1945. Der schrecklichste aller Kriege geht zu Ende. Hertha Perrau muss im Alter von 15 aus ihrer Heimatstadt in Ostpreußen flüchten. Nachts, bei Schneetreiben und 20° Kälte, die russischen Panzer rollen an. Mit viel Glück erreicht sie Mecklenburg. Erst ab Mai schweigen offiziell die Waffen das Ende aller Verfolgung ist es nicht.Lebensmittel sind äußerst knapp so knapp, dass selbst die Rote Armee mit Handgranaten auf Fischfang geht. Für Flüchtlinge keine Lebensmittelkarten mehr! Verhungern? Sie müssen zurück in ihre Heimat! Weinen und Betteln hilft nicht. Das Mädchen Hertha, ihre Mutter, ihre Tante und hunderttausend andere sie machen sich voller Verzweiflung auf den Weg zurück. Ein Elendsweg, der für diese Frauen sein vorläufiges Ende in Stolp findet, in Ostpommern. Hier sind noch die Russen und schon die Polen. Wie überleben im Chaos? Noch im Winter 1945 müssen sie wieder nach Westen zurück.Nach traumatischen Erlebnissen und mit der unstillbaren Sehnsucht nach Normalität kommen sie wieder in Mecklenburg an. Ribnitz wird zu ihrer neuen Heimat. Wovon sie dort leben, wie sie leben, wie sie eine armselige Normalität gewinnen und schließlich in ein neues hoffnungsvolles Leben finden das beschreibt der Autor ohne Pathos. Sachlich und doch bewegend.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010Erlebtes
Flucht und Vertreibung
Der Band berichtet vom Schicksal der aus Deutsch-Eylau in Ostpreußen stammenden Hertha Perrau, die als Fünfzehnjährige im Januar 1945 mit ihrer verwitweten Mutter und einer Tante vor der Roten Armee nach Westen flüchtete. Die drei Frauen gelangten unter kaum vorstellbaren Bedingungen bis nach Mecklenburg, wurden nach der deutschen Kapitulation aber von der sowjetischen Besatzungsmacht wegen der herrschenden Lebensmittelknappheit zurück nach Osten geschickt. Nach vielen Entbehrungen blieben sie in der durch Feuer schwer zerstörten Stadt Stolp in Hinterpommern hängen, wo die sowjetische Besatzung sukzessive durch eine neue polnische Verwaltung abgelöst wurde. Dort führten sie ein armseliges und von alltäglicher Diskriminierung geprägtes Leben.
Im Zuge einsetzender Polonisierungsmaßnahmen wurden die drei Frauen Ende 1945 in die SBZ zwangsumgesiedelt. Sie fanden Aufnahme im mecklenburgischen Ribnitz. Die Erlebnisse Hertha Perraus, die binnen eines knappen Jahres sowohl Flucht als auch Vertreibung erlebte und so gleich zweimal zum Opfer wurde, stellen ein interessantes Stück Erinnerungsliteratur dar. Leider wird in der durch Lutz Radtke besorgten Textfassung nicht immer klar, ob die Bewertungen des Geschehens ex post von ihm oder Hertha Perrau stammen. Der Bearbeiter ist bemüht, durch Verwendung ausgewählter Quellen und Literatur, die immer wieder zitiert werden, das Berichtete gleichsam wissenschaftlich abzusichern. Doch dieser Versuch misslingt weitgehend. Auffällig ist, dass die Maßnahmen zur Vertriebenenintegration in der SBZ beziehungsweise der frühen DDR - trotz eines latent antikommunistischen Grundtenors des Buches - insgesamt eher positiv bewertet werden. Gerne hätte man über die diesbezüglichen Erfahrungen Hertha Perraus, die, um Lehrerin werden zu können, sowohl der FDJ und dem FDGB als auch der Blockpartei NDPD beitrat, mehr erfahren. Bemerkenswert ist, dass sie trotz ihrer jahrzehntelangen Sozialisation in der DDR die deutsche Gegenwart in einer Weise kritisch bewertet, die Anleihen nimmt an der Wertewelt der traditionellen preußisch-protestantischen Rechten. Dies könnte ein Beleg dafür sein, dass unter der ideologischen Käseglocke des SED-Staats viel altes Denken konserviert wurde - ein nachdenklich stimmender Befund aus einem Buch, dessen Lektüre sowohl Betroffenheit als auch Befremden auslöst.
MATTHIAS STICKLER
Lutz Radtke: Treibgut der Geschichte. Books on Demand Verlag, Norderstedt 2009. 152 S. 23,60 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Flucht und Vertreibung
Der Band berichtet vom Schicksal der aus Deutsch-Eylau in Ostpreußen stammenden Hertha Perrau, die als Fünfzehnjährige im Januar 1945 mit ihrer verwitweten Mutter und einer Tante vor der Roten Armee nach Westen flüchtete. Die drei Frauen gelangten unter kaum vorstellbaren Bedingungen bis nach Mecklenburg, wurden nach der deutschen Kapitulation aber von der sowjetischen Besatzungsmacht wegen der herrschenden Lebensmittelknappheit zurück nach Osten geschickt. Nach vielen Entbehrungen blieben sie in der durch Feuer schwer zerstörten Stadt Stolp in Hinterpommern hängen, wo die sowjetische Besatzung sukzessive durch eine neue polnische Verwaltung abgelöst wurde. Dort führten sie ein armseliges und von alltäglicher Diskriminierung geprägtes Leben.
Im Zuge einsetzender Polonisierungsmaßnahmen wurden die drei Frauen Ende 1945 in die SBZ zwangsumgesiedelt. Sie fanden Aufnahme im mecklenburgischen Ribnitz. Die Erlebnisse Hertha Perraus, die binnen eines knappen Jahres sowohl Flucht als auch Vertreibung erlebte und so gleich zweimal zum Opfer wurde, stellen ein interessantes Stück Erinnerungsliteratur dar. Leider wird in der durch Lutz Radtke besorgten Textfassung nicht immer klar, ob die Bewertungen des Geschehens ex post von ihm oder Hertha Perrau stammen. Der Bearbeiter ist bemüht, durch Verwendung ausgewählter Quellen und Literatur, die immer wieder zitiert werden, das Berichtete gleichsam wissenschaftlich abzusichern. Doch dieser Versuch misslingt weitgehend. Auffällig ist, dass die Maßnahmen zur Vertriebenenintegration in der SBZ beziehungsweise der frühen DDR - trotz eines latent antikommunistischen Grundtenors des Buches - insgesamt eher positiv bewertet werden. Gerne hätte man über die diesbezüglichen Erfahrungen Hertha Perraus, die, um Lehrerin werden zu können, sowohl der FDJ und dem FDGB als auch der Blockpartei NDPD beitrat, mehr erfahren. Bemerkenswert ist, dass sie trotz ihrer jahrzehntelangen Sozialisation in der DDR die deutsche Gegenwart in einer Weise kritisch bewertet, die Anleihen nimmt an der Wertewelt der traditionellen preußisch-protestantischen Rechten. Dies könnte ein Beleg dafür sein, dass unter der ideologischen Käseglocke des SED-Staats viel altes Denken konserviert wurde - ein nachdenklich stimmender Befund aus einem Buch, dessen Lektüre sowohl Betroffenheit als auch Befremden auslöst.
MATTHIAS STICKLER
Lutz Radtke: Treibgut der Geschichte. Books on Demand Verlag, Norderstedt 2009. 152 S. 23,60 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein "interessantes Stück Erinnerungsliteratur" sieht Rezensent Matthias Stickler in diesem Bericht über Flucht und Vertreibung der aus Ostpreußen stammenden Hertha Perrau. Dass in der von Lutz Radtke besorgten Textfassung oft unklar bleibt, ob die Bewertungen des Geschehens im Nachhinein von ihm oder Hertha Perrau stammen, findet er bedauerlich. Auch der Versuch, den Bericht wissenschaftlich abzusichern, scheint ihm nicht gelungen. Er hebt hervor, dass Hertha Perrau trotz jahrzehntelanger Sozialisation in der DDR Werte der traditionellen preußisch-protestantischen Rechten vertrat, für ihn ein möglicher Hinweis darauf, "dass unter der ideologischen Käseglocke des SED-Staats viel altes Denken konserviert wurde".
© Perlentaucher Medien GmbH
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