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Produktdetails
  • List Taschenbücher
  • Verlag: List TB.
  • Originaltitel: Fuel-Injected Dreams
  • Seitenzahl: 366
  • Abmessung: 23mm x 125mm x 187mm
  • Gewicht: 270g
  • ISBN-13: 9783548601458
  • Artikelnr.: 09805616
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.1999

Mit Bienenkorbfrisur
James Robert Baker erzählt vom Grauen der Rockmusik

Den vornehmen Titel "Treibstoff" hat Brigitte Helbling angesichts ihrer im ganzen schön vulgären und kenntnisreichen Übersetzung des Rock-Romans von James Robert Baker vermutlich nicht zu verantworten. "Fuel-Injected Dreams" (Einspritz-Träume) heißt das 1986 erschienene Original in drastischer Mehrdeutigkeit. Und darum geht es: um Autos, Sex, Drogen und Rock 'n' Roll. Die Handlung spielt im "Sodom" Los Angeles' der achtziger Jahre, wo der amerikanische Traum der Rockmusik schon längst "genauso im Arsch" ist "wie in Ashbury Park", San Francisco. Das Umschlagen der Hippie-Kultur ins barbarische Grauen des Manson-Clans ist aber nur als untergründiges Motiv des Grauenhaften wirksam. Hauptthema ist der industriell verwertete und verdinglichte Wahnsinn der Rockwarenwelt. Der Held dieses neoromantischen Schauerstücks ist Scott Cochran, der die zum Mythos gediehene Rolle des nächtigen Discjockeys in einer Radiostation äußerlich mit dem Zynismus der komplett medial durchseuchten und konsumsüchtigen Yuppies ausfüllt.

In seinem Innern aber läuft ein amerikanisches Graffito ab, das die Stadt der Engel im milden Licht der sechziger Jahre zeigt, zu den unschuldigen Zeiten der Beach Boys und der Shangri-Las ("Remember") und der Entstehung einer Pubertät, in der sich seither die Erfahrung des Begehrens untrennbar und rettungslos mit der Popmusik der Zeit verbindet. So löst zum Beispiel der frühe Beatles-Titel "The Night Before" in Cochran immer wieder sonderbare Gefühle aus. Man mag sich fragen, wie vielen tausend Fünfzigjährigen das bis heute so geht. Dieses Ineinander jedenfalls denkt der im Grunde reine Tor mit Lou Reed als "alles, was er hatte und nicht behalten konnte" ("Pale Blue Eyes"). Er weiß freilich um die Wirkungsweise der Erinnerung, die uns vergessen läßt, "wie anstrengend und banal die Leute tatsächlich waren". Und vor allem: In der Vergangenheit ruht als Verdrängtes ein schmutziges Geheimnis namenloser Schuld. Cochran ahnt das, aber er will es zunächst nicht wissen, obwohl er immer an Cheryl (und an Sex) denken muß, wenn er die Musik der Stingrays hört.

Aller hedonistische Aufwand zu einem Leben im unbedingt Gegenwärtigen aber kann das Neue nicht vom Alten trennen: Mit dem nächtlichen Anruf des legendären Dennis Contrelle, der einst die "Stingrays" mit ihrer Leadsängerin Sharlene produzierte und Cochrans Idealhymne transzendentaler Rockmusik "Tidal Waves of Flame" schrieb, beginnt diese Einsicht auf abenteuerliche Weise konkret zu werden. Die düstere Aura, die Contrelle als Paranoia, Drogensucht, Gewalt und sexuelle Perversion umgibt, hat ihren Keim schon in der Idolatrie jener verklärten Vergangenheit. Die Unfähigkeit zu vergessen, was nie wiederkehrt, erscheint in der Gegenwart zunächst nur im nervtötenden Fortleben musikalischer Mumien. Am Ende wird sich beim Zusammenbruch des Hauses Contrelle herausstellen, daß unter der glänzenden Oberfläche der Plastikwelt des Rockgeschäfts alles längst verwest ist. Im Mittelpunkt des wundersamen Geschehens, im sorgfältig gehüteten Heiligtum einer Garage, leuchtet als Ikone der Erinnerung ein 63er Corvette Sting Ray Coupé mit geteilter Heckscheibe und 357er Einspritzmotor "in einem makellosen, schimmernden phosphoreszierenden Blau, so frisch und neu wie auf dem Cover der Stingrays von vor zwanzig Jahren". Der lüsterne Blick auf den Motorblock erregt dem Helden "eine glatte, feuchte Einspritz-Phantasie, die einen wie die Erinnerung an eine vergangene Liebe mit Wehmut erfüllt". Auch Sharlene ist eine Ikone und mit ihrem kirschroten Mund, ihrer Bienenkorbfrisur und den hohen Brüsten der sechziger Jahre noch recht ansehnlich, und ihre Stimme hat auch nicht gelitten. So erträumt sich Cochran (nomen est omen, obwohl er mit dem Sänger des "Summertime Blues" nicht verwandt ist) ihr Comeback als Kontinuität und Renaissance: "Du solltest dort weitermachen, wo du angefangen hast, als die Stingrays noch die Darts waren. Mit einem elementaren, satten, vulgären R&B Sound, wie die frühen Rolling Stones. Keine modische Scheiße, keine glatte Synthesizerkacke. Einfach nur klaren, schönen Rock 'n' Roll." Zunächst aber kommt es zu einer höchst schwierigen und gefährlichen Liebesgeschichte, in der Cochran als moderner Ritter erscheint.

James Robert Baker ist es - "I Can't Get No Satisfaction" - gelungen, aus der Sexualisierung der Warenwelt und der medialen Verpestung aller menschlichen Beziehungen ein Gestaltungsprinzip zu destillieren, das beunruhigend gut funktioniert. Der Untertitel (Romance) spielt freilich auf Horace Walpoles Transformation des mittelalterlichen Romans zur "Gothic Novel" an. Die Tradition der Schauerromantik von Walpole über Ann Radcliffe und Matthew Gregory Lewis zu Edgar Allan Poe liefert ihm den äußeren Rahmen der Geschicke und Geschehnisse, in den sich die modernen Mythen der Rockmusik erstaunlich glatt einfügen. In zuweilen peinigender Detailtreue wird jede der vielfältig wechselnden Situationen nebst den zugehörigen Stimmungen und Gefühlen aus Versatzstücken der Rockmusik, der Videoclips und der Kult gewordenen Filme und Fernsehserien komponiert. Es kommt alles vor, was jenen Fünfzigjährigen einmal gut und teuer war. Es wird ihnen beim Lesen alles wieder einfallen, und vermutlich werden sie verwundert oder verärgert feststellen, welche Mengen an medialem Datenschrott sich in ihrem Gedächtnis herumtreiben. Der Autor kannte die Welt der überdrehten Dauerpubertät als Drehbuchschreiber wohl nur zu gut. Er nahm sich 1997, fünfzigjährig, in der Stadt der Engel das Leben.

Hinter lauter Auto-, Sex- und Konsummetaphern gelegentlich grauenhaftester Art ("Zweifel, wie Maden in einer herzförmigen Pralinenschachtel"), hinter alldem bald hysterischen, bald coolen, "wahnsinnigen und zwecklosen" Gequatsche und Getue ("Für einen Weißen hast du erstaunlich viel Soul") und den garantiert unechten Gefühlen ("Du bist der einzige Freund, den ich jemals hatte") hat Baker in "Fuel-Injected Dreams" eine große, tief melancholische Allegorie gezeichnet. Der Zusammenbruch der regressiven Rock-'n'-Roll-Illusion enthüllt die Geschichte der Zerstörung des Herzens. Unter alldem Schlamm und Dreck aber leuchtet am Ende von fern noch immer ein "brennendes Gefühl", so blau wie jene Blume, wie R&B, das Meer vor LA, wie Sharlenes Augen und der Lack des 63er Sting Ray. FRIEDMAR APEL

James Robert Baker: "Treibstoff". Eine Rock'n'Roll-Romanze. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Helbling.Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1998. 367 S., geb., 33,- DM.

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