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Dieter M. Gräf komprimiert in seinen Gedichten Sprachenergien, die sich im Kopf des Lesers verstörend entladen sollen. So auch in seinem Gedichtband 'Treibender Kopf', dessen programmatische Anfangsnotate vom Sehen, vom Hören und vom Traum sprechen.

Produktbeschreibung
Dieter M. Gräf komprimiert in seinen Gedichten Sprachenergien, die sich im Kopf des Lesers verstörend entladen sollen. So auch in seinem Gedichtband 'Treibender Kopf', dessen programmatische Anfangsnotate vom Sehen, vom Hören und vom Traum sprechen.
Autorenporträt
Dieter M. Gräf, geboren 1960 in Ludwigshafen/Rhein, lebt seit 1991 als Schriftsteller in Köln, und an Orten seiner Projekte. Intermediale Kooperationen, zuletzt Tussirecherche (2000), Rauminstallation + Katalog (zusammen mit Margret Eicher). Seit 1996 Mitglied im P.E.N.-Zentrum Deutschland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.1997

Gespeicherter Schnee
Dieter M. Gräfs Gedichte · Von Friedmar Apel

Der Antimodernismus gilt nicht erst seit Stefan Breuers Studie zum "ästhetischen Fundamentalismus" des Stefan-George-Kreises als eine der bedenklichen Ausprägungen des deutschen Geistes. Die programmatische Unzeitgemäßheit Georges beschränkte sich nicht zufällig auf den "totgesagten park" des lyrischen Gedichts. Freilich fand solcher Rückzug vor der bösen Moderne sein Gegenüber in der Technikeuphorie der futuristischen Lyrik. Totalitäre Tendenzen waren beiden Richtungen gemeinsam. So mag es den Kulturdiagnostiker beruhigen, daß sich die avancierte Lyrik der Gegenwart gleich weit von beiden Polen entfernt hält.

Bei Dieter M. Gräf, wie schon bei Durs Grünbein, erscheint das Gedicht als Ort eines skeptisch relativierten Fragens nach den Aufbauten der Menschen, eines komprimierten dynamischen Wissens, das keine Vorentscheidungen über Sinn und Unsinn der Technik und der zeitgenössischen Wirklichkeit beinhaltet. Es sei denn, man würde die Momente der Besinnung, die Gräfs Gedichte dem unendlichen Datenfluß und seinem Rauschen und Flimmern abtrotzen, für einen solchen Vorbehalt nehmen: "Nun kommts zum "Innehalten', vor Bildschirmen, auf denen es schneit".

In Gräfs Gedichten präsentiert sich ein Subjekt, das gewillt ist, die Widersprüche der heutigen Welt auszuhalten und als Gestaltungschance zu begreifen. Kunst kann sich in dieser Situation nur in ihrer grundsätzlichen Paradoxie darstellen: Wer singt im Fluß und Kunst holt "aus dem bildlosen Bereich", der wird nicht reich und nicht glücklich und wird es doch: im Text. Das an die Instrumente des Informationszeitalters gebundene Subjekt weiß, daß die alten Versprechungen der Kunst unerfüllbar sind. Das Glück der Ungeschiedenheit, von dem die Sirenen singen, kann nicht besessen werden, nur der Wunsch wird Gestalt von unauflösbarer Spannung: "selber genagelt: die alte Leier. Kein Reim auf,Glück'. Ging doch der Kopf in den Körper, käme er wieder zurück?"

Natur wie Technik und Kultur erscheinen bei Gräf gleichermaßen als Umwelt, deren Sichtbarkeit es zu erfassen und zu durchdringen gilt. Sein Subjekt staunt, aber läßt sich nicht bannen, zeigt keine kultische Ehrfurcht vor der Bildermacht, sondern nimmt gleichsam die Rasierklinge zur Hand, die Sprache schneidet in die erfaßte Erscheinung. Diese sezierende Technik führt gelegentlich zu Gewaltsamkeit und Willkür und scheut auch vor textlyrischen Effekthaschereien nicht zurück.

Im gelungenen Fall aber führt Gräfs Verfahren, die Brüchigkeit der Wahrnehmung und das Fragmentarische des lyrischen Erinnerungsvorgangs als Sprache und Text-Bild sichtbar zu machen, zu intensiven Konfigurationen, die von fern an Hölderlins späte Lyrik erinnern. Freilich bleibt nur wenig vom schweren Ernst geheiligter Naturerfahrung, die erinnernde Wahrnehmung gibt nicht Ursprünglichkeit vor, sondern zeigt sich durchtränkt und durchbrochen vom Bewußtsein moderner Medialität: "Heimat, ihr Winterliches; ihre bräunliche Strahlung vom Boden her kann ich nun, fremder, nach oben sehn: das Wunder des schwarzen Geästs, der Pechbäume, die bald wieder treiben. Hier - im Bruch - bleibt von mir "der Sohn', bleibt "der Vater'; das Ziehen des Schlittens über belichteten, gespeicherten Schnee."

Gräf bejaht das Neue, vermutet freilich mit Nietzsche, daß darin sowohl die Vernunft wie der Wahnsinn von Jahrtausenden ausbrechen kann. Solcher Gefährlichkeit des Erbes stellen sich diese Texte. In den Zwischenräumen aber suchen und behüten sie wie von je den erfüllten Anblick.

Dieter M. Gräf: "Treibender Kopf". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 79 S., geb., 32,- DM.

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