Eine aufrichtige, peinigende und gleichzeitig brüllend komische Auseinandersetzung mit der eigenen existenzbedrohenden Alkoholsucht - wer wäre besser in der Lage, so ein Erinnerungsbuch zu schreiben, als Augusten Burroughs? Manhattan in den 90er Jahren: Augusten hat seine Albtraumkindheit hinter sich gelassen und ist ein sehr erfolgreicher Werbetexter geworden. Sein Privatleben allerdings - Überraschung! - ist ein Desaster. Das superschicke Apartment starrt vor Leergut. Wenn andere nach drei, vier Cocktails nach Hause gehen, fängt für Augusten der Spaß erst richtig an. Und zur Arbeit am nächsten Tag schafft er es auch irgendwie - zur Not mit Aftershave als Mundwasser.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wer noch halbwegs zurechnungsfähig und körperlich funktionstüchtig ist, befindet Stephan Maus, kann auf Augusten Burroughs Alkoholikergeständnisse getrost verzichten. Die Gründe: schal wie ein abgestandenes Bier. Nicht witzig. Pseudooriginell. Stoff für Oprah, falls sie sich mal für Anonyme Alkoholiker interessiert. Beziehungsweise: Wäre er mal anonym geblieben, der gute Burroughs, und hätte der Welt seine "sülzenden Protokolle", sein "doof verschwatztes New Yorker Parlando" und sein "Psychovokabular" erspart. Es geht um den Alkoholiker und seine schwere Kindheit, den Alkoholiker und die Neurosen der großen Stadt, den Alkoholiker und seine Beziehungen, lesen wir. Burroughs ist Werbetexter, und so hört sich das auch an, meint Maus: "In seinem Briefing standen die Leitideen Identifikationsmöglichkeit, humorvolle Intermezzi und tränentreibende Rührseligkeit." Das ist sentimentale Ratgeberliteratur für Hirnlose, findet der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2005Beim nächsten Glas wird alles besser
Leider kein wirklich anonymer Alkoholiker: Augusten Burroughs in „Trocken!”
Hi, ich bin Stephan. Ich bin Kritiker. Mein Vater hat mich immer so böse von der Seite angeguckt. Sein Blick hat mir richtig im Ohr gejuckt. Es ist so schlimm. Ich muss immer all diese Bücher lesen. Egal was. Hauptsache Silben, Wörter, Sätze. Ich habe keinen Bezug zur Welt mehr. Immer dieser Buchstabenwirbel um mich herum. Mir wird schwindelig. Schon als Kind hatte ich keine Freunde. Weil ich immer lesen musste. Auch jetzt habe ich keine Freunde. Nur in Büchern finde ich Freunde. Von der Liebe will ich erst gar nicht sprechen.
Am liebsten hätte ich Schriftstellerfreunde. Aber das geht nicht. Denn ich bin Kritiker. Und Schriftsteller muss ich verreißen. Ich muss ihnen wehtun. Weil sie mir wehtun. Ich hasse sie. Denn sie schreiben immer neue Bücher, die ich dann lesen muss, weshalb ich keine Freunde finde. Es macht mir Angst, dass ich solche Emotionen habe, die so dicht an der Oberfläche liegen. Dass man mich jetzt schon selbst lesen kann wie ein Buch. Aber es tut auch gut, das alles mal auszusprechen. Ich bin euch so dankbar, dass ihr mir zuhört. Ihr müsst mir ja zuhören. Ich weiß, wie das ist. Wenn man einmal angefangen hat, etwas zu lesen, kann man nicht mehr aufhören. Irgendwo ist gerade etwas in mir aufgebrochen, wisst ihr. Es ist so schön, hier bei Euch zu sein. Ich bin Stephan. Ich bin Kritiker. Und ich verdiene es zu leben. Jetzt juckt mein Ohr wieder so.
Oh Gott, diese pelzige Zunge!
Augusten ist Werber. Oh my God! Ein Werberroman! Augusten ist Alkoholiker. Oh my God! Ein Alkoholikerroman! Augusten ist schwul. Oh my God! Ein Schwulenroman! Augusten ist Augusten Burroughs. Oh my God! Ein autobiografischer Alkoholikerroman eines schwulen New Yorker Werbers! Nur Werber können auf die Idee kommen, die Werbewelt inbrünstig als einen Hort der Leere und der Oberflächlichkeit zu entlarven. Warum nicht mal ein radikaler Taucherroman, der die verführerisch schillernde Unterwasserwelt als bis in die letzte Muränenhöhle schamlos durchnässt bloßstellt? Augusten ist ein brillanter Texter, der einen Award nach dem andern abräumt und unglaubliches Geld einstreicht. Das kann keinen Menschen erfüllen. Warum eigentlich nicht?
Vielleicht, weil Augusten als Kind missbraucht wurde. Oh my God! Ein Missbrauchsroman! Anyway, Augusten füllt seine innere Leere mit Scotch, Bier und Cocktails aus. So sehr, dass er morgens seine pelzige Zunge in Rasierwasser baden muss um seine Fahne zu verdecken. Aber der Scotch dringt aus all seinen Poren und verrät ihn bei seiner Chefin. Augusten ist ein so brillanter Werber, dass ihn seine Agentur auf Seite 50 in eine Entziehungsklinik steckt. Ab jetzt gehts nicht mehr zum Werbe-, sondern zum AA-Meeting. Auf den restlichen Seiten erzählt Augusten dann von seinem Kampf gegen den Dämon Alkohol und von dem daraus resultierenden Beziehungshickhack mit einer Hand voll Männern. Augusten macht das so, wie ein begabter Werber diesen Job für eine Kampagne im Auftrage der Anonymen Alkoholiker erledigen würde. In seinem Briefing standen die Leitideen Identifikationsmöglichkeit, humorvolle Intermezzi und tränentreibende Rührseligkeit. Und als Strategieanweisung: Geschüttelt, nicht gerührt.
Augusten Burroughs gilt als Meister des schwarzen Humors. Warum eigentlich? Doch wohl nicht wegen seiner billigen Masche, autobiographisch verheulte Erzählungen aus dem vermeintlich verrückten Leben eines durchschnittlich extravaganten New Yorkers mit ein paar vorhersehbaren Gags zu würzen. Schon die erste Seite des vorliegenden Buches sollte Warnung genug sein: Wer in schamloser Gefühlsdusligkeit mehr als vierzig Menschen seinen plappernden Dank ausspricht, dazu noch einmal vor Hunderten Buchhändlern und Lesern dankbar auf die Knie fällt, weil sie aus seinem letzten Buch einen Bestseller gemacht haben, der kann nicht einmal im Ansatz begriffen haben, was schwarzer Humor überhaupt sein soll. Sobald Harald Schmidt anfängt, sich vor jeder Sendung bei seiner Oma für die Gene zu bedanken, kann man beruhigt schon um 23.00 Uhr ins Bett gehen.
Neben dem üblichen, doof verschwatzten New Yorker Parlando über die trotteligen Balzrituale im Schatten der Wolkenkratzer und ein paar verwackelten Schnappschüssen aus dem Innenleben einer Werbeagentur bietet Burroughs in diesem Buch nicht viel mehr als sülzende Protokolle von AA-Meetings. Und verkrustete Liebesfähigkeit hier und zähneklappernde Bindungsangst dort. Immerhin: Bisher wusste man nicht, dass im Land der meisterlich geführten Faustfeuerwaffen dasselbe Geschwurbel wie bei Arabella Kiesbauer kursiert. Penetrant dünstet der Text dicke Schwaden von Psychovokabular aus. Seitenlang schwadroniert Burroughs von innerem Kind und den Mixverhältnissen seiner belanglosen Psyche.
„Trocken” ist ein Produkt für den Entertainmentbetrieb, der seine grauenhafte Oberflächlichkeit am liebsten durch die geliehene Authentizität von so genannten „True Stories” zu tarnen versucht. Dieser irgendwie autobiografische Text ist wie designt für einen rührenden Auftritt in der amerikanischen Büchershow von Oprah Winfrey, für die Literatur noch nie mehr als ein Zeugnis bewegender Schicksale war, mit denen sich ein unterbelichtetes Publikum bis zum nächsten Werbeblock identifizieren kann. Burroughs muss den Sieg der Vulgärpsychologie über jeden Anflug von Literaturverdacht geahnt haben: „Oder ist das so eine unterdrückte Erinnerung, auf die Oprah Winfrey so abfährt?”
Augustens Werbekollegin Greer liest ausschließlich Lebenshilfe-Bücher. Hier hat sich das schlechte Gewissen des Autors in einer seiner Nebenfiguren verkörpert. „Trocken” würde Greer gefallen, denn der Roman liest sich wie das Destillat aus der Ratgeber-Ecke von Barnes & Nobles. Auf den letzten Seiten spricht der Autor die traurige Wahrheit über sein Werk aus: „Die gute Nachricht ist, daß du lernst, ohne Alkohol zu leben. Du vermißt ihn. Du willst ihn. Du hängst mit einem Haufen Verrückter rum, denen es genauso geht, und du gewöhnst dich daran. Und irgendwann hörst du dich an wie ein ätzender Selbsthilferatgeber. So wie ich.” Wenn das die Diagnose ist, gibt es wohl nur eine Möglichkeit für den trockenen Alkoholiker: schreibe keine Bücher, sondern bleibe anonym.
Die Sterne und die Nazis
Über weiteste Strecken ist dieser Text nur abgestandenes Sex-and-the-City-Gefasel über die Schwierigkeiten der alkoholisierten Großstädter in der Paarungszeit. Nur in besonders hemmungslos poetischen Momenten schwingt sich Burroughs auch schon mal zu inflationärer Sterntaler-Lyrik auf: „Man soll sich die Sterne nie allein ansehen. Deshalb gibt es so viele. Zwei Menschen sollen beieinander stehen und sie gemeinsam betrachten. Einer allein würde die schönsten übersehen.” Sweet. Jede Seite reißt Burroughs einen Witz. Jeder zehnte davon ist nicht ganz so hoffnungslos fade wie die vorangegangenen neun. Ach so: An Aids wird auch noch gestorben. Oh my god! Das Rührendste an Burroughs quietschender Gag-Maschinerie ist noch die Ausdauer, mit der er einen hackenzusammenschlagenden Deutschen als Nazi karikiert. Aber all die hinreißenden Anspielungen auf unsere KZs, unsere unzähmbare Mordlust und tödlich tickende Präzisionsblödheit wollen nicht ausreichen, um diesen Haufen unförmigen Psychogeschwätzes zu retten. You know, Augusten, von Nazi zu Ami: What we miss in your novel is what we Nazis call Gestaltungskraft. You may say thats Fascist stuff, but we say its Literature.
Also ab mit dem Roman ins Regal für stammelnde Lebenshilfe-Ratgeber. Vielleicht schauen wir wieder rein, wenn Leber und Hirn zu 80 Prozent weg sind. Bis dahin lesen wir lieber noch mal „Unterm Vulkan” von Malcolm Lowry. Der konnte nämlich auch noch mit 5 Promille schreiben.
STEPHAN MAUS
AUGUSTEN BURROUGHS: Trocken! Roman. Aus dem Amerikanischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 384 Seiten, 16,90 Euro.
Für Großstädter in der Paarungszeit kommt es immer auf die Mixverhältnisse an.
Foto: Mark Peterson / Corbis
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Leider kein wirklich anonymer Alkoholiker: Augusten Burroughs in „Trocken!”
Hi, ich bin Stephan. Ich bin Kritiker. Mein Vater hat mich immer so böse von der Seite angeguckt. Sein Blick hat mir richtig im Ohr gejuckt. Es ist so schlimm. Ich muss immer all diese Bücher lesen. Egal was. Hauptsache Silben, Wörter, Sätze. Ich habe keinen Bezug zur Welt mehr. Immer dieser Buchstabenwirbel um mich herum. Mir wird schwindelig. Schon als Kind hatte ich keine Freunde. Weil ich immer lesen musste. Auch jetzt habe ich keine Freunde. Nur in Büchern finde ich Freunde. Von der Liebe will ich erst gar nicht sprechen.
Am liebsten hätte ich Schriftstellerfreunde. Aber das geht nicht. Denn ich bin Kritiker. Und Schriftsteller muss ich verreißen. Ich muss ihnen wehtun. Weil sie mir wehtun. Ich hasse sie. Denn sie schreiben immer neue Bücher, die ich dann lesen muss, weshalb ich keine Freunde finde. Es macht mir Angst, dass ich solche Emotionen habe, die so dicht an der Oberfläche liegen. Dass man mich jetzt schon selbst lesen kann wie ein Buch. Aber es tut auch gut, das alles mal auszusprechen. Ich bin euch so dankbar, dass ihr mir zuhört. Ihr müsst mir ja zuhören. Ich weiß, wie das ist. Wenn man einmal angefangen hat, etwas zu lesen, kann man nicht mehr aufhören. Irgendwo ist gerade etwas in mir aufgebrochen, wisst ihr. Es ist so schön, hier bei Euch zu sein. Ich bin Stephan. Ich bin Kritiker. Und ich verdiene es zu leben. Jetzt juckt mein Ohr wieder so.
Oh Gott, diese pelzige Zunge!
Augusten ist Werber. Oh my God! Ein Werberroman! Augusten ist Alkoholiker. Oh my God! Ein Alkoholikerroman! Augusten ist schwul. Oh my God! Ein Schwulenroman! Augusten ist Augusten Burroughs. Oh my God! Ein autobiografischer Alkoholikerroman eines schwulen New Yorker Werbers! Nur Werber können auf die Idee kommen, die Werbewelt inbrünstig als einen Hort der Leere und der Oberflächlichkeit zu entlarven. Warum nicht mal ein radikaler Taucherroman, der die verführerisch schillernde Unterwasserwelt als bis in die letzte Muränenhöhle schamlos durchnässt bloßstellt? Augusten ist ein brillanter Texter, der einen Award nach dem andern abräumt und unglaubliches Geld einstreicht. Das kann keinen Menschen erfüllen. Warum eigentlich nicht?
Vielleicht, weil Augusten als Kind missbraucht wurde. Oh my God! Ein Missbrauchsroman! Anyway, Augusten füllt seine innere Leere mit Scotch, Bier und Cocktails aus. So sehr, dass er morgens seine pelzige Zunge in Rasierwasser baden muss um seine Fahne zu verdecken. Aber der Scotch dringt aus all seinen Poren und verrät ihn bei seiner Chefin. Augusten ist ein so brillanter Werber, dass ihn seine Agentur auf Seite 50 in eine Entziehungsklinik steckt. Ab jetzt gehts nicht mehr zum Werbe-, sondern zum AA-Meeting. Auf den restlichen Seiten erzählt Augusten dann von seinem Kampf gegen den Dämon Alkohol und von dem daraus resultierenden Beziehungshickhack mit einer Hand voll Männern. Augusten macht das so, wie ein begabter Werber diesen Job für eine Kampagne im Auftrage der Anonymen Alkoholiker erledigen würde. In seinem Briefing standen die Leitideen Identifikationsmöglichkeit, humorvolle Intermezzi und tränentreibende Rührseligkeit. Und als Strategieanweisung: Geschüttelt, nicht gerührt.
Augusten Burroughs gilt als Meister des schwarzen Humors. Warum eigentlich? Doch wohl nicht wegen seiner billigen Masche, autobiographisch verheulte Erzählungen aus dem vermeintlich verrückten Leben eines durchschnittlich extravaganten New Yorkers mit ein paar vorhersehbaren Gags zu würzen. Schon die erste Seite des vorliegenden Buches sollte Warnung genug sein: Wer in schamloser Gefühlsdusligkeit mehr als vierzig Menschen seinen plappernden Dank ausspricht, dazu noch einmal vor Hunderten Buchhändlern und Lesern dankbar auf die Knie fällt, weil sie aus seinem letzten Buch einen Bestseller gemacht haben, der kann nicht einmal im Ansatz begriffen haben, was schwarzer Humor überhaupt sein soll. Sobald Harald Schmidt anfängt, sich vor jeder Sendung bei seiner Oma für die Gene zu bedanken, kann man beruhigt schon um 23.00 Uhr ins Bett gehen.
Neben dem üblichen, doof verschwatzten New Yorker Parlando über die trotteligen Balzrituale im Schatten der Wolkenkratzer und ein paar verwackelten Schnappschüssen aus dem Innenleben einer Werbeagentur bietet Burroughs in diesem Buch nicht viel mehr als sülzende Protokolle von AA-Meetings. Und verkrustete Liebesfähigkeit hier und zähneklappernde Bindungsangst dort. Immerhin: Bisher wusste man nicht, dass im Land der meisterlich geführten Faustfeuerwaffen dasselbe Geschwurbel wie bei Arabella Kiesbauer kursiert. Penetrant dünstet der Text dicke Schwaden von Psychovokabular aus. Seitenlang schwadroniert Burroughs von innerem Kind und den Mixverhältnissen seiner belanglosen Psyche.
„Trocken” ist ein Produkt für den Entertainmentbetrieb, der seine grauenhafte Oberflächlichkeit am liebsten durch die geliehene Authentizität von so genannten „True Stories” zu tarnen versucht. Dieser irgendwie autobiografische Text ist wie designt für einen rührenden Auftritt in der amerikanischen Büchershow von Oprah Winfrey, für die Literatur noch nie mehr als ein Zeugnis bewegender Schicksale war, mit denen sich ein unterbelichtetes Publikum bis zum nächsten Werbeblock identifizieren kann. Burroughs muss den Sieg der Vulgärpsychologie über jeden Anflug von Literaturverdacht geahnt haben: „Oder ist das so eine unterdrückte Erinnerung, auf die Oprah Winfrey so abfährt?”
Augustens Werbekollegin Greer liest ausschließlich Lebenshilfe-Bücher. Hier hat sich das schlechte Gewissen des Autors in einer seiner Nebenfiguren verkörpert. „Trocken” würde Greer gefallen, denn der Roman liest sich wie das Destillat aus der Ratgeber-Ecke von Barnes & Nobles. Auf den letzten Seiten spricht der Autor die traurige Wahrheit über sein Werk aus: „Die gute Nachricht ist, daß du lernst, ohne Alkohol zu leben. Du vermißt ihn. Du willst ihn. Du hängst mit einem Haufen Verrückter rum, denen es genauso geht, und du gewöhnst dich daran. Und irgendwann hörst du dich an wie ein ätzender Selbsthilferatgeber. So wie ich.” Wenn das die Diagnose ist, gibt es wohl nur eine Möglichkeit für den trockenen Alkoholiker: schreibe keine Bücher, sondern bleibe anonym.
Die Sterne und die Nazis
Über weiteste Strecken ist dieser Text nur abgestandenes Sex-and-the-City-Gefasel über die Schwierigkeiten der alkoholisierten Großstädter in der Paarungszeit. Nur in besonders hemmungslos poetischen Momenten schwingt sich Burroughs auch schon mal zu inflationärer Sterntaler-Lyrik auf: „Man soll sich die Sterne nie allein ansehen. Deshalb gibt es so viele. Zwei Menschen sollen beieinander stehen und sie gemeinsam betrachten. Einer allein würde die schönsten übersehen.” Sweet. Jede Seite reißt Burroughs einen Witz. Jeder zehnte davon ist nicht ganz so hoffnungslos fade wie die vorangegangenen neun. Ach so: An Aids wird auch noch gestorben. Oh my god! Das Rührendste an Burroughs quietschender Gag-Maschinerie ist noch die Ausdauer, mit der er einen hackenzusammenschlagenden Deutschen als Nazi karikiert. Aber all die hinreißenden Anspielungen auf unsere KZs, unsere unzähmbare Mordlust und tödlich tickende Präzisionsblödheit wollen nicht ausreichen, um diesen Haufen unförmigen Psychogeschwätzes zu retten. You know, Augusten, von Nazi zu Ami: What we miss in your novel is what we Nazis call Gestaltungskraft. You may say thats Fascist stuff, but we say its Literature.
Also ab mit dem Roman ins Regal für stammelnde Lebenshilfe-Ratgeber. Vielleicht schauen wir wieder rein, wenn Leber und Hirn zu 80 Prozent weg sind. Bis dahin lesen wir lieber noch mal „Unterm Vulkan” von Malcolm Lowry. Der konnte nämlich auch noch mit 5 Promille schreiben.
STEPHAN MAUS
AUGUSTEN BURROUGHS: Trocken! Roman. Aus dem Amerikanischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 384 Seiten, 16,90 Euro.
Für Großstädter in der Paarungszeit kommt es immer auf die Mixverhältnisse an.
Foto: Mark Peterson / Corbis
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"Wieder zeigt Burroughs seine ganze Meisterschaft darin, Komödie und Katastrophe zu vereinen." (New York Times)