Produktdetails
- Verlag: Tropen Verlag
- ISBN-13: 9783932170744
- ISBN-10: 3932170741
- Artikelnr.: 14159964
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2006Der Duft des Trolls
Er ist nicht grün: Johanna Sinisalos skurriler Roman
Trolle gehören zu jenen Wesen, die eine Spur zu erfunden sind, um unsere Realitätskontrollen beim Lesen ohne Scherereien zu passieren. Ähnlich wie bei Ogern, Kobolden oder Gnomen sind wir nur unter ganz bestimmten Umständen bereit, die Existenz von Trollen zu akzeptieren - nämlich dann, wenn sie als Statisten in dichtbewaldeten Welten auftauchen, die durch Nebelschwaden als mythische Paralleluniversen gekennzeichnet sind. Und wenn sie wieder im Unterholz verschwinden, bevor wir allzulange darüber nachgedacht haben, wo genau sie im zoologischen Gattungssystem anzusiedeln sind und was Heinz Sielmann wohl über sie gesagt hätte.
Ein Roman, der davon handelt, wie ein homosexueller Werbefotograf einen auf der Straße aufgelesenen Troll in seine Wohnung schmuggelt und als Haustier hält, scheint solche Fragen zu ignorieren. Wenn es Trolle gibt, dann argwöhnt man, daß auch sonst jeder Quatsch möglich ist - ähnlich wie in "E.T.", "Am Samstag kam das Sams zurück" oder "Meister Eder und sein Pumuckl", wo die Helden seltsame Kreaturen bei sich aufnehmen, die die Schulweisheit der Nachbarn als leeren Wahn entlarven. Doch in ihrem Romandebüt "Troll" gelingt der Finnin Johanna Sinisalo das große Kunststück, die Sache mit dem Troll glaubwürdig erscheinen zu lassen - und zwar ohne den Leser dazu zu zwingen, vor Beginn der Lektüre einen poetischen Vertrag zu unterschreiben, der im Kleingedruckten auch das mögliche Auftauchen von Fabelwesen einschließt.
Als Schreiberin von Science-fiction-Geschichten ist die 1958 im finnischen Lappland geborene Autorin eben geschult darin, das szientistische Weltbild der Moderne auszubauen, anstatt es einfach auszuhebeln. So ist der Troll im Kosmos ihres Romans kein nordisches Fabeltier, sondern eine panskandinavische Raubtierart, die bis zu ihrem wissenschaftlichen Nachweis im Jahr 1907 nur die Phantasie bevölkerte. Wie der Komodowaran oder das Okapi gehören Sinisalos Trolle, die Seidenaffen ähneln, zur Gruppe der kuriosen Tierarten. Daß Mikael im nächtlichen Helsinki ein verirrtes Exemplar der menschenscheuen Spezies findet und nach Hause mitnimmt, ist folglich kein Bruch mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich ein ernster Verstoß gegen das Jagdgesetz.
In den ersten Kapiteln handelt "Troll" von Mikaels verzweifelten Versuchen, im Internet und in Bibliotheken die Ernährungsgewohnheiten seines Jungtrolls zu recherchieren, der wie ein überdimensioniertes Kätzchen auf seinem Bett schlummert. Mikael verfolgt das Motiv des Trolls durch Populationsforschung, Mythenkunde, Volksdichtung und Biologie. Doch ziemlich schnell wird deutlich, daß die Einschleusung der geheimnisvollen Spezies ins urbane Beziehungsgeflecht nicht einer amüsanten Form der Dokufiktion dient, sondern vor allem der menschlichen Verhaltensforschung. Denn der in Mikaels Wohnung versteckte Troll, der lebende Meerschweinchen verspeist und Wasser aus der Kloschüssel schlabbert, ist bei Sinisalo trotz fast lebensechter Beschreibung nur ein MacGuffin, ein Katalysator für den emotionalen und sexuellen Stoffwechsel der Großstadt. Mit dem Troll, der einen Geruch von Wacholderbeeren und Moschus verströmt, kommt ein attraktiver Duftstoff in die Stadt, der nicht zufällig an "Calvin Klein" erinnert und eine chemikalische Kette des Begehrens in Gang setzt.
Der Protagonist, der vom selbstgefälligen Art Director Martes zu Beginn des Romans einen Korb erhält, findet im putzigen Waldwesen auf Anhieb ein Ersatzobjekt für seine unerwiderte Liebe: "Es ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Ich spüre sofort, daß ich es will." Doch auch Mikael verwandelt sich durch das Troll-Aroma in eine Sensation, der sogar die thailändische Nachbarin erliegt, die ihrerseits vom finnischen Mann als Sexsklavin in der Wohnung gehalten wird. Während Mikael seinen plötzlich wieder interessierten Auftraggeber abblitzen läßt, fängt er eine Affäre mit dem Buchhändler Ecke an. Nur die Zurückweisung facht in dieser schwulen "Sex and the City"-Welt das Begehren an, und jede ausgelebte Begegnung handelt von einer unerfüllten Sehnsucht. Zur fatalen Dynamik, die der Troll in Mikaels Umfeld freisetzt, paßt Sinisalos ebenso flotter wie sprunghafter Erzählstil, der zwischen den beteiligten Ichs umschaltet wie in einer Konferenzschaltung und die verschiedenen Reviere zum Teil nur mit einsätzigen Minikapiteln streift.
Daß Johanna Sinisalos Roman, nun beim Berliner Tropen Verlag in schöner Übersetzung und ansehnlicher Aufmachung erschienen, mehr ist als eine originelle Telenovela über den nordeuropäischen Großstadtdschungel, liegt vor allem an der wirklich überraschenden und auch ein wenig unheimlichen Wendung, die das Geschehen bekommt, als der herangewachsene Troll selbst zum Subjekt des Geschehens wird und Mikaels Wohnung gegen Eindringlinge verteidigt. Natürlich wundert man sich schon, wenn man erfährt, daß Trolle sogar ihr Bild in der Zeitung erkennen können. Aber diese Zweifel beweisen nur, daß es Sinisalo gelungen ist, dem Troll jenseits von "Ronja Räubertochter" und dem "Herrn der Ringe" einen Sitz in der modernen Literatur zu verschaffen.
Johanna Sinisalo: "Troll". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Finnischen übersetzt von Angela Plöger. Tropen Verlag, Berlin 2005. 264 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Er ist nicht grün: Johanna Sinisalos skurriler Roman
Trolle gehören zu jenen Wesen, die eine Spur zu erfunden sind, um unsere Realitätskontrollen beim Lesen ohne Scherereien zu passieren. Ähnlich wie bei Ogern, Kobolden oder Gnomen sind wir nur unter ganz bestimmten Umständen bereit, die Existenz von Trollen zu akzeptieren - nämlich dann, wenn sie als Statisten in dichtbewaldeten Welten auftauchen, die durch Nebelschwaden als mythische Paralleluniversen gekennzeichnet sind. Und wenn sie wieder im Unterholz verschwinden, bevor wir allzulange darüber nachgedacht haben, wo genau sie im zoologischen Gattungssystem anzusiedeln sind und was Heinz Sielmann wohl über sie gesagt hätte.
Ein Roman, der davon handelt, wie ein homosexueller Werbefotograf einen auf der Straße aufgelesenen Troll in seine Wohnung schmuggelt und als Haustier hält, scheint solche Fragen zu ignorieren. Wenn es Trolle gibt, dann argwöhnt man, daß auch sonst jeder Quatsch möglich ist - ähnlich wie in "E.T.", "Am Samstag kam das Sams zurück" oder "Meister Eder und sein Pumuckl", wo die Helden seltsame Kreaturen bei sich aufnehmen, die die Schulweisheit der Nachbarn als leeren Wahn entlarven. Doch in ihrem Romandebüt "Troll" gelingt der Finnin Johanna Sinisalo das große Kunststück, die Sache mit dem Troll glaubwürdig erscheinen zu lassen - und zwar ohne den Leser dazu zu zwingen, vor Beginn der Lektüre einen poetischen Vertrag zu unterschreiben, der im Kleingedruckten auch das mögliche Auftauchen von Fabelwesen einschließt.
Als Schreiberin von Science-fiction-Geschichten ist die 1958 im finnischen Lappland geborene Autorin eben geschult darin, das szientistische Weltbild der Moderne auszubauen, anstatt es einfach auszuhebeln. So ist der Troll im Kosmos ihres Romans kein nordisches Fabeltier, sondern eine panskandinavische Raubtierart, die bis zu ihrem wissenschaftlichen Nachweis im Jahr 1907 nur die Phantasie bevölkerte. Wie der Komodowaran oder das Okapi gehören Sinisalos Trolle, die Seidenaffen ähneln, zur Gruppe der kuriosen Tierarten. Daß Mikael im nächtlichen Helsinki ein verirrtes Exemplar der menschenscheuen Spezies findet und nach Hause mitnimmt, ist folglich kein Bruch mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich ein ernster Verstoß gegen das Jagdgesetz.
In den ersten Kapiteln handelt "Troll" von Mikaels verzweifelten Versuchen, im Internet und in Bibliotheken die Ernährungsgewohnheiten seines Jungtrolls zu recherchieren, der wie ein überdimensioniertes Kätzchen auf seinem Bett schlummert. Mikael verfolgt das Motiv des Trolls durch Populationsforschung, Mythenkunde, Volksdichtung und Biologie. Doch ziemlich schnell wird deutlich, daß die Einschleusung der geheimnisvollen Spezies ins urbane Beziehungsgeflecht nicht einer amüsanten Form der Dokufiktion dient, sondern vor allem der menschlichen Verhaltensforschung. Denn der in Mikaels Wohnung versteckte Troll, der lebende Meerschweinchen verspeist und Wasser aus der Kloschüssel schlabbert, ist bei Sinisalo trotz fast lebensechter Beschreibung nur ein MacGuffin, ein Katalysator für den emotionalen und sexuellen Stoffwechsel der Großstadt. Mit dem Troll, der einen Geruch von Wacholderbeeren und Moschus verströmt, kommt ein attraktiver Duftstoff in die Stadt, der nicht zufällig an "Calvin Klein" erinnert und eine chemikalische Kette des Begehrens in Gang setzt.
Der Protagonist, der vom selbstgefälligen Art Director Martes zu Beginn des Romans einen Korb erhält, findet im putzigen Waldwesen auf Anhieb ein Ersatzobjekt für seine unerwiderte Liebe: "Es ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Ich spüre sofort, daß ich es will." Doch auch Mikael verwandelt sich durch das Troll-Aroma in eine Sensation, der sogar die thailändische Nachbarin erliegt, die ihrerseits vom finnischen Mann als Sexsklavin in der Wohnung gehalten wird. Während Mikael seinen plötzlich wieder interessierten Auftraggeber abblitzen läßt, fängt er eine Affäre mit dem Buchhändler Ecke an. Nur die Zurückweisung facht in dieser schwulen "Sex and the City"-Welt das Begehren an, und jede ausgelebte Begegnung handelt von einer unerfüllten Sehnsucht. Zur fatalen Dynamik, die der Troll in Mikaels Umfeld freisetzt, paßt Sinisalos ebenso flotter wie sprunghafter Erzählstil, der zwischen den beteiligten Ichs umschaltet wie in einer Konferenzschaltung und die verschiedenen Reviere zum Teil nur mit einsätzigen Minikapiteln streift.
Daß Johanna Sinisalos Roman, nun beim Berliner Tropen Verlag in schöner Übersetzung und ansehnlicher Aufmachung erschienen, mehr ist als eine originelle Telenovela über den nordeuropäischen Großstadtdschungel, liegt vor allem an der wirklich überraschenden und auch ein wenig unheimlichen Wendung, die das Geschehen bekommt, als der herangewachsene Troll selbst zum Subjekt des Geschehens wird und Mikaels Wohnung gegen Eindringlinge verteidigt. Natürlich wundert man sich schon, wenn man erfährt, daß Trolle sogar ihr Bild in der Zeitung erkennen können. Aber diese Zweifel beweisen nur, daß es Sinisalo gelungen ist, dem Troll jenseits von "Ronja Räubertochter" und dem "Herrn der Ringe" einen Sitz in der modernen Literatur zu verschaffen.
Johanna Sinisalo: "Troll". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Finnischen übersetzt von Angela Plöger. Tropen Verlag, Berlin 2005. 264 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Rezensent Andreas Rosenfelder ist ausgesprochen angetan von diesem Buch, weil der Finnin Johanna Sinisalo das "große Kunststück" gelungen sei, eine Geschichte glaubwürdig erscheinen zu lassen, in der sich ein homosexueller Werbefotograf einen veritablen Troll als Haustier hält. Mit großem Vergnügen gibt der Rezensent zu Protokoll, dass jener Mikael, als er im nächtlichen Helsinki den Troll aufliest, nicht gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, sondern lediglich gegen das finnische Jagdgesetz verstößt. Die Einquartierung des Trolls setzt naturgemäß in Mikaels Umfeld eine "fatale Dynamik" frei. Zu den Ereignissen passt der Erzählstil, den Rosenfelder "ebenso flott wie sprunghaft" findet und an dem ihm besonders auffällt, dass zwischen den "beteiligten Ichs" hin- und hergeschaltet wird "wie in einer Konferenzschaltung". Die deutsche Ausgabe schließlich wird als "ansehnlich", die Übersetzung von Angela Plöger als "schön" gelobt.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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