Frust? Unbeliebt? Geldsorgen? Gefühle der Unzulänglichkeit? Kleinmütig? Liebeskummer? Ihnen kann geholfen werden ... Alain de Botton, Autor des Bestsellers "Wie Proust Ihr Leben verändern kann", ist in seinem amüsanten und geistreichen Buch der Frage nachgegangen, welche Tröstungen bei den Lebensproblemen moderner, vorwiegend jugendlicher Zeitgenossen die Philosophie bereithält, genauer: welche Hilfsangebote Sokrates, Epikur, Seneca, Montaigne, Schopenhauer und Nietzsche machen könnten, wenn man denn deren Leben und Werk zu Rate zöge. Bei seiner Philosophenbefragung stellt de Botton erneut seine spezifische Begabung, Witz, Klugheit und Erfindungsgabe erzählerisch zu kombinieren, bestechend unter Beweis. Was er dem interessierten Leser an die Hand gibt, ist sowohl ein unschätzbares Kompendium guter Ratschläge, wie mit einigen der am weitesten verbreiteten Kümmernissen umzugehen sei, als auch eine glänzende Einführung in den Gebrauch der Philosophie.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Der lange Atem des Ludger Lütkehaus: Da entwirft der Rezensent mal eben einen prophetischen Traum des Sokrates "nach einem besonders üppigen Gelage" und lässt den Meister darin über die "gegenwärtige Glücksinflation" und gleich vier Arbeiten zum Thema zu Wort kommen: "Die Kunst zu leben" von Alexander Nehamas (Rotbuch), Annemarie Piepers "Glückssache" (Hoffmann und Campe), Alain de Bottons "Trost der Philosophie" (S. Fischer Verlag) und "Verdammt zu Glück" von Pascal Bruckner und erschienen bei Aufbau.
1) Alexander Nehamas: "Die Kunst zu leben"
"'Alle Achtung!', dachte Sokrates", denkt Lütkehaus: Der hier ist mit allen Wassern gewaschen, der Autor hier. Ist mir (Sokrates) am Ende ebenbürtig? Wenn er auch mit sich selber spricht ("er zitierte immerhin etliche 'Stimmen', die anscheinend in den inzwischen verflossenen zweieinhalbtausend Jahren mit ihm diskutiert hatten, einen 'Montaigne', einen 'Nietzsche', einen 'Foucault'"), er trifft doch ins Schwarze. Spricht über mich und dann ewig über "diesen Musterschüler Platon". Die Philosophiegeschichte - nur ein paar Fußnoten zu mir bzw. zu ihm, Platon? Also das ist Ironie. Sprach Sokrates, sprach Lütkehaus.
2) Annemarie Pieper: "Glückssache"
Gründliche Arbeit, denkt Sokrates-Lütkehaus über dieses Buch. Weniger ironisch, dafür umso solider hat die Autorin gearbeitet, "Schritt für Schritt, im Gänsemarsch der Begriffe, handelte sie Lebens- und Glücksformen ab": Ästhetische Lebensform: sinnliches Glück, religiöse Lebensform: kontemplatives Glück usw. - Zuordnungen allerdings, die Sokrates nicht immer glücklich machten, "zumal er die philosophische Lebensform schmerzlich vermisste." Und das Resultat? Doch eher blass. "Und Sokrates fühlte sich nur an Wissen reicher, im Übrigen so lebensklug als wie zuvor."
3) Alain de Botton: "Trost der Philosophie"
Bei diesem Autor ist es Sokrates wohl. Erstaunlich klug, der Junge ("Man sollte ihn mal nach Athen einladen!"), und witzig (hat begriffen, "dass man bei diesem Thema gut daran tat, selber etwas zu den 'Glückssachen' beizutragen"). Fragt nach dem Gebrauchswert all der Montaigne, Nietzsche, Epikur etc. für den Trost der Philosophie bei Unbeliebtheit, Geldmangel, Frustration. Allerdings, das denken wieder beide - Sokrates und Lütkehaus -: Manchmal doch "allzu salopp", was der Autor da zum Besten gibt, Dinge, "die offenbar äußerst nachlässig absolvierten Bibliotheksaufenthalten zu danken waren."
4) Pascal Bruckner: "Verdammt zum Glück"
Die eigentliche Entdeckung im Sokratischen Traum, meint Lütkehaus, ist dieses Buch. Der Autor verstehe es mal heiter, mal sarkastisch, fast immer buchstäblich treffend zu formulieren, "so wie Sokrates es selten gehört hatte". Er war unterhaltsam, mit diversen Impromptus zu Alltagsthemen, und schüttete seinen ganzen Hohn aus über die "gegenwärtige Glücksinflation". Eine "paradoxe frohe-unfrohe Botschaft", der selbst der Meister in der Hauptsache nicht widersprechen konnte.
© Perlentaucher Medien GmbH
1) Alexander Nehamas: "Die Kunst zu leben"
"'Alle Achtung!', dachte Sokrates", denkt Lütkehaus: Der hier ist mit allen Wassern gewaschen, der Autor hier. Ist mir (Sokrates) am Ende ebenbürtig? Wenn er auch mit sich selber spricht ("er zitierte immerhin etliche 'Stimmen', die anscheinend in den inzwischen verflossenen zweieinhalbtausend Jahren mit ihm diskutiert hatten, einen 'Montaigne', einen 'Nietzsche', einen 'Foucault'"), er trifft doch ins Schwarze. Spricht über mich und dann ewig über "diesen Musterschüler Platon". Die Philosophiegeschichte - nur ein paar Fußnoten zu mir bzw. zu ihm, Platon? Also das ist Ironie. Sprach Sokrates, sprach Lütkehaus.
2) Annemarie Pieper: "Glückssache"
Gründliche Arbeit, denkt Sokrates-Lütkehaus über dieses Buch. Weniger ironisch, dafür umso solider hat die Autorin gearbeitet, "Schritt für Schritt, im Gänsemarsch der Begriffe, handelte sie Lebens- und Glücksformen ab": Ästhetische Lebensform: sinnliches Glück, religiöse Lebensform: kontemplatives Glück usw. - Zuordnungen allerdings, die Sokrates nicht immer glücklich machten, "zumal er die philosophische Lebensform schmerzlich vermisste." Und das Resultat? Doch eher blass. "Und Sokrates fühlte sich nur an Wissen reicher, im Übrigen so lebensklug als wie zuvor."
3) Alain de Botton: "Trost der Philosophie"
Bei diesem Autor ist es Sokrates wohl. Erstaunlich klug, der Junge ("Man sollte ihn mal nach Athen einladen!"), und witzig (hat begriffen, "dass man bei diesem Thema gut daran tat, selber etwas zu den 'Glückssachen' beizutragen"). Fragt nach dem Gebrauchswert all der Montaigne, Nietzsche, Epikur etc. für den Trost der Philosophie bei Unbeliebtheit, Geldmangel, Frustration. Allerdings, das denken wieder beide - Sokrates und Lütkehaus -: Manchmal doch "allzu salopp", was der Autor da zum Besten gibt, Dinge, "die offenbar äußerst nachlässig absolvierten Bibliotheksaufenthalten zu danken waren."
4) Pascal Bruckner: "Verdammt zum Glück"
Die eigentliche Entdeckung im Sokratischen Traum, meint Lütkehaus, ist dieses Buch. Der Autor verstehe es mal heiter, mal sarkastisch, fast immer buchstäblich treffend zu formulieren, "so wie Sokrates es selten gehört hatte". Er war unterhaltsam, mit diversen Impromptus zu Alltagsthemen, und schüttete seinen ganzen Hohn aus über die "gegenwärtige Glücksinflation". Eine "paradoxe frohe-unfrohe Botschaft", der selbst der Meister in der Hauptsache nicht widersprechen konnte.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.08.2003DAS HÖRBUCH
Hausgebrauch
Alain de Botton spendet wenig Trost
Alain de Bottons „Trost der Philosophie” ist vor allem ein Lob der Philosophie. Dabei kommt dem Autor nicht in den Sinn, dass der Wert der Philosophie keineswegs nur im praktischen Nutzen liegt, den man aus ihr ziehen kann, dass ihre Qualität weniger die ist, Antworten zu geben, als Fragen zu stellen. So ist sein Buch zu einer Verklärung der Philosophie geraten, ein augenwischerisches „Healthier Life in 48 Hours”, ein Reader’s Digest der Gedanken großer Philosophen, „Sophies Welt” ohne Sophie.
Bekommt man diese altkluge Lebenshilfe allerdings als Hörbuch geboten, kann man sich einer gewissen Sympathie nicht erwehren, denn die sechs Sprecher, die jeweils ein Kapitel lesen, sind klug ausgewählt. Es mag auch sein, dass der Gegenstand ihnen eine angenehme Gelassenheit verleiht, eine Lesehaltung, die philosophisch zu nennen nahe liegt. Mit warmer, forschender Stimme, sehr bedächtig und manchmal überdeutlich, manchmal verschleifend gibt Christoph Waltz den Sokrates. Jürgen Tarrach, der als Schauspieler auf eher nervöse Rollen spezialisiert ist, liest Bottons Darstellung der Philosophie Epikurs schlicht und klar. Ebenso professionell stellt August Zirner Seneca dar. Auch Hansa Czypionka agiert tadellos, obgleich ein wenig zu märchenonkelhaft für Montaigne. Bottons Schopenhauer-Kapitel wird von Monica Bleibtreu wie ein Roman vorgetragen, engagiert auf Spannung setzend, zuweilen aber theatralisch fuchtelnd. Auf Dramatik legt es auch Jasmin Tabatabei im Abschnitt „Nietzsche” an – im Wechsel mit ausgesuchter Coolness. Dass Schopenhauer und Nietzsche von Frauen vorgetragen werden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Befremdlich wirkt die Technik, Zitate akustisch so zu markieren, dass man den Eindruck hat, der Verstärker würde ständig zwischen Stereo- und Monowiedergabe wechseln und bald seinen Geist aufgeben. Was nicht übermäßig schlimm wäre, griffe man daraufhin zu einem Band Seneca. Oder zu einem jener großen Philosophen, die dieser mit schönen Stimmen vorgelesenen Light-Version entgangen sind.
TOBIAS LEHMKUHL
ALAIN DE BOTTON: Trost der Philosophie. Roof Music, Bochum 2003, 6 CD, 373 Minuten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Hausgebrauch
Alain de Botton spendet wenig Trost
Alain de Bottons „Trost der Philosophie” ist vor allem ein Lob der Philosophie. Dabei kommt dem Autor nicht in den Sinn, dass der Wert der Philosophie keineswegs nur im praktischen Nutzen liegt, den man aus ihr ziehen kann, dass ihre Qualität weniger die ist, Antworten zu geben, als Fragen zu stellen. So ist sein Buch zu einer Verklärung der Philosophie geraten, ein augenwischerisches „Healthier Life in 48 Hours”, ein Reader’s Digest der Gedanken großer Philosophen, „Sophies Welt” ohne Sophie.
Bekommt man diese altkluge Lebenshilfe allerdings als Hörbuch geboten, kann man sich einer gewissen Sympathie nicht erwehren, denn die sechs Sprecher, die jeweils ein Kapitel lesen, sind klug ausgewählt. Es mag auch sein, dass der Gegenstand ihnen eine angenehme Gelassenheit verleiht, eine Lesehaltung, die philosophisch zu nennen nahe liegt. Mit warmer, forschender Stimme, sehr bedächtig und manchmal überdeutlich, manchmal verschleifend gibt Christoph Waltz den Sokrates. Jürgen Tarrach, der als Schauspieler auf eher nervöse Rollen spezialisiert ist, liest Bottons Darstellung der Philosophie Epikurs schlicht und klar. Ebenso professionell stellt August Zirner Seneca dar. Auch Hansa Czypionka agiert tadellos, obgleich ein wenig zu märchenonkelhaft für Montaigne. Bottons Schopenhauer-Kapitel wird von Monica Bleibtreu wie ein Roman vorgetragen, engagiert auf Spannung setzend, zuweilen aber theatralisch fuchtelnd. Auf Dramatik legt es auch Jasmin Tabatabei im Abschnitt „Nietzsche” an – im Wechsel mit ausgesuchter Coolness. Dass Schopenhauer und Nietzsche von Frauen vorgetragen werden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Befremdlich wirkt die Technik, Zitate akustisch so zu markieren, dass man den Eindruck hat, der Verstärker würde ständig zwischen Stereo- und Monowiedergabe wechseln und bald seinen Geist aufgeben. Was nicht übermäßig schlimm wäre, griffe man daraufhin zu einem Band Seneca. Oder zu einem jener großen Philosophen, die dieser mit schönen Stimmen vorgelesenen Light-Version entgangen sind.
TOBIAS LEHMKUHL
ALAIN DE BOTTON: Trost der Philosophie. Roof Music, Bochum 2003, 6 CD, 373 Minuten, 29,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001Prost der Schierlingsmilch
Alain de Botton mixt einen Kummertrunk / Von Ralf Drost
An Versuchen, die Klassiker der Philosophie in eingängiger Form auf den Markt zu bringen, herrscht kein Mangel. Dem berechtigten Verlangen nach Ratgebern, die leichthin daherkommen, ohne ins Belanglose zu gehen, werden nur wenige Autoren gerecht. Zu ihnen gehört Alain de Botton, der in seinem neuesten Werk verschiedene Tröstungen der Philosophie bereithält. De Botton gewinnt sie, indem er sechs Philosophen aus der Perspektive eines für sie jeweils zentralen Problems vorstellt. Vom Ansatz und von der Umsetzung her folgt er dem bewährten Muster seines Buchs "Wie Proust Ihr Leben verändern kann". Schriftsteller, heißt es dort etwa, sollten gleichermaßen mit Empathie und Distanz gelesen werden. Nur so gelinge die produktive Anverwandlung im Rahmen eigener Erkenntnisinteressen.
Auf diese Weise liest der Philologe de Botton nun Sokrates, Epikur, Seneca, Montaigne, Schopenhauer und Nietzsche. Diskret läßt er gelegentlich die Umstände seiner Lektüre einfließen, umreißt Reisebegebenheiten und andere persönliche Erlebnisse. Was leicht wie eine Marotte wirken könnte, ist durch den Ansatz gedeckt, Philosophie auf ihre lebenspraktische Verwendungsfähigkeit hin zu thematisieren. Mit de Botton von Sokrates lernen heißt lernen, sich nicht der Autorität oder Popularität von Ansichten zu beugen, sondern einzig der argumentativen Qualität ihrer Begründung.
Bei Geldsorgen tröstet Epikur, insofern er dafürhält, Lebensqualität basiere wesentlich auf sozialen Gütern, auf Freundschaft und Muse zum Beispiel. Während es Epikur um Glücksgewinn geht, zielt Seneca auf Enttäuschungsvermeidung. Die gelingt nicht immer, weil manchmal die Umstände widriger ausfallen, als es dem Willen lieb ist, der sich klaglos dareinfügen möchte. De Botton vergegenwärtigt dies eindringlich am Freitod, zu dem Seneca von Nero gezwungen wurde. Gern wäre Seneca mit der Sokrates nachgesagten Ataraxie aus dem Leben geschieden, mußte jedoch aufgrund der Zählebigkeit seiner Physis eine würdelose Tortur durchleiden.
Mit Montaigne tröstet de Botton sich und seine männlichen Leser unter anderem über Erektionsprobleme und schlägt den Bogen zu Schopenhauer, dem Nothelfer bei Liebeskummer. Die Eröffnung des Kapitels, ein Abriß der Vita des Philosophen, hält ironisch Distanz. Sie zeigt Schopenhauer erst als einen in Liebesdingen eher talentlosen Adepten, dann als notorischen Junggesellen mit einer Vorliebe für Pudel. Schopenhauer, der im Sexus ein gegenüber den Individuen gleichgültiges Individuationsprinzip so trostlos walten sah wie keiner vor ihm - womit nun vermag er nach de Botton zu trösten? "Wenn die Liebe uns im Stich gelassen hat, ist es tröstlich zu hören, daß Glücklichsein nie Teil des Plans war."
Das freilich muß man sich, dies weiß auch de Botton, mit jener autosuggestiven Flehentlichkeit vorsagen, mit der Nietzsche sein "Schopenhauer hilf" geflüstert hat, um den Militärdienst zu überstehen. Nietzsche wird unter der lapidaren Überschrift "Trost bei Schwierigkeiten" vorgestellt. Das macht Sinn, weil Nietzsche fast alle schwierigen Seins- und Daseinsfragen der abendländischen Philosophie in sehr persönlicher Weise auf sich genommen hat. Von ihm lernen heißt, Schwierigkeiten zu Herausforderungen umzuwerten, ohne dabei zu vergessen, daß aller Trost des Umwertens stets nur ein selbstgespendeter sein kann.
Alain de Botton liest seine Philosophen als exemplarische Leser ihrer Vorgänger. So begegnet Nietzsche als jemand, der Montaigne schätzte, der seinerseits von Seneca angetan war. Die zitatenreichen Rückbezüge verklammern geschickt die Kapitel und schließen sie überdies zu einer philosophiegeschichtlichen Einführung in nuce zusammen. Die angenehm unangestrengte Stoffvermittlung wird durch kleinformatige kunstgeschichtliche Abbildungen, historische und zeitgenössische Photographien sowie graphische Illustrationen aufgelockert.
Er habe sich auf dem Weg zur Cafeteria des Metropolitan Museum of Art befunden, um dort eine von ihm heißgeliebte, amerikanische Schokomilchsorte zu trinken, berichtet de Botton, als er zufällig auf das Gemälde "Der Tod des Sokrates" von Jacques-Louis David gestoßen sei. Die Bilder, die er dem unterlegt, zeigen einmal das Gemälde, dann die Schokomilch. Das so Kombinierte verknüpft in postmoderner Verspieltheit kulturelle und persönliche Geschichte sowie antike und moderne Motive und gibt dergestalt zu verstehen, daß es sich für Philosophen heutigentags denn doch vergleichsweise süß leben und philosophieren läßt.
Alain de Botton: "Trost der Philosophie". Eine Gebrauchsanweisung. Aus dem Englischen von Silvia Morawetz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 320 S., Abb., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alain de Botton mixt einen Kummertrunk / Von Ralf Drost
An Versuchen, die Klassiker der Philosophie in eingängiger Form auf den Markt zu bringen, herrscht kein Mangel. Dem berechtigten Verlangen nach Ratgebern, die leichthin daherkommen, ohne ins Belanglose zu gehen, werden nur wenige Autoren gerecht. Zu ihnen gehört Alain de Botton, der in seinem neuesten Werk verschiedene Tröstungen der Philosophie bereithält. De Botton gewinnt sie, indem er sechs Philosophen aus der Perspektive eines für sie jeweils zentralen Problems vorstellt. Vom Ansatz und von der Umsetzung her folgt er dem bewährten Muster seines Buchs "Wie Proust Ihr Leben verändern kann". Schriftsteller, heißt es dort etwa, sollten gleichermaßen mit Empathie und Distanz gelesen werden. Nur so gelinge die produktive Anverwandlung im Rahmen eigener Erkenntnisinteressen.
Auf diese Weise liest der Philologe de Botton nun Sokrates, Epikur, Seneca, Montaigne, Schopenhauer und Nietzsche. Diskret läßt er gelegentlich die Umstände seiner Lektüre einfließen, umreißt Reisebegebenheiten und andere persönliche Erlebnisse. Was leicht wie eine Marotte wirken könnte, ist durch den Ansatz gedeckt, Philosophie auf ihre lebenspraktische Verwendungsfähigkeit hin zu thematisieren. Mit de Botton von Sokrates lernen heißt lernen, sich nicht der Autorität oder Popularität von Ansichten zu beugen, sondern einzig der argumentativen Qualität ihrer Begründung.
Bei Geldsorgen tröstet Epikur, insofern er dafürhält, Lebensqualität basiere wesentlich auf sozialen Gütern, auf Freundschaft und Muse zum Beispiel. Während es Epikur um Glücksgewinn geht, zielt Seneca auf Enttäuschungsvermeidung. Die gelingt nicht immer, weil manchmal die Umstände widriger ausfallen, als es dem Willen lieb ist, der sich klaglos dareinfügen möchte. De Botton vergegenwärtigt dies eindringlich am Freitod, zu dem Seneca von Nero gezwungen wurde. Gern wäre Seneca mit der Sokrates nachgesagten Ataraxie aus dem Leben geschieden, mußte jedoch aufgrund der Zählebigkeit seiner Physis eine würdelose Tortur durchleiden.
Mit Montaigne tröstet de Botton sich und seine männlichen Leser unter anderem über Erektionsprobleme und schlägt den Bogen zu Schopenhauer, dem Nothelfer bei Liebeskummer. Die Eröffnung des Kapitels, ein Abriß der Vita des Philosophen, hält ironisch Distanz. Sie zeigt Schopenhauer erst als einen in Liebesdingen eher talentlosen Adepten, dann als notorischen Junggesellen mit einer Vorliebe für Pudel. Schopenhauer, der im Sexus ein gegenüber den Individuen gleichgültiges Individuationsprinzip so trostlos walten sah wie keiner vor ihm - womit nun vermag er nach de Botton zu trösten? "Wenn die Liebe uns im Stich gelassen hat, ist es tröstlich zu hören, daß Glücklichsein nie Teil des Plans war."
Das freilich muß man sich, dies weiß auch de Botton, mit jener autosuggestiven Flehentlichkeit vorsagen, mit der Nietzsche sein "Schopenhauer hilf" geflüstert hat, um den Militärdienst zu überstehen. Nietzsche wird unter der lapidaren Überschrift "Trost bei Schwierigkeiten" vorgestellt. Das macht Sinn, weil Nietzsche fast alle schwierigen Seins- und Daseinsfragen der abendländischen Philosophie in sehr persönlicher Weise auf sich genommen hat. Von ihm lernen heißt, Schwierigkeiten zu Herausforderungen umzuwerten, ohne dabei zu vergessen, daß aller Trost des Umwertens stets nur ein selbstgespendeter sein kann.
Alain de Botton liest seine Philosophen als exemplarische Leser ihrer Vorgänger. So begegnet Nietzsche als jemand, der Montaigne schätzte, der seinerseits von Seneca angetan war. Die zitatenreichen Rückbezüge verklammern geschickt die Kapitel und schließen sie überdies zu einer philosophiegeschichtlichen Einführung in nuce zusammen. Die angenehm unangestrengte Stoffvermittlung wird durch kleinformatige kunstgeschichtliche Abbildungen, historische und zeitgenössische Photographien sowie graphische Illustrationen aufgelockert.
Er habe sich auf dem Weg zur Cafeteria des Metropolitan Museum of Art befunden, um dort eine von ihm heißgeliebte, amerikanische Schokomilchsorte zu trinken, berichtet de Botton, als er zufällig auf das Gemälde "Der Tod des Sokrates" von Jacques-Louis David gestoßen sei. Die Bilder, die er dem unterlegt, zeigen einmal das Gemälde, dann die Schokomilch. Das so Kombinierte verknüpft in postmoderner Verspieltheit kulturelle und persönliche Geschichte sowie antike und moderne Motive und gibt dergestalt zu verstehen, daß es sich für Philosophen heutigentags denn doch vergleichsweise süß leben und philosophieren läßt.
Alain de Botton: "Trost der Philosophie". Eine Gebrauchsanweisung. Aus dem Englischen von Silvia Morawetz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 320 S., Abb., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main