Produktdetails
- Verlag: Harper Collins Publ. UK
- Erscheinungstermin: August 2019
- Englisch
- Abmessung: 207mm x 135mm x 27mm
- Gewicht: 328g
- ISBN-13: 9780008294939
- ISBN-10: 0008294933
- Artikelnr.: 57217577
- Herstellerkennzeichnung
- Harper Collins Publ. UK
- 1 London Bridge Street
- SE1 9GF London, GB
- 0044 20 8307 4456
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2021Wenn die Arbeit am Körper zum Kunstprojekt wird
Die Erscheinung muss veredelt werden: Jia Tolentino erörtert in pointierten Essays, wie sich Millennials online und analog in Szene setzen.
Von Melanie Mühl
Ihren Instagram-Account staffiert die Autorin Jia Tolentino am liebsten mit vermeintlich intimen Einblicken in ihr Familienleben aus, wofür sie zuverlässig Tausende von Herzchen einheimst. Mal lichtet sie ihre wenige Monate alte Tochter in einem kuscheligen Teddy-Anzug ab, mal zeigt sie, wie der Vater den Familienzuwachs küsst. Selbstverständlich bekommt auch der Hund einen Platz im Selbstvermarktungskosmos der von der "Washington Post" als "Susan Sontag der Millennials" gefeierten Autorin, deren Essayband "Trick Mirror. Über das inszenierte Ich" es sofort nach Erscheinen auf die "New York Times"-Bestsellerliste schaffte. Was nach Schnappschüssen aussieht und Authentizität suggerieren soll, ist bis ins Detail kuratiert. Performance auf höchstem Niveau. Nur: Wie passt diese mediale Inszenierung, die bares Geld bringt, zu Jia Tolentinos nun auch hierzulande erschienenem Buch, in dem sie dem Internet geradezu monsterhafte Züge bescheinigt? Es handle sich um eine Erfindung, die in die Gehirne seiner Nutzer eindringt, sie neu verdrahtet und "in einen Zustand primitiver Überwahrnehmung und Ablenkung zurückversetzt". Ein toxisches Instrument, das die schlechtesten Seiten und Optimierungsbestrebungen in uns hervorbringt. "Nun bin ich dreißig, und ein Großteil meines Lebens lässt sich nicht mehr trennen vom Internet und seinem Wirrwarr unablässigen erzwungenen Verbundenseins - dieser fieberhaften elektronischen, unerträglichen Hölle."
Jia Tolentino, Jahrgang 1988, "verhökert" ihre Persönlichkeit trotzdem weiter im Netz, denn sie weiß, wie man aus diesem vermeintlichen Widerspruch Kapital schlägt: indem man ihn selbst und die eigene Verwirrung zum Thema macht. Die (Selbst-)Täuschung, der Trickspiegel, dessen zurückgeworfenes Bild stets etwas Schimärenhaftes hat, zieht sich leitmotivisch durch die Essaysammlung, in der es gleich zu Beginn leicht vernebelnd heißt: "Das Schreiben bringt mich entweder dazu, meine Selbsttäuschungen abzuschütteln oder sie weiterzuentwickeln."
Dass Jia Tolentino, Tochter streng religiöser philippinischer Einwanderer, mit sechzehn Jahren, einem Alter also, in dem andere mit Selbstzweifeln zu kämpfen haben, für eine Reality-TV-Show namens "Girls v. Boys" in Puerto Rico vor der Kamera stand - das Kapitel dazu heißt "Mein Reality-TV-Ich" -, scheint der logische Startschuss einer Karriere im Scheinwerferlicht sozialer Medien zu sein. "Der Anpassungsprozess meines äußeren Ichs verlief so instinktiv, so automatisch, dass ich ihn nicht mehr bewusst wahrnehmen konnte. Das Reality-Fernsehen machte mich frei von der Selbstwahrnehmung und band mich zugleich an sie, indem es die Selbstwahrnehmung untrennbar mit allem anderen vereinte", schreibt Tolentino, die inzwischen feste Autorin beim "New Yorker" ist. Diese Erfahrung bezeichnet sie als eine nützliche, wenn auch fragwürdige Vorbereitung auf ein Leben in den Fängen des Internets.
Ihre Essays über diese Fänge tragen Titel wie "Die Geschichte einer Generation in sieben Betrugsmaschen", "Pure Heldinnen", "Der Kult um die schwierige Frau" und "Ekstase", ein Text, in dem Tolentino aus ihrer Jugend in einer Megakirche im texanischen Houston erzählt und zu dem Schluss kommt, dass Religion und Ecstasy zwei Wege sind, die in die übermenschliche Welt des Rausches und der Vergebung führen. Die Kirche erschien ihr dabei nie viel tugendhafter als Drogen, und Drogen wiederum erschienen ihr nie viel sündhafter als die Kirche.
Der Arbeit am Selbst, die Frauen dazu treibt, sich in Fitnessstudios und beim ästhetischen Dermatologen oder plastischen Chirurgen zu optimieren, um den eigenen Marktwert in die Höhe zu treiben, unterwirft sich auch Tolentino. Gleichzeitig kritisiert sie den Instandhaltungswahnsinn, der viel Zeit und Geld verschlingt, jedoch niemals nach harter Arbeit aussehen darf - und distanziert sich intellektuell von ihm. Im Kapitel "Optimierung ohne Ende" konterkariert Tolentino ihre klugen Überlegungen durch die Diktion, schildert sie doch eine skurrile Yoga-Stunde, bei der ihrer Nachbarin ein "Muschifurz" nach dem nächsten entfährt.
Erst belustigt, dann angeekelt von derart wenig Selbstkontrolle schließt Tolentino fürs Erste das Kapitel Yoga und probiert Barre, ein vom Ballett inspiriertes Ganzkörper-Workout. "Barre ist ergebnisorientiert und auf gutes Aussehen fixiert - es ist so kultig wie CrossFit oder Bootcamp-Kurse, aber das wichtigste Ziel ist Schönheit, nicht Stärke." Ein über dieses schweißtreibende Workout im "Observer" erschienener Artikel trug die Überschrift: "Battle of the Butts". Barres Nähe zum Ballett nährt bei den Körperveredlerinnen die Illusion, dass ihrem Streben nach dem perfekten Body ein ernsthaftes, künstlerisches Ziel zugrunde liegt - womit wir laut Tolentino wieder bei der Selbsttäuschung wären und bereit, vierzig Dollar pro Trainingsstunde zu investieren.
Es ist erstaunlich, wie raffiniert Tolentino stets gerade genug von sich preisgibt, um die Leser auf ihre Seite zu ziehen, ohne dabei die Hosen runterzulassen. Kein Satz in diesem Buch muss ihr in fünf Jahren peinlich sein. Ihre kritische Selbstbefragung driftet nur einmal, nämlich in dem Kapitel "Ja, ich will (dich fürchten)" über die Hochzeits-Industrie in Rechtfertigung ab. Tolentino, seit langer Zeit mit ihrem Freund zusammen, war in den vergangenen neun Jahren auf sage und schreibe 46 Hochzeiten eingeladen. Sie selbst will nicht heiraten, bemerkt aber, dass sie Freunde und Bekannte immer häufiger nach dem Warum fragen. Antworten finden sie reichlich. "Ich frage mich, ob Frauen heute so bereitwillig die ungleiche Einschränkung ihrer Unabhängigkeit in Kauf nehmen würden, wenn ihr Ego nicht zuerst über die Maßen aufgeblasen würde." Als würde jede Frau bei der Hochzeit ihre Identität ablegen und in die Rolle der ambitionslosen Ehefrau schlüpfen. Ganz unrecht hat sie trotzdem nicht.
Jia Tolentinos Essays sind scharfsinnig, pointiert, mitunter amüsant, und manchmal schwirrt einem so sehr der Kopf, als hätte man eine Pille eingeworfen. Sie zerlegt das von (Selbst-)Betrug geprägte Social-Media-Zeitalter in all seine hässlichen Einzelheiten. Ihr Buch ähnelt ihrem Instagram-Account: Hier wie dort bewegt sie sich auf der sicheren Seite. Sie ist eine Trickschreiberin, die einen kunstvoll verführt - und man lässt es gern mit sich geschehen.
Jia Tolentino: "Trick Mirror".
Über das inszenierte Ich.
Aus dem Englischen von Margarita Ruppel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 368 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Erscheinung muss veredelt werden: Jia Tolentino erörtert in pointierten Essays, wie sich Millennials online und analog in Szene setzen.
Von Melanie Mühl
Ihren Instagram-Account staffiert die Autorin Jia Tolentino am liebsten mit vermeintlich intimen Einblicken in ihr Familienleben aus, wofür sie zuverlässig Tausende von Herzchen einheimst. Mal lichtet sie ihre wenige Monate alte Tochter in einem kuscheligen Teddy-Anzug ab, mal zeigt sie, wie der Vater den Familienzuwachs küsst. Selbstverständlich bekommt auch der Hund einen Platz im Selbstvermarktungskosmos der von der "Washington Post" als "Susan Sontag der Millennials" gefeierten Autorin, deren Essayband "Trick Mirror. Über das inszenierte Ich" es sofort nach Erscheinen auf die "New York Times"-Bestsellerliste schaffte. Was nach Schnappschüssen aussieht und Authentizität suggerieren soll, ist bis ins Detail kuratiert. Performance auf höchstem Niveau. Nur: Wie passt diese mediale Inszenierung, die bares Geld bringt, zu Jia Tolentinos nun auch hierzulande erschienenem Buch, in dem sie dem Internet geradezu monsterhafte Züge bescheinigt? Es handle sich um eine Erfindung, die in die Gehirne seiner Nutzer eindringt, sie neu verdrahtet und "in einen Zustand primitiver Überwahrnehmung und Ablenkung zurückversetzt". Ein toxisches Instrument, das die schlechtesten Seiten und Optimierungsbestrebungen in uns hervorbringt. "Nun bin ich dreißig, und ein Großteil meines Lebens lässt sich nicht mehr trennen vom Internet und seinem Wirrwarr unablässigen erzwungenen Verbundenseins - dieser fieberhaften elektronischen, unerträglichen Hölle."
Jia Tolentino, Jahrgang 1988, "verhökert" ihre Persönlichkeit trotzdem weiter im Netz, denn sie weiß, wie man aus diesem vermeintlichen Widerspruch Kapital schlägt: indem man ihn selbst und die eigene Verwirrung zum Thema macht. Die (Selbst-)Täuschung, der Trickspiegel, dessen zurückgeworfenes Bild stets etwas Schimärenhaftes hat, zieht sich leitmotivisch durch die Essaysammlung, in der es gleich zu Beginn leicht vernebelnd heißt: "Das Schreiben bringt mich entweder dazu, meine Selbsttäuschungen abzuschütteln oder sie weiterzuentwickeln."
Dass Jia Tolentino, Tochter streng religiöser philippinischer Einwanderer, mit sechzehn Jahren, einem Alter also, in dem andere mit Selbstzweifeln zu kämpfen haben, für eine Reality-TV-Show namens "Girls v. Boys" in Puerto Rico vor der Kamera stand - das Kapitel dazu heißt "Mein Reality-TV-Ich" -, scheint der logische Startschuss einer Karriere im Scheinwerferlicht sozialer Medien zu sein. "Der Anpassungsprozess meines äußeren Ichs verlief so instinktiv, so automatisch, dass ich ihn nicht mehr bewusst wahrnehmen konnte. Das Reality-Fernsehen machte mich frei von der Selbstwahrnehmung und band mich zugleich an sie, indem es die Selbstwahrnehmung untrennbar mit allem anderen vereinte", schreibt Tolentino, die inzwischen feste Autorin beim "New Yorker" ist. Diese Erfahrung bezeichnet sie als eine nützliche, wenn auch fragwürdige Vorbereitung auf ein Leben in den Fängen des Internets.
Ihre Essays über diese Fänge tragen Titel wie "Die Geschichte einer Generation in sieben Betrugsmaschen", "Pure Heldinnen", "Der Kult um die schwierige Frau" und "Ekstase", ein Text, in dem Tolentino aus ihrer Jugend in einer Megakirche im texanischen Houston erzählt und zu dem Schluss kommt, dass Religion und Ecstasy zwei Wege sind, die in die übermenschliche Welt des Rausches und der Vergebung führen. Die Kirche erschien ihr dabei nie viel tugendhafter als Drogen, und Drogen wiederum erschienen ihr nie viel sündhafter als die Kirche.
Der Arbeit am Selbst, die Frauen dazu treibt, sich in Fitnessstudios und beim ästhetischen Dermatologen oder plastischen Chirurgen zu optimieren, um den eigenen Marktwert in die Höhe zu treiben, unterwirft sich auch Tolentino. Gleichzeitig kritisiert sie den Instandhaltungswahnsinn, der viel Zeit und Geld verschlingt, jedoch niemals nach harter Arbeit aussehen darf - und distanziert sich intellektuell von ihm. Im Kapitel "Optimierung ohne Ende" konterkariert Tolentino ihre klugen Überlegungen durch die Diktion, schildert sie doch eine skurrile Yoga-Stunde, bei der ihrer Nachbarin ein "Muschifurz" nach dem nächsten entfährt.
Erst belustigt, dann angeekelt von derart wenig Selbstkontrolle schließt Tolentino fürs Erste das Kapitel Yoga und probiert Barre, ein vom Ballett inspiriertes Ganzkörper-Workout. "Barre ist ergebnisorientiert und auf gutes Aussehen fixiert - es ist so kultig wie CrossFit oder Bootcamp-Kurse, aber das wichtigste Ziel ist Schönheit, nicht Stärke." Ein über dieses schweißtreibende Workout im "Observer" erschienener Artikel trug die Überschrift: "Battle of the Butts". Barres Nähe zum Ballett nährt bei den Körperveredlerinnen die Illusion, dass ihrem Streben nach dem perfekten Body ein ernsthaftes, künstlerisches Ziel zugrunde liegt - womit wir laut Tolentino wieder bei der Selbsttäuschung wären und bereit, vierzig Dollar pro Trainingsstunde zu investieren.
Es ist erstaunlich, wie raffiniert Tolentino stets gerade genug von sich preisgibt, um die Leser auf ihre Seite zu ziehen, ohne dabei die Hosen runterzulassen. Kein Satz in diesem Buch muss ihr in fünf Jahren peinlich sein. Ihre kritische Selbstbefragung driftet nur einmal, nämlich in dem Kapitel "Ja, ich will (dich fürchten)" über die Hochzeits-Industrie in Rechtfertigung ab. Tolentino, seit langer Zeit mit ihrem Freund zusammen, war in den vergangenen neun Jahren auf sage und schreibe 46 Hochzeiten eingeladen. Sie selbst will nicht heiraten, bemerkt aber, dass sie Freunde und Bekannte immer häufiger nach dem Warum fragen. Antworten finden sie reichlich. "Ich frage mich, ob Frauen heute so bereitwillig die ungleiche Einschränkung ihrer Unabhängigkeit in Kauf nehmen würden, wenn ihr Ego nicht zuerst über die Maßen aufgeblasen würde." Als würde jede Frau bei der Hochzeit ihre Identität ablegen und in die Rolle der ambitionslosen Ehefrau schlüpfen. Ganz unrecht hat sie trotzdem nicht.
Jia Tolentinos Essays sind scharfsinnig, pointiert, mitunter amüsant, und manchmal schwirrt einem so sehr der Kopf, als hätte man eine Pille eingeworfen. Sie zerlegt das von (Selbst-)Betrug geprägte Social-Media-Zeitalter in all seine hässlichen Einzelheiten. Ihr Buch ähnelt ihrem Instagram-Account: Hier wie dort bewegt sie sich auf der sicheren Seite. Sie ist eine Trickschreiberin, die einen kunstvoll verführt - und man lässt es gern mit sich geschehen.
Jia Tolentino: "Trick Mirror".
Über das inszenierte Ich.
Aus dem Englischen von Margarita Ruppel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 368 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main