Albert Memmi, Frankreichs großer Soziologe, versucht hier erstmals, die Abhängigkeit, die »Sucht« nicht unter dem Aspekt von individueller Verfehlung oder Unzulänglichkeit, »Krankheit« oder »Bedrohung der Allgemeinheit« zu definieren, sondern er geht den vielfältigen Beziehungen nach, die zwischen dem Abhängigen und dem Objekt seiner Begierde herrschen: zwischen Ehepaaren, Eltern und Kindern, Mensch und Tier, Trinker und Alkohol, Patient und Arzt etc. Dabei kommt er zu überraschenden Einsichten in die gesellschaftlichen und historischen Bedingungen von Sucht und Abhängigkeit und zeigt, daß es sich dabei nicht um einseitige Beziehungen handelt, sondern um Wechselbeziehungen, ein Beziehungsgeflecht, das von beiden Seiten befördert und eingefordert wird. Abhängigkeit ist, so Memmi, geradezu ein Wesens- und Charakterzug menschlicher Seinsweise und Existenz, ist Grundlage und Folge gesellschaftlicher, kultureller und politischer Werte und Zustände.