Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2012Der ewige Revolutionär
Robert Service beschreibt das Wirken des Agitators Trotzki
"Trotzki war der größte Allround-Aktivist des revolutionären Russland." An persönlicher, nicht politischer Sympathie für seinen Titelhelden lässt es Robert Service nicht fehlen. Und doch gehört dieser Tausendsassa, noch dazu einer der begabtesten Redner der revolutionären Garde, zu den großen Verlierern der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aber er bildet doch gleichzeitig die Ausnahme von der Regel, wonach die Sieger die Geschichte bestimmen, sie oft auch schreiben. Lew Trotzki (eigentlich Bronstein) kommt zugute, dass er gegen Josef Stalin verlor. Und der hat bekanntlich seinen festen Platz unter den Großverbrechern des Jahrhunderts.
Der Sowjetkommunismus, dem Trotzki 1917 zur Macht verhalf, ist zwar untergegangen. Aber der bürokratische Charakter des Systems hat für Historiker den unschätzbaren Vorteil, dass die Bewegung reichlich Papier hinterlassen hat, von dem vieles zugänglich bleibt, auch wenn Putins Russland mit Archivalien längst nicht mehr so großzügig ist wie unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Falle Trotzkis kommt hinzu, dass er sein letztes Lebensjahrzehnt außerhalb der Sowjetunion verbringen musste. Und auch da blieb sich der ewige Revolutionär treu. Er versuchte, eine neue Internationale zu gründen. So etwas geht dann natürlich nicht ohne Protokolle und Ähnliches. Die Quellenlage ist insgesamt also nicht schlecht.
Die Faszination durch die Figur Trotzki ist auch mehr als 70 Jahre nach seinem gewaltsamen Ende im mexikanischen Exil ungebrochen. Das ist einmal sicher darauf zurückzuführen, dass er ein begnadeter Propagandist auch in eigener Sache war. Hinzu kommt ein Aspekt, den sein großer Gegner Stalin in die Welt gesetzt hat. Der erklärte im Zuge seines großen Terrors Trotzki zu einem geradezu übermenschlichen Wesen, das zahl- und beispiellose Verschwörungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ins Werk gesetzt habe. So trug Stalin ungewollt dazu bei, dass Lew Trotzki vielen Nachgeborenen als eine positive Figur erscheint. Bei Lichte besehen verliert vieles schnell an Romantik. Und Robert Service leuchtet genau die schmutzigen Ecken des Revolutionärs aus. Andererseits kann sich der nüchterne Historiker der Faszination dieses Mannes nicht ganz entziehen.
Eine der großen Qualitäten dieses Buches ist, dass der Autor der Versuchung widersteht, die Zeit vor 1917 quasi zu einem kurzen Vorwort der eigentlichen Geschichte zu degradieren. Das Leben Bronsteins/Trotzkis vor der Oktoberrevolution nimmt mehr als 200 Buchseiten ein. So erhält der Leser ein umfassendes Bild des Menschen Trotzki, der vom Politiker zwar kaum zu trennen ist, der aber mehr Facetten hat als dieser. In den ersten Kapiteln gerät das Buch ein wenig zu einer Geschichte des Judentums im Zarenreich. Anschaulich wird geschildert, welchen Beschränkungen diese Volksgruppe ausgesetzt war. Der Autor psychologisiert aber glücklicherweise nicht herum und erklärt etwaige unangenehme Charakterzüge des Titelhelden nicht mit traumatischen Erfahrungen eines benachteiligten Juden.
Ausführlich widmet er sich dem revolutionären Werdegang Trotzkis, der diesen erst im Laufe des Jahres 1917 an die Seite Lenins und in die bolschewistische Partei führte. Zwar hatte er sich schon Jahre zuvor von einigen Schriften des Revolutionsführers inspirieren lassen. Trotzki scheute sich aber nicht, zum Beispiel Lenins "Organisationsfetischismus" zu kritisieren. Allein diese Bemerkung zeigt die Distanz, die zwischen Trotzki und dem bestand, was nach 1917 in Russland und nach 1945 in vielen Ländern Mittel- und Osteuropas praktiziert wurde. Denn Organisation, "die" Partei, das war doch der Kern aller Macht in den Ländern des dann so genannten real existierenden Sozialismus. Und Stalin war, wenn man so will, der erfolgreichste Bürokrat der jüngeren Weltgeschichte.
Trotzki, der Agitator, bewährte sich in der Revolution und im folgenden Bürgerkrieg - auch als Organisator des Militärs. Als es aber nach Lenins Tod darauf ankam, rächte sich Trotzkis Selbstgerechtigkeit, der nie sonderlichen Wert auf das Knüpfen von Allianzen gelegt hatte. Stalin verdrängte ihn zuerst von der Macht. Später ließ er ihn aus der Partei ausschließen, des Landes verweisen und schließlich umbringen.
Lenins Kommunistische Internationale, die dritte in der Zählung der internationalen Arbeiterbewegung, wurde formal 1943 aufgelöst. Trotzkis Vierte Internationale hingegen besteht auf ihre Weise immer noch. Zwar sind in ihr meist Gruppen zusammengeschlossen, die in ihren jeweiligen Ländern bestenfalls ein Randdasein fristen. Aber zum Beispiel in Frankreich sind die Gedanken des Revolutionärs immer noch relativ populär. So relativieren sich Sieg und Niederlage in der Weltgeschichte.
PETER STURM
Robert Service: Trotzki. Eine Biographie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 730 S., 34,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Robert Service beschreibt das Wirken des Agitators Trotzki
"Trotzki war der größte Allround-Aktivist des revolutionären Russland." An persönlicher, nicht politischer Sympathie für seinen Titelhelden lässt es Robert Service nicht fehlen. Und doch gehört dieser Tausendsassa, noch dazu einer der begabtesten Redner der revolutionären Garde, zu den großen Verlierern der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aber er bildet doch gleichzeitig die Ausnahme von der Regel, wonach die Sieger die Geschichte bestimmen, sie oft auch schreiben. Lew Trotzki (eigentlich Bronstein) kommt zugute, dass er gegen Josef Stalin verlor. Und der hat bekanntlich seinen festen Platz unter den Großverbrechern des Jahrhunderts.
Der Sowjetkommunismus, dem Trotzki 1917 zur Macht verhalf, ist zwar untergegangen. Aber der bürokratische Charakter des Systems hat für Historiker den unschätzbaren Vorteil, dass die Bewegung reichlich Papier hinterlassen hat, von dem vieles zugänglich bleibt, auch wenn Putins Russland mit Archivalien längst nicht mehr so großzügig ist wie unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Falle Trotzkis kommt hinzu, dass er sein letztes Lebensjahrzehnt außerhalb der Sowjetunion verbringen musste. Und auch da blieb sich der ewige Revolutionär treu. Er versuchte, eine neue Internationale zu gründen. So etwas geht dann natürlich nicht ohne Protokolle und Ähnliches. Die Quellenlage ist insgesamt also nicht schlecht.
Die Faszination durch die Figur Trotzki ist auch mehr als 70 Jahre nach seinem gewaltsamen Ende im mexikanischen Exil ungebrochen. Das ist einmal sicher darauf zurückzuführen, dass er ein begnadeter Propagandist auch in eigener Sache war. Hinzu kommt ein Aspekt, den sein großer Gegner Stalin in die Welt gesetzt hat. Der erklärte im Zuge seines großen Terrors Trotzki zu einem geradezu übermenschlichen Wesen, das zahl- und beispiellose Verschwörungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ins Werk gesetzt habe. So trug Stalin ungewollt dazu bei, dass Lew Trotzki vielen Nachgeborenen als eine positive Figur erscheint. Bei Lichte besehen verliert vieles schnell an Romantik. Und Robert Service leuchtet genau die schmutzigen Ecken des Revolutionärs aus. Andererseits kann sich der nüchterne Historiker der Faszination dieses Mannes nicht ganz entziehen.
Eine der großen Qualitäten dieses Buches ist, dass der Autor der Versuchung widersteht, die Zeit vor 1917 quasi zu einem kurzen Vorwort der eigentlichen Geschichte zu degradieren. Das Leben Bronsteins/Trotzkis vor der Oktoberrevolution nimmt mehr als 200 Buchseiten ein. So erhält der Leser ein umfassendes Bild des Menschen Trotzki, der vom Politiker zwar kaum zu trennen ist, der aber mehr Facetten hat als dieser. In den ersten Kapiteln gerät das Buch ein wenig zu einer Geschichte des Judentums im Zarenreich. Anschaulich wird geschildert, welchen Beschränkungen diese Volksgruppe ausgesetzt war. Der Autor psychologisiert aber glücklicherweise nicht herum und erklärt etwaige unangenehme Charakterzüge des Titelhelden nicht mit traumatischen Erfahrungen eines benachteiligten Juden.
Ausführlich widmet er sich dem revolutionären Werdegang Trotzkis, der diesen erst im Laufe des Jahres 1917 an die Seite Lenins und in die bolschewistische Partei führte. Zwar hatte er sich schon Jahre zuvor von einigen Schriften des Revolutionsführers inspirieren lassen. Trotzki scheute sich aber nicht, zum Beispiel Lenins "Organisationsfetischismus" zu kritisieren. Allein diese Bemerkung zeigt die Distanz, die zwischen Trotzki und dem bestand, was nach 1917 in Russland und nach 1945 in vielen Ländern Mittel- und Osteuropas praktiziert wurde. Denn Organisation, "die" Partei, das war doch der Kern aller Macht in den Ländern des dann so genannten real existierenden Sozialismus. Und Stalin war, wenn man so will, der erfolgreichste Bürokrat der jüngeren Weltgeschichte.
Trotzki, der Agitator, bewährte sich in der Revolution und im folgenden Bürgerkrieg - auch als Organisator des Militärs. Als es aber nach Lenins Tod darauf ankam, rächte sich Trotzkis Selbstgerechtigkeit, der nie sonderlichen Wert auf das Knüpfen von Allianzen gelegt hatte. Stalin verdrängte ihn zuerst von der Macht. Später ließ er ihn aus der Partei ausschließen, des Landes verweisen und schließlich umbringen.
Lenins Kommunistische Internationale, die dritte in der Zählung der internationalen Arbeiterbewegung, wurde formal 1943 aufgelöst. Trotzkis Vierte Internationale hingegen besteht auf ihre Weise immer noch. Zwar sind in ihr meist Gruppen zusammengeschlossen, die in ihren jeweiligen Ländern bestenfalls ein Randdasein fristen. Aber zum Beispiel in Frankreich sind die Gedanken des Revolutionärs immer noch relativ populär. So relativieren sich Sieg und Niederlage in der Weltgeschichte.
PETER STURM
Robert Service: Trotzki. Eine Biographie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 730 S., 34,95 [Euro].
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