"Das ist doch jetzt alles nicht wahr!" Was das Schicksal ihm da untergejubelt hat, ist selbst für den lässigsten Wolf eine Zumutung: Weil es ihm versehentlich das Leben gerettet hat, hat er plötzlich ein... Kaninchen am Hals. Kaninchen! Die verputzt man und gut! Wäre da nicht der Wolfskodex, der ihn verpflichet, nun seinerseits für das Wohlergehen des kleinen Nagers zu sorgen. Von Zumutungen kann das Kaninchen ein Lied singen, schließlich schleppt es einen lästigen Tropf und einen meterlangen Medikamentenplan durchs Leben. Diese Infusionen, die ständige Übelkeit. Und jetzt auch noch ein Wolf! Wölfe! Die verputzen einen und aus! Aber dieser Wolf ist so... anders. Und, das muss man ihm lassen, er weiß, wo's langeht.Josephine Mark schickt ihre ungewöhnliche Schicksalsgemeinschaft auf einen rasanten Roadtrip mit allem, was dazu gehört: schießwütige Jäger, billige Motels, Bären, gefrierende Infusionsbeutel. Und die große Frage, ob es wirklich nur der Wolfskodex ist, der sie aneinanderbindet.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Siggi Seuss ist bei der Lektüre von Josephine Marks Comic über die abenteuerliche Reise zweier ungleicher Tiere "zum Heulen froh zumute". Es ist vor allem die zarte Freundschaft, die sich zwischen dem krebskranken Kaninchen und dem verletzten Wolf entwickelt, welche Seuss rührt. Marks Zeichnungen sind voller Humor und einer liebevollen Aufmerksamkeit für Details, ihre Darstellungen der beiden Hauptcharaktere karikaturhaft reduziert, lesen wir. Und doch entwickeln Kaninchen und Wolf durch die Texte eine Tiefe und Ambivalenz, die sie ungemein lebensnah erscheinen lässt. Eine in beiden Sinnen des Wortes fabelhafte Geschichte über Krankheit und Freundschaft, so der begeisterte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2022Zum Heulen
froh
Ein Comic zur Frage: Wie komisch kann Chemo sein?
Wie viele Tiere mit menschlichen, allzumenschlichen Eigenschaften sind einem im Lauf eines Kritikerlebens über den Weg gelaufen? Mäuse. Enten. Katzen. Hunde. Bären. Füchse. Zicklein im Uhrkasten. Häschen in der Grube. Ohne Zahl. Viele von ihnen sind in eindeutiger Mission unterwegs: Sie wollen Botschaften über Freundschaft, Courage oder die Unvollkommenheit der Menschen ins Gemüt der Leser und Leserinnen pflanzen. Von den antiken Geschöpfen Äsops über die Märchenfiguren der Romantik: Die tierischen Helden des 20. Jahrhunderts sind bereits Ururgroßenkel ihrer Sippe: Pu der Bär, der Kröterich und seine Gesellschaft unter den Weiden, Donald Duck und seine Neffen.
Aber das, was im neuen Comicroman der Leipziger Autorin, Grafikerin und Illustratorin Josephine Mark zu sehen ist, hat es wohl noch nicht gegeben: eine Notfallambulanz für Tiere, mitten im Wald. Aus der Waldpraxis machen sich in „Trip mit Tropf“ zwei höchst verschiedene Geschöpfe gemeinsam auf den Weg durchs Dickicht: ein Hase und ein Wolf, eigentlich Fressfeinde. Dass sie sich zusammentun, erscheint auf den ersten Blick unmöglich, auf den zweiten jedoch verständlich, und, vor allem: tröstlich.
Der schussverletzte Wolf versorgt sich gerade selbst, nachdem eine sehschwache Maulwürfin mit der Kanüle an seiner Rollvene gescheitert ist. Er würde zwar das Kaninchen in der Nachbarkabine gern verspeisen, aber es riecht so streng nach Arzneimitteln. Zudem prallt bei einer überraschenden Jägerattacke die Kugel, die dem Wolf galt, am Infusionsständer des Nagers ab. Somit tritt der jahrhundertealte Wolfskodex in Kraft: „Wenn dir jemand das Leben rettet, musst auch du ihm das Leben retten.“ Da hat sich der Wolf auf etwas eingelassen! Kaninchens Chemotherapie dauert fünf Monate. Im Comic sind das immerhin 180 Seiten, die Wolf und Kaninchen samt Infusionsständer gemeinsam unterwegs sind in einer wunderschönen Rocky-Mountains-Landschaft. Zu Fuß, im geklauten Truck oder im Bike mit Beiwagen – ein Roadtrip mit Volten, den wütenden Jäger und seinen Hund im Schlepptau.
In diesen Monaten entwickelt sich holprig und durch viele Fettnäpfchen hindurch ein inniges, ja zärtliches Verhältnis zwischen den beiden Einzelgängern. Es wird einem dabei zum Heulen froh zumute. Josephine Marks Bildergeschichte ist eine Parabel über die Freundschaft zweier Geschöpfe, deren Naturell unterschiedlicher nicht sein könnte: ein schwer krankes, verängstigtes Kaninchen, fernab einer schützenden Kolonie. Ein forscher Wolf, der zu wissen glaubt, wo es langgeht. Hinter seiner rauen Schale verbirgt sich eine fürsorgliche Seele. Und unter seiner Seelenhaut stecken sicher einige Gründe dafür, sich als „lone wolf“ durchs Leben zu schlagen und nicht dem Ruf des Rudels zu folgen.
Dass es einen so unvermittelt in die Handlung zieht, hat auch mit der Bildsprache zu tun. Man wandert durch die Geschichte, als würde man auf einem Waldspaziergang plötzlich von einer Parallelwelt gefangen. Deren Geschöpfe reden ironisch, ernst, mitfühlend, grob, kein Wort zu viel. Sie leben in einer vertrauten, schlichten Landschaft, die schon Tick, Trick und Track vom Fähnlein Fieselschweif durchwandert haben könnten. Sie sehen aus wie Karikaturen, liebevoll mit wenigen Strichen auf den Charakter gebracht. Doch sie sind weit mehr als das: Sie sind Leidtragende, Trostspender, Hoffnungsträger. Sie sind Lebewesen mit Schwächen, Tugenden und Witz und mit einem unerschütterlichen, wenn auch vielleicht tief verborgenen Freiheitsdrang, der sie „Born to be wild“ anstimmen lässt, selbst wenn Kaninchen im Fahrtwind das letzte Kopfhaar davonfliegt.
Obwohl das Wort „Krebs“ nirgends auftaucht, wird schnell klar, dass Josephine Mark hier ihre eigene Chemotherapie-Erfahrung verarbeitet. Mit zeichnerischem Witz und mit einer Liebe zu nur scheinbar nebensächlichen Details der Krankengeschichte, wie dem üblen Körpergeruch, den die Medikamente verursachen. Die Autorin entrückt Schmerz, Zweifel und eine wunderbare Lust am Leben in die Welt des Comics. Und bleibt doch dem richtigen Leben ganz nahe.
SIGGI SEUSS
Josephine Mark: Trip mit Tropf. Kibitz Verlag, Hamburg 2022. 192 Seiten, 20 Euro. Ab 12 Jahren.
Das kranke Kaninchen und
der forsche Wolf werden auf
ihrem Roadtrip Freunde
Unerwartet, aber tröstlich und rührend:
Auch im ängstlichen Kaninchen schlummert
ein Freiheitsdrang. Der Wolf
weiß ihn zu wecken. Foto: Kibitz Verlag
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froh
Ein Comic zur Frage: Wie komisch kann Chemo sein?
Wie viele Tiere mit menschlichen, allzumenschlichen Eigenschaften sind einem im Lauf eines Kritikerlebens über den Weg gelaufen? Mäuse. Enten. Katzen. Hunde. Bären. Füchse. Zicklein im Uhrkasten. Häschen in der Grube. Ohne Zahl. Viele von ihnen sind in eindeutiger Mission unterwegs: Sie wollen Botschaften über Freundschaft, Courage oder die Unvollkommenheit der Menschen ins Gemüt der Leser und Leserinnen pflanzen. Von den antiken Geschöpfen Äsops über die Märchenfiguren der Romantik: Die tierischen Helden des 20. Jahrhunderts sind bereits Ururgroßenkel ihrer Sippe: Pu der Bär, der Kröterich und seine Gesellschaft unter den Weiden, Donald Duck und seine Neffen.
Aber das, was im neuen Comicroman der Leipziger Autorin, Grafikerin und Illustratorin Josephine Mark zu sehen ist, hat es wohl noch nicht gegeben: eine Notfallambulanz für Tiere, mitten im Wald. Aus der Waldpraxis machen sich in „Trip mit Tropf“ zwei höchst verschiedene Geschöpfe gemeinsam auf den Weg durchs Dickicht: ein Hase und ein Wolf, eigentlich Fressfeinde. Dass sie sich zusammentun, erscheint auf den ersten Blick unmöglich, auf den zweiten jedoch verständlich, und, vor allem: tröstlich.
Der schussverletzte Wolf versorgt sich gerade selbst, nachdem eine sehschwache Maulwürfin mit der Kanüle an seiner Rollvene gescheitert ist. Er würde zwar das Kaninchen in der Nachbarkabine gern verspeisen, aber es riecht so streng nach Arzneimitteln. Zudem prallt bei einer überraschenden Jägerattacke die Kugel, die dem Wolf galt, am Infusionsständer des Nagers ab. Somit tritt der jahrhundertealte Wolfskodex in Kraft: „Wenn dir jemand das Leben rettet, musst auch du ihm das Leben retten.“ Da hat sich der Wolf auf etwas eingelassen! Kaninchens Chemotherapie dauert fünf Monate. Im Comic sind das immerhin 180 Seiten, die Wolf und Kaninchen samt Infusionsständer gemeinsam unterwegs sind in einer wunderschönen Rocky-Mountains-Landschaft. Zu Fuß, im geklauten Truck oder im Bike mit Beiwagen – ein Roadtrip mit Volten, den wütenden Jäger und seinen Hund im Schlepptau.
In diesen Monaten entwickelt sich holprig und durch viele Fettnäpfchen hindurch ein inniges, ja zärtliches Verhältnis zwischen den beiden Einzelgängern. Es wird einem dabei zum Heulen froh zumute. Josephine Marks Bildergeschichte ist eine Parabel über die Freundschaft zweier Geschöpfe, deren Naturell unterschiedlicher nicht sein könnte: ein schwer krankes, verängstigtes Kaninchen, fernab einer schützenden Kolonie. Ein forscher Wolf, der zu wissen glaubt, wo es langgeht. Hinter seiner rauen Schale verbirgt sich eine fürsorgliche Seele. Und unter seiner Seelenhaut stecken sicher einige Gründe dafür, sich als „lone wolf“ durchs Leben zu schlagen und nicht dem Ruf des Rudels zu folgen.
Dass es einen so unvermittelt in die Handlung zieht, hat auch mit der Bildsprache zu tun. Man wandert durch die Geschichte, als würde man auf einem Waldspaziergang plötzlich von einer Parallelwelt gefangen. Deren Geschöpfe reden ironisch, ernst, mitfühlend, grob, kein Wort zu viel. Sie leben in einer vertrauten, schlichten Landschaft, die schon Tick, Trick und Track vom Fähnlein Fieselschweif durchwandert haben könnten. Sie sehen aus wie Karikaturen, liebevoll mit wenigen Strichen auf den Charakter gebracht. Doch sie sind weit mehr als das: Sie sind Leidtragende, Trostspender, Hoffnungsträger. Sie sind Lebewesen mit Schwächen, Tugenden und Witz und mit einem unerschütterlichen, wenn auch vielleicht tief verborgenen Freiheitsdrang, der sie „Born to be wild“ anstimmen lässt, selbst wenn Kaninchen im Fahrtwind das letzte Kopfhaar davonfliegt.
Obwohl das Wort „Krebs“ nirgends auftaucht, wird schnell klar, dass Josephine Mark hier ihre eigene Chemotherapie-Erfahrung verarbeitet. Mit zeichnerischem Witz und mit einer Liebe zu nur scheinbar nebensächlichen Details der Krankengeschichte, wie dem üblen Körpergeruch, den die Medikamente verursachen. Die Autorin entrückt Schmerz, Zweifel und eine wunderbare Lust am Leben in die Welt des Comics. Und bleibt doch dem richtigen Leben ganz nahe.
SIGGI SEUSS
Josephine Mark: Trip mit Tropf. Kibitz Verlag, Hamburg 2022. 192 Seiten, 20 Euro. Ab 12 Jahren.
Das kranke Kaninchen und
der forsche Wolf werden auf
ihrem Roadtrip Freunde
Unerwartet, aber tröstlich und rührend:
Auch im ängstlichen Kaninchen schlummert
ein Freiheitsdrang. Der Wolf
weiß ihn zu wecken. Foto: Kibitz Verlag
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