Die Erinnerungen der Kosmopolitin, die in Rom ebenso zu Hause war wie in Paris, London oder an der Cote d'Azur, die Literatur, Malerei und gutes Essen fast so sehr schätzte wie ihre Freundschaften mit den europäischen Künstlern und Dichtern ihrer Zeit, sind eine Fundgrube für all jene Leser, die sich den Reichtum und die Dramatik des zwanzigsten Jahrhunderts anhand einer außergewöhnlichen Lebensgeschichte vor Augen führen möchten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Jetzt ist Ritterlichkeit angesagt
Allein und doch allem verbunden: Sybille Bedford blickt zurück auf ihr bewegtes Leben / Von Felicitas von Lovenberg
Sie sei "one of the nation's glories", schrieb ein hingerissener Kritiker erst im letzten Jahr. Daß eine anno 1911 in Deutschland geborene Halbengländerin, die sich am liebsten in Frankreich und Italien aufhielt, die ebenso viel von Wein wie von Literatur verstand, die mit Männern Freundschaft schloß und mit Frauen schlief, die unpopuläre, weil unbequeme politische Meinungen eloquent vertrat und als eine der wenigen unbeirrt an die Unschuld des 1957 wegen mehrfachen Mordes an Patientinnen angeklagten Arztes John Bodkin Adams glaubte und die - unter anderem - eine geradezu furchterregend anspruchsvolle Biographie Aldous Huxleys verfaßt hatte - daß eine solche Frau, die sich ihre eigenen Konventionen schuf, nicht nur in die Order of the British Empire aufgenommen wurde (das werden viele), sondern sogar noch in der "Daily Mail" als Zierde der britischen Nation gefeiert werden kann, verrät, daß sich hier jemand nicht mit herkömmlichem Maßstab messen ließ.
Nun sollte man meinen, daß ein Leben, das Stoff für mehrere Romane und drei Erinnerungsbände bietet, nicht ganz langweilig gewesen sein kann - es sei denn, jemand nimmt sich ungeheuer wichtig. Sybille Bedford hat es mit Nonchalance und Esprit vermocht, ihr Leben in den Dienst ihrer Bücher und ihre Bücher in den Dienst ihres Lebens zu stellen, ohne dabei besonderes Aufhebens von sich zu machen. Diese Eigenschaft unbekümmerter Selbstironie, die sie jenseits ihrer Sprachmacht tatsächlich als jene englische Schriftstellerin ausweist, die sie zeitlebens sein wollte, kennzeichnet ihr gesamtes Werk. Und sie macht den Erinnerungsband "Treibsand", den die Vierundneunzigjährige wenige Monate vor ihrem Tod im Februar dieses Jahres abschloß, zu einem Stück europäischer Kultur-, Mentalitäts- und Geschmacksgeschichte.
Wie fast in allen Büchern Bedfords spiegelt sich in "Treibsand" weniger ein bestimmtes Leben oder eine Persönlichkeit, gar die ihre, als vielmehr ein Lebensgefühl. Nach der ländlich verbrachten Kindheit der Tochter eines verarmten und zurückgezogen lebenden badischen Barons und einer leicht entflammbaren Engländerin ist es den äußeren Umständen nach vor allem das mal hochfliegende, mal bedrückte, aber immer reflektierte Überlebensgefühl jener unsteten Haute Culture, die sich in den Zwischenkriegsjahren in Südfrankreich, in Spanien und Italien tummelte, ein wenig auf der Flucht, ein wenig von Geldsorgen geplagt, auf der Suche nach neuen künstlerischen Formen und Formeln, dafür die meiste Zeit sehr verliebt in das wohltemperierte mediterrane Leben - und ineinander sowieso.
Der Weg dorthin war so ungewöhnlich wie vieles an Sybille Bedford, die sich als einen "ziemlich nonkonformistischen Menschen in verschiedenen Oasen des zwanzigsten Jahrhunderts" beschreibt. Unsentimental, wie sie war, und geschult durch Vorbilder und Freunde wie Martha Gellhorn, W. H. Auden, Evelyn Waugh und, vor allem, Cyril Connolly, versucht sie gar nicht erst, sich zu erklären oder ihren Erinnerungsschüben, diesem "Amalgam von Fragmenten", eine geordnete, gar chronologische Form zu geben. Als die Ehe der Eltern nach wenigen Jahren vorhersehbar zerbricht - die Mutter neigte dazu, sich alle paar Jahre heftig in jemanden anderen zu verlieben, und hatte den deutschen Baron ohnedies in erster Linie geheiratet, um über einen anderen hinwegzukommen -, bleibt sie zunächst in Deutschland, wo die Schulbildung zu wünschen läßt, der Vater ihr jedoch Wein und Malerei nahebringt.
Immer wieder würzt Sybille Bedford, die für ihr Leben gern gut aß und auch selbst eine hervorragende Köchin war, ihren Erinnerungsstrom mit kuriosen Ereignissen, Erlebnissen und Begegnungen, so daß dem Leser weniger ein Bild vor Augen steht als ein Mosaik, ganz wie die mit Fotografien, Zeichnungen, Postkarten und Fundstücken übersäte Wand ihres Schreibtisches, auf der ihr unsicherer Blick - sie litt an Photophobie, einer übermäßigen Lichtempfindlichkeit der Augen, und trug daher stets eine Sonnenbrille - bei der Arbeit an diesem Buch immer wieder geruht haben dürfte. Da ist der freundliche, stille Vater, der Kunst und Tieren zugetan war und selbst vor Billis Eselin, so sie ihm im Park über den Weg lief, höflich den Hut zog. Da ist die ungestüme, schöne, vibrierend intelligente Mutter, die vielen Männern den Kopf verdrehte und sich erst heftig, später buchstäblich unheilbar in einen viel jüngeren Italiener verliebte. Die Passagen, in denen die Tochter schildert, wie eine große Enttäuschung, gefolgt von einer jahrelangen Morphiumabhängigkeit, erst der Ehe, dann dem Leben der Mutter ein Ende setzten, gehören zu den stärksten des Buches. Da ist die mondäne Halbschwester Jacko, aus erster Ehe des Vaters, die sich als fatal begabte Tragödin erweist. Da sind, neben vielen anderen so namhaften wie gescheiten Freunden, Maria und Aldous Huxley, die Sybille Bedford offenbar ebenso vergötterten wie diese sie. Eda Lord, mit der Sybille Bedford ab Mitte der fünfziger Jahre bis zu deren Tod gut zwanzig Jahre später zusammenlebte, scheint auf, ohne Kontur zu bekommen; dafür wird ausführlich von dem jungen amerikanischen Paar Evelyn und Milton Gendel berichtet, mit dem sie sich in Rom anfreundet - bis Evelyn, nachdem Sybille sie von einer langwierigen Krankheit gesundgepflegt hat, "die drei fatalen Wörter" ausspricht und beschließt, bei ihr einzuziehen: "Eine innere Stimme sagte mir, daß jetzt Ritterlichkeit angesagt war", kommentiert die Bedford ihre Einwilligung.
Es werden reichlich Anekdoten aufgeboten, angerissen, mehr ausgespart als wirklich erzählt: wie Sybille Bedford im glutheißen Juli 1940 Thomas Manns Pudel Nico quer durch Amerika chauffiert, von Princeton nach Pacific Palisades, und dafür weder von seiten des Hundes noch seines Besitzers rechten Dank erfährt. Wie sie Terry Bedford heiratet, um ihren aufgrund jüdischer Vorfahren zur Gefahr gewordenen deutschen Paß gegen einen englischen eintauschen zu können, und die Beamten die Hochzeit fast verhindern, weil sie - durchaus zutreffend - eine "mariage blanc", eine Scheinehe unter Homosexuellen wittern. Wie sie zufällig - eine der typischen ungeplanten Reisestationen ihrer Mutter - nach Sanary-sur-Mer kommt, jenem südfranzösischen Fischerort, der nach 1933 als Etappe im Exil von Thomas Mann, Bert Brecht, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Franz Werfel und Alma Mahler einige Berühmtheit erlangen wird.
Nur manchmal wird der munter-nüchterne Tonfall unvermutet weich. Eine Begebenheit zwischen Mutter und Tochter: "Sie sprach von Nähe, Leidenschaft, wie es ist, wenn es auf der ganzen Welt nur einen Menschen gibt: ,Chagrin d'amour. Man ist dem schutzlos ausgeliefert. Irgendwann erwischt es uns alle, auch dich. Du wirst sehen.' Ja, sagte ich. Sie ging weiter, unsicher, klein . . . Zum erstenmal in meinem Leben empfand ich Liebe für sie." Die Verletzlichkeit anderer rührt sie - wenngleich sie selbst genau diese Verletzlichkeit stets zu verbergen trachtet. Doch sie ist auch nicht zimperlich, wenn es daran geht, mit anderen hart ins Gericht zu gehen: "Issa, um es mit W. H. Audens herzergreifenden Worten zu sagen, war jemand, der ,von keiner Welt / Gehört hatte, in der / man weinte, weil ein anderer weinte'."
Sybille Bedfords Schreiben zeichnen ebenjene Eigenschaften aus, die sie so sehr an den Gesprächen mit ihrer Mutter schätzte: Leidenschaft und Distanz. "Was sie mir vermittelte, sobald ich alt genug war, zu empfinden - lange bevor ich denken konnte -, war ihre Wahrnehmung des Leids und der Brutalität der conditio humana - ich muß dieses große Wort hier verwenden: Armut, Gewalt, Krankheit, Naturgewalten und Schicksalsschläge, die unabänderliche Barbarei der Menschheit gegenüber Mensch und Tier." Es sollten dies später die Themen ihres unermüdlichen Einsatzes für Gerechtigkeit sein, der sie in viele berühmte Gerichtssäle führte; unter anderem berichtete sie in den sechziger Jahren über den Frankfurter Auschwitz-Prozeß. Die Mutter, jene Überfigur Constanza aus den Romanen "Ein Liebling der Götter" und "Ein trügerischer Sommer", mit deren Neuausgaben der SchirmerGraf Verlag zur überfälligen Wiederentdeckung der Autorin beigetragen hat, bleibt die schillerndste Gestalt auch dieses von schillernden Persönlichkeiten nur so strotzenden Buches, eine Frau, in der sich das Bewußtsein eigener Schönheit, Intelligenz und Charakter mit einer absoluten Bereitschaft zum Hingerissenwerden trafen. Franzosen nennen eine solche Ausstrahlung "allure", und Sybille Bedford, die fand, "nur eine Sprache zu sprechen heißt, das Denken gleichsam in ein Gleisbett zu pressen", kam nie los davon.
Zwischen Umzügen und Fluchtreisen, die stets an anderen Orten und unter anderen Menschen als den angesteuerten enden, bildet sich ein Lebensmuster heraus: "Zeitweilige Berührungen mit den katastrophalen Ereignissen des Jahrhunderts und eine weitgehend unbeschädigte Fortsetzung meines Daseins, freier als viele andere. Ein gnädiges Schicksal." Wirklich? Auf jeden Fall eines, das ihrem Charakter entgegenkam und es ihr erlaubte, sich selbst immer wieder neu zu erfinden, an neuen Orten, in fremden Armen, mit neuen Büchern. Die Schuldgefühle einer Überlebenden, schreibt sie, hätten sie dennoch ein Leben lang begleitet.
Sie, die den größten Teil ihrer Jugend als Analphabetin zubrachte und auch später lieber auf Reiseschreibmaschinen als mit der Hand schrieb, bis ihr die Athritis auch das unmöglich machte, verehrte insbesondere den großen Stilisten Cyril Connolly, den sie selbst indes mit ihrer Begabung, anhand sinnlicher Details Orte, Charaktere und Atmosphären in wenigen Sätzen zu skizzieren, noch übertraf. Wenn man das, was ihre gestochen scharf formulierten und gedachten Prosaminiaturen auszeichnet, zum Ausdruck bringen will, drängt sich eher der Vergleich mit der nur um wenige Jahre älteren Französin Marguerite Yourcenar auf, einer anderen leidenschaftlichen Europäerin, Nomadin und rigorosen Geheimniskrämerin in privaten Dingen. Allein und doch allem verbunden: Wie Marguerite Yourcenar verbrachte auch Sybille Bedford einen großen Teil ihres Lebens im Bemühen, "diesen alleingelassenen und doch allem verbundenen Menschen zu bestimmen und ihm dann Farbe zu verleihen". Nach den beiden großartigen, autobiographisch inspirierten Büchern "A Legacy" (1956; dt. Ein Vermächtnis, 2003) und "Jigsaw" (1989) hat Sybille Bedford mit "Treibsand" ein Lebenswerk abgeschlossen, wie es sich farbiger und leuchtender kaum denken läßt.
Ein Wort noch zur deutschen Fassung. Sybille Bedfords elliptischer, impressionistischer Stil ist eine Herausforderung für jeden Übersetzer. Matthias Fienbork hat sie glänzend bestanden.
Sybille Bedford: "Treibsand". Erinnerungen einer Europäerin. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Fienbork. SchirmerGraf Verlag, München 2006. 375 S., geb., 22,80 [Euro].
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Allein und doch allem verbunden: Sybille Bedford blickt zurück auf ihr bewegtes Leben / Von Felicitas von Lovenberg
Sie sei "one of the nation's glories", schrieb ein hingerissener Kritiker erst im letzten Jahr. Daß eine anno 1911 in Deutschland geborene Halbengländerin, die sich am liebsten in Frankreich und Italien aufhielt, die ebenso viel von Wein wie von Literatur verstand, die mit Männern Freundschaft schloß und mit Frauen schlief, die unpopuläre, weil unbequeme politische Meinungen eloquent vertrat und als eine der wenigen unbeirrt an die Unschuld des 1957 wegen mehrfachen Mordes an Patientinnen angeklagten Arztes John Bodkin Adams glaubte und die - unter anderem - eine geradezu furchterregend anspruchsvolle Biographie Aldous Huxleys verfaßt hatte - daß eine solche Frau, die sich ihre eigenen Konventionen schuf, nicht nur in die Order of the British Empire aufgenommen wurde (das werden viele), sondern sogar noch in der "Daily Mail" als Zierde der britischen Nation gefeiert werden kann, verrät, daß sich hier jemand nicht mit herkömmlichem Maßstab messen ließ.
Nun sollte man meinen, daß ein Leben, das Stoff für mehrere Romane und drei Erinnerungsbände bietet, nicht ganz langweilig gewesen sein kann - es sei denn, jemand nimmt sich ungeheuer wichtig. Sybille Bedford hat es mit Nonchalance und Esprit vermocht, ihr Leben in den Dienst ihrer Bücher und ihre Bücher in den Dienst ihres Lebens zu stellen, ohne dabei besonderes Aufhebens von sich zu machen. Diese Eigenschaft unbekümmerter Selbstironie, die sie jenseits ihrer Sprachmacht tatsächlich als jene englische Schriftstellerin ausweist, die sie zeitlebens sein wollte, kennzeichnet ihr gesamtes Werk. Und sie macht den Erinnerungsband "Treibsand", den die Vierundneunzigjährige wenige Monate vor ihrem Tod im Februar dieses Jahres abschloß, zu einem Stück europäischer Kultur-, Mentalitäts- und Geschmacksgeschichte.
Wie fast in allen Büchern Bedfords spiegelt sich in "Treibsand" weniger ein bestimmtes Leben oder eine Persönlichkeit, gar die ihre, als vielmehr ein Lebensgefühl. Nach der ländlich verbrachten Kindheit der Tochter eines verarmten und zurückgezogen lebenden badischen Barons und einer leicht entflammbaren Engländerin ist es den äußeren Umständen nach vor allem das mal hochfliegende, mal bedrückte, aber immer reflektierte Überlebensgefühl jener unsteten Haute Culture, die sich in den Zwischenkriegsjahren in Südfrankreich, in Spanien und Italien tummelte, ein wenig auf der Flucht, ein wenig von Geldsorgen geplagt, auf der Suche nach neuen künstlerischen Formen und Formeln, dafür die meiste Zeit sehr verliebt in das wohltemperierte mediterrane Leben - und ineinander sowieso.
Der Weg dorthin war so ungewöhnlich wie vieles an Sybille Bedford, die sich als einen "ziemlich nonkonformistischen Menschen in verschiedenen Oasen des zwanzigsten Jahrhunderts" beschreibt. Unsentimental, wie sie war, und geschult durch Vorbilder und Freunde wie Martha Gellhorn, W. H. Auden, Evelyn Waugh und, vor allem, Cyril Connolly, versucht sie gar nicht erst, sich zu erklären oder ihren Erinnerungsschüben, diesem "Amalgam von Fragmenten", eine geordnete, gar chronologische Form zu geben. Als die Ehe der Eltern nach wenigen Jahren vorhersehbar zerbricht - die Mutter neigte dazu, sich alle paar Jahre heftig in jemanden anderen zu verlieben, und hatte den deutschen Baron ohnedies in erster Linie geheiratet, um über einen anderen hinwegzukommen -, bleibt sie zunächst in Deutschland, wo die Schulbildung zu wünschen läßt, der Vater ihr jedoch Wein und Malerei nahebringt.
Immer wieder würzt Sybille Bedford, die für ihr Leben gern gut aß und auch selbst eine hervorragende Köchin war, ihren Erinnerungsstrom mit kuriosen Ereignissen, Erlebnissen und Begegnungen, so daß dem Leser weniger ein Bild vor Augen steht als ein Mosaik, ganz wie die mit Fotografien, Zeichnungen, Postkarten und Fundstücken übersäte Wand ihres Schreibtisches, auf der ihr unsicherer Blick - sie litt an Photophobie, einer übermäßigen Lichtempfindlichkeit der Augen, und trug daher stets eine Sonnenbrille - bei der Arbeit an diesem Buch immer wieder geruht haben dürfte. Da ist der freundliche, stille Vater, der Kunst und Tieren zugetan war und selbst vor Billis Eselin, so sie ihm im Park über den Weg lief, höflich den Hut zog. Da ist die ungestüme, schöne, vibrierend intelligente Mutter, die vielen Männern den Kopf verdrehte und sich erst heftig, später buchstäblich unheilbar in einen viel jüngeren Italiener verliebte. Die Passagen, in denen die Tochter schildert, wie eine große Enttäuschung, gefolgt von einer jahrelangen Morphiumabhängigkeit, erst der Ehe, dann dem Leben der Mutter ein Ende setzten, gehören zu den stärksten des Buches. Da ist die mondäne Halbschwester Jacko, aus erster Ehe des Vaters, die sich als fatal begabte Tragödin erweist. Da sind, neben vielen anderen so namhaften wie gescheiten Freunden, Maria und Aldous Huxley, die Sybille Bedford offenbar ebenso vergötterten wie diese sie. Eda Lord, mit der Sybille Bedford ab Mitte der fünfziger Jahre bis zu deren Tod gut zwanzig Jahre später zusammenlebte, scheint auf, ohne Kontur zu bekommen; dafür wird ausführlich von dem jungen amerikanischen Paar Evelyn und Milton Gendel berichtet, mit dem sie sich in Rom anfreundet - bis Evelyn, nachdem Sybille sie von einer langwierigen Krankheit gesundgepflegt hat, "die drei fatalen Wörter" ausspricht und beschließt, bei ihr einzuziehen: "Eine innere Stimme sagte mir, daß jetzt Ritterlichkeit angesagt war", kommentiert die Bedford ihre Einwilligung.
Es werden reichlich Anekdoten aufgeboten, angerissen, mehr ausgespart als wirklich erzählt: wie Sybille Bedford im glutheißen Juli 1940 Thomas Manns Pudel Nico quer durch Amerika chauffiert, von Princeton nach Pacific Palisades, und dafür weder von seiten des Hundes noch seines Besitzers rechten Dank erfährt. Wie sie Terry Bedford heiratet, um ihren aufgrund jüdischer Vorfahren zur Gefahr gewordenen deutschen Paß gegen einen englischen eintauschen zu können, und die Beamten die Hochzeit fast verhindern, weil sie - durchaus zutreffend - eine "mariage blanc", eine Scheinehe unter Homosexuellen wittern. Wie sie zufällig - eine der typischen ungeplanten Reisestationen ihrer Mutter - nach Sanary-sur-Mer kommt, jenem südfranzösischen Fischerort, der nach 1933 als Etappe im Exil von Thomas Mann, Bert Brecht, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Franz Werfel und Alma Mahler einige Berühmtheit erlangen wird.
Nur manchmal wird der munter-nüchterne Tonfall unvermutet weich. Eine Begebenheit zwischen Mutter und Tochter: "Sie sprach von Nähe, Leidenschaft, wie es ist, wenn es auf der ganzen Welt nur einen Menschen gibt: ,Chagrin d'amour. Man ist dem schutzlos ausgeliefert. Irgendwann erwischt es uns alle, auch dich. Du wirst sehen.' Ja, sagte ich. Sie ging weiter, unsicher, klein . . . Zum erstenmal in meinem Leben empfand ich Liebe für sie." Die Verletzlichkeit anderer rührt sie - wenngleich sie selbst genau diese Verletzlichkeit stets zu verbergen trachtet. Doch sie ist auch nicht zimperlich, wenn es daran geht, mit anderen hart ins Gericht zu gehen: "Issa, um es mit W. H. Audens herzergreifenden Worten zu sagen, war jemand, der ,von keiner Welt / Gehört hatte, in der / man weinte, weil ein anderer weinte'."
Sybille Bedfords Schreiben zeichnen ebenjene Eigenschaften aus, die sie so sehr an den Gesprächen mit ihrer Mutter schätzte: Leidenschaft und Distanz. "Was sie mir vermittelte, sobald ich alt genug war, zu empfinden - lange bevor ich denken konnte -, war ihre Wahrnehmung des Leids und der Brutalität der conditio humana - ich muß dieses große Wort hier verwenden: Armut, Gewalt, Krankheit, Naturgewalten und Schicksalsschläge, die unabänderliche Barbarei der Menschheit gegenüber Mensch und Tier." Es sollten dies später die Themen ihres unermüdlichen Einsatzes für Gerechtigkeit sein, der sie in viele berühmte Gerichtssäle führte; unter anderem berichtete sie in den sechziger Jahren über den Frankfurter Auschwitz-Prozeß. Die Mutter, jene Überfigur Constanza aus den Romanen "Ein Liebling der Götter" und "Ein trügerischer Sommer", mit deren Neuausgaben der SchirmerGraf Verlag zur überfälligen Wiederentdeckung der Autorin beigetragen hat, bleibt die schillerndste Gestalt auch dieses von schillernden Persönlichkeiten nur so strotzenden Buches, eine Frau, in der sich das Bewußtsein eigener Schönheit, Intelligenz und Charakter mit einer absoluten Bereitschaft zum Hingerissenwerden trafen. Franzosen nennen eine solche Ausstrahlung "allure", und Sybille Bedford, die fand, "nur eine Sprache zu sprechen heißt, das Denken gleichsam in ein Gleisbett zu pressen", kam nie los davon.
Zwischen Umzügen und Fluchtreisen, die stets an anderen Orten und unter anderen Menschen als den angesteuerten enden, bildet sich ein Lebensmuster heraus: "Zeitweilige Berührungen mit den katastrophalen Ereignissen des Jahrhunderts und eine weitgehend unbeschädigte Fortsetzung meines Daseins, freier als viele andere. Ein gnädiges Schicksal." Wirklich? Auf jeden Fall eines, das ihrem Charakter entgegenkam und es ihr erlaubte, sich selbst immer wieder neu zu erfinden, an neuen Orten, in fremden Armen, mit neuen Büchern. Die Schuldgefühle einer Überlebenden, schreibt sie, hätten sie dennoch ein Leben lang begleitet.
Sie, die den größten Teil ihrer Jugend als Analphabetin zubrachte und auch später lieber auf Reiseschreibmaschinen als mit der Hand schrieb, bis ihr die Athritis auch das unmöglich machte, verehrte insbesondere den großen Stilisten Cyril Connolly, den sie selbst indes mit ihrer Begabung, anhand sinnlicher Details Orte, Charaktere und Atmosphären in wenigen Sätzen zu skizzieren, noch übertraf. Wenn man das, was ihre gestochen scharf formulierten und gedachten Prosaminiaturen auszeichnet, zum Ausdruck bringen will, drängt sich eher der Vergleich mit der nur um wenige Jahre älteren Französin Marguerite Yourcenar auf, einer anderen leidenschaftlichen Europäerin, Nomadin und rigorosen Geheimniskrämerin in privaten Dingen. Allein und doch allem verbunden: Wie Marguerite Yourcenar verbrachte auch Sybille Bedford einen großen Teil ihres Lebens im Bemühen, "diesen alleingelassenen und doch allem verbundenen Menschen zu bestimmen und ihm dann Farbe zu verleihen". Nach den beiden großartigen, autobiographisch inspirierten Büchern "A Legacy" (1956; dt. Ein Vermächtnis, 2003) und "Jigsaw" (1989) hat Sybille Bedford mit "Treibsand" ein Lebenswerk abgeschlossen, wie es sich farbiger und leuchtender kaum denken läßt.
Ein Wort noch zur deutschen Fassung. Sybille Bedfords elliptischer, impressionistischer Stil ist eine Herausforderung für jeden Übersetzer. Matthias Fienbork hat sie glänzend bestanden.
Sybille Bedford: "Treibsand". Erinnerungen einer Europäerin. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Fienbork. SchirmerGraf Verlag, München 2006. 375 S., geb., 22,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht weniger als den Abschluss eines "leuchtenden" Lebenswerkes sieht Felicitas von Lovenberg in Sybille Bedfords Erinnerungsband. Bemerkenswert erscheint ihr sowohl die Frau selbst, als auch ihr Eingebundensein in Zeit und Raum. Lebensgeschichte wird zur europäischen Kulturgeschichte, namentlich jener der Haute Culture der Zwischenkriegsjahre. So vielfältig bedeutsam wie Lovenberg den Band taxiert, so uneinheitlich ist seine Erscheinungsform. Die Rezensentin steht vor einem Puzzle aus Anekdoten, Persönlichkeiten und Begebenheiten. Der "munter-nüchterne" Ton, der "elliptische, impressionistische Stil" (den der Übersetzer laut Lovenberg "glänzend" handhabt) - für Lovenberg repräsentieren sie Leidenschaft und Distanz, die beiden Schreibhaltungen der Autorin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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