An "extraordinary, ambitious" (The Times UK) novel that masterfully explores what constitutes a meaningful life in a violent world--from the award-winning author of Open City New York Times Book Review Editors' Choice - "Cole's mind is so agile that it's easy to follow him anywhere."--The New Yorker WINNER OF THE ANISFIELD-WOLF BOOK AWARD - FINALIST FOR THE NATIONAL BOOK CRITICS CIRCLE AWARD - A BEST BOOK OF THE YEAR: Time, The Washington Post, Financial Times, Vulture, Chicago Public Library, Publishers Weekly, Library Journal Life is hopeless but it is not serious. We have to have danced while we could and, later, to have danced again in the telling. A weekend spent antiquing is shadowed by the colonial atrocities that occurred on that land. A walk at dusk is interrupted by casual racism. A loving marriage is riven by mysterious tensions. And a remarkable cascade of voices speaks out from a pulsing metropolis. We're invited to experience these events and others through the eyes and ears of Tunde, a West African man working as a teacher of photography on a renowned New England campus. He is a reader, a listener, a traveler, drawn to many different kinds of stories: stories from history and epic; stories of friends, family, and strangers; stories found in books and films. Together these stories make up his days. In aggregate these days comprise a life. Tremor is a startling work of realism and invention that engages brilliantly with literature, music, race, and history as it examines the passage of time and how we mark it. It is a reckoning with human survival amidst "history's own brutality, which refuses symmetries and seldom consoles," but it is also a testament to the possibility of joy. As he did in his magnificent debut Open City, Teju Cole once again offers narration with all its senses alert, a surprising and deeply essential work from a beacon of contemporary literature.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2024Literarische Trauerarbeit
Roman oder Manifest? Auf jeden Fall Furcht und Zittern: Teju Coles "Tremor" bescheinigt der westlichen Kultur auslöschende Arroganz.
Von Jan Wiele
Das Spätwerk Alfred Döblins wurde einmal als "literarische Trauerarbeit" bezeichnet. Bei dem 1975 in Michigan geborenen Teju Cole würde der Begriff schon zum Frühwerk passen, insbesondere zu seinem neuen Roman "Tremor". Angesichts des Titels stellt man sich einen vor Wut, Trauer und Erschöpfung zitternden Körper vor - so wie den des Erzählers Tunde vielleicht, den wir einmal in einer Rückblende sehen. Er hat da auf einer Urlaubsreise beim Anfassen eines Lichtschalters einen Stromschlag erhalten, aber nicht nur dieser lässt ihn sich, am Boden liegend, weinend schütteln, sondern auch die Verzweiflung über eine gerade zerbrechende Beziehung. Tunde ist damals mit einem Mann namens Sandro zusammen. In der Gegenwart der Erzählung lebt er mit seiner japanischstämmigen Ehefrau Sadako auf dem Campus der Universität Harvard, wo er Fotografie lehrt. Aber auch mit Sadako gibt es Krisen; eine tiefe wurde bereits durch Therapie überwunden, gerade ist sie für ein paar Tage weggefahren, um allein zu sein.
Auch mit Sadako verbindet Tunde die Erinnerung an ein Beben, wenn auch an eines, das nur sie allein erlebt hat, nämlich das verheerende Erdbeben von Kobe 1995. Sie hat es überlebt, und zehn Jahre später war sie mit Tunde zusammen in Japan am Ort des Geschehens: "Er hielt sie in seinen Armen. Es macht uns Angst, wenn geliebten Menschen beinahe etwas Schreckliches widerfahren ist, selbst wenn das Ereignis in einer Zeit lag, bevor wir überhaupt von ihrer Existenz wussten."
Das könnte ein Schlüsselsatz des Romans sein. In seiner fast grenzenlosen Empathiefähigkeit scheinen Tunde, einem Künstler und Wissenschaftler, nicht nur seine Zeitgenossen zu "geliebten Menschen" zu werden, sondern auch viele historische Gestalten, besonders solche, die unter dem Kolonialismus oder anderer Gewalt gelitten haben, seien es Indigene Nordamerikas im achtzehnten Jahrhundert oder Opfer von Serienmördern im zwanzigsten. Bisweilen wirkt es gar, als müsse dieser Tunde das Leid der ganzen Welt tragen. Und reflektieren - denn seine Erzählung fällt in die Gattung des Reflexionsromans, wie sie sich von der Romantik über den Expressionismus bis zur Postmoderne fortentwickelt und auch schon in Teju Coles bisherigem Hauptwerk "Open City" (2012) gezeigt hat. Auch hier changiert der Text zwischen Tagebuch, Vorlesung und vor allem: eingehender Exegese von Bildern. Der studierte Kunstgeschichtler Cole, selbst Fotograf und Dozent für kreatives Schreiben in Harvard, spielt in der Figur seines Erzählers auch abermals seine Gelehrsamkeit aus, ob nun in der Analyse von FBI-Videos des Mörders Samuel Little oder von Gemälden Caravaggios und Turners. Er kritisiert die tatsächlichen oder mentalen Bilder, die Menschen sich von anderen Menschen machen, und stellt die Frage, was sie überhaupt dazu berechtigt.
Damit nicht genug, ruft der Gelehrte auch Leben und Werk bedeutender Musiker von John Coltrane bis zu Ali Farka Touré auf. Die musikalischen Betrachtungen sind verflochten mit Reiseerlebnissen. Im Mittelteil führt das Buch nach Mali und Nigeria (wo Teju Cole selbst Kindheit und Jugend verbracht hat), wechselt dann auch noch perspektivisch in die Erzählungen anderer Figuren und hebt zu einer Fundamentalkritik von "Reiseliteratur" an.
Was hat das alles miteinander zu tun? Wenn etwas, dann eben nur in der Trauerhaltung des Erzählers angesichts der westlichen Kultur - dieser Oberbegriff ist keine Abstraktion des Rezensenten, sondern so basal steht es wörtlich im Buch, wenn etwa von der "auslöschenden Arroganz der westlichen Kultur" die Rede ist. An Stellen wie dieser steuert der Roman in Richtung eines postkolonialistischen Manifests.
Dabei gibt sich dessen Erzähler immer wieder als ernsthaft Suchender und durch Schmerz Lernender auf dem Weg, ein "guter Mensch" zu werden - auch diese Formulierung steht mehrfach wörtlich im Text, ja, es heißt sogar, Sadako liebe Tunde eben für seinen "Wunsch, ein guter Mensch zu sein".
In der Kunst, in der Wissenschaft und im Privaten treibt Tunde die Frage um: "Wie lebt man, ohne das Leben der anderen zu kannibalisieren, ohne sie zu Maskottchen, Faszinosa, bloßen Begrifflichkeiten in der Logik einer dominanten Kultur zu reduzieren?"
Die Antwort darauf finden die Erzählungen in der besagten Empathie, die, das wird als Ideal ganz deutlich, zwischen behutsam Liebenden, aber auch zwischen dem Dozenten und seinen Studenten und Kollegen zum Ausdruck kommen soll: "Amina, die wissenschaftliche Mitarbeiterin, die im Herbst als Gasthörerin meinen Kurs besucht hatte, ist zu einer Freundin geworden. Jedes Mal, wenn ich sie auf dem Campus treffe, sagt sie zwei Dinge zu mir. Sie fragt mich, wie es meinem Herzen geht, wobei sie stets ihre Hand auf ihr Herz legt. Und sie sagt, dass sie weiß, dass ich an sie denke." Mit "sie" sind Opfer der Sklaverei gemeint.
Teju Cole hat also mit dem vorliegenden Buch auch noch einen Campusroman geschrieben - einen, der sich von den humorvollen, ironischen oder gar boshaften Exemplaren der Gattung maximal unterscheidet. "Tremor" ist ein Campusroman der aufrichtigen Herzen, der in seiner ungeschützten Emotionalität an eine untergegangene westliche Kultur erinnert: die der Hippies.
Teju Cole: "Tremor".
Roman.
Aus dem Englischen von Anna Jäger. Claassen Verlag, Berlin 2024.
288 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roman oder Manifest? Auf jeden Fall Furcht und Zittern: Teju Coles "Tremor" bescheinigt der westlichen Kultur auslöschende Arroganz.
Von Jan Wiele
Das Spätwerk Alfred Döblins wurde einmal als "literarische Trauerarbeit" bezeichnet. Bei dem 1975 in Michigan geborenen Teju Cole würde der Begriff schon zum Frühwerk passen, insbesondere zu seinem neuen Roman "Tremor". Angesichts des Titels stellt man sich einen vor Wut, Trauer und Erschöpfung zitternden Körper vor - so wie den des Erzählers Tunde vielleicht, den wir einmal in einer Rückblende sehen. Er hat da auf einer Urlaubsreise beim Anfassen eines Lichtschalters einen Stromschlag erhalten, aber nicht nur dieser lässt ihn sich, am Boden liegend, weinend schütteln, sondern auch die Verzweiflung über eine gerade zerbrechende Beziehung. Tunde ist damals mit einem Mann namens Sandro zusammen. In der Gegenwart der Erzählung lebt er mit seiner japanischstämmigen Ehefrau Sadako auf dem Campus der Universität Harvard, wo er Fotografie lehrt. Aber auch mit Sadako gibt es Krisen; eine tiefe wurde bereits durch Therapie überwunden, gerade ist sie für ein paar Tage weggefahren, um allein zu sein.
Auch mit Sadako verbindet Tunde die Erinnerung an ein Beben, wenn auch an eines, das nur sie allein erlebt hat, nämlich das verheerende Erdbeben von Kobe 1995. Sie hat es überlebt, und zehn Jahre später war sie mit Tunde zusammen in Japan am Ort des Geschehens: "Er hielt sie in seinen Armen. Es macht uns Angst, wenn geliebten Menschen beinahe etwas Schreckliches widerfahren ist, selbst wenn das Ereignis in einer Zeit lag, bevor wir überhaupt von ihrer Existenz wussten."
Das könnte ein Schlüsselsatz des Romans sein. In seiner fast grenzenlosen Empathiefähigkeit scheinen Tunde, einem Künstler und Wissenschaftler, nicht nur seine Zeitgenossen zu "geliebten Menschen" zu werden, sondern auch viele historische Gestalten, besonders solche, die unter dem Kolonialismus oder anderer Gewalt gelitten haben, seien es Indigene Nordamerikas im achtzehnten Jahrhundert oder Opfer von Serienmördern im zwanzigsten. Bisweilen wirkt es gar, als müsse dieser Tunde das Leid der ganzen Welt tragen. Und reflektieren - denn seine Erzählung fällt in die Gattung des Reflexionsromans, wie sie sich von der Romantik über den Expressionismus bis zur Postmoderne fortentwickelt und auch schon in Teju Coles bisherigem Hauptwerk "Open City" (2012) gezeigt hat. Auch hier changiert der Text zwischen Tagebuch, Vorlesung und vor allem: eingehender Exegese von Bildern. Der studierte Kunstgeschichtler Cole, selbst Fotograf und Dozent für kreatives Schreiben in Harvard, spielt in der Figur seines Erzählers auch abermals seine Gelehrsamkeit aus, ob nun in der Analyse von FBI-Videos des Mörders Samuel Little oder von Gemälden Caravaggios und Turners. Er kritisiert die tatsächlichen oder mentalen Bilder, die Menschen sich von anderen Menschen machen, und stellt die Frage, was sie überhaupt dazu berechtigt.
Damit nicht genug, ruft der Gelehrte auch Leben und Werk bedeutender Musiker von John Coltrane bis zu Ali Farka Touré auf. Die musikalischen Betrachtungen sind verflochten mit Reiseerlebnissen. Im Mittelteil führt das Buch nach Mali und Nigeria (wo Teju Cole selbst Kindheit und Jugend verbracht hat), wechselt dann auch noch perspektivisch in die Erzählungen anderer Figuren und hebt zu einer Fundamentalkritik von "Reiseliteratur" an.
Was hat das alles miteinander zu tun? Wenn etwas, dann eben nur in der Trauerhaltung des Erzählers angesichts der westlichen Kultur - dieser Oberbegriff ist keine Abstraktion des Rezensenten, sondern so basal steht es wörtlich im Buch, wenn etwa von der "auslöschenden Arroganz der westlichen Kultur" die Rede ist. An Stellen wie dieser steuert der Roman in Richtung eines postkolonialistischen Manifests.
Dabei gibt sich dessen Erzähler immer wieder als ernsthaft Suchender und durch Schmerz Lernender auf dem Weg, ein "guter Mensch" zu werden - auch diese Formulierung steht mehrfach wörtlich im Text, ja, es heißt sogar, Sadako liebe Tunde eben für seinen "Wunsch, ein guter Mensch zu sein".
In der Kunst, in der Wissenschaft und im Privaten treibt Tunde die Frage um: "Wie lebt man, ohne das Leben der anderen zu kannibalisieren, ohne sie zu Maskottchen, Faszinosa, bloßen Begrifflichkeiten in der Logik einer dominanten Kultur zu reduzieren?"
Die Antwort darauf finden die Erzählungen in der besagten Empathie, die, das wird als Ideal ganz deutlich, zwischen behutsam Liebenden, aber auch zwischen dem Dozenten und seinen Studenten und Kollegen zum Ausdruck kommen soll: "Amina, die wissenschaftliche Mitarbeiterin, die im Herbst als Gasthörerin meinen Kurs besucht hatte, ist zu einer Freundin geworden. Jedes Mal, wenn ich sie auf dem Campus treffe, sagt sie zwei Dinge zu mir. Sie fragt mich, wie es meinem Herzen geht, wobei sie stets ihre Hand auf ihr Herz legt. Und sie sagt, dass sie weiß, dass ich an sie denke." Mit "sie" sind Opfer der Sklaverei gemeint.
Teju Cole hat also mit dem vorliegenden Buch auch noch einen Campusroman geschrieben - einen, der sich von den humorvollen, ironischen oder gar boshaften Exemplaren der Gattung maximal unterscheidet. "Tremor" ist ein Campusroman der aufrichtigen Herzen, der in seiner ungeschützten Emotionalität an eine untergegangene westliche Kultur erinnert: die der Hippies.
Teju Cole: "Tremor".
Roman.
Aus dem Englischen von Anna Jäger. Claassen Verlag, Berlin 2024.
288 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main