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Produktdetails
  • Verlag: SubVers
  • Seitenzahl: 99
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 184g
  • ISBN-13: 9783980645911
  • ISBN-10: 3980645916
  • Artikelnr.: 24364956
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2001

Die Nächte der Neureichen
Tibor Fredmann beschreibt in seinem neuen Buch „Treffpunkt Watussi Bar” das Münchner Szeneleben
München, man leistet sich ja sonst nichts – nach diesem Scherzpostkarten-Motto lebt, schreibt und musiziert der Autor und Spoken-Word-Künstler Tibor Fredmann. In seinen maliziösen bis melancholischen Kurzgeschichten beschreibt er die „Bavarian Lovers” seiner Heimatstadt ebenso präzise wie den Nahkampf am Ostbahnhof: „Als Zivildienstleistender tut man sich schwer in einer Technodisco am Ostbahnhof. Gewaltigere Laserkanonen als bei Star Wars IV und Desert Storm, mehr Nebel als beim Morgenappell in einer Hannoveranischen Kaserne, schlechtere Drinks als beim Manöver in Bad Windsheim, und die Sandwichs halten jedem Vergleich mit dem Augsburger Flugdienst stand. ”
Schon 1997 entpuppte Fredmann sich mit seinem bissig-witzigen Buch „Die Helden von Wahnmoching” und der gleichnamigen CD über „den organisierten Wahnsinn eines zu groß geratenen Dorfes, das sich fälschlicherweise als Weltstadt tituliert”, als Sprachtalent. Mit bayerisch eingefärbter Sonorstimme berichtete er 1998 auf der zweiten CD „05. 37 Palais D” in einem aberwitzigen Sprachmarathon über Jungsnobs, Szene-Tussies, Punker, Politiker, Raver, Busenwunder, Computerfreaks, Regisseure, Bedienungen, Neureiche und Glücksritter. In seinem neuen Buch „Treffpunkt Watussi Bar” (SubVers Verlag, München) dreht sich in 23 Kurzgeschichten der allnächtliche Szene-Reigen „der besseren und schlechteren Gesellschaft von Grünwald bis zum Gärtnerplatz” nun weiter.
„Es heißt nicht umsonst Watussi-Bar, denn diese Geschichten spielen in jener fiktiven Bar, die alle jeden Abend suchen”, sagt Fredmann über den Treffpunkt der Eventgesellschaft zwischen DJ-Groove und Ethno-Nächten, Dritte- Welt-Muckefuck und Caipirinhas. „Meine Geschichten handeln von der Spaß-Kultur, aber hinter diesem Entertainment steht ja noch etwas anderes. Dafür sollte man den Blick nicht verlieren. Auch, um herzlich darüber zu lachen, aber aus einem gewissen Abstand. ” Er selbst ist am Gärtnerplatz geboren, lebt in der Au und sieht seinen bitterbösen Sarkasmus durchaus in der Tradition von Bayern wie Sigi Sommer, Dieter Hildebrandt und Oskar Maria Graf. Auf die Frage, ob sich sein Leben hauptsächlich an Bartresen und Tanzflächen abspiele, zitiert er den Abenteuerschriftsteller Joseph Conrad: „Es geht darum, kompositorische Elemente zusammenzufügen. Man muss nicht alle Meere befahren haben, um zu wissen, wie das Meer ist. ”
Einige der „Watussi”-Texte erschienen bereits auf der CD „05. 37 Palais D” und sind im Buch sozusagen remixed. „Aktualisiert, verschärft! Stadtviertel, Kunstpark Ost und In-Lokale unterliegen ja einem ständigen Wandel, daher die Millennium 2000-Versionen”, erklärt Fredmann. Die gemeinsame Liebe zu Wort und Klang führte übrigens zum amüsanten Vorwort von Joseph von Westphalen, der meint: „Es gibt eine Menge Autoren, die schreiben keuchende, hechelnde Geschichten (. . .) Sie haben kein Leben, keinen Rhythmus. Nicht so Fredmann. Das hat Witz und Pfeffer. Das atmet. ” Bei so viel Lob von einem Großen fühlt Fredmann sich „regelrecht geadelt”. Auf die Frage, ob und wann er das wohl bekannte München literarisch verlassen möchte, schlägt er vor: „Schmeiß aus allen Geschichten das Wort München raus, ersetze es durch Berlin oder London, dann würde es jeder sofort als ultrahip bezeichnen. Was ich in drei Monaten mache, weiß ich nicht. Bis jetzt habe ich mich topografisch auf München konzentriert. ”
Im Gegensatz zur neuen CD „Shangri-La”, die gleichzeitig mit dem Buch erscheint und die er mit seinem kongenialen Musikpartner Gogo Eisert (Ski und der Rest, Tony Titt & The Torpedos) und Gastmusikern von Cat Sun Flowers, Al Porcino Big Band und Fraunhofer Saitenmusik eingespielt hat. Die wehmütig romantischen Stücke zu lyrischen Kurztexten könnten in jeder Metropole spielen. „Ich wollte eine andere Form wählen, gekoppelt mit einem anderen Inhalt. Insofern sind die Texte auch ganz anders aufgebaut. Eine Mischung aus Songtexten und Gedichten. Es reimt sich nicht, es ist so genannte rhythmische Prosa, wie ich nach dem Schreiben feststellte”, sagt Fredmann, der sich dabei auf französische Chansonniers wie Jacques Brel, alte Bluessänger, aber auch Ray Davies von den Kinks beruft, „die in drei Minuten ein ganzes Drama erzählen können”. Bei der experimentellen Produktion seien Eisert und ihm vor allem die Reverenzen an die Musikgeschichte wichtig gewesen, auch wenn ein Laie die Anklänge von Spooky Tooth bis Roxy Music nicht unbedingt erkennt. „Man trägt seine Hörerfahrung mit sich, vom 50er Jahre Cool-Jazz über 60er Garagen-Punk und 70er Street Funk bis hin zum aktuellen Drum’n’Bass und Techno. Aber wir verwenden keine Zitate oder Samples, sondern nur die Stilmittel. ”
Thematisch spielen die Stücke über Single-Einsamkeit, Großstadt-Paranoia, Drogenflucht, Sex und Liebe auf mehreren Ebenen, mit unterschiedlichen Personen, in wechselnden Konstellationen und Stimmungen – „4 Straßen” läuft wie ein Hitchcock-Film ab, das Selbstmord-Requiem „Marina” vermittelt Stagnation. „Schön-traurige Love Songs des modernen Single-Winters” nennt Fredmann diese Verbindung aus Pop und Poetry. Und dann spinnt er seine München-Visionen weiter: „Mit dem Stück ,Hafen‘ habe ich bestimmt den topografischen Rahmen verlassen. Wir haben in München keinen Hafen. Noch vor dem Fußballstadion bin ich also dafür, dass in München ein Hafen gebaut wird. Ein Volksbegehren für einen Hafen, möglichst vor der Staatskanzlei. Dann bräuchten wir auch den Flughafen nicht vergrößern und 40 Minuten rausfahren und wären mit dem Schiff gleich in Berlin. ” Über Nöths Fröttmanning und die letzten Tage des Backstage will er auch noch schreiben. Und wer demnächst Ufos über München sichtet, sollte, bevor er dies kundtut, erst mal Fredmanns Geschichte „Ufos über Untergiesing” lesen, um zu wissen, was man in unserer Stadt davon hält.
INGEBORG SCHOBER
Geschichten über die Spaßkultur: Autor und Musiker Fredmann.
Foto: privat
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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