistin Kristine McKenna verfasst hat. Im Original heißt das Buch „Room to Dream“, Raum, um zu träumen – auf Deutsch erscheint es unter dem Titel „Traumwelten. Ein Leben“. Tatsächlich stammen Lynchs Ideen, wie jene zu „Ronnie Rocket“, aus einer eigenen, surrealen Traumwelt. Damit hat er sich den Rausschmiss aus dem einen oder anderen Produzentenbüro eingehandelt.
Es ist nicht so, als sei über den Regisseur, dessen Filme voller ungeklärter Rätsel sind, bislang wenig geschrieben worden. Mit diesem neuen Buch kommen noch mal satte siebenhundert Seiten dazu. Und natürlich wird man auch in ihnen nicht das finden, worauf Fans seit jeher warten: Antworten auf die drängende Frage, was denn nun wirklich passiert ist in Filmen wie „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“, in denen die Figuren abrutschen in die dunklen Fugen des Unbewussten, verloren gehen zwischen mehreren Persönlichkeiten und verwirrend unterschiedlichen Versionen ihrer Existenz. Lynch sucht nie nach Erklärungen. „Mir gefällt es, tiefer und tiefer in ein Haus vorzudringen und unter all den Dingen dort neue Dinge zu entdecken“, sagt er stattdessen einmal in seiner Autobiografie.
So gehen nun auch McKenna und Lynch vor: Sie decken ein Detail ums andere auf
– allerdings nicht in den Sinnschichten von Lynchs Filmen, sondern in seinem Leben. Aus dem hat Lynch schon in der 2016 erschienenen Dokumentation „The Art Life“ erzählt. „Traumwelten“ zeichnet sich demgegenüber aber durch einen besonderen Detailreichtum aus. In jedem Kapitel erzählt zunächst McKenna von Lynch, die seine Familienmitglieder, Freunde, Partnerinnen, Schauspieler und Mitarbeiter interviewt hat. Dann ergänzt Lynch das Erzählte um eigene Erinnerungen. So werden chronologisch die Stationen von Lynchs Leben abgegangen. Wenn auf diese Weise auch keine Rätsel gelöst werden, steht man am Ende doch mit einem Schlüssel zu seinem Werk da und kann sich vieles darin aus konkreten Lebens- und Arbeitssituationen erklären. Vor allem aber aus der spirituellen Haltung dieses Regisseurs.
Sein Leben beginnt in der Kleinstadt Boise, Idaho, wo Lynch seine Kindheit verbringt. Die Eltern sind freundlich und liberal. Mit trockenem Humor erinnert sich Lynch aber auch, wie sein einmal Vater so lange auf einen Kleiderhaufen einschlug, bis eine tote Maus herauskullerte. Oder wie er selbst im Sommer versuchte, mit einer Spitzhacke eine verwesende Kuh zum Explodieren zu bringen: „Na ja, Kinder probieren halt gerne mal was aus.“
Später erzählte er in „Blue Velvet“ und der Fernsehserie „Twin Peaks“ von Brutalität und Perversion hinter den idyllischen Fassaden amerikanischer Kleinstädte. Da scheinen auch einige Kindheitserinnerungen eingeflossen zu sein.
Als Jugendlicher geht Lynch zu den Pfadfindern, später tritt er einer Studentenverbindung bei. Als ihm ein Freund erzählt, dass sein Vater Maler ist, realisiert er, dass es das ist, was er mit seinem Leben tun will. 1967, während er in Philadelphia an der Kunstakademie studiert, kommt ihm die Idee, Filme zu machen. Als er an einem Gemälde arbeitet, „bemerkte er etwas, das er als einen Windhauch beschrieb, und sah, wie sich die Oberfläche der Farbe bewegte. Als wäre es eine Botschaft aus dem Äther gewesen, kam ihm auf einmal die Idee für ein sich bewegendes Gemälde.“ Daraufhin dreht Lynch zwei Animationsfilme, bekommt ein Stipendium vom American Film Institute und zieht nach Los Angeles, um „Eraserhead“ zu drehen.
In vielen kleinen Geschichten erzählt, wirkt auch Lynchs Leben wie ein Bild, das von einem Windhauch erfasst worden ist und sich zu bewegen beginnt. Der Detailreichtum des Textes enthüllt einen seinerseits von Details besessenen Künstler. Bei den Dreharbeiten zu „Blue Velvet“ platziert er Staubflusen unter einem Heizkörper und bei „Lost Highway“ Kaffeebohnen in einer dunklen Ecke. Für den Fall, dass die Kamera diesen Winkel einmal in den Blick bekommt.
Die Geheimnisse in Lynchs Filmen, so stellt sich heraus, bestehen weniger aus vorgefassten Konzepten, sondern entstehen durch Spiel und Improvisation. Lynch arbeitet mit dem, was er konkret vor sich hat. Als es beim Außendreh zu „Lost Highway“ in einer Szene, in der es nicht regnen darf, doch regnet, engagiert Lynch kurzerhand ein paar Kinder, die sich mit Wasserschläuchen nass spritzen: „So sah es aus, als käme das Wasser aus den Schläuchen und nicht vom Himmel.“
Und Bob, die berühmte, dämonische Figur aus „Twin Peaks“, stand gar nicht im Skript und wurde erst beim Drehen erfunden: In einem Take sieht man aus Versehen einen Requisiteur in einem Spiegel – Lynch ist begeistert und fragt den Mann, ob er nicht in der Serie mitspielen wolle.
„Traumwelten“ handelt von einem Künstler, der die ganze Zeit an irgendetwas herumbastelt. Der Filmemacher arbeitet auch als Maler, Werbefilmer, Möbelbauer, Musiker. Bei den Dreharbeiten zum Megaprojekt „Dune“, während er Hunderte Statisten in der sengend heißen mexikanischen Wüste befehligt, findet er nebenher die Zeit, ein „Fish Kit“ zu basteln: Er zerlegt eine Makrele in Einzelteile und beschriftet sie, um ihre Wiederzusammensetzung zu ermöglichen. Die Bastelei hört auch bei der Arbeit an der eigenen Biografie nicht auf. Wie der Makrele geht es einigen Berühmtheiten, die Lynch in seinen Erinnerungen zerlegt und neu zusammensetzt, so dass sie in einem absurden Licht dastehen.
Zum Beispiel Marlon Brando. Der steht einmal vor Lynchs Haus in Los Angeles und verlangt etwas zu essen. Lynch serviert ihm eine Tomate und eine Banane, die Brando konzentriert verschlingt. Später stopft sich Brando bei einer Vorführung von „Lost Highway“ mit Fastfood und Süßigkeiten voll.
Neben solchen Anekdoten erscheint doch auch vieles redundant in diesem Buch, vor allem, wenn Kristine McKennas Tonfall ins Hagiografische abdriftet. Dass Lynch, bei aller Dunkelheit und Brutalität seiner Filme, der netteste Kerl der Welt ist, mit dem alle gerne zusammenarbeiten, hat man irgendwann oft genug gelesen. Bringt ihm ein Assistent auch nur eine Tasse Kaffee, bedankt er sich vielmals. Schön zu hören.
Seit der Arbeit an „Eraserhead“ betreibt Lynch die sogenannte Transzendentale Meditation, die er auch mit einer Stiftung und mit Vortragsreisen bewirbt. Offenbar hat sie ihn zu einem ausgeglichen Wesen gemacht und ihm die Ideen der Wiedergeburt und der Vorbestimmung nahegebracht. Darauf und auf eine Grundentspanntheit, die sein Leben begleitet habe, kommt er immer wieder zu sprechen.
Die Dinge des Lebens erschienen ihm offenbar wie vorbestimmt – er musste sie nur noch entdecken. Nicht er selbst wollte Maler werden, sondern seine Begegnung mit dem Sohn eines Künstlers hat ihn seinem Lebenssinn nahegebracht; später fiel ihm die Erkenntnis zu, er müsse Filme machen. Lynch tritt also weniger als genialer Schöpfer und Visionär auf. Vielmehr als ein Lausbub aus Idaho, der nichts weiter tun muss, als fröhlich werkelnd und bastelnd die vielfältigen Kulissen einer Künstlerexistenz zu erkunden, die schon immer auf ihn gewartet hat. Es geht Lynch in seiner Autobiografie nicht um Lynch. Es geht ihm ums Universum, das ihm seinen Platz als Starregisseur zugewiesen und ihn eingeladen hat, dessen dunkelste und rätselhafteste Winkel zu erforschen.
In „Ronnie Rocket“, seinem nie realisierten Drehbuch, bringt Lynch seine Philosophie auf eine Formel: „Das Leben ist ein Donut.“ Es ist harmonisch und in sich geschlossen. Man kann sich nicht aussuchen, als was man auf diese Welt kommt oder wiedergeboren wird, ob als Donut oder als David Lynch. Aber man kann von verdammtem Glück sprechen, wenn es zu Letzterem gekommen ist. Da kann man sich schon mal nett für jeden Kaffee bedanken, der einem gebracht wird.
David Lynch zerlegt
eine Makrele und
beschriftet die Einzelteile
Das Universum hat ihm
seinen Platz als
Starregisseur zugewiesen
David Lynch, Kristine McKenna: Traumwelten. Aus dem Amerikanischen von Robert Brack, Daniel Müller, Wulf Dorn und Stephan Glietsch. Heyne Verlag, München 2018. 768 Seiten, 25 Euro.
Im Kopf und in den Filmen von David Lynch spielen sich surreale Szenen ab. Beim Dreh zu „Dune – Der Wüstenplanet“ (1984) befehligte er einige Hundert Statisten durch die mexikanische Wüste.
Foto: Allstar / Universal Pictures
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David Lynchs »Autobiographie ist ein Dialog zwischen ihm und Kristine McKenna in dem beide dem Geheimnis dieser Welt gefährlich nahe kommen.« ttt - titel, thesen, temperamente