Produktdetails
  • Verlag: Tropen Verlag
  • ISBN-13: 9783932170744
  • ISBN-10: 3932170741
  • Artikelnr.: 14159964
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.01.2006

Das Geheimnis des Photoshop-Propheten
Total süß, zum Fressen süß, ungenießbar: Johanna Sinisalos krude Mär „Troll: Eine Liebesgeschichte”
Sein Ziel, dem Leser einen kalten Schauer den Rücken herunterlaufen zu lassen, erreicht Johanna Sinisalos Roman „Troll” mühelos. Der Roman ist ein krudes, effekthascherisches Machwerk mit einem denkwürdigen Plot: Der junge Starfotograf Mikael, den alle wegen seines engelsgleichen Aussehens Angel nennen, sieht nach einer Feier im Hof seines Appartementblocks eine Gang von Jugendlichen auf einen jungen Troll einprügeln. Halb aus Mitleid, halb aus Neugier entschließt er sich, das verletzte Wesen mit nach Hause zu nehmen und aufzupäppeln. Lange Zeit liegt das menschenähnliche, zottelige Tier nur herum.
Angel hat genug Zeit, sich im Internet und Enzyklopädien über Trolle zu informieren. Wenn der schwule Angel nicht im Internet durch die finnische Mythologie surft, erkundigt er sich bei seinem Ex-Lover, einem Tierarzt, danach, was Trolle fressen. Mit allen Männern, mit denen er beruflich oder geschäftlich zu tun hat, beginnt Angel leidenschaftliche Affären. Der Pessi getaufte Troll verströmt nämlich Pheromone, die auf homosexuelle Männer eine aufgeilende Wirkung ausüben.
Sinisalos Roman verströmt ökologische und feministische Gerüche, zielt letztlich aber auf eine Infragestellung von Gattungsunterschieden per se ab. Wenn der Unterschied zwischen Männern und Frauen in Bezug auf „gender” wie auch auf das biologische Geschlecht nur gesellschaftliche Konstrukte sind, mag sich die Lappländerin gefragt haben, warum sollen Menschen es dann nicht mit Tieren machen? Die Unterschiede zwischen Mann und Frau, Tier und Mensch werden mit großer Lust verwischt in Sinisalos Roman, der sich im Untertitel eine „Liebesgeschichte” nennt. Am Schluss nimmt der kleine Pessi den Menschen bei der Hand und führt ihn in seine Liebeshöhle ab.
Während man Sinisalos Bemühungen würdigen muss, nach Alternativen zum Plot der Well-Made-Novel zu suchen, muss man sagen, dass ihre Geschichte ziemlich bescheuert ist. Schwule Männer, die sich von Trollen bezirzen lassen, sind ekelhaft postmodern. Es besteht deshalb auch die Gefahr, dass „Troll” von berühmten Theoretikern interpretiert wird und später Studenten als geschlechtsreifer Diskurs verkauft wird.
Typischerweise würde man an dieser Stelle gern einräumen: Aber das Buch ist schon irgendwie gut gemacht. Bei „Troll” aber hätten schon die handwerklichen Schnitzer genügt, um ziemlich großes Missfallen zu erregen. Die Geheimniskrämerei, welche die Autorin um die Frage treibt, was ein Troll eigentlich frisst, peinigt den geduldigsten Leser. Da wird endlos gegoogelt, und man wird ärmlich mit Unheil herbeiraunenden Passagen hingehalten: „Ich öffne den Karton und entlasse das Meerschweinchen auf den Fußboden. Ich schließe die Augen und kann nicht glauben, dass ich das wirklich tue. Das Meerschweinchen ist weich und warm und hat glattes Fell, sein rosa Näschen zuckt, und die Schnurrbarthaare vibrieren. Es ist weiß mit braunen Flecken. Im Grunde ist es total süß. Zum Fressen süß.”
Langweiliges so erzählen, als sei es spannend - das ist eine ausgezeichnete Technik, den Leser zu reizen. Des Weiteren kommt die Finnin ihm mit ellenlangen, absolut nicht lesenswerten, erfundenen Zitaten, die Angel im Internet auftreibt. Eines dieser Zitate stammt angeblich aus dem Jahr 1910 und geht auf ein „fast mit einem Paradigmenwechsel gleichzusetzendes Phänomen” ein - klingt eher nach spätem zwanzigstem Jahrhundert. Eine andere Frage ist, warum der Troll die von ihm angefertigten Zeichnungen unbedingt mit dem Blut eines Opfers malen muss. Wie abgeschmackt! Dass er unheimlich intelligent ist, hätte uns schon Angst genug gemacht. Und ein Plot, in dem es außer um scharfe Zähne und Tierintelligenzbeweise nur um läppische Rechte an einem Foto des von Angel in Jeans gekleideten Trolls geht, zieht auch nicht. Nicht zu übertreffen aber ist Johanna Sinisalos Einfall, den Protagonisten Angel als „Mac-Magiker”, „FreeHand-Fakir” und „Photoshop-Prophet” einzuführen. An dieser Stelle wird der Leser durch lang anhaltendes Lachen mit dem Buch versöhnt.
Das eigentliche Geheimnis an „Troll” ist aber die Frage, warum in Finnland so viele Menschen den Roman gelesen haben, dass man ihn auch noch in andere Sprachen glaubte übersetzen zu müssen. Es hat wohl mit Sex und Angst zu tun. Während Pessi dem bloßen Namen nach an Lassie erinnert, ist er seinem Wesen nach eher die finnische Version von King Kong. So, wie der Riesenaffe die Angst des degenerierten weißen Amerikaners vor dem unzivilisierten, gesunden und hyperpotenten schwarzen Mann verkörperte, so mag Pessi den sexuellen Ängsten des gemeinen Finnen Gestalt verleihen. Nicht gut also, dass „Troll” in Finnland zum Bestseller wurde. Nicht gut für Finnland, und jetzt ganz schlecht für Deutschland. KAI WIEGANDT
JOHANNA SINISALO: Troll. Eine Liebesgeschichte. Roman. Aus dem Finnischen von Angela Plöger. Tropen Verlag, Köln 2005. 262 Seiten, 19,80 Euro
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2006

Der Duft des Trolls
Er ist nicht grün: Johanna Sinisalos skurriler Roman

Trolle gehören zu jenen Wesen, die eine Spur zu erfunden sind, um unsere Realitätskontrollen beim Lesen ohne Scherereien zu passieren. Ähnlich wie bei Ogern, Kobolden oder Gnomen sind wir nur unter ganz bestimmten Umständen bereit, die Existenz von Trollen zu akzeptieren - nämlich dann, wenn sie als Statisten in dichtbewaldeten Welten auftauchen, die durch Nebelschwaden als mythische Paralleluniversen gekennzeichnet sind. Und wenn sie wieder im Unterholz verschwinden, bevor wir allzulange darüber nachgedacht haben, wo genau sie im zoologischen Gattungssystem anzusiedeln sind und was Heinz Sielmann wohl über sie gesagt hätte.

Ein Roman, der davon handelt, wie ein homosexueller Werbefotograf einen auf der Straße aufgelesenen Troll in seine Wohnung schmuggelt und als Haustier hält, scheint solche Fragen zu ignorieren. Wenn es Trolle gibt, dann argwöhnt man, daß auch sonst jeder Quatsch möglich ist - ähnlich wie in "E.T.", "Am Samstag kam das Sams zurück" oder "Meister Eder und sein Pumuckl", wo die Helden seltsame Kreaturen bei sich aufnehmen, die die Schulweisheit der Nachbarn als leeren Wahn entlarven. Doch in ihrem Romandebüt "Troll" gelingt der Finnin Johanna Sinisalo das große Kunststück, die Sache mit dem Troll glaubwürdig erscheinen zu lassen - und zwar ohne den Leser dazu zu zwingen, vor Beginn der Lektüre einen poetischen Vertrag zu unterschreiben, der im Kleingedruckten auch das mögliche Auftauchen von Fabelwesen einschließt.

Als Schreiberin von Science-fiction-Geschichten ist die 1958 im finnischen Lappland geborene Autorin eben geschult darin, das szientistische Weltbild der Moderne auszubauen, anstatt es einfach auszuhebeln. So ist der Troll im Kosmos ihres Romans kein nordisches Fabeltier, sondern eine panskandinavische Raubtierart, die bis zu ihrem wissenschaftlichen Nachweis im Jahr 1907 nur die Phantasie bevölkerte. Wie der Komodowaran oder das Okapi gehören Sinisalos Trolle, die Seidenaffen ähneln, zur Gruppe der kuriosen Tierarten. Daß Mikael im nächtlichen Helsinki ein verirrtes Exemplar der menschenscheuen Spezies findet und nach Hause mitnimmt, ist folglich kein Bruch mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich ein ernster Verstoß gegen das Jagdgesetz.

In den ersten Kapiteln handelt "Troll" von Mikaels verzweifelten Versuchen, im Internet und in Bibliotheken die Ernährungsgewohnheiten seines Jungtrolls zu recherchieren, der wie ein überdimensioniertes Kätzchen auf seinem Bett schlummert. Mikael verfolgt das Motiv des Trolls durch Populationsforschung, Mythenkunde, Volksdichtung und Biologie. Doch ziemlich schnell wird deutlich, daß die Einschleusung der geheimnisvollen Spezies ins urbane Beziehungsgeflecht nicht einer amüsanten Form der Dokufiktion dient, sondern vor allem der menschlichen Verhaltensforschung. Denn der in Mikaels Wohnung versteckte Troll, der lebende Meerschweinchen verspeist und Wasser aus der Kloschüssel schlabbert, ist bei Sinisalo trotz fast lebensechter Beschreibung nur ein MacGuffin, ein Katalysator für den emotionalen und sexuellen Stoffwechsel der Großstadt. Mit dem Troll, der einen Geruch von Wacholderbeeren und Moschus verströmt, kommt ein attraktiver Duftstoff in die Stadt, der nicht zufällig an "Calvin Klein" erinnert und eine chemikalische Kette des Begehrens in Gang setzt.

Der Protagonist, der vom selbstgefälligen Art Director Martes zu Beginn des Romans einen Korb erhält, findet im putzigen Waldwesen auf Anhieb ein Ersatzobjekt für seine unerwiderte Liebe: "Es ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Ich spüre sofort, daß ich es will." Doch auch Mikael verwandelt sich durch das Troll-Aroma in eine Sensation, der sogar die thailändische Nachbarin erliegt, die ihrerseits vom finnischen Mann als Sexsklavin in der Wohnung gehalten wird. Während Mikael seinen plötzlich wieder interessierten Auftraggeber abblitzen läßt, fängt er eine Affäre mit dem Buchhändler Ecke an. Nur die Zurückweisung facht in dieser schwulen "Sex and the City"-Welt das Begehren an, und jede ausgelebte Begegnung handelt von einer unerfüllten Sehnsucht. Zur fatalen Dynamik, die der Troll in Mikaels Umfeld freisetzt, paßt Sinisalos ebenso flotter wie sprunghafter Erzählstil, der zwischen den beteiligten Ichs umschaltet wie in einer Konferenzschaltung und die verschiedenen Reviere zum Teil nur mit einsätzigen Minikapiteln streift.

Daß Johanna Sinisalos Roman, nun beim Berliner Tropen Verlag in schöner Übersetzung und ansehnlicher Aufmachung erschienen, mehr ist als eine originelle Telenovela über den nordeuropäischen Großstadtdschungel, liegt vor allem an der wirklich überraschenden und auch ein wenig unheimlichen Wendung, die das Geschehen bekommt, als der herangewachsene Troll selbst zum Subjekt des Geschehens wird und Mikaels Wohnung gegen Eindringlinge verteidigt. Natürlich wundert man sich schon, wenn man erfährt, daß Trolle sogar ihr Bild in der Zeitung erkennen können. Aber diese Zweifel beweisen nur, daß es Sinisalo gelungen ist, dem Troll jenseits von "Ronja Räubertochter" und dem "Herrn der Ringe" einen Sitz in der modernen Literatur zu verschaffen.

Johanna Sinisalo: "Troll". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Finnischen übersetzt von Angela Plöger. Tropen Verlag, Berlin 2005. 264 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Andreas Rosenfelder ist ausgesprochen angetan von diesem Buch, weil der Finnin Johanna Sinisalo das "große Kunststück" gelungen sei, eine Geschichte glaubwürdig erscheinen zu lassen, in der sich ein homosexueller Werbefotograf einen veritablen Troll als Haustier hält. Mit großem Vergnügen gibt der Rezensent zu Protokoll, dass jener Mikael, als er im nächtlichen Helsinki den Troll aufliest, nicht gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich gegen das finnische Jagdgesetz verstößt. Die Einquartierung des Trolls setzt naturgemäß in Mikaels Umfeld eine "fatale Dynamik" frei. Zu den Ereignissen passt der Erzählstil, den Rosenfelder "ebenso flott wie sprunghaft" findet und an dem ihm besonders auffällt, dass zwischen den "beteiligten Ichs" hin- und hergeschaltet wird "wie in einer Konferenzschaltung". Die deutsche Ausgabe schließlich wird als "ansehnlich", die Übersetzung von Angela Plöger als "schön" gelobt.

© Perlentaucher Medien GmbH"